KG, Urteil vom 28.02.2017 - 6 U 86/16
Fundstelle
openJur 2017, 1212
  • Rkr:

Die Ausübung des Widerspruchsrechts gemäß § 5 a VVG a. F. ist nicht deshalb trotz fehlerhafter Belehrung treuwidrig, weil der Versicherungsnehmer ein Policendarlehen in Anspruch genommen hat, das mit einer formularmäßigen Verpfändung seiner Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in der jeweiligen Darlehenshöhe verbunden war; auch dann hat er durch die Inanspruchnahme des Policendarlehens gegenüber dem Versicherer lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er einen Liquiditätsbedarf hat und deshalb in Form eines Darlehens eine Vorauszahlung begehrt.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichtes Berlin vom 12. Mai 2016 - 7 O 96/15 - unter weitergehender Zurückweisung der Berufung teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.094,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.5.2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und Herausgabe hieraus gezogener Nutzungen einer fondsgebundenen Rentenversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags des Klägers mit Versicherungsbeginn zum 15. Juli 2006 für eine vorgesehene Dauer von 12 Jahren nach dem sogen. Policenmodell des § 5 a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung abgeschlossen (Versicherungsschein "Pro-Pensions Plan 4 U”, Anlage K 1). Der Versicherungsschein enthält eine Belehrung über das Widerspruchsrecht "von 30 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheines und der zugrunde liegenden Bedingungen”.

Im September 2010 nahm der Kläger ein Policendarlehen in Höhe eines Gesamtbetrages von brutto 3.870,67 Euro in Anspruch. Wegen der Einzelheiten des Vertrages wird auf die Anlage B 2 verwiesen.

Im Februar 2014 ließ der Kläger mit anwaltlichen Schreiben vom 4. und 19.2.2014 den Widerspruch erklären. Auf die hilfsweise Kündigung zahlte die Beklagte gemäß Abrechnungsschreiben vom 1.9.2014 (Anlage K 5) unter Berücksichtigung des ausgezahlten Darlehensbetrages 12.181,59 Euro aus.

Erstinstanzlich hat der Kläger in der Hauptsache mit dem klageerweiternden Schriftsatz vom 19.2.2015 (Bl. 14 f.) die Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge von nach seiner Behauptung 22.247 Euro zuzüglich einer durchschnittlichen Verzinsung von 5,9138 % gemäß der Berechnung Anlage K 8 in Höhe von 7.836,76 Euro (zusammen 30.083,76 Euro) abzüglich einer Auszahlung von zusammen 16.052,26 Euro einschließlich des Policendarlehens und damit einen Betrag in Höhe von 14.031,50 Euro nebst Zinsen begehrt, hilfsweise im Wege der Stufenklage einen weitergehenden Rückkaufswert, und außerdem die Erstattung außergerichtlicher Kosten nebst Zinsen. Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der erstinstanzlichen Schriftsätze der Parteienvertreter und wegen der gestellten Anträge - die im Tatbestand des angefochtenen Urteils wegen der übersehenen Klageerweiterung nur unvollständig wiedergegeben sind - auf das Sitzungsprotokoll vom 10.3.2016 (Bl. 98 d. A.) verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen, hinsichtlich des Zahlungsantrages in der Hauptsache mit der Begründung, zwar sei die Belehrung über das Widerspruchsrecht im Versicherungsschein nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben und damit fehlerhaft gemäß § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a. F. gewesen, so dass die Widerspruchsfrist nicht abgelaufen gewesen sei, der Bereicherungsanspruch sei jedoch wegen widersprüchlichen Verhaltens des Klägers insbesondere im Hinblick auf die Inanspruchnahme des Policendarlehens ausgeschlossen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird verwiesen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger den erstinstanzlich geltend gemachten Bereicherungsanspruch nebst Zinsen und außergerichtlichen Kosten weiter, da die Ausübung des Widerspruchsrechtes entgegen dem angefochtenen Urteil nicht treuwidrig sei.

Die Beklagte tritt dem entgegen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache in dem aus dem Urteilsausspruch ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen war sie zurückzuweisen und die Klage weiterhin abzuweisen.

1. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 BGB auf Rückzahlung der geleisteten Prämien und Herausgabe von Nutzungen gegen die Beklagte zu, da die Widerspruchsfrist bei Erklärung des Widerspruchs mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht abgelaufen war. Die Belehrung ist entgegen § 5 a Abs. 2 S. 1 VVG a. F. aus dem übrigen Text auf S. 2 des Versicherungsscheins, der ebenfalls fett gedruckt ist, nicht drucktechnisch hervorgehoben. Auf die insoweit zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils wird verwiesen. Außerdem wird der Lauf der Widerspruchsfrist nur von dem Erhalt des Versicherungsscheins und der Bedingungen abhängig gemacht, nicht jedoch - wie gemäß § 5 a Abs. 1 VVG erforderlich - auch von dem Erhalt der Verbraucherinformationen.

2. Die Ausübung des Widerspruchsrechtes ist nicht wegen der Inanspruchnahme des Policendarlehens und der damit einhergehenden Verpfändung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben - Verwirkung oder widersprüchlichen Verhaltens - ausgeschlossen. Nach der Rspr. des BGH müssen dafür bei einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung gravierende Umstände vorliegen, die jahrelange Prämienzahlung genügt dafür nicht (vgl. u. a. Urteil vom 21.12.2016 - IV ZR 217/15 Rn. 14 m.w.N.).

Wie auch in dem vom BGH am 27.1.2016 - IV ZR 488/14, VersR 2016 S. 450 f. entschiedenen Fall (vgl. Rn. 20) handelt es sich um die Inanspruchnahme einer Vorauszahlung, die wie dort mit dem Rückkaufswert verrechnet wurde. So lautet hier auch die Überschrift des Darlehensvertrages Anlage B 2: "Vertrag über eine Vorauszahlung (Versicherungsschein-Darlehen)”. Hierauf hat das Landgericht die Treuwidrigkeit allerdings auch nicht gestützt, sondern darauf, dass der Kläger sämtliche Rechte und Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die Beklagte verpfändet habe, was zwingend das Bestehen eines wirksamen Vertrages voraussetze, so dass hier ein der Entscheidung des BGH vom selben Tag zum Aktenzeichen IV ZR 130/15 vergleichbarer Fall vorliege, in dem der Versicherungsnehmer die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Kreditsicherung abgetreten hat. Dem ist jedoch aus zweierlei Gründen nicht zu folgen. Zum einen hat der Kläger nicht sämtliche Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verpfändet, sondern aufgrund der Klausel in IX S. 1 des Vertrages nur in Höhe der jeweiligen Forderung der Beklagten aus dem Darlehensvertrag (vgl. auch §§ 1273, 1210, 1279, 1289 BGB). Zum anderen ist diese nach den von der Beklagten gestellten Bedingungen formularmäßig vorgesehene Forderungspfändung nicht vergleichbar mit dem vom Versicherungsnehmer initiierten Einsatz des Lebensversicherungsvertrages als Sicherheit für die Inanspruchnahme eines anderweitigen Darlehens. Hier handelt es sich lediglich um die zwangsläufige Rechtsfolge aus dem Vertrag über die Vorauszahlung, die im Interesse des beklagten Versicherers liegt und dem Versicherungsnehmer in der Regel nur bei vollständiger Lektüre des Vertrages überhaupt bewusst sein wird, während bei der Verwendung der Lebensversicherung als Kreditsicherheit ein zweckgerichteter Einsatz durch den Versicherungsnehmer vorliegt, bei dem ihm bewusst ist, dass er eine taugliche Sicherheit Dritten nur dann anbieten kann, wenn der Vertrag, aus dem die abgetretenen Rechte folgen, auch wirksam besteht. Die Inanspruchnahme des Policendarlehens konnte daher auch unter Berücksichtigung der teilweisen Forderungspfändung und der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 31.1.2017 vorgetragenen vertraglichen Abweichungen von einem klassischen Policendarlehen kein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in den Bestand des Versicherungsvertrages begründen, auch eine widersprüchliche und unzulässige Rechtsausübung des Klägers liegt nicht vor. Er hat durch die Inanspruchnahme des Policendarlehens gegenüber der Beklagten lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er einen Liquiditätsbedarf hat und deshalb in Form eines Darlehens eine Vorauszahlung begehrt. Ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages hat sich wegen der fehlerhaften Belehrung auch nicht dadurch bilden können, dass der Kläger für die Dauer von ca. acht Jahren Beiträge bei einer vorgesehenen Vertragsdauer von 12 Jahren zahlte (vgl. nur die zuletzt veröffentlichten Urteile vom 21.12.2016 -IV ZR 217/15, IV ZR 33/15, IV ZR 425 /15).

3. Der Höhe nach steht dem Kläger ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien aus § 812 Abs. 1 S.1, 1. Alt. BGB und auf Herausgabe gezogener Nutzungen aus § 818 Abs. 1 BGB zu.

a) Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 29.11.2016 S. 4 spezifiziert hat, welche Prämien der Kläger nicht gezahlt hat und demzufolge fälschlicherweise in seiner Aufstellung enthalten sind (Prämienzahlungen vom 15.4.2010 und 15.6.2010), der Kläger jedoch keinen Beweis für die Begleichung dieser Prämien angetreten hat, ist von dem von der Beklagten vorgetragenen Betrag von 21.947 Euro auszugehen. Hiervon sind die von der Beklagten vorgetragenen Risikokosten von 504,63 Euro abzuziehen, denen der Kläger nicht substantiiert entgegen getreten ist und die angesichts der Dauer des Vertrages von ca. acht Jahren und der versicherten Todesfallleistung in Höhe des vorhandenen Deckungskapitals, mindestens der Summe der eingezahlten Beiträge, angemessen erscheinen (§ 287 ZPO). Abschluss- und Verwaltungskosten sind nach der Rspr. des BGH nicht abzuziehen (Urteile vom 29.7.2015 - IV ZR 384/14 und IV ZR 448/15). Abzüglich der Vorauszahlung von 3.870,67 Euro und des bereits erhaltenen Betrages nach Kündigung von 12.181,59 Euro verbleiben 5.390,11 Euro. Die im Hinweis des Gerichts vom 17.1.2017 zusätzlich aufgeführten 228,55 Euro sind in dem ausgezahlten Betrag von 12.181,59 Euro dagegen schon berücksichtigt und daher nicht noch einmal hinzuzurechnen.

b) Die Beklagte hat nach ihrem eigenen Vorbringen aus den Sparanteilen der Prämien Nutzungen in Höhe von 1.703,98 Euro gezogen. Diese stehen dem Kläger nach der Rspr. des BGH (Urteil vom 11.11.2015 - IV ZR 513/14 Rn. 51) als Nutzungen im Sinne des § 818 Abs. 1 BGB zu, so dass sich ein Gesamtbetrag von 7.094,09 Euro ergibt. Soweit die Beklagte in den Verwaltungskosten enthaltene Fondsverwaltungskosten mit 333,92 Euro spezifiziert hat, sind diese nicht abzuziehen, da diese in der Berechnung auf S. 19 bereits berücksichtigt sind. Weitere Nutzungen stehen dem Kläger nicht zu. Nutzungen aus dem Verwaltungskostenanteil der Prämien hat er nicht konkret vorgetragen, sondern lediglich mit pauschal 200 Euro geschätzt, ohne dass dafür eine Grundlage ersichtlich wäre. Da nach der Rspr. des BGH a.a.O. der vom Versicherer erzielte Fondsgewinn an den Versicherungsnehmer auszukehren ist, ohne dass der BGH hiervon Abschluss- und/oder Verwaltungskosten abzieht, kann an der gegenteiligen Auffassung des Senates in dem zuvor am 13.2.2015 ergangenen Urteil zu 6 U 179/13 nicht mehr festgehalten werden. Der BGH hat seine Rspr. zur Herausgabe des Fondsgewinns auch nicht geändert, sondern mit dem Urteil vom 1.6.2016 zu IV ZR 482/14 lediglich ausgesprochen, dass der Fondsgewinn in dem Rückkaufswert bereits enthalten war (Rn. 27). Da sich der Kläger die Auszahlung aber in voller Höhe auf seinen Prämienrückforderungsanspruch anrechnen lässt, steht ihm der mit der Fondsanlage erzielte Gewinn nach Maßgabe der Rspr. des BGH zu.

4. Der auf Verzug (§ 286 BGB) gestützte Anspruch auf Zahlung von Zinsen und außergerichtlichen Kosten ist nicht begründet, da die vorprozessual mit dem Schreiben vom 29.10.2014 (Anlage K 6) geltend gemachte Forderung in Höhe von 10.375,50 Euro zu einem weit überwiegenden Teil - in Höhe von 7.792,87 Euro - aus der unschlüssigen Forderung nach einer pauschalen Verzinsung der gezahlten Prämien bestand und die Fristsetzung zur Zahlung wegen der geltend gemachten erheblichen Zuvielforderung (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 76. Auflage, § 286 Rn. 20 m.w.N.) daher nicht verzugsbegründend war. Dem Kläger stehen deshalb lediglich die zugesprochenen Rechtshängigkeitszinsen (§ 291 BGB) zu.

5. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, da durch die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs inzwischen die grundlegenden Fragen auch zu den Rechtsfolgen des Widerspruchsrechts gemäß § 5 a VVG a. F. geklärt sind, auch wenn im Einzelfall in den Tatsacheninstanzen anders entschieden wurde.