LG Wuppertal, Urteil vom 10.02.2003 - 3 O 261/02
Fundstelle
openJur 2011, 24892
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicher-heitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerinnen machen gegen die Beklagten Schadenersatzansprüche geltend, die ihnen aus unrichtiger steuerlicher Beratung entstanden sein sollen.

Die Beklagten betreiben eine Steuerberatersozietät in Solingen. Sie berieten seit Jahren die C GmbH & Co. KG, ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie. Die Betreuung erfolgte durch den Beklagten zu 1.. Das Unternehmen wurde von dem zwischenzeitlich verstorbenen VV geführt. Die Klägerinnen sind die Erbinnen des verstorbenen VV.

Der verstorbene VV hatte mit Vertrag vom 27.08.1996 20 % seiner Kommanditbeteiligung an der C GmbH & Co. KG zum 01.09.1996 an Xx, einen leitenden Mitarbeiter im Unternehmen, veräußert. Der Kaufpreis für die Übertragung des Teilkommanditanteils betrug 2.000.000,00 DM. VV übertrug weiterhin an Xx einen 20%igen Anteil an der Komplementär-GmbH, der VV Beteiligungs- und Geschäftsführungsgesellschaft GmbH. Der Kaufpreis wurde durch Xx fremdfinanziert.

Das Unternehmen wurde auf einem betrieblich genutzten Grundstück betrieben, das im Alleineigentum des verstorbenen VV stand. Das Grundstück oder ein Anteil dieses Grundstückes wurde an Xx nicht mitveräußert.

Die Beratung im Zusammenhang mit Veräußerung des Kommandit- und GmbH-Anteils an Xx erfolgte durch den Beklagten zu 1.. In diesem Zusammenhang wies der Beklagte zu 1. bei seiner Beratung nicht darauf hin, dass der verstorbene VV einen Anteil am Grundstück, seines Sonderbetriebsvermögens, an Xx mitveräußern sollte. Der Beklagte zu 1. erstellte die Steuererklärungen für die C GmbH & Co. KG. In der Erklärung zur einheitlichen Feststellung für das Jahr 1996 der C GmbH & Co. KG deklarierte er den aus der Veräußerung der KG-Anteile entstandenen Veräußerungsgewinn mit dem ermäßigten Steuersatz gem. § 34 EStG in Verbindung mit § 16 EStG und beantragte eine entsprechende Veranlagung. Das Betriebsstättenfinanzamt cc veranlagte für 1996 - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung - entsprechend und gewährte die beantragte Steuerermäßigung gemäß § 94 EStG im Steuerbescheid 1996 vom 26.01.1999.

Im Jahre 1999 erfolgte eine Betriebsprüfung bei der C GmbH & Co. KG. Nunmehr verwehrte das Finanzamt für Großbetriebsprüfung cc im Betriebsprüfungsbericht vom 02.08.1999 die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gem. § 34 EStG, weil bei der Übertragung der Anteile an Xx nur der Kommanditanteil als solcher, nicht aber ein entsprechender Anteil des Grundstücks, des Sonderbetriebsvermögens des verstorbenen VV mitübertragen worden sei. Da nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Erwerber, Xx, übergegangen seien, sei die Steuervergünstigung nicht zu gewähren. Das Finanzamt I erließ daraufhin unter dem 05.01.2000 einen geänderten Steuerbescheid für 1996, in dem de Veräußerungsgewinn als voll steuerpflichtig behandelt wurde, die Steuerermäßigung gem. § 34 EStG nicht mehr gewährt wurde. Aufgrund der Betriebsprüfung und des geänderten Steuerbescheides entstanden - soweit es die Veräußerung des Kommanditanteils betraf - Mehrsteuern in Höhe von 651.370,00 DM = 333.040,19 &...8364;, die die Klägerinnen als Erbinnen nunmehr im Wege des Schadenersatzes von den Beklagten fordern.

Durch Urteil vom 24.08.2000 entschied der 4. Senat des Bundesfinanzhofes, Aktenzeichen IV R 51/98, BFHE 192, 534, dass es für die Anwendung des tarifbegünstigten Steuersatzes gem. den §§ 16, 34 EStG erforderlich sei, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen anteilig mitübertragen werden. Da zum Mitunternehmeranteil auch das Sonderbetriebsvermögen gehöre, könne ein Mitunternehmeranteil gem. den §§ 16, 34 EStG nur dann tarifbegünstigt veräußert werden, wenn auch die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens mitveräußert und die stillen Reserven gleichzeitig aufgelöst werden. Das Finanzgericht Münster, Urteil vom 20.05.1998, DStRE 1999, 138, hatte in der Vorinstanz eine gegenteilige Auffassung vertreten und die Gewährung der Tarifbegünstigung nicht davon abhängig gemacht, dass auch ein entsprechende Anteil des Sonderbetriebsvermögens mitveräußert werde.

Mit Schreiben vom 20.08.2001 forderten die Klägerinnen die Beklagten auf, den eingeklagten Betrag als Schadenersatz an sie zu zahlen.

Die Klägerinnen behaupten, dass VV auch einen entsprechenden Anteil des Betriebsgrundstückes mitübertragen hätte, wenn nur der Beklagte zu 1. hierzu geraten hätte. So sei später, 1998, im Zuge der Veräußerung eines weitern Kommanditanteils ein entsprechender Anteil am Grundstück mitübertragen worden. Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass die Beklagten pflichtwidrig übersehen hätten, dass die Rechtslage 1996 umstritten gewesen sei, es keine gesicherte oder höchstrichterliche Rechtsprechung gegeben habe. Die Beklagten hätten im übrigen eine verbindliche Auskunft des Finanzamtes I einholen können.

Sie beantragen,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

an die Klägerinnen den Betrag von 651.370,00 DM

= 333.040,19 &...8364; nebst 5 %-Punkte Zinsen über dem

Basiszinssatz zu zahlen seit dem 20.09.2001.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, dass der verstorbene VV einen entsprechenden Anteil am Grundstück nicht an Xx verkauft hätte. Die Veräußerung eines Anteils des Betriebsgrundstückes habe zu keiner Zeit zur Diskussion gestanden, vielmehr sollte das Grundstück im Alleineigentum des Verstorbenen bleiben. Im übrigen habe sich die Finanzierung des Kommanditanteils schon als sehr schwierig erwiesen, Xx überhaupt nicht in der Lage gewesen, auch einen entsprechenden Anteil am Betriebsgrundstück zu finanzieren. Sie sind der Auffassung, dass die damals herrschende Meinung zutreffend davon ausgegangen sei, dass § 34 EStG, also die Tarifermäßigung, in Fällen wie der vorliegenden Art anwendbar gewesen sei. So habe auch das Finanzamt I die Tarifbegünstigung gem. § 34 EStG gewährt. Sie verweisen ferner darauf, dass der verstorbene VV gerade keine Schadenersatzansprüche gegen sie als seinen damaligen steuerlichen Berater geltend gemacht habe. Die Höhe des Schadenersatzanspruches sei unklar. Die Klägerinnen hätten sich Mehrsteuern, die durch einen Verkauf eines Anteils am Grundstück entstanden wären, anrechnen lassen müssen. Im übrigen seien die Konditionen eines potentiellen Grundstücksverkaufes ungeklärt, sowie Mieteinnahmen, die sich aus der Vermietung des Grundstückes an die GmbH & Co, KG ergeben, anzurechnen. Soweit mit der Klage Zinsen geltend gemacht werden, sei zu berücksichtigen, dass den Klägerinnen durch die verzögerte Zahlung der Steuerschulden ein Liquiditätsvorteil entstanden sei.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerinnen haben keinen Anspruch aus positiver Vertragsverletzung des Steuerberatungsvertrages gegen die Beklagten, weil den Beklagten eine Pflichtverletzung nicht vorzuwerfen ist.

1.

Die Beklagten haben den verstorbenenVV, die C GmbH & Co. KG, in vertretbarer Weise angesichts der 1996 bestehenden Rechtslage steuerlich beraten. Die Übertragung eines Mitunternehmeranteils wird gerade in den letzten Jahren immer wieder kontrovers diskutiert (vgl. Ludwig Schmidt, EStG, 21. Aufl. 2002, § 16, §§ 408 f.). Der Verfasser des Standardkommentars zum Einkommensteuergesetz Ludwig Schmidt verwies in der Kommentierung zu § 16, Rnd. 410 f. darauf, dass es nach seiner Auffassung nicht erforderlich sei, dass auch ein entsprechender Anteil am Sonderbetriebsvermögen mitveräußert werde, um in den Genuss der Tarifermäßigung zu kommen. Gleichwohl dokumentierte er, dass es Stimmen in der Literatur gebe, die dies anders sähen. Auch in dem Kommentar von Ludwig Schmidt aus dem Jahr 2000, 19. Aufl., hält er immer noch an seiner damaligen Auffassung fest, verweist nunmehr auf die Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 20.05.1998, die seine Auffassung stützt, sowie eine Entscheidung des Finanzgerichtes Düsseldorf vom 06.05.1999, DStRE 1999, 628, das anderer Auffassung ist. Im Jahre 1996 war es jedenfalls von den Beklagten gut vertretbar, die Auffassung von Ludwig Schmidt zu vertreten und bei der Veräußerung des Kommanditanteils entsprechend vorzugehen. Soweit zu dieser Rechtsfrage der Kommentar zwei Literaturmeinungen erwähnt, die anderer Auffassung sind, muss dies den steuerlichen Berater nicht veranlassen, eine grundsätzlich andere steuerliche Beratung zu wählen. Andernfalls würde man die Anforderungen, die an ein pflichtgemäßes Verhalten eines Steuerberaters zu stellen sind, überspannen. Gerade im Steuerrecht, in einem Bereich, in dem sich Rechtslage und Rechtsauffassungen in besonders schneller und häufiger Weise ändern, wäre einem Steuerberater eine wie auch immer geartete steuerliche Beratung kaum noch möglich, ohne dass er sich sogleich einem Schadenersatzanspruch aussetzen würde. Im Regelfall wird es vielmehr so sein, dass es zu praktisch allen Rechtsfragen, die nicht eindeutig gesetzlich geregelt oder höchstrichterlich geklärt sind, immer wieder Literaturmeinungen geben wird, die einer herrschenden Auffassung widersprechen. So waren auch hinsichtlich der hier in Frage stehenden Rechtslage die Auffassung zwischen den Finanzgerichten verschieden, eine höchstrichterliche Entscheidung durch den Bundesfinanzhof erfolgte erst im August 2000. Ließe man in Fällen wie der vorliegenden Art eine Pflichtverletzung des steuerlichen Beraters zu, würde dies im Ergebnis faktisch zu einer Zufallshaftung des steuerlichen Beraters für gerichtliche Entscheidungen führen. Von dem steuerlichen Berater kann verlangt werden, dass er sich jedenfalls mit den Standardkommentaren - was hier unstreitig geschehen ist - auseinandersetzt und die Rechtslage prüft. Berücksichtigt ein Steuerberater bei seiner Beratung nur selten geäußerte und wenig verbreitete Literaturmeinungen, könnte dies

- bei andere Sachlage - sich gegebenenfalls als pflichtwidrig darstellen. Hierbei ist zu beachten, dass in der Literatur gelegentlich konträre Auffassungen vertreten werden, um sie etwa in einem anhängigen Verfahren dann als "streitige Rechtslage" darstellen zu können. Der Beklagte zu 1. hat in jedenfalls vertretbarer Weise die streitige Rechtsfrage für sich und seinen Mandanten in der damaligen Situation entschieden. Immerhin wurde seine Auffassung zunächst durch das Finanzgericht Münster dann 1998 bestätigt.

Darüber hinaus haben die Klägerinnen angesichts des sehr detaillieren Vortrags der Beklagten kaum ausreichend substantiiert vorgetragen, warum und wie der verstorbene VV einen Anteil am Grundstück trotz der von den Beklagten nachvollziehbar und detailliert vorgetragenen finanziellen Schwierigkeiten gleichwohl einen Anteil am Betriebsvermögen mitveräußert hätte.

2.

Eine Pflichtverletzung der Beklagten kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass sie eine verbindliche Auskunft des Finanzamtes eingeholt haben. Die verbindliche Zusage, eine einseitige Selbstverpflichtung der Finanzbehörde gegenüber dem Steuerpflichtigen zu einem bestimmten zukünftigen Tun, Dulden oder Unterlassen, kann dem Steuerpflichtigen Vertrauensschutz bieten (Tipke, Steuerrecht, § 22 Rnd. 14 f.). Hätte das Finanzamt eine verbindliche Zusage in der von den Klägerinnen gewünschten Weise tatsächlich erteilt, hätte man gegebenenfalls Vertrauensschutzgesichtspunkte einer für den Steuerpflichtigen geänderten Rechtslage oder höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegenhalten können.

Im vorliegenden Fall kam jedoch eine verbindliche Auskunft gem. §§ 204 f. AO nicht in Betracht. § 204 AO ermöglicht eine verbindliche Zusage im Anschluss an eine Betriebsprüfung. Im vorliegenden Fall hat jedoch die Betriebsprüfung im August 1999 dazu geführt, dass die Tarifbegünstigung gerade nicht anerkannt worden war. Die Finanzbehörden hätten daher angesichts des Ergebnisses der Betriebsprüfung gerade keine Zusage erteilt, dass man die Tarifbegünstigung gewähren werde.

Im übrigen steht die Erteilung einer verbindlichen Aussage im Ermessen der Finanzbehörde. Die Klägerinnen haben nicht dargelegt, dass im vorliegenden Fall die Finanzbehörden ihr Ermessen gerade in der Weise ausgeübt hätten, dass sie überhaupt eine verbindliche Zusage ereilt hätten und darüber hinaus diese auch noch im Sinne der Klägerinnen, also die Gewährung der Tarifermäßigung, zugesagt worden wäre. Hierzu tragen die Klägerinnen nicht vor, sondern behaupten vielmehr, dass man eine verbindliche Zusage hätte einholen können. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Finanzbehörde eine Zusage ablehnen kann, wenn in absehbarer Zeit zu dem Rechtsproblem eine gesetzliche Regelung, höchstrichterliche Entscheidung oder eine Verwaltungsanweisung oder die Erzielung eines Steuervorteils im Vordergrund steht (Tipke, Steuerrecht, § 22 Rdn. 16). Daher konnten die Finanzbehörden ab 1998, der Entscheidung des Finanzgerichts Münster, jedenfalls keine verbindliche Auskunft mehr er teilen. Aber auch für den Zeitraum davor ist es zweifelhaft, ob die Finanzbehörden überhaupt eine verbindliche Auskunft erteilt hätten, weil ja nach dem Vortrag der Klägerinnen es gerade wichtig war, die Tarifermäßigung des § 34 EStG, mithin einen Steuervorteil zu erzielen, zu erlangen.

3.

So hat der Steuerberater aufgrund der richtungsweisenden Bedeutung höchstrichterlicher Entscheidungen sein Mandat grundsätzlich an dieser Rechtsprechung auszurichten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2001, GI 2002, 114). Im vorliegenden Fall bestand jedoch noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Darüber hinaus kann er auf den Fortbestand dieser Rechtsprechung vertrauen, wenn sich nicht aufgrund abweichender Stimmen im Schrifttum und der Instanzgerichte eine evident neue Rechtsentwicklung andeutet (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2001, GI 2002, 114).

Die Klägerinnen haben darüber hinaus nicht schlüssig den ihnen entstandenen Schaden dargelegt. Es ist unzutreffend, wenn - wie im vorliegenden Fall - lediglich die Mehrsteuern als Schadenersatz gefordert werden. Vielmehr hat eine Vorteilsausgleichung, ein Gesamtvermögensvergleich der Situation ohne pflichtwidriges Verhalten des Beraters sowie das Vermögen unter Berücksichtigung des pflichtwidrigen Verhaltens eines Steuerberaters zu erfolgen.

Zur Evidenz einer neuen Rechtsentwicklung:

OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.05.2000, GI 2000, 267

Hier haben die Beklagten beispielhaft verschiedene Positionen aufgezählt, die sich die Klägerinnen als schadensmindernd anzurechnen lassen haben. Der Vortrag der Klägerinnen lässt insbesondere jeden Vortrag dazu vermissen, zu welchem Kaufpreis der Grundstücksanteil trotz der schwierigen Finanzierungssituation an Xx verkauft worden wäre, welche stillen Reserven aufgedeckt und zu welchen Mehrsteuern geführt hätten.

Die Klägerinnen haben sich im Wege der Vorteilsausgleichung vorteile anrechnen zu lassen, die in einem adäquaten Kausalzusammenhang zu dem möglichen Schadensereignis stehen (vgl. Palandt, BGB, Vorbemerkung zu § 249, Rdn. 119 f.).

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung übe die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 ZPO.

Streitwert: 333.040,19 &...8364;.