VG Köln, Urteil vom 12.04.2016 - 7 K 2347/14
Fundstelle
openJur 2017, 677
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist ein anerkanntes Seeheilbad. Im Rahmen ihres Kurbetriebes bietet sie u.a. Inhalationen und medizinische Bäder mit Meerwasser an. Dieses wird bei Erkrankungen der Atemwege, der Haut oder des Bewegungsapparates eingesetzt. Zur Gewinnung und Bearbeitung von Meerwasser zur Inhalation und für medizinische Bäder sowie von flüssigen Darreichungsformen zur inneren Anwendung verfügt die Klägerin über eine Herstellungserlaubnis für Humanarzneimittel nach § 13 AMG. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung liegt aufgrund der Ausnahmebestimmung des § 21 Abs. 2 Nr. 1e AMG nicht vor.

Mit Schreiben vom 30.09.2010 an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) äußerte das Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein - Abteilung Gesundheitsschutz - Zweifel an der Einstufung des Meerwassers als Arzneimittel und beantragte eine Einstufungsentscheidung nach § 13 Abs. 3 des Medizinproduktegesetzes (MPG). Nach Kapitel IV Ziff. 3 des Leitfadens der Länder zur Einstufung und Klassifizierung von Medizinprodukten vom 29.06.2007 gelte für Heil-, Salz- und Meerwässer, soweit sie zur äußerlichen Anwendung und zur Spülung von Körperhöhlen angewendet würden, dass die Hauptwirkungen auf physikalischen Mechanismen wie Osmose, Auftrieb, Elution (Herauslösen) von Hautinhaltsstoffen, der Anlagerung von Salzen an der Haut sowie auf thermischen Effekten beruhten. Soweit sie zur Inhalation Anwendung fänden, erzielten sie ihre Hauptwirkung durch mechanische, thermische oder osmotische Effekte. Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten balneologischen Gutachtens von Tritschler/Engelhardt, 2009 bestehe die Wirkweise des Meerwassers bei Inhalation als hypertone Salzlösung in der Auslösung eines Sekretionsreizes. Die Schleimhäute würden zu erhöhter Flüssigkeitsausscheidung angeregt, wodurch der Schleim dünnflüssiger und die Ziliarfrequenz angeregt werde. Hierbei handele es sich ebenso wie bei der beschriebenen Abpufferung des entzündungsbedingt sauren Schleimhautmilieus durch den alkalischen pH-Wert um eine physikalische Wirkung. Soweit das Gutachten allgemein auf den Zusammenhang zwischen der chemischen Zusammensetzung des Meerwassers und lokalbiochemischen Reaktionen verweise, sei nicht erkennbar, welche Elemente in welcher Konzentration nachweisbar und welche lokalbiochemischen Reaktionen als Hauptwirkung ausgelöst würden. Im Hinblick auf Hauterkrankungen führe das balneologische Gutachten zwar eine Vielzahl von Studien über die Wirkmöglichkeiten von Magnesium-, Strontium- und Selenionen an, belege aber nicht, dass diese im Nordseemeerwasser in so hinreichender Menge vorhanden seien, dass sie die beschriebenen Vorgänge auch auslösen könnten.

Nach Anhörung der Klägerin stellte das BfArM mit Bescheid vom 11.09.2013 fest, dass es sich bei Meerwasser der Nordsee zur Anwendung bei Erkrankungen der Atemwege in Form von Inhalationen, bei Erkrankungen der Haut in Form von Bädern und bei Erkrankungen des Bewegungsapparates in Form von Bädern um ein Medizinprodukt im Sinne des § 3 Abs. 1 lit. a MPG handele. Für die Anwendung von Meerwasser bzw. Solelösungen gebe es zwar zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zur therapeutischen Wirksamkeit, die jedoch wenig geeignet seien, den Wirkungsmechanismus zu klären. Für die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten sei auf die bestimmungsgemäße Hauptwirkung abzustellen. Bei der Anwendung zur Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates spielten der Auftrieb und hydrostatische Kräfte eine entscheidende Rolle. Durch den Auftrieb komme es zu einer Entlastung des Stütz- und Bewegungsapparates und somit zu einer Linderung von Schmerzen durch Druckentlastung sowie zu einer Erleichterung der Bewegung bei hochgradig geschwächter Muskulatur. Auch der Widerstand des Wassers bei Bewegung im Rahmen gezielter physiotherapeutischer Übungen (Aquatraining, Aquajogging, Aquawalking) könne die Muskulatur gezielter aufbauen, die Beweglichkeit der Gelenke verbessern und dadurch eine Arthrose unterstützend behandeln. Durch den Salzgehalt sei die Dichte höher als in Süßwasser, sodass es zu einem verstärkten Auftrieb und somit zu einer effektiveren Therapie komme. Hierbei handele es sich um physikalische Effekte. Auch thermische Effekte könnten eine Rolle spielen, die die Durchblutung des Muskeltonus beeinflussten. Pharmakologische Wirkungsweisen seien dagegen in den Studien nicht beschrieben. Bei der Inhalation zur Behandlung von Atemwegserkrankungen werde eine Wirkung durch eine verbesserte Selbstreinigung der Bronchien und verbessertes Abhusten angenommen. Diese sekretologische und sekretomotorische Wirkung beruhe auf dem Salzgehalt, der zu einer hypertonen Lösung führe. Durch den osmotischen Druck werde vermehrt Flüssigkeit extrazellulär abgegeben, d.h. der Schleimhaut werde Wasser entzogen und dadurch Schleim verflüssigt. Die Zilientätigkeit werde durch die bessere Befeuchtung der Bronchialschleimhaut verbessert. Diese Wirkung sei als physikalischchemisch zu beschreiben. Auch auf Hauterkrankungen wirke Nordseewasser überwiegend durch die Hypertonie und daraus resultierenden osmotischen Druck. Es werde vermehrt Wasser extrazellulär abgegeben und damit die Hydratation der Haut erhöht. Dies verbessere die Hautbarriere und wirke dadurch lindernd bei Proriasis und atopischer Dermatitis. Studien zu pharmakologischen Wirkmechanismen wie die Beeinflussung der Leukotriensynthese oder antiproliferative und immunmodulierende Effekte von Magnesiumionen seien mit Wasser des Toten Meeres durchgeführt worden. Nordseewasser enthalte jedoch nur 0,13 % Magnesiumionen, während der Anteil im Toten Meer 14 % betrage. Auch Studien mit künstlichen Salzlösungen seien mit deutlich höheren Konzentrationen durchgeführt worden. Vergleichbares gelte für Strontium- oder Selensalze. Da die Wirkung von Nordseewasser folglich auf physiochemische und nicht auf pharmakologische Weise erzielt werde, liege ein Medizinprodukt und kein Arzneimittel vor.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Die Einstufungsentscheidung sei rechtswidrig. Die Klägerin wies darauf hin, dass die Ergänzung des § 21 Abs. 2 AMG durch Ziffer 1 lit. e erst durch das 15. AMG-Änderungsgesetz im Jahre 2009 erfolgt sei. Der Gesetzgeber habe damit eine Entscheidung für die Arzneimitteleigenschaft ortsgebundener Heilmittel getroffen. Erst wenn ein Produkt sowohl Arzneimittel als auch Medizinprodukt sein könne, komme die Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG mit dem Ergebnis zur Anwendung, dass ein Arzneimittel vorliege. Auch dürfe selbst bei Verneinung der Arzneimitteleigenschaft in besonderen Fällen nicht automatisch der Schluss gezogen werden, es liege ein Medizinprodukt vor.

Mit Bescheid vom 27.03.2014 wies das BfArM den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Behörde bezog sich ergänzend auf die Begründung zum 15. AMG-Änderungsgesetz zu § 21 Abs. 2 Nr. 1 lit. e AMG:

"In Absatz 2 Nr. 1e werden gewerblich hergestellte sog. ortsgebundene Heilmittel (Heilwässer, Bademoore und andere Peloide), soweit sie noch unter das Arzneimittelgesetz fallen und nicht als Medizinprodukte eingestuft werden, von der Zulassungspflicht ausgenommen."

Habe das Produkt eine physikalische Hauptwirkung, sei für die Anwendung der Zweifelsfallregelung zugunsten des AMG kein Raum.

Alle beschriebenen Wirkmechanismen seien physikalischer Natur. Pharmakologische Wirkungen, die zu einer Einstufung als Arzneimittel führen könnten, seien nicht belegt worden.

Die Klägerin hat am 23.04.2014 Klage erhoben.

Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren in rechtlicher Hinsicht und beantragt,

den Bescheid des BfArM vom 11.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt die Begründung der streitgegenständlichen Bescheide und vertritt ergänzend die Auffassung, dass es sich bei dem Meerwasser der Klägerin schon um kein Heilwasser im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 1e AMG handele, da es nicht der Definition des Verbandes Deutscher Heilbrunnen entspreche.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des BfArM verwiesen.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid des BfArM vom 11.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Behörde hat auf Antrag des Landesamtes für soziale Dienste Schleswig-Holstein - Abteilung Gesundheitsschutz - zutreffend festgestellt, dass es sich bei dem von der Klägerin in den Verkehr gebrachten Meerwasser um ein Medizinprodukt im Sinne des Gesetzes über Medizinprodukte (MPG) handelt.

Gemäß § 13 Abs. 3 MPG in der Fassung seit Inkrafttreten der Neuregelung durch das Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2326) entscheidet die zuständige Bundesoberbehörde auf Antrag einer zuständigen Behörde oder des Herstellers über die Klassifizierung einzelner Medizinprodukte oder über die Abgrenzung von Medizinprodukten zu anderen Produkten. Die Entscheidung ergeht durch feststellenden und durch den betroffenen Hersteller des Produkts anfechtbaren Verwaltungsakt.

Vgl. Schorn, Medizinprodukterecht, Loseblatt (Stand Dezember 2014), Bd. 5, M 2 § 13 MPG Rn. 9-14.

Medizinprodukte sind nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 1 MPG unter anderem alle einzeln verwendeten Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen mit medizinischer Zweckbestimmung, deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann (sog. stoffliche Medizinprodukte). Das MPG definiert den Stoffbegriff dabei nicht selbst; anwendbar ist jedoch die Begriffsbestimmung des § 3 AMG.

Vgl. Rehmann, MPG, 2. Auflage 2010, § 3 Rn.1; Schorn, a.a.O., § 3 Rn. 8.

Nach § 3 Nr. 1 AMG sind Stoffe auch natürlich vorkommende Gemische und Lösungen chemischer Elemente und Verbindungen, die anders als bei chemischen Verbindungen in keinem bestimmten feststehenden Mengenverhältnis zueinander stehen. Der Begriff der "natürlich vorkommenden Gemische" erfasst in der Natur vorkommende (homogene und heterogene) Gemische aus festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffen. "Natürlich vorkommende Lösungen" bestehen aus einer Flüssigkeit und mindestens einem darin gelösten festen, flüssigen oder gasförmigen Stoff. Neben Erden, Schlämmen, Mineralwasser und Sole zählt hierzu auch Meerwasser in natürlichem oder aufbereitetem Zustand.

Vgl. Müller, in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Auflage 2016, § 3 Rn. 12

Nach dem durch Art. 1 Nr. 2 der RL 2001/83/EG in seiner derzeit gültigen Fassung,

Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67), zuletzt geändert durch RL 2012/26/EU vom 25.10.2012 (ABl. L 299 vom 27.10.2012, S. 1) - "Arzneimittelkodex",

geformten Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 AMG,

vgl. hierzu: Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BT-Drs. 16/12256),

sind hingegen (Human-)Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die entweder zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind (Nr. 1 der Vorschrift, sog. Präsentations- oder Bestimmungsarzneimittel) oder die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um (a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder (b) eine medizinische Diagnose zu erstellen (Nr. 2 der Vorschrift, sog. Funktionsarzneimittel).

Aus den wechselseitig aufeinander bezogenen Bestimmungen des § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG folgt, dass ein Produkt nicht Arzneimittel und Medizinprodukt gleichzeitig sein kann. In Abgrenzungsfällen ist stets die Zuordnung zu einer der beiden Produktkategorien gesetzlich gefordert.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 14.02.2012 - 7 K 5340/10 - ("SeraSeal"); Urteil vom 08.11.2011 - 7 K 4577/07 - ("Campher"), juris; Urteil vom 25.08.2006 - 18 K 1232/06 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11.06.2007 - 13 A 3903/06 -, PharmR 2008, 83-88 ("medizinisches Pflaster"); Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht-Kommentar, Losebl. Stand: Juni 2015, § 2, Erl 156.

Eine solche Zuordnung ist auch nicht aufgrund der sog. Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3 a AMG mit der Folge entbehrlich, dass bei Unsicherheiten generell zugunsten der Arzneimitteleigenschaft zu entscheiden wäre. Denn hiernach sind nur solche Grenzprodukte Arzneimittel, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter den Arzneimittelbegriff fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmungen eines Erzeugnisses nach § 2 Abs. 3 (hier: Medizinprodukt) fallen können. Die Vorschrift hat bereits ihrem Wortlaut nach nicht zur Folge, dass die Anforderungen an die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel bei Grenzprodukten abgesenkt wären. Vielmehr handelt es sich um eine Vorrangregelung zugunsten des Arzneimittelrechts, die nur zur Anwendung kommt, wenn die Arzneimitteleigenschaft eines Produkts festgestellt werden kann. Andernfalls würden die strengeren Vorschriften des arzneimittelrechtlichen Regelungsregimes im Wege einer gesetzlichen Vermutung auf alle Grenzprodukte erstreckt und der freie Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union behindert, ohne dass hierfür eine ausreichende Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes bestünde.

Vgl. EuGH, Urteil vom 03.10.2013 - C-109/12 - ("Laboratoires Lyocentre"); Urteil vom 15.01.2009 - C-140/07 -, Slg. 2009, I-41, ("Hecht-Pharma/Red Rice") PharmR 2009, 511-513 zu Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83/EG, dessen Umsetzung in innerstaatliches Recht § 2 Abs. 3a AMG dient; vgl. ferner: BVerwG, Urteil vom 20.11.2014 - 3 C 26.13 -, PharmR 2015, 252-259 ("E-Zigarette"); Urteil vom 26.05.2009 - 3 C 5.09 -, PharmR 2009, 397; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht-Kommentar, Losebl. Stand: Juni 2015, § 2 AMG Erl. 165; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz-Kommentar, 2. Auflage 2016, § 2 Rn. 36 m.w.N.; auch: Urteil der Kammer vom 06.12.2011 - 7 K 5708/08 -, A&R 2012, 48 ("Händedesinfektion"); OVG NRW, Urteil vom 19.05.2010 - 13 A 156/06 -, PharmR 2010, 471-475 ("Mundspülung"); Beschlüsse vom 15.03.2010 - 13 A 2612/09 -, PharmR 2010,289-291 und vom 23.04.2010 - 13 A 622/10 -, PharmR 2010, 342-344 ("Zistrose").

Wesentliches und wegen der identischen medizinischen Zweckbestimmung beider Produktkategorien auch entscheidendes Unterscheidungskriterium zwischen (Funktions-) Arzneimitteln und Medizinprodukten ist nach § 3 Nr. 1 MPG die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Erzeugnisses im oder am menschlichen Körper. Medizinprodukt kann ein Produkt nur sein, wenn es seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung nicht auf pharmakologischem, immunologischem oder metabolischem Wege erreicht. Medizinprodukte funktionieren überwiegend physikalisch oder physiochemisch. Diese Funktionen können allerdings durch pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirkende Mittel unterstützt werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19.05.2010 - 13 A 156/06 -, PharmR 2010, 471-475 ("Mundspülung"); Beschluss vom 15.03.2010 - 13 A 2612/09 -, PharmR 2010, 324-325; . Schorn, Medizinprodukterecht, Loseblatt (Stand Dezember 2014), Bd. 5, M 2 § 3 MPG Rn. 3.

Ausgehend von der auf europäischer Ebene durch eine von der Kommission eingesetzte Expertengruppe entwickelten sog. Borderline-Leitlinie, deren Ergebnisse von der deutschen Arbeitsgruppe Medizinprodukte (AGMP) geteilt werden, wird unter einer pharmakologischen Wirkungsweise eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffs und einem gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten Zellbestandteil verstanden, die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Reaktion auf einen anderen Liganden blockiert, bildlich gesprochen also nach dem "Schlüssel-Schloss-Prinzip" abläuft. Eine Dosis-Wirkung-Korrelation ist dabei ein, wenn auch nicht zwingender, Indikator für eine pharmakologische Wirkungsweise. Unter einer metabolischen Wirkung wird hingegen die Veränderung der biochemischen Prozesse verstanden, die an der normalen Körperfunktion beteiligt sind oder deren Verfügbarkeit für diese von Bedeutung sind, wobei es auf die Verstoffwechselung des Produkts selbst nicht ankommt,

vgl. MEDDEV 2. 1/3, rev. 3 "Borderline products, drugdelivery product and medical devices incorporating, as an integral part, an ancillary medicinal substance or an ancillary human blood derivative”, www.ec.europa.eu; Schorn, a.a.O., Rn 18 ff.; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz-Kommentar, 2. Auflage 2016, § 2 Rn. 97; ferner: OVG NRW, Beschluss vom 11.06.2007 - 13 A 3903/06 -, PharmR 2008, 83-88 ("medizinisches Pflaster”); Urteile vom 17.03.2006 - 13 A 1977/02 u.a. -, ZLR 2006, 302; BVerwG, Urteil vom 25.07.2007 - 3 C 23.06 -, PharmR 2008, 78-83 = ZLR 2007, 772-781 ("probiotisches Lebensmittel”).

und die Begriffe der pharmakologischen und der metabolischen Wirkung auch nicht stets trennscharf abgrenzbar sind,

Deutsch/Lippert, AMG-Kommentar, 3. Auflage 2010, § 2 Rn. 33.

Maßgebend ist die Hauptwirkung eines Stoffs. Wird diese überwiegend mit pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Mitteln erzielt, handelt es sich um ein Arzneimittel, wirkt der Stoff hingegen physikalisch oder auf andere Weise, ist er Medizinprodukt.

Dies vorausgeschickt, begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das BfArM "Meerwasser" als Medizinprodukt eingestuft hat. Denn es spricht Überwiegendes dafür, dass es die medizinische Zweckbestimmung bei Inhalation und medizinischen Bädern zur Linderung der Beschwerden bei Erkrankungen der Atemwege, der Haut oder des Bewegungsapparates auf physikalischem Wege erreicht. Tragfähige Anhaltspunkte für eine pharmakologische Hauptwirkung bestehen nicht. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus den vorliegenden balneologischen Gutachten. Soweit Tritschler/Engelhardt in ihrem Gutachten vom 20.07.2009 in Zusammenhang mit Atemwegserkrankungen auf die besondere chemische Zusammensetzung des Meerwassers und deren Wirkung auf die Ziliarfrequenz verweisen, ist nicht dargelegt, dass dem eine Reaktion zwischen körpereigener Zelle und eingebrachtem Stoff in dem beschriebenen Sinne zugrundeliegt. Insbesondere sagt das Gutachten nichts darüber aus, ob die im Meerwasser unstreitig vorhandenen Magnesium-, Strontium- und Selenionen in so großer Menge konzentriert sind, das sie eine solche Reaktion im Sinne einer pharmakologischen Hauptwirkung auszulösen vermögen. Nachvollziehbar hat die Beklagte auch dargelegt, dass die bessere Befeuchtung der Bronchialschleimhaut ebenso auf physikalischem Wege erfolgt wie die Wirkung bei Hauterkrankungen. Weiterführende Studien zum Wirkmechanismus des Nordseewassers liegen nicht vor. Soweit Studien die Wirkung der Magnesiumionen insbesondere bei Hauterkrankungen betreffen, wurden sie nach unwidersprochenen Angaben der Beklagten mit Wasser des Toten Meeres durchgeführt, das einen wesentlich höheren Salzgehalt aufweist. Zu ihrer Übertragbarkeit auf Nordseewasser liegt nichts vor. Noch deutlicher im Vordergrund steht die physikalische Wirkung bei medizinischen Bädern zur Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates. Es erschließt sich ohne Weiteres, dass in diesen Anwendungsfällen die Entlastung des Stütz- und Bewegungsapparates durch den Auftrieb im salzigen Meerwasser im Vordergrund steht. Das BfArM hat dies in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides nachvollziehbar ausgeführt. Hierauf kann gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen werden. Ihr ist auch die Klägerin im gerichtlichen Verfahren aus fachlicher Sicht nicht mehr entgegen getreten.

Die Einstufungsentscheidung ist auch aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Zwar hat der Gesetzgeber durch das 15. AMG-Änderungsgesetz im Jahre 2009 mit § 21 Abs. 2 Nr. 1 lit. e AMG einen Sondertatbestand für Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide geschaffen, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind. Hiermit ist jedoch nichts dafür ausgesagt, dass diese Produkte stets Arzneimittel sind. Die Norm ist vielmehr ein Ausnahmetatbestand von der Zulassungspflicht und begründet nicht die Arzneimitteleigenschaft, sondern setzt sie voraus,

anders: Lippert, PharmR 2015, 289-292.

Deutlich wird dies in der amtlichen Begründung zum 15. AMG-Änderungsgesetz,

abgedruckt bei: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Loseblatt (Stand Juni 2015), vor § 21 AMG,

in welcher der Gesetzgeber die ortsgebundenen Heilmittel (nur) insoweit anspricht, als sie "noch unter das Arzneimittelgesetz fallen und nicht als Medizinprodukte eingestuft werden". Hiermit ist unzweideutig ausgesagt, dass zunächst über die Produktkategorisierung entschieden werden muss. Erst wenn diese zur Arzneimitteleigenschaft führt, kommt der Befreiungstatbestand zum Tragen. Ob das Meerwasser der Klägerin dessen Voraussetzungen in Bezug auf die Heilwassereigenschaft erfüllt, bedarf vor diesem Hintergrund keiner abschließenden Entscheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.