LG Köln, Urteil vom 12.03.2003 - 23 O 304/02
Fundstelle
openJur 2011, 24255
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 27.400 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach dem DÓG ab dem 09.11.2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 35.000 EUR vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma R. Das Involvenzverfahren wurde am 02.07.2001 eröffnet. Die Firma R. unterhielt bei der Beklagten für mehrere Mitarbeiter einen Firmengruppenversicherungsvertrag bei der Beklagten. Unter anderen bestand unter der Versicherungsscheinnummer 00 eine sogenannte Direktversicherung nach dem Tarif F20S für den Geschäftsführer S. geb. am 00 , der am 01.10.1991 in den Betrieb eingetreten war. Der Versicherungsvertrag wurde am 10.02.1992 mit Wirkung zum 01.12.1991 policiert. Ablauf der Versicherung sollte der 01.12.2003 sein. Dem versicherungsvertrag liegen die AVB der Beklagten zugrunde. Nach § 6 Ziffer 2 des Gruppenvertrages wurde den versicherten Personen sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall ein sog. eingeschränktes unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt. § 6 Ziffer 2 lautet:

"Der versicherten Person wird auf die Leistung aus der auf ihr Leben genommenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches Bezugsrecht unter den nachstehenden Vorbehalten eingeräumt:

die Firma kann alle Versicherungsleistungen für sich in Anspruch nehmen, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, es sei denn, die versicherte Person hat das 35. Lebensjahr vollendet und die Versicherung hat 10 Jahre bestanden oder die versicherte Person hat das 35. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis hat 12 Jahre und die Versicherung 3 Jahre bestanden. Dabei sind hinsichtlich des Lebensalters der versicherten Person und der Dauer ihres Arbeitsverhältnisses die dem G gemachten Angaben der Firma ausschlaggebend. Die Firma kann ferner alle Versicherungsleistungen für sich in Anspruch nehmen, wenn die versicherte Person Handlungen begeht, die der Firma das Recht geben, die Versorgungsansprüche zu mindern oder zu entziehen."

Diese Voraussetzungen lagen in der Person des S. unstreitig nicht vor.

Der Kläger kündigte mit Schreiben vom 11.07.2001 sämtliche Versicherungsverträge bei der Beklagten, darunter auch den zugunsten von S. bestehenden, und forderte die Beklagte auf, den etwaigen Rückkaufswert an ihn auszuzahlen. Diese Aufforderung wurde u.a. für den Versicherungsvertrag des S. nochmals mit Schreiben vom 08.11.2001 wiederholt. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 21.01.2002 eine Zahlung ab.

Der Kläger ist der Auffassung, der Rückkaufswert aus dem Vertrag zugunsten des S. stehe der Insolvenzmasse zu. Es handele sich vorliegend um ein widerrufliches Bezugsrecht, da die Voraussetzungen für eine unverfallbare Anwartschaft unstreitig in der Person des S. nicht erfüllt seien. Dann aber sei das Bezugsrecht noch nicht unwiderruflich geworden und könne mit einem unwiderruflichen Bezugsrecht auch nicht gleichgestellt werden. Vielmehr falle es wie widerrufliche Bezugsrechte in die Insolvenzmasse. Die Vorbehalte verlören auch in der Insolvenz nicht ihre Funktion, denn die Vorbehalte dienten auch dazu, dem Arbeitgeber vor Eintritt der Unverfallbarkeit die Möglichkeit einzuräumen, auf die finanziellen Mittel zurückzugreifen. Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, mit der Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen durch den Kläger lägen die Voraussetzungen des Vorbehalts a) vor.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 27.400 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach dem DÜG ab dem 09.11.2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Ansicht, der Rückkaufswert falle nicht in die Konkursmasse. Vielmehr stehe er der versicherten Person, S. als Bezugsberechtigtem zu. Diesem sei ein eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden, das im Insolvenzfalle einem strikt unwiderruflichen Bezugsrecht gleichzustellen sei. Denn im Insolvenzfalle verlören die Vorbehalte ihre Funktion, den begünstigten Arbeitnehmer zur Betriebstreue anzuhalten. Die Beklagte ist der Ansicht, eine Insolvenz stelle keine "Beendigung" des Arbeitsverhältnisses im Sinne des vereinbarten Vorbehalts dar. Denn nach dem Willen der Parteien und der versicherten Person habe dieser Vorbehalt gerade nur für den Fall der Firmenfortführung und nicht für den Fall der Insolvenz Bedeutung gewinnen sollen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 27.400 EUR aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag in Verbindung mit §§ 1, 49 VVG, 80 I InsO zu. Der Rückkaufswert aus der streitgegenständlichen Direktversicherung steht nicht der versicherten Person zu, sondern fällt in die Insolvenzmasse.

Über die Zugehörigkeit einer Forderung aus einem Versicherungsvertrag zum Vermögen des Arbeitgebers (Gemeinschuldners) oder zum Vermögen des Arbeitnehmers entscheidet die versicherungsrechtliche Ausgestaltung dieses Anspruches.

Der Versicherungsvertrag wird zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer abgeschlossen. Versicherungsnehmer ist der Arbeitgeber. Er kann einem Dritten ein Bezugsrecht an den Versicherungsleistungen einräumen. Aufgrund dieses Bezugsrechts erhält der Begünstigte, hier der Arbeitnehmer, einen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer auf die Versicherungsleistungen. Dieser Anspruch setzt sich bei Kündigung des Vertrages an dem Rückkaufswert fort (vgl. OLG Düsseldorf NVersZ 2001, 504).

Das Bezugsrecht kann verschieden ausgestaltet werden. Nach § 166 Abs. 1 S. 2 VVG hat der Versicherungsnehmer im Zweifel die Befugnis, an die Stelle des bezugsberechtigten Dritten einen anderen zu setzen. Bezugsberechtigungen dieser Art sind widerrufliche Bezugsrechte. Der Begünstigte erwirbt, soweit der Versicherungsnehmer nichts Abweichendes bestimmt hat, das Recht auf die Versicherungsleistung erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalles, § 166 Abs. 2 VVG. Angesichts dieser Rechtslage wird in der Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend der Anspruch auf die Versicherungsleistung aufgrund eines widerruflichen Bezugsrechts bis zum Eintritt des Versicherungsfalles nicht dem Vermögen des Begünstigten zugeordnet, sondern dem Vermögen des Versicherungsnehmers, der diese Versicherungsleistungen jederzeit für sich in Anspruch nehmen kann (BAG VersR 1991, 942; BAG VersR 1991, 211). Eine gesicherte Rechtsposition steht dem Begünstigten in diesem Fall nicht zu.

Der Versicherungsnehmer kann aber auch die versicherungsrechtlichen Bedingungen in der Weise ausgestalten, dass er dem Begünstigten ein unwiderrufliches Bezugsrecht einräumt. Damit erwirbt der Begünstigte den Anspruch auf die Versicherungsleistung sofort mit der Einräumung des Bezugsrechtes. Denn die Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts und der Rechtserwerb fallen bei dieser rechtlichen Ausgestaltung zusammen (Vgl. BAG VersR 1991, 942 m.w.N.; BAG VersR 1991, 211; BGH VersR 1996,1089; OLG Karlsruhe VersR 2001, 1501). Ist die Bezugsberechtigung nicht mehr abänderbar und erwirbt der Bezugsberechtigte sofort den Anspruch auf die Versicherungsleistungen, so unterliegt dieser Anspruch nicht mehr dem Zugriff der Gläubiger des Versicherungsnehmers. Denn er gehört ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zum Vermögen des Versicherungsnehmers, sondern zum Vermögen des Begünstigten (BAG VersR 1991, 942 m.w.N.; BAG VersR 1991, 211; OLG Karlsruhe VersR 2001, 1501).

Vorliegend ist jedoch von den Parteien des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages keine dieser beiden rechtlichen Ausgestaltungen gewählt worden. Dem Begünstigten S.wurde zwar ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt. Dieses unwiderrufliche Bezugsrecht war jedoch mit Vorbehalten verbunden. Es handelte sich mithin um ein sogenanntes eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht. Die Einschränkungen des Bezugsrechts waren abschließend im Versicherungsvertrag geregelt. So hätte die Gemeinschuldnerin nach den vereinbarten Vorbehalten zum Beispiel bei einem Ausscheiden des Begünstigten S. aus den Diensten der Gemeinschuldnerin vor Eintritt der Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft die Versicherungsleistungen und auch den in Streit stehenden Rückkaufswert für sich in Anspruch nehmen können. Die sogenannten eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrechte stehen mithin zwischen den widerruflichen und den unwiderruflichen Bezugsrechten. Über ihre rechtliche Behandlung in der Insolvenz des Versicherungsnehmers besteht in Rechtsprechung und Literatur Uneinigkeit. Das BAG vertritt die Auffassung, dass jedenfalls im Falle des Eintritts der Unverfallbarkeit der Anwartschaft das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht rechtlich und wirtschaftlich dem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht näher stehe als dem widerruflichen Bezugsrecht (BAG VersR 1991, 942; BAG VersR 1991, 211). Dies begründet das BAG mit der Erwägung, dass der Versicherungsnehmer nach dem Eintritt der Unverfallbarkeit über die Versicherung nicht mehr verfügen und insbesondere dem Begünstigten nicht mehr einseitig durch Benennung eines anderen Bezugsberechtigten die Gläubigerstellung entziehen könne. Die Vorbehalte könnten daher die Rechtsstellung des Begünstigten nicht mehr beeinträchtigen. Dann aber habe der Begünstigte nicht nur eine wertlose Anwartschaft, sondern bereits eine gefestigte Rechtsstellung erlangt, der es gebiete, den Anspruch auf Versicherungsleistung mit dem Eintritt der Unverfallbarkeit dem Vermögen des Begünstigten zuzuordnen (BAG VersR 1991, 942; BAG VersR 1991, 211). Dem hat der BGH für den Fall zugestimmt, dass die Voraussetzungen der vereinbarten Vorbehalte nicht erfüllt sind (BGH VersR 1996, 1089; vgl. auch OLG Karlsruhe VersR 2001, 1501).

Vorliegend besteht jedoch im Gegensatz zu den höchstrichterlich entschiedenen Fällen die Besonderheit, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin die Voraussetzungen der Unverfallbarkeit der Anwartschaft in der Person des Begünstigten, S., noch nicht erfüllt waren.

Die Kammer ist der Auffassung, dass in diesem Fall die eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrechte den widerruflichen Bezugsrechten näher stehen als den uneingeschränkt unwiderruflichen, dies jedenfalls dann, wenn die Voraussetzungen eines der Vorbehalte erfüllt sind. Denn in diesem Fall hat der eingeschränkt unwiderruflich Begünstigte genau wie der nur widerruflich Begünstigte noch keine gesicherte Rechtsposition. Vielmehr kann der Versicherungsnehmer ihm die gewährte Rechtsposition noch einseitig entziehen.

Vorliegend sind die Voraussetzungen des Vorbehaltes a) erfüllt. Das Arbeitsverhältnis des Begünstigten S. hat durch die Insolvenz der Fa. R. vor Eintritt des Versicherungsfalles geendet. Die Voraussetzungen für eine unverfallbare Anwartschaft liegen in der Person des Begünstigten unstreitig nicht vor. Dann aber hat der für die Fa. R. handelnde Kläger nach dem vereinbarten Vorbehalt das Recht, alle Versicherungsleistungen, mithin auch den Rückkaufswert, für sich in Anspruch zu nehmen. Das ist mit den Schreiben vom 11.07.2001 und 08.11.2001 geschehen.

Soweit das OLG Düsseldorf (NVersZ 2001, 504) und das OLG Karlsruhe (VersR 2001, 1501) in dieser Frage einen anderen Standpunkt eingenommen haben, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Die beiden vorgenannten Gerichte wollen das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht in der Insolvenz wie ein strikt unwiderrufliches behandeln. Dies begründen sie mit der Erwägung, die vereinbarten Vorbehalte verlören mit der Insolvenz ihre Bedeutung, den begünstigten Arbeitnehmer zur Betriebstreue anzuhalten. Denn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhe im Falle der Insolvenz allein auf dieser, nicht aber auf der fehlenden Betriebstreue des Arbeitnehmers. Daher ergebe die Auslegung der vereinbarten Vorbehalte, dass diese nur für die Dauer der Betriebsfortführung gelten sollten (OLG Düsseldorf NVersZ 2001, 504; OLG Karlsruhe VersR 2001, 1501; ebenso: Prölss/Martin, VVG, § 165 Rn. 6). Die Kammer hält diese korrigierende Auslegung der eindeutigen vertraglichen Vereinbarungen für nicht sachgerecht. Zwar dienen die Vorbehalte sicherlich im Kern der Förderung der Betriebstreue des Arbeitnehmers. Dieser Zweck wird jedoch nicht nur im Falle der Insolvenz verfehlt. Er wird gleichermaßen in einer Vielzahl anderer denkbarer Fälle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa im Falle der betriebsbedingten Kündigung, der personenbedingten Kündigung wegen Krankheit oder der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Berufsunfähigkeit des Arbeitnehmers in gleicher Weise verfehlt. Auch in diesen Fällen ist die Vertragsbeendigung nicht in der mangelnden Betriebstreue des Arbeitnehmers begründet und von dieser unabhängig, so dass mit der obigen Begründung auch in diesen Fällen konsequenterweise den vertraglich vereinbarten Vorbehalten die Bedeutung abgesprochen und von strikt unwiderruflichen Bezugsberechtigungen ausgegangen werden müsste. Dann aber würden die eindeutigen vertraglich vereinbarten Vorbehalte auf der Grundlage von Schutzwürdigkeitserwägungen in weitem Umfang ausgehöhlt. Dies erscheint der Kammer als zu weitgehend, ohne dass die Kammer insoweit die Schutzwürdigkeit des von einer Insolvenz des Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmers verkennt. Nicht weniger schutzwürdig erscheinen der Kammer im vorliegenden Fall aber die Gläubiger der Insolvenzmasse, so dass Schutzwürdigkeitserwägungen letztlich für die Entscheidung dieser Rechtsfrage nicht ausschlaggebend sein dürften. Nach dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarungen ist aber an einem Vorliegen der Voraussetzungen des Vorbehaltes a) der AVB nicht zu zweifeln. Nach dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarungen erlangt der Arbeitnehmer vor Eintritt der Unverfallbarkeit des Anwartschaftsrechtes eben noch keine derart gesicherte Rechtsposition, dass man den Anspruch auf Versicherungsleistungen seinem Vermögen zuordnen könnte. Denn solange die Unverfallbarkeit noch nicht eingetreten ist, kann der Arbeitgeber bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen dem begünstigten Arbeitnehmer sehr wohl das Bezugsrecht noch einseitig entziehen, ohne dass er insoweit auf einen Mitwirkungsakt des begünstigten Arbeitnehmers angewiesen wäre.

Der Zinsanspruch ergibt sich in gesetzlicher Höhe ab dem 09.11.2001 aus dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 286 ff., 288 I BGB. Der Kläger hat den streitgegenständlichen Rückkaufswert bei der Beklagten mit Schreiben vom 08.11.2001 angemahnt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I, 709 S. 1 ZPO.

Streitwert: 27.400 EUR