LG Berlin, Urteil vom 16.06.2016 - 67 S 125/16
Fundstelle
openJur 2017, 1197
  • Rkr:

1. Hält der Vermieter an einer zum Zeitpunkt ihres Zugangs wirksamen ordentlichen Zahlungsverzugskündigung und einem darauf gestützten Räumungsanspruch fest, verstößt er in keinem Fall gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Das gilt auch bei einer nachträglichen Schonfristzahlung des Mieters, die gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zur Unwirksamkeit einer zeitgleich mit der ordentlichen Kündigung ausgesprochenen außerordentlichen Zahlungsverzugskündigung führt.

2. Eine nach Kündigungszugang erfolgte Schonfristzahlung ist auch auf der Tatbestandsebene des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausnahmslos unbeachtlich.

3. Ein Zahlungsverzug des Mieters, der sogar den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung erlaubt, zieht nicht zwingend die Wirksamkeit einer darauf gestützten ordentlichen Kündigung nach sich. Auch im Falle der Überschreitung der Grenzen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB sind bei der im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorzunehmenden Erheblichkeitsprüfung sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen.

4. Bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung stehen im Rahmen der ordentlichen Zahlungsverzugskündigung nicht die relative Betrachtung von Rückstandsbetrag und monatlich zu leistender Miete, sondern die absolute Höhe des Rückstands und seine wirtschaftliche Bedeutung für den Vermieter im Vordergrund.

5. Die Beweislast für das Vorliegen belastender und das Fehlen entlastender Umstände trägt im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB jeweils der Vermieter; den Mieter trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast für ihn entlastende Umstände.

6. Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des für die Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB konstitutiven Verschuldens des Mieters.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 24. Februar 2016 verkündete Urteil des Amtsgericht Wedding - 21b C 141/15 - wird auf deren Kosten nach einem Wert von bis 3.000,00 € zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatbestandlichen Feststellungen wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Den Klägern steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch gemäß den §§ 985, 546 Abs. 1 BGB gegenüber dem Beklagten nicht zu.

Allerdings rügt die Berufung im Ausgangspunkt zu Recht, dass das Amtsgericht der Räumungsklage wegen eines den Klägern zur Last gelegten Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Erfolg versagt hat. Die Kläger haben sich nicht treuwidrig verhalten, auch wenn sie an den - nach Auffassung des Amtsgerichts wirksamen - ordentlichen Zahlungsverzugskündigungen trotz rechtzeitiger und vollständiger Schonfristzahlung und der gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB damit einhergehenden Heilung der gleichzeitig ausgesprochenen fristlosen Kündigungen festgehalten haben.

Abzustellen war dabei auf sämtliche für die allgemeine kündigungsrechtliche Beurteilung des rechtswidrigen schuldhaften Verhaltens eines Vertragspartners heranzuziehenden Umstände (vgl. dazu BAG, Urt. v. 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08, NZA-RR 2010, 461 Tz. 26). Zu berücksichtigen sind deshalb bei einem wegen Zahlungsverzugs gekündigten Mieter - wie bei allen sonstigen verhaltensbedingten Pflichtverletzungen (des Mieters) auch - stets die beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Vertragsverhältnisses (vgl. BGH, Beschl. v. 6. Oktober 2015 - VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225 Tz. 9 (zu § 242 BGB)), das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung (vgl. BGH, Urt. v. 10. Oktober 2012 - VIII ZR 107/12, NJW 2013, 159 Tz. 20), eine mögliche Wiederholungsgefahr (vgl. BGH, Beschl. v. 6. Oktober 2015 - VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225 Tz. 9 (zu § 242 BGB)) und der dem Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens (vgl. BGH, Urt. v. 28. November 2007 - VIII ZR 145/07, NJW 2008, 508 Tz. 22; Urt. v. 15. April 2015 - VIII ZR 281/13, NJW 2015, 2417 Tz. 33; Blank, a.a.O., § 573 Rz. 15, 19; Häublein, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 573 Rz. 55; a.A. Rolfs, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2014, § 573 Rz. 39). Zu Gunsten des Mieters können dessen besonderen persönlichen Umstände (vgl. BGH, Urt. v. 21. Oktober 2009 - VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781 Tz. 26 (zu § 543 Abs. 1 BGB); Urt. v. 4. Februar 2015 - VIII ZR 175/14, NJW 2015, 1296 Tz. 21) oder ein pflichtwidriges (Vor-)Verhalten des Vermieters (vgl. BGH, Urt. v. 4. Juni 2014 - VIII ZR 289/13, NJW 2014, 2566 Tz. 23; Urt. v. 15. April 2015 - VIII ZR 281/13, NJW 2015, 2417 Tz. 33) zusätzliche Berücksichtigung finden.

Gemessen an diesen Grundsätzen mangelte es der dem Beklagten zur Last zu legenden Pflichtverletzung an der erforderlichen Erheblichkeit bereits deshalb, weil der Zahlungsrückstand von insgesamt 783,49 EUR absolut zu gering war, um der Pflichtverletzung das für die ordentliche Beendigung des langjährigen Mietverhältnisses auch im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erforderliche hinreichende wirtschaftliche Gewicht zu verleihen. Selbst bei einem erst wenige Jahre währenden Mietverhältnis kann der mehrjährige Verzug des Mieters mit einem dreistelligen Zahlbetrag wirtschaftlich zu geringfügig sein, um eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Februar 2015 - VIII ZR 236/14, NJW 2015, 1749 Tz. 6). So liegt der Fall hier aber erst Recht, da zu Gunsten des Beklagten ergänzend nicht nur die langjährige Vertragsdauer von nahezu 13 Jahren, sondern auch die - auf den ganz überwiegenden Teil des Zahlungsrückstandes entfallende - Verzugsdauer von lediglich wenigen Monaten zum Zeitpunkt der Kündigung zu berücksichtigen waren.

Keine den Klägern günstigere Beurteilung rechtfertigt der Umstand, dass sich der Kündigungsrückstand von 783,49 EUR auf ein Mehrfaches der vom Beklagten geschuldeten Monatsmiete von 290,10 EUR - und damit zwangsläufig auch auf mehr als eine Monatsmiete - belief. Denn das Überschreiten der summenmäßigen Monatsgrenze des § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB allein ist für die Erheblichkeit der (Zahlungs-)Pflichtverletzung des Mieters im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ohne Aussagekraft. Es ist allenfalls deren Unterschreitung, die im Wege einer abstrakten Negativabgrenzung bei nicht titulierten Zahlungsrückständen und einer Verzugsdauer von weniger als einem Monat unabhängig von der wirtschaftlichen Bedeutung des Rückstands zu einer - ebenfalls nicht zwingend abwägungsfesten - Unerheblichkeit der Pflichtverletzung führen kann (vgl. BGH, Urt. v. 10. Oktober 2012 - VIII ZR 107/12, NJW 2013, 159 Tz. 20; Milger, NZM 2013, 553, 555). Davon abgesehen lässt sich bei einem Zahlungsverzug des Mieters die betragsmäßige Erheblichkeit der Pflichtverletzung im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB - anders als bei dem qualitativ unterschiedlich gelagerten Kündigungsvorwurf unpünktlicher Mietzahlung (vgl. dazu BGH, Urt. v. 14. September 2011 - VIII ZR 301/10, NJW-RR 2012, 13 Tz. 15) - nicht durch eine relative Anknüpfung an den Zahlungstermin und die Höhe der geschuldeten Monatsmiete, sondern nur durch eine absolute Betrachtung der rückständigen Beträge und der Verzugsdauer ermitteln (vgl. BGH, Urt. v. 10. Oktober 2012 - VIII ZR 107/12, NJW 2013, 159 Tz. 20; Beschl. v. 17. Februar 2015 - VIII ZR 236/14, NJW 2015, 1749 Tz. 6). Andernfalls wäre der Mieter einer preisgünstigen Wohnung im Falle des Verzuges mit periodischen Zahlungen - erst recht aber bei einem Rückstand mit Einmalzahlungen (z.B. einer Betriebskosten- oder Schadensersatzforderung des Vermieters) - bei einer ordentlichen Kündigung kündigungsrechtlich strenger zu behandeln als der Mieter einer höherpreisigen Wohnung, obwohl die wirtschaftlichen Folgen für den Vermieter in beiden Fällen identisch sind. Dafür aber gibt es - anders als bei § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB - keine gesetzliche oder tatsächliche Rechtfertigung.

Ob dem Beklagten neben der unstreitigen Pflichtverletzung überhaupt der für die Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB konstitutive Vorwurf schuldhaften Handelns zu machen ist (vgl. BGH, Urt. v. 13. April 2016 - VIII ZR 39/15, WuM 2016, 365 Tz. 17), bedurfte davon ausgehend keiner Entscheidung der Kammer, ebensowenig, ob die Beweislast dafür in Anlehnung an § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB den Mieter (so BGH, Urt. v. 10. Oktober 2012 - VIII ZR 107/12, NJW 2013, 159 Tz. 24; Urt. v. 13. April 2016 - VIII ZR 39/15, WuM 2016, 365 Tz. 17; Blank, a.a.O.§ 573 Rz. 41) oder nicht vielmehr wie bei § 536a Abs. 1 Alt. 2 BGB den für die anspruchsbegründende Tatsachen beweispflichtigen Anspruchsteller - hier also die auf Räumung klagenden Vermieter - trifft (vgl. BGH, Urt. v. 25. Januar 2006 - VIII ZR 223/04, NJW 2006, 1061 Tz. 3 (zu § 536a BGB)). Denn die Kammer hat bei ihrer Gesamtabwägung ebenso wie zuvor das Amtsgericht zu Gunsten der Kläger unterstellt, dass der Beklagte den Zahlungsverzug schuldhaft zu vertreten hat. Das allerdings verhilft der Klage aus den dargetanen Gründen nicht zum Erfolg.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 543 Abs. 2 Satz 1, 708 Nr. 10 Satz 2 Alt. 2, 713 ZPO, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 41 Abs. 1, Abs. 2 GKG. Gründe, die Revision zuzulassen, bestanden nicht. Die Zurückweisung der Berufung beruht auf einer Verneinung der Kündigungstatbestände der §§ 543 Abs. 1, 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, deren Voraussetzungen vom BGH geklärt sind. Von dieser Rechtsprechung ist die Kammer nicht abgewichen, so dass weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch die grundsätzliche Bedeutung der Sache eine Zulassung der Revision erforderten.