LAG Hamm, Urteil vom 14.07.2003 - 18 Sa 1060/03
Fundstelle
openJur 2011, 23685
  • Rkr:
Tenor

hat die 18. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm

auf die mündliche Verhandlung vom 14.07.2003

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Knipp

sowie die ehrenamtlichen Richter Depping und Worbis

für Recht erkannt:

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 01.07.2003 3 Ga 19/03 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Verfügungsklägerin auferlegt.

Gründe

(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.) Die Parteien streiten über die Freistellung der Verfügungsklägerin zwecks Teilnahme an einer Arbeitnehmerweiterbildungsveranstaltung.

Die Verfügungsklägerin ist seit 1994 Lehrerin der Sekundarstufe I für die Fächer Deutsch und Textilgestaltung an der F3xxxxxxx-C1xxx-S2xxxx in D4xxxxx, einer Hauptschule, tätig. Sie ist Leiterin der Fachkonferenz Deutsch.

Mit Antrag vom 10.01.2003 teilte die Verfügungsklägerin dem verfügungsbeklagten L2xx mit, dass sie beabsichtige, in der Zeit vom 14.07.2003 bis 18.07.2003 an einer Bildungsveranstaltung zum Thema NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren) teilzunehmen. Diese Veranstaltung war nach § 9 AWbG-NW anerkannt. mit Schreiben vom 14.01.2003 teilte der Schulleiter der Verfügungsklägerin mit, dass ihrem Antrag nicht entsprochen werden könnte, da eine solche Veranstaltung möglichst in der unterrichtsfreien Zeit zu besuchen sei. Am 16.01.2003 gab die Klägerin eine "Gleichwohl-Teilnahme-Erklärung" gegenüber dem Schulleiter ab. Daraufhin erfolgte die schriftliche Ablehnung durch das Schulamt für den Kreis L1xxx vom 23.01.2003, in der unter anderem Folgendes ausgeführt wird:

" . . .

Die zwingenden dienstlichen Gründe liegen in der kontinuierlichen Realisierung des Bildungsauftrages und Bildungsanspruchs der schulpflichtigen Schülerinnen und Schüler, dem bei dem Ausmaß des von Ihnen vorgesehenen Bildungsurlaubs nicht mehr in noch vertretbarer Weise entsprochen werden könnte.

Unser gemeinsamer Dienstherr hat Begriff und Verständnis von zwingenden dienstlichen Gründen im Zusammenhang mit Unterrichtsverpflichtung / Unterrichtserteilung im RdErl. vom 11.6.1979 - BASS 21-22 Nr. 21 - in Absatz 2.1 für den Dienstbereich abschließend geklärt und damit einen Maßstab für die Ausübung eines sachgerecht ausgeübten Ermessens in diesem Zusammenhang gesetzt. - Die kontinuierliche Unterrichtserteilung ist ein so hohes Gut bzw. eine so hohe dienstliche Verpflichtung der "Behörde" Schule, dass (a) daraus die dienstrechtliche Legitimation erwächst, Mehrarbeit anzuordnen, die eben an das Bestehen von zwingenden dienstlichen Gründen gebunden ist und (b) ein Verbot für Lehrerinnen und Lehrer ausgesprochen wird, die sonst im Verwaltungsbereich bestehende Vorschrift Mehrarbeit durch Freizeitausgleich abzugelten anzuwenden (- mit der Folge, dass dann und deshalb Mehrarbeit vergütungsfähig wird).

Der Inanspruchnahme von Bildungsurlaub stehen in Ihrem Falle also gleich zwei Hürden entgegen - zum Einen die Definition bzw. Bemessungsgröße für zwingende dienstliche und zugleich betriebliche Gründe in dem Arbeitsfeld Schule und zum Anderen, dass die zwingenden dienstlichen Gründe für die Anordnung von Mehrarbeit zuvor - im Falle der Gewährung des Bildungsurlaubs - als nicht zwingend dienstlich um eine Ablehnung zu begründen eingestuft worden wären, wodurch dann die Anordnungsgrundlage für Mehrarbeit in sich zusammen fiele.

Lehrerinnen und Lehrer im Angestelltenverhältnis werden angesichts der zu beachtenden Rechtsvorschriften den o.g. Hürden - auch unter Beachtung des Gebotes der Einzelfallprüfung - häufig begegnen. Gleichwohl sind auch für Lehrerinnen und Lehrer Ansprüche nach dem AWbG einlösbar. Das Angebot von Veranstaltungen im Sinne von § 9 AWbG ist außerordentlich vielfältig, quantitativ reichhaltig und erfasst auch die Zeiträume von Schulferien. - Bei 12 Wochen Schulferien und einem Urlaubsanspruch von 6 Wochen bleiben 6 Wochen Arbeitszeit als unterrichtsfreie Zeit, in denen der Anspruch auf Bildungsurlaub nach dem AWbG vielfältig realisiert werden kann, ohne das zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen dürften.

. . . "

Nach Ablehnung des nochmaligen Antrags der Verfügungsklägerin vom 06.03.2003 durch das verfügungsbeklagte L2xx hat die Klägerin am 07.04.2003 Klage bei dem Arbeitsgericht Detmold (1 Ca 655/03) gegen den Kreis L1xxx erhoben, mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin in der Zeit vom 14.07.2003 bis 18.07.2003 zur beruflichen Weiterbildung freizustellen. Im Gütetermin am 16.05.2003 ist das Passivrubrum dahingehend berichtigt worden, dass beklagt sei das L2xx N2xxxxxxx-W2xxxxxxx.

Das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren hat die Klägerin am 11.06.2003 anhängig gemacht.

Die Verfügungsklägerin hat vorgetragen:

Sie habe sich bemüht, ein entsprechendes Bildungsangebot innerhalb der Schulferien zu finden. Dieses sei ihr nicht gelungen. Sie trägt weiter vor: Es gäbe für sie keine Ausweichveranstaltung. Der Vortrag der Verfügungsbeklagten, dass wegen der Zeugnis- und Versetzungskonferenzen eine Freistellung nicht möglich sei, sei nicht gerechtfertigt. Es finde lediglich am Dienstag, den 15.07.2003 um 13.45 Uhr eine Konferenz für die 10. Jahrgänge statt. Sie unterrichte jedoch in einem dieser Jahrgänge nicht. Da vor der Bildungsveranstaltung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr zu errichten sei, sei der Weg der einstweiligen Verfügung zu beschreiten.

Die Verfügungsklägerin hat ihren Vortrag glaubhaft gemacht durch die eidesstattliche Versicherung vom 05.06.2003.

Die Verfügungsklägerin hat beantragt,

die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, sie in der Zeit vom 14.07.2003 bis 18.07.2003 zur Teilnahme an einer Weiterbildungsveranstaltung nach dem Arbeitsnehmerweiterbildungsgesetz NRW freizustellen.

Das verfügungsbeklagte L2xx hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Das verfügungsbeklagte L2xx hat vorgetragen:

Es würden sehr wohl NLP-Seminare in den Schulferien angeboten (Wegen der angebotenen Seminare im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 26.06.2003 verwiesen).

Durch Urteil vom 10.07.2003 hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und die Kosten des Verfahrens der Verfügungsklägerin auferlegt. Den Streitwert hat es auf 4.000,00 EUR festgesetzt. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass ein schlüssiger Vortrag sowohl zum Verfügungsanspruch als auch zum Verfügungsgrund fehle.

Gegen dieses ihr am 07.07.2003 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Klägerin am 09.07.2003 Berufung eingelegt und diese begründet.

Die Verfügungsklägerin greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.07.2003 ist das verfügungsbeklagte L2xx nicht erschienen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 01.07.2003, 3 Ga 19/03, abzuändern und das verfügungsbeklagte L2xx zu verurteilen, sie in der Zeit vom 14.07.2003 bis 18.07.2003 zur Teilnahme an der Weiterbildungsveranstaltung "NLP-Einführung" an der Volkshochschule P1xxxxxxx nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz NRW freizustellen und das Versäumnisurteil gegen das verfügungsbeklagte L2xx zu erlassen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Verfügungsklägerin vom 05.06.2003 verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÓNDE

Óber den Berufungsantrag der Verfügungsklägerin war gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 539 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz ZPO im Wege des unechten Versäumnisurteils zu entscheiden. Im einstweiligen Verfügungsverfahren sind die Säumnisvorschriften unmittelbar anzuwenden (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, 21. Aufl., § 922, Rz. 28; Ebmeier/Schöne, Der einstweilige Rechtsschutz, Rz. 171).

Die Berufung der Verfügungsklägerin ist an sich statthaft. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache selbst hatte die Berufung keinen Erfolg, da ein schlüssiges Berufungsvorbringen nicht vorliegt (§ 539 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz ZPO).

Gemäß § 62 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit §§ 935, 940 ZPO ist eine Leistungsverfügung - wie im vorliegenden Fall - dann zulässig, wenn dem Verfügungskläger ein Rechtsverlust droht. Der Verfügungskläger muss zur Abwendung dieses Nachteils dringend auf die sofortige Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs angewiesen sein (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 25.09.1995 - 15 Sa 1731/95 - LAGE § 7 AWbG-NRW Nr. 25; LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.1995 - 11 Sa 657/95 - AuR 1995, 410; LAG Köln, Urteil vom 09.02.1991, NZA 1991, 396).

An eine Leistungsverfügung, die bereits zur Befriedigung des Anspruchs führt, sind weiter strenge Anforderungen an die Darlegungslast und an die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes und des Verfügungsanspruchs zu stellen. Darüber hinaus ist bei der Prüfung der Leistungsverfügung eine Abwägung der Interessen des Antragstellers an einer sofortigen Befriedigung gegenüber den Interessen des Antragsgegners vorzunehmen (vgl. Walker, Der einstweilige Rechtsschutz, Rz. 246 ff.; Ebmeier/Schöne, aaO, Rz. 73 und Rz. 92).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist schon ein Verfügungsgrund abzulehnen, da die Klägerin die Eilbedürftigkeit selbst verschuldet hat.

Bei einer Leistungsverfügung ist der Verfügungsgrund zu verneinen, dann und soweit der Verfügungskläger die Eilbedürftigkeit erst durch Zuwarten herbeigeführt hat (vgl. KG, Urteil vom 09.02.2001 - 5 U 9667/00 - NJW-RR 2001, 1201; LAG Frankfurt, Beschluss vom 22.10.1998 - 15 Ta 577/98 - NZA-RR 1999, 606; LAG Frankfurt, Urteil vom 29.09.1995 - 15 SaGa 1558/95 - ARST 1996, 100 - 101; Ebmeier/Schöne, a. a. O., Rz. 95; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Auflage, § 940, Rz. 4, m. w. N.).

Die Verfügungsklägerin hat die Eilbedürftigkeit im vorliegenden Fall selbst verschuldet.

Für die Verfügungsklägerin bestand die Möglichkeit rechtzeitig vor der in Frage stehenden Bildungsveranstaltung eine Entscheidung im normalen Urteilsverfahren zu erlangen. Hätte die Klägerin nach der endgültigen Ablehnung des verfügungsbeklagten L3xxxx vom 23.01.2003 unverzüglich Klage erhoben und nicht erst am 07.04.2003, hätte die realistische Möglichkeit bestanden, eine Entscheidung im Urteilsverfahren durch das Arbeitsgericht vor Beginn der Bildungsveranstaltung zu erlangen.

Nach den strengen Anforderungen der Leistungsverfügung fehlt auch ein Verfügungsanspruch.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die übrigen Voraussetzungen für die Teilnahme an der beantragten Bildungsmaßnahme vorlagen. Das verfügungsbeklagte L2xx durfte den Antrag der Verfügungsklägerin schon ablehnen wegen entgegenstehender zwingender dienstlicher Belange, nämlich dem Unterrichtsausfall vor den anstehenden Sommerferien.

Auch die Verfügungsklägerin räumt ein, dass im Falle ihrer Teilnahme an der Bildungsmaßnahme Unterricht ausfallen wird, der nach ihrer Meinung durch den Einsatz von Lehrerkollegen vermeidbar wäre. Hier weist das verfügungsbeklagte L2xx im Ablehnungsschreiben vom 23.01.2003 zutreffend darauf hin, dass für die Vertretung erforderliche Mehrarbeit ebenfalls zwingende dienstliche Belange vorliegen müssen. Hinzu kommt, dass die begehrte Bildungsmaßnahme in die Zeit unmittelbar vor den anstehenden Sommerferien fällt, in der für Lehrer zusätzliche zeitliche Belastung durch Abschlussarbeiten, Zeugniserteilung und Konferenzen anfällt. So auch in der Zeit vom 14.07.2003 bis 18.07.2003 in der F3xxxxxxx-C1xxx-S2xxxx in D4xxxxx, in der die Klägerin als Lehrerin tätig ist.

Die Verweisung des verfügungsbeklagten L3xxxx im Ablehnungsschreiben vom 23.01.2003 auf die Möglichkeit Bildungsveranstaltungen nach § 9 AWbG NW in die unterrichtsfreie Zeit der Schulferien - hierfür stehen der Verfügungsklägerin sechs Wochen zur Verfügung - zu legen, ist nicht rechtsmissbräuchlich.

Da einem Lehrer die unterrichtsfreie Zeit für die Weiterbildung zur Verfügung steht, kann die Freistellung für Bildungsurlaub außerhalb von unterrichtsfreien Zeiten nur in begründeten Ausnahmefällen erteilt werden.

Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor.

Die Verfügungsklägerin ist aktuell nicht angewiesen auf die Inhalte der Bildungsveranstaltung. Diese sind für ihre Arbeit als Lehrerin einer Hauptschule aktuell nicht notwendig. Veranstaltungen zur NLP-Einführung werden von zahlreichen Einrichtungen der Weiterbildung angeboten, wie schon die Internet-Recherche ergibt.

Daher ist es ihr zumutbar, ihre Weiterbildung auf des Gebiet der Neuro-Linguistisches Programmierens so zu planen, dass insbesondere unterrichtsfreie Zeit für die Weiterbildung in Anspruch genommen wird. Wie die Ausbildung der Zeugin B2xxxxxx B3xxx zeigt, nimmt eine Weiterbildung auf dem Gebiet des Neuro-Linguistisches Programmierens einen längeren Zeitraum in Anspruch, der eben auch über einen längeren Zeitraum hinweg geplant werden muss. Insoweit kann die Klägerin auch auf das nächste Jahr verwiesen werden, da nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW der Anspruch von zwei Kalenderjahren zusammengefasst werden kann.

Angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten ist bei der abschließenden Interessenabwägung das Interesse des verfügungsbeklagten L3xxxx an einer Ablehnung der Weiterbildungsmaßnahme höher zu bewerten als das Interesse der Verfügungsklägerin, vor den Sommerschulferien an dieser Maßnahme teilzunehmen.

Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

gez. Knipp

Depping

Worbis

/je