OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.04.2003 - 5 A 4466/01
Fundstelle
openJur 2011, 25258
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 16 K 779/00
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 107,37 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin ist Halterin des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen H. -W. 2. . Am 30. April 1998 stellte sie ihr Fahrzeug zwischen 11 und 11.30 Uhr in der Straße N. in F. auf einem Behindertenparkplatz ab. Auf Veranlassung von Außendienstmitarbeitern der Beklagten wurde das Fahrzeug um 11.44 Uhr von der Firma Auto D. C. abgeschleppt.

Gegen Zahlung der Abschleppkosten in Höhe von 160,-- DM und einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 50,-- DM, die der Abschleppunternehmer für die Beklagte einzog, holte die Klägerin ihr Fahrzeug bei der Firma C. ab.

Die Klägerin hat am 22. Februar 2000 Klage erhoben, mit der sie von der Beklagten die Erstattung des an das Abschleppunternehmen gezahlten Gesamtbetrages über 210,-- DM nebst Zinsen begehrt. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen: Sie habe ihren PKW auf einem der Parkplätze in Höhe der Hausnummer 38 direkt vor dem Eingang der Praxis des dort ansässigen Orthopäden abgestellt. Die Parkplätze vor der Arztpraxis seien eigens eingerichtet worden, um Behinderten den Zugang zur Praxis zu erleichtern. Sie, die Klägerin, habe am 30. April 1998 ihre damals in der Bewegungsfähigkeit stark beeinträchtigte Mutter in die Arztpraxis gebracht und sei sodann nach ca. fünf Minuten zu ihrem PKW zurückgekehrt. In dieser Zeit sei der Wagen abgeschleppt worden. Dies sei unverhältnismäßig. In der Vergangenheit hätten die Politessen vor Einleitung eines Abschleppvorgangs zunächst stets in der Arztpraxis nachgefragt, ob die auf den Behindertenparkplätzen abgestellten Fahrzeuge Patienten der Arztpraxis zuzuordnen seien. Dies sei im vorliegenden Fall unterblieben, obwohl eine solche Nachfrage zumutbar gewesen wäre. Aus alledem ergebe sich, dass die Ersatzvornahme rechtswidrig gewesen sei und die Abschleppkosten (Auslagen und Gebühren) zurückzuzahlen seien.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 210,-- DM nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22. Februar 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Abschleppmaßnahme sei rechtmäßig gewesen, da der zum Parken auf einem Behindertenparkplatz berechtigende blaue Parkausweis nicht im Fahrzeug ausgelegen habe. Durch die Einrichtung der Behindertenparkplätze hätten die Parkmöglichkeiten im direkten Umfeld der Arztpraxen nur für den gesetzlich fest umschriebenen Personenkreis verbessert werden sollen. Eine Nutzung von Behindertenparkplätzen bei temporärer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit sei vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Die Angabe der Klägerin, sie habe sich nur für fünf Minuten von ihrem PKW entfernt, treffe nicht zu. Bereits um 11.27 Uhr sei eine Verwarnung ausgestellt worden; der Abschleppauftrag sei hingegen erst um 11.44 Uhr beendet worden. Bei den von der Klägerin geltend gemachten Nachfragen in der Arztpraxis könne es sich nur um solche Einzelfälle handeln, in denen die Außendienstmitarbeiter entsprechende Hinweise im Fahrzeug vorgefunden hätten.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe ein öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch zu, weil die zur Entstehung gelangte Forderung der Beklagten mangels Kostenfestsetzungsbescheides am Tag der Zahlung an den Abschleppunternehmer nicht fällig gewesen sei.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend: Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Forderung der Beklagten werde gemäß §§ 17, 14 des Gebührengesetzes NRW (GebG NRW) erst mit Bekanntgabe eines - hier nicht ergangenen - Leistungsbescheides fällig, überzeuge nicht. Ein Rückgriff auf das Gebührengesetz NRW zur Bestimmung der Fälligkeit der Forderung sei nicht statthaft. Dies folge schon daraus, dass das Verwaltungsvollstreckungsgesetz in Verbindung mit der Kostenordnung keine planwidrige Regelungslücke enthalte. Seit langem sei in der Rechtsprechung des OVG NRW anerkannt, dass der Behörde in Abschleppfällen bis zur vollständigen Zahlung der Abschleppkosten ein Zurückbehaltungsrecht an dem abgeschleppten Fahrzeug zustehe. Hieraus ergebe sich, dass die Zahlung der Abschleppkosten auch ohne vorherigen Leistungsbescheid verlangt werden könne. Denn ansonsten wäre die Anerkennung eines Zurückbehaltungsrechtes sinnlos. Verfehlt sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, ein Kostenfestsetzungsbescheid sei deshalb erforderlich, weil die Behörde eine Ermessensentscheidung zu treffen habe. Das Verwaltungsgericht verkenne hierbei, dass das Ermessen für gleich gelagerte und typische Fälle auch generell im Voraus ausgeübt werden könne und nicht immer in Form einer Einzelfallentscheidung ergehe.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertritt die Auffassung, dass sie die Zahlung mangels Leistungsbescheides ohne ausreichenden rechtlichen Grund erbracht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat kann über die Berufung der Beklagten gemäß § 130 a VwGO durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Die zulässige Berufung ist begründet. Die allgemeine Leistungsklage hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Erstattungsanspruch hinsichtlich der gezahlten Abschleppkosten (Verwaltungsgebühr und Auslagen).

Die von der Klägerin an den Abschleppunternehmer gezahlte Verwaltungsgebühr in Höhe von 50,-- DM und die durch den Abschleppvorgang entstandenen Auslagen in Höhe von 160,-- DM sind - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - gegenüber der Klägerin entstanden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird diesbezüglich in entsprechender Anwendung des § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die insoweit zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war die Forderung der Beklagten zum Zeitpunkt ihrer Erfüllung auch ohne Bekanntgabe eines Kostenbescheides fällig.

Weder § 77 VwVG in der hier noch maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 18. März 1997 (GV NRW S. 50) noch die Kostenordnung NRW verweisen im vorliegenden Zusammenhang auf das Gebührengesetz NRW. Ein Rückgriff auf § 17 GebG NRW zur Bestimmung der Fälligkeit der Forderung scheidet mithin aus. Eine Anwendung der genannten Vorschrift lässt überdies die in Nordrhein-Westfalen seit jeher geltende Zweiteilung von Kosten- und Gebührenregelungen für Amtshandlungen einerseits und für den Vollzug von Amtshandlungen andererseits außer Acht. Während für erstere seit dem 1. Januar 1972 das Gebührengesetz NRW einschlägig ist, sind Kosten- und Gebührenregelungen für Vollzugsakte allein in der Kostenordnung NRW normiert, die sich auf § 77 VwVG stützt. Diese getrennten Regelungssysteme,

vgl. dazu im Einzelnen Landtags-Drucksache 13/3192, S. 73 f.,

schließen es aus, bei Kosten- und Gebührenregelungen für Vollzugsakte ohne spezielle Verweisung in der Kostenordnung oder im Verwaltungsvollstreckungsgesetz auf Vorschriften des Gebührengesetzes NRW zurückzugreifen.

Hinzu kommt, dass nach ständiger Rechtsprechung des beschließenden Gerichts der Behörde hinsichtlich des abgeschleppten Fahrzeuges grundsätzlich ein Zurückbehaltungsrecht bis zur vollständigen Zahlung der Abschleppkosten zusteht,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. Mai 1983 - 4 A 1504/82 -, DVBl. 1983, 1074 f.; vgl. auch Stober, DVBl. 1973, 351 ff.; Knöll, DVBl. 1980, 1027, 1033,

dessen Geltendmachung nicht von der vorherigen Festsetzung der Abschleppkosten durch Leistungsbescheid abhängt und damit ohne Weiteres die Fälligkeit der behördlichen Forderung voraussetzt.

An dieser Rechtsprechung, die wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlagen nicht nur für Abschleppfälle in Form der Sicherstellung, sondern in entsprechender Anwendung des § 46 Abs. 3 Satz 4 PolG NRW auch auf Abschleppfälle in Form der Ersatzvornahme Anwendung findet, ist jedenfalls für die hier einschlägige Rechtslage bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vom 18. Dezember 2002 (GV NRW 2003, S. 24) festzuhalten.

Unabhängig davon stünde der Rückforderung der gezahlten Abschleppkosten die entsprechend anwendbare Regelung des § 813 Abs. 2 BGB entgegen, wenn man von der fehlenden Fälligkeit der Forderung ausginge. Nach dieser Vorschrift ist die Rückforderung ausgeschlossen, wenn eine betagte Verbindlichkeit vorzeitig erfüllt wird. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, ein sinnloses Hin- und Herbewegen der Leistung zu vermeiden, wenn auf eine bereits bestehende, aber noch nicht fällige Schuld vorzeitig gezahlt wird. Mit dem Verwaltungsgericht ist zwar davon auszugehen, dass eine entsprechende Anwendung des § 813 Abs. 2 BGB den Besonderheiten des öffentlichen Rechts dann widerspricht, wenn die endgültige Konkretisierung des behördlichen Zahlungsanspruchs nicht von vornherein feststeht, sondern von einer noch zu treffenden hoheitlichen Ermessensbetätigung abhängt. Eine derartige Situation ist jedoch bei den hier zur Beurteilung anstehenden Abschleppmaßnahmen gerade nicht gegeben. Kennzeichnend für sie ist vielmehr, dass die Behörde die Höhe der Kosten (Auslagen und Gebühren) für typische und gleich gelagerte Fälle nach pflichtgemäßem Ermessen im Voraus festlegt. Die Höhe der Auslagen orientiert sich dabei allein an den mit den Abschleppunternehmern geschlossenen Vereinbarungen, in denen die Höhe der Abschleppkosten für die verschiedenen Fallgruppen - gemessen am tatsächlichen Aufwand - im Einzelnen geregelt ist. Ähnlich verhält es sich bei den Gebühren. Die Gebührenhöhe wird ebenfalls nicht anlässlich eines konkreten Abschleppfalls ermittelt; sie bemisst sich vielmehr an dem für bestimmte Fallgruppen gebildeten durchschnittlichen Verwaltungsaufwand, den die Behörde im Voraus bestimmt.

Hängt die Kostenhöhe danach - wie hier - mangels atypischer Fallgestaltung entscheidend von einer vorab entwickelten Verwaltungspraxis ab, an deren Rechtmäßigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, so ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts für eine auf den konkreten Abschleppfall bezogene weitere Ermessensentscheidung von vornherein kein Raum.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 130a Satz 2, 125 Abs. 2 Satz 4, 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 1 GKG.