VG Minden, Urteil vom 16.04.2003 - 11 K 810/99
Fundstelle
openJur 2011, 22731
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,- EUR abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Am 25.4.1998 gegen 16.13 Uhr löste der Beklagte einen im Zusammenhang mit dem geplanten Bau der Autobahn A 33 bei Borgholzhausen stehenden, am Bielefelder Hauptbahnhof begonnenen, durch Auflagenbescheid des Beklagten vom 24.4.1998 bestätigten angemeldeten Aufzug durch Teile des Bielefelder Stadtgebietes unter dem Thema "reclaim the streets" - hierzu waren vorher Flugblätter verteilt worden - auf, weil aus mehreren auflagenwidrig mitgeführten Großlautsprecheranlagen lautstark Techno-Musik abgespielt wurde. Kurz vor der Auflösung des Aufzugs hatte die Klägerin F. ihre erst wenige Minuten vorher erfolgte mündliche Anmeldung einer Spontandemonstration unter dem Motto "Gegen Repression von Musik- und Kulturveranstaltungen" wieder zurückgezogen. Nunmehr zogen etliche der aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Demonstranten, unter ihnen die Kläger, zum Siegfriedplatz in Bielefeld. Dort wollten sie nach ihrer Behauptung eine Spontandemonstration durchführen. Gegen 17.23 Uhr wurde im Einmündungsbereich Siegfriedstraße/Rolandstraße am Westrande des Siegfriedplatzes ein kleinerer LKW mit dem amtlichen Kennzeichen C. -A. 7. und der Aufschrift "Tim's Leihwagen" etwa einen Meter vom rechten Fahrbahnrand entfernt geparkt, und im rechten Winkel dazu rangierte der Kläger S. kurz vor dem LKW einen Toyota-Buli mit dem amtlichen Kennzeichen P. -F. 8. quer zur Fahrbahn, wo er ihn in der Art einer Straßensperre stehen ließ. Dann bauten in unmittelbarer Nähe dieser beiden Fahrzeuge etwa 10 bis 15 Demonstranten zwei ca. 5 m hohe Tripoden (Dreibeine) auf der Fahrbahn auf, in deren Sitzvorrichtungen unter den Spitzen Demonstranten kletterten. Außerdem wurden zwei mit Beton gefüllte Fässer auf der Fahrbahn aufgestellt. In Fallrohrstücke, die in den Beton dieser Fässer eingelassen waren, steckten Demonstranten ihre Arme - die Personen an einem der Fässer, die Kläger I. und T. , mussten später vom Beklagten durch Anwendung unmittelbaren Zwangs von jenem Fass gelöst werden -. Die Demonstranten setzten obendrein erneut einen Lautsprecherwagen ein, über dessen Großlautsprecheranlage wiederum in großer Lautstärke Techno-Musik abgespielt wurde, zu der die Demonstranten auf der Straße tanzten; teilweise saßen sie auch auf der Fahrbahn. Die Tripoden und Betonfässer hatten sich zuvor auf der Ladefläche des Leih-LKW befunden. Polizeibeamte, die im Verlaufe des Abends die Stangen der Tripoden sicherstellen wollten, wurden durch Blockademaßnahmen von Demonstranten hieran gehindert. In einer "Pressemitteilung" des "Anti A 33 Hüttendorf Borgholzhausen" vom nachfolgenden Tage, dem 26.4.1998, heißt es, die Dreibeine hätten das Tanzen während der "Techno Acid Party" am Siegfriedplatz vor allzu schnellem Polizeizugriff schützen sollen.

Der Dienst habende Polizeiführer (Q. Q. ) entschloss sich gegen 18.00 Uhr auch zur Auflösung der Versammlung am Siegfriedplatz. Um die Auflösungsverfügung hörbar zu machen, forderte ein Polizeibeamter um 18.06 Uhr mittels Lautsprecherdurchsage zunächst eine deutliche Reduzierung der Lautstärke der Musik, jedoch ohne Ergebnis. Daraufhin verfügte der Beklagte erstmals einige Sekunden später - mit einer etwa einminütigen Verzögerung und geändertem Wortlaut auch an einer zweiten Stelle am Siegfriedplatz - sowie nochmals während einer längeren Unterbrechung der Musik um 18.11 Uhr jeweils per Lautsprecher die Auflösung der Versammlung; zugleich wurden die Demonstranten aufgefordert, den Platz zu verlassen. Als diese der Aufforderung nicht nachkamen, errichteten Beamte des Beklagten ab 18.13 Uhr eine "einschließende Absperrung" um die Demonstranten und nahmen im weiteren Verlauf die verbliebenen 165 Personen, u.a. die Kläger, in Gewahrsam, wo sie großenteils bis zum nächsten Morgen festgehalten wurden.

Mit Bescheid vom 9.2.1999 wies die Bezirksregierung Detmold einen am 20.7.1998 überreichten Widerspruch des Klägers S. "und anderer" "gegen den Polizeieinsatz vom 25.4.1998 am Siegfriedplatz, insbesondere die Einkesselung und Ingewahrsamnahme von Demonstranten", als unzulässig zurück.

Am 10.3.1999 haben die Kläger Klage erhoben, für deren Zulässigkeit sie ein Rehabilitationsinteresse geltend machen. Sie behaupten, der Beklagte habe sich vor Ort geweigert, die Anmeldung ihrer Versammlung anzunehmen, deren weiteren Ablauf zu klären und vor Erlass der Auflösungsverfügung zumindest mit ihnen zu sprechen. Einige Demonstranten, u.a. die Kläger S. und I. , hätten dem Beklagten zwischen 17.20 Uhr und 18.06 Uhr Kooperationsangebote gemacht, auf die der Beklagte aber nicht eingegangen sei. Sie hätten den Lautsprecherwagen genutzt, um ihre politischen Ansichten in der beabsichtigten Form kundzutun. Dementsprechend sei es erforderlich gewesen, dass sie ihre politische Meinung deutlicher akzentuierten. Ausdruck dieser Akzentuierung seien die Dreibeine und Betonfässer gewesen. Sie hätten die Geschehnisse am Siegfriedplatz nicht vorbereitet. Die Auflösungsverfügung per Lautsprecher sei unwirksam gewesen, denn sie sei wohl hörbar, aber auf Grund der lauten Musik unverständlich gewesen. Schon zu diesem Zeitpunkt seien sie eingekesselt gewesen; sie hätten den Siegfriedplatz gar nicht mehr verlassen können. Selbst nach dem Vorbringen des Beklagten hätten sie lediglich wenige Minuten Zeit gehabt, um die Auflösungsverfügung zu befolgen; dies sei ein Ding der Unmöglichkeit. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger S. ergänzend erklärt, das Anliegen der Versammlung am Siegfriedplatz sei es gewesen, den Protest gegen die Auflösung des vorangegangenen Aufzugs und daneben nochmals dessen Thematik (Nutzung der Straßen auch für andere als bloße Verkehrszwecke) zum Ausdruck zu bringen.

Die Kläger beantragen,

festzustellen, dass die Auflösung der Versammlung am Siegfriedplatz in Bielefeld am 25.4.1998 durch den Beklagten rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Auflösungsverfügung für rechtmäßig, weil unmittelbar bevorstehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit, dokumentiert durch die Fahrbahnblockade, die Großlautsprecheranlage, die Dreibeine und die Betonfässer, nicht mit weniger einschneidenden Mitteln hätten abgewehrt werden können. Beim Erlass der streitigen Auflösungsverfügung habe - so seine ergänzende Erklärung in der mündlichen Verhandlung - auch ein von ihm angenommener Verstoß gegen das Landesimmissionsschutzgesetz (LImSchG) eine Rolle gespielt. Beim vorangegangenen Aufzug hätten die Demonstranten die Auflage, keine Lautsprecheranlagen zu betreiben, missachtet und damit bereits eine erhebliche Lärmbelästigung der Anwohner verursacht. Bei einer Sicherstellung der Lautsprecheranlage am Siegfriedplatz als geringerem Eingriff hätte mit erheblichem Widerstand der Demonstranten und unkalkulierbaren Risiken gerechnet werden müssen; die Richtigkeit dieser Einschätzung habe sich bei dem späteren Sicherstellungsversuch gegen 18.32 Uhr gezeigt, bei dem es zu massiven Widerstandshandlungen gekommen sei und sogar ein Beamter aus einer Gruppe von Demonstranten habe befreit werden müssen. Die demonstrative Aktion am Siegfriedplatz sei keine Spontanversammlung gewesen. Auch habe es an einer Kooperationsbereitschaft der Veranstalter gemangelt. Es habe weder einen Versammlungsleiter noch Ordner gegeben; auch die Klägerin F. , der er während des Aufzugs am Nachmittag des 25.4.1998 die Auflagenverfügung vom 24.4.1998 ausgehändigt habe, habe dabei angegeben, "nicht so richtig" Leiterin zu sein, und sich geweigert, den Empfang jener Verfügung zu quittieren - die Klägerin F. selbst äußerte in einer Strafanzeige vom 26.4.1999 (Bl. 93 der Akte 46 Js 676/98 StA Münster), sie habe sich nach dem Zurückziehen ihrer Anmeldung einer Spontandemonstration am Nachmittag für "nicht mehr verantwortlich" erklärt -. Daher sei nichts anderes als die Auflösung der Versammlung am Siegfriedplatz mehr möglich gewesen. Als Reaktion auf die zweite Bekanntgabe der Auflösungsverfügung um 18.11 Uhr hätten die Demonstranten sich um ihre Blockademittel gestellt, um sie zu schützen; es sei weiterhin Musik abgespielt worden, und kein Teilnehmer habe sich entfernt. Erst daraufhin hätten die Polizeikräfte eine einschließende Absperrung begonnen.

Wegen des zunächst weiter gehenden Begehrens der Kläger, auch die Rechtswidrigkeit ihrer Ingewahrsamnahme festzustellen, hat das erkennende Gericht das Verfahren durch Beschluss vom 25.6.2001 getrennt und jenes abgetrennte, zunächst unter dem Az. 2 K 1546/01 fortgeführte Verfahren am folgenden Tage an das AG Bielefeld verwiesen.

Die erkennende Kammer hat das Verfahren von ursprünglich fünf weiteren Klägern, die ihre Klage zwischenzeitlich zurückgenommen hatten, ebenfalls abgetrennt und Ende 2002 eingestellt (11 K 3830/02).

Im Zusammenhang mit der streitbefangenen Versammlung sind etliche Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahren durchgeführt worden. Nachdem der Beklagte im Oktober 1998 wegen Nichtbefolgung der Auflösungsverfügung Bußgeldbescheide u.a. gegen die Kläger L. und W. erlassen hatte, hat der Kläger W. seinen anfänglichen Einspruch gegen die Geldbuße zurückgenommen gegen deren Umwandlung in eine Arbeitsauflage von 15 Stunden gemeinnütziger Arbeit; vier weitere, unter dem Az. 19 b OWi 46 Js 18/99 verbundene Verfahren, geführt u.a. gegen die Klägerin L. , hat das AG Bielefeld in der Hauptverhandlung vom 16.4.1999 gem. § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. In einem dieser Verfahren hatte die Betroffene, B. L. , am 14.2.1999 erklärt, zwar nicht "den ersten polizeilichen Platzverweis als solchen wahrgenommen" zu haben ("auf Grund der lauten Musik"), jedoch mitbekommen zu haben, dass "die Durchsage wiederholt wurde"; dann habe sie "der Aufforderung nachgehen" wollen, sei aber wegen der großen Menschenmenge an einer sofortigen Befolgung gehindert gewesen. Nach ursprünglichem Erlass eines Strafbefehls vom 14.1.1999 - 35 Cs 46 Js 673/98 - gegen die Klägerin I. wegen gemeinschaftlicher versuchter Nötigung (Tatzeit: gegen 17.30 Uhr) hat das AG Bielefeld das Strafverfahren gegen sie in der Sitzung vom 12.4.1999 gem. § 153 a Abs. 2 StPO gegen eine Auflage von 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit zunächst vorläufig und später endgültig eingestellt. Am 14.9.1999 hat das AG Bielefeld die Klägerin F. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (Tatzeit: gegen 19 Uhr) rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt - 27 Cs 46 Js 512/98 -. Durch Strafbefehl vom 15.2.1999 - 37 Cs 46 Js 669/98 - hatte das AG Bielefeld den Kläger S. zunächst wegen gemeinschaftlicher versuchter Nötigung (Tatzeit: gegen 17.30 Uhr) mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen belegt. Durch nachfolgendes Urteil desselben Gerichts vom 12.5.1999 war eine Verurteilung wegen gemeinschaftlicher Nötigung ausgesprochen und das Strafmaß auf 80 Tagessätze erhöht worden. Im Berufungsverfahren hatte das LG Bielefeld den Kläger S. am 6.4.2000 - 14 Ns R 5/99 XIV - zu einer Geldstrafe von nur noch 15 Tagessätzen verurteilt. Auf die Revision des Klägers S. hatte das OLG Hamm mit Beschluss vom 28.11.2000 - 3 Ss 956/00 - das Berufungsurteil wegen einer fehlerhaften Verwerflichkeitsprüfung (§ 240 Abs. 2 StGB) aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Schließlich hat das LG Bielefeld auf Grund einer weiteren Sitzung vom 7.9.2001 das Verfahren gem. § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Wegen sonstiger Ermittlungsverfahren gegen weitere Demonstrationsteilnehmer wird auf einen Vermerk des Beklagten vom 8.2.1999 im Verfahren 46 Js 676/98 StA Münster (dort Bl. 57) Bezug genommen. Auf eine eigene Strafanzeige des Klägers S. "im Auftrag von 68 Personen" gegen Beamte des Beklagten und weiterer Polizeibehörden wegen Freiheitsberaubung und Nötigung hat die StA Münster das dazu eingeleitete Ermittlungsverfahren 46 Js 676/98 am 7.7.1999 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In zwei entsprechenden Bescheiden vom selben Tage an die Kläger S. und F. hat die Staatsanwaltschaft die hier streitige Auflösungsverfügung als rechtmäßig bezeichnet. Nachdem der Generalstaatsanwalt beim OLG Hamm der sinngemäßen Beschwerde des Klägers S. "auch im Namen von 67 weiteren Personen" mit Bescheid vom 22.10.1999 nicht abgeholfen hatte, hat das OLG Hamm durch Beschluss vom 18.1.2000 - 5 Ws 330/99 - den Antrag des Klägers S. "und 67 weiterer Personen" auf gerichtliche Entscheidung mit näherer Begründung als unzulässig verworfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 11 K 3830/02, den Inhalt zweier vom Beklagten überreichter Videokassetten, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Hefte) und die ebenfalls beigezogenen vorerwähnten Strafakten 46 Js 512/98, 669/98, 673/98 und 18/99 (mit Beiakten 17/99, 26/99 und 40/99) StA Bielefeld sowie 46 Js 676/98 StA Münster verwiesen.

Gründe

Die Klage der verbliebenen 62 Kläger (wegen der ursprünglich fünf weiteren Kläger vgl. den Einstellungsbeschluss der Kammer vom 4.12.2002 im abgetrennten Verfahren 11 K 3830/02) hat keinen Erfolg.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Die streitbefangene Auflösungsverfügung vom frühen Abend des 25.4.1998 hatte sich bereits vor Klageerhebung durch Zeitablauf erledigt. Den Klägern, die als Versammlungsteilnehmer von der Auflösung der Versammlung betroffen waren und deshalb jeweils die mögliche Verletzung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) geltend machen können (§ 42 Abs. 2 VwGO), steht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der - von ihnen behaupteten - Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu, nämlich in Form eines Rehabilitationsinteresses. Maßgebend für ein solches Interesse ist zum einen, ob abträgliche, den Betroffenen diskriminierende Nachwirkungen der erledigten Maßnahme fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns wirksam begegnet werden könnte.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.11.1995 - 8 C 9.95, 8 PKH 10.95 -, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 280, und Urteil vom 10.2.2000 - 2 A 3.99 -, juris, jeweils m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 113 Rdnr. 142.

Zum anderen kann es die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordern, ein Feststellungsinteresse anzuerkennen. Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen tief greifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkender Grundrechtseingriffe auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz darf nicht von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass an dem Betroffenen ein Exempel statuiert oder sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabgesetzt wurde.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.4.1997 - 1 C 2.95 -, NJW 1997, 2534 = Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127, und vom 23.3.1999 - 1 C 12.97 -, DVBl. 1999, 1740 = NVwZ 1999, 991 = Buchholz 402.44 VersG Nr. 12, jeweils m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 24.11.1998 - 5 A 1107/96 -, DVBl. 1999, 1226 = NJW 1999, 2202 = NWVBl. 1999, 259, m.w.N.; Kopp/Schenke, a.a.O.

Jedenfalls die letztgenannten Voraussetzungen sind im Falle der streitigen Versammlungsauflösung erfüllt, denn hierbei handelt es sich um einen tief greifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Eingriff in ein elementares Grundrecht der Kläger (Art. 8 GG), dessen mögliche Verletzung sie aus zeitlichen Gründen nicht auf andere Weise als durch eine Fortsetzungsfeststellungsklage gerichtlich klären lassen können.

Die Kammer lässt dahinstehen, ob - wie jedenfalls bei den übrigen Klägern - auch die Klage der Klägerin F. ansonsten zulässig ist, namentlich ob diese Klägerin bis zum 29.3.1999, dem Ablauf der ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten S. (Kläger zu 1.) mit Verfügung vom 12.3.1999 gesetzten, ausdrücklich mit einem Hinweis auf die Folge ihrer Nichtbeachtung (Unzulässigkeit der Klage) verbundenen Ausschlussfrist gem. § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO, ausreichend bezeichnet wurde (§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO), was bei natürlichen Personen in der Regel - so auch hier - die Angabe der Wohnungsanschrift und ihrer Änderung erfordert.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13.4.1999 - 1 C 24.97 -, DVBl. 1999, 989 = NJW 1999, 2608 = Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19.

Ob die Angabe "Hüttendorf" in Borgholzhausen diesem Erfordernis genügte, obwohl der Klägerin F. eine vollständige Adressenangabe ohne weiteres möglich war, wie ihr undatiertes, erst am 13.4.1999 bei Gericht eingegangenes Schreiben zeigt, mit dem sie ihre damalige Wohnanschrift (T. T. 3. a in C. ) nannte, kann offen bleiben.

Denn die Klage der Klägerin F. ist jedenfalls ebenso wie die Klage aller übrigen Kläger unbegründet, weil die streitige, am 25.4.1998 gegen 18 Uhr verfügte Auflösung der Versammlung am Siegfriedplatz in Bielefeld rechtmäßig gewesen ist.

Nach § 15 Abs. 2 VersG kann die zuständige Behörde - hier der Beklagte (§ 1 der Zuständigkeitsverordnung vom 2.2.1987, GV NRW S. 62, i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW a.F.) - eine Versammlung oder einen Aufzug u.a. dann auflösen, wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 der Norm gegeben sind. Nach § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung oder ein Aufzug verboten werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen allerdings immer, also auch in den sonstigen in § 15 Abs. 2 VersG genannten Fällen, Voraussetzung für eine rechtmäßige Versammlungsauflösung, wobei eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen nicht einmal genügt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 = DVBl. 1985, 1006 = DÖV 1985, 778 = NJW 1985, 2395; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl., § 15 VersG Rdnr. 54.

Der Beklagte hat die streitbefangene Versammlung unter diesen Voraussetzungen zu Recht aufgelöst.

Bei der Zusammenkunft der Kläger und weiterer Demonstranten am Siegfriedplatz handelte es sich nicht nur um eine bloße Ansammlung, sondern um eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG und des Versammlungsgesetzes. Der Kläger S. hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass der Sinn jener Zusammenkunft zum einen darin bestanden habe, gegen die Auflösung des vorherigen, am Hauptbahnhof begonnenen Aufzugs zu demonstrieren, und zum anderen, nochmals das Anliegen jenes Aufzugs (Nutzung der Straßen auch für andere als bloße Verkehrszwecke) zu verdeutlichen. Damit war - im Sinne der Definition des Versammlungsbegriffs -

vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 1 VersG Rdnr. 198

am Siegfriedplatz eine Mehrheit natürlicher Personen zusammengekommen, um gemeinsam in einer Angelegenheit von allgemeinem Interesse eine Meinung kundzutun.

Der Beklagte hat diese Versammlung wirksam aufgelöst. Die im Klageverfahren mehrfach aufgestellte Behauptung der Kläger, die mündliche Bekanntgabe der Auflösungsverfügung sei von den Versammlungsteilnehmern akustisch nicht zu verstehen und die Verfügung deshalb unwirksam gewesen, steht schon im Widerspruch u.a. zu eigenen Behauptungen des Klägers S. , z.B. dessen teils abweichender Darstellung im Widerspruchsschreiben und in seiner Strafanzeige vom 20.7.1998 sowie dessen Vorbringen vor dem OLG Hamm im Verfahren 5 Ws 330/99 (vgl. dazu S. 5 des OLG-Beschlusses vom 18.1.2000), und zu der Erklärung der an der Demonstration beteiligt gewesenen B. L. von Mitte Februar 1999 in deren Ordnungswidrigkeitenverfahren. Zudem ergibt sich beim Betrachten und Abhören der vom Beklagten vorgelegten Videoaufnahme des Geschehens am Siegfriedplatz mit aller Deutlichkeit, dass die Auflösungsverfügung nach der wenige Sekunden zuvor ergangenen Aufforderung, die Lautstärke der Musik zu reduzieren ("So, meine sehr verehrten Damen und Herren, wäre nett, wenn Sie mal die Musik ein bisschen leiser drehen, dann können Sie mich besser verstehen") erstmals um 18.06 Uhr klar verständlich bekannt gegeben wurde ("Na ja, ich kann's ja auch mit Musikuntermalung durchsagen. Ich löse nämlich hiermit Ihre Versammlung gemäß § 15 Versammlungsgesetz auf. Sie haben die Pflicht, sich in Kleinstgruppen von hier zu entfernen"), dass die Verfügung etwa eine Minute später an einer anderen Stelle von einem anderen Sprecher mit abgewandeltem Wortlaut wiederholt wurde ("Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei. Ihre Versammlung ist hiermit gemäß § 15 Versammlungsgesetz aufgelöst. ... Sie haben die Pflicht, sich ... zu entfernen. ...") und dass der erste Polizeisprecher die Verfügung um 18.11 Uhr nochmals klar verständlich wiederholte ("So, weil die Musik jetzt aus ist - jetzt kann man mich vielleicht besser verstehen -, wiederhole ich nochmal meine Durchsage. Ihre Versammlung ist nach § 15 Versammlungsgesetz aufgelöst. Das heißt für Sie, Sie haben die Pflicht, sich in Kleinstgruppen von hier zu entfernen. Wenn Sie das nicht tun, begehen Sie eine Ordnungswidrigkeit"). Ferner ergibt sich aus der Videoaufnahme, dass der Kläger S. - der einzige zur mündlichen Verhandlung erschienene und deshalb einzige für das Gericht zu identifizierende Kläger - in unmittelbarer Nähe zu dem eingesetzten Polizeifahrzeug stand und dass aus der Menge der Demonstranten heraus auf die entscheidenden Sätze der zitierten Durchsagen jeweils mit Gejohle und Pfeifen reagiert wurde, was nur dann einen Sinn ergibt, wenn die Demonstranten zuvor die jeweilige Lautsprecherdurchsage auch verstanden hatten. Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Kläger im Klageverfahren teilweise falsche Behauptungen zur angeblichen Unverständlichkeit der Bekanntgabe der Auflösungsverfügung aufgestellt haben.

Ob alle der zahlreichen Versammlungsteilnehmer die Auflösungsverfügung akustisch tatsächlich mitbekommen haben, ist für die (äußere) Wirksamkeit der Verfügung unerheblich. Denn andernfalls könnten beispielsweise unfriedliche Demonstranten durch selbst erzeugten übermäßigen Lärm die Wirksamkeit jeder Auflösungsverfügung, deren Bekanntgabe aus tatsächlichen Gründen generell nur mündlich erfolgen kann, faktisch verhindern und damit die Ermächtigung des § 15 Abs. 2 VersG leer laufen lassen.

Im Übrigen setzen sich die Kläger mit der Behauptung der Unwirksamkeit der Auflösungsverfügung in einen Widerspruch zu ihrem eigenen Klagebegehren. Denn im Falle der Unwirksamkeit der Verfügung läge gar kein Verwaltungsakt vor, dessen Rechtswidrigkeit festgestellt werden könnte. Eine unwirksamer, weil nicht bekannt gegebener Verwaltungsakt wäre nämlich überhaupt nicht existent.

Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 43 Rdnrn. 4 f., 49 a.E.

Die wirksame Auflösungsverfügung war auch rechtmäßig. Der Beklagte durfte am 25.4.1998 gegen 18 Uhr nach den ihm erkennbaren Umständen davon ausgehen, dass die öffentliche Sicherheit durch die Versammlung am Siegfriedplatz unmittelbar gefährdet war.

Aus der - maßgebenden - subjektiven Sicht des die Auflösung der Versammlung verfügenden Polizeibeamten

vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 VersG Rdnr. 86

waren zum Zeitpunkt seines Einschreitens die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot erfüllt. Sogar objektiv gab es nachweisbare Tatsachen für die Annahme einer bereits verwirklichten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

Durch die Versammlung wurden zumindest die Schutzgüter der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit anderer Menschen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) - Passanten wie Anwohner des Siegfriedplatzes - sowie deren ebenfalls durch Art. 2 GG garantierter Bewegungsfreiheit (Recht auf ungestörte Teilnahme am Straßenverkehr)

vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 VersG Rdnr. 108, m.w.N.

beeinträchtigt. Der erhebliche Lärm, den die Demonstranten am Siegfriedplatz über längere Zeit (bis zum Erlass der Auflösungsverfügung etwa eine dreiviertel Stunde lang) mit ihrer über eine Großlautsprecheranlage lautstark abgespielten Musik erzeugten, war geeignet, die Gesundheit insbesondere von älteren Menschen und von Kleinkindern zu schädigen. Insoweit lag eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit in Form eines Gesetzesverstoßes allein schon darin begründet, dass die Demonstranten entgegen § 10 Abs. 1 LImSchG ihr Tonwiedergabegerät ausweislich der gefertigten Videoaufnahme in einer solchen Lautstärke benutzten, dass unbeteiligte Personen erheblich belästigt wurden, und erst recht darin, dass sie dieses Gerät entgegen § 10 Abs. 2 LImSchG auf einer öffentlichen Verkehrsfläche gebrauchten, obwohl andere dadurch belästigt wurden. Auf die Feststellung exakt gemessener Lärmwerte kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut insoweit nicht an. Die übermäßige Lautstärke der abgespielten Musik wird von den Klägern selbst - wohl ungewollt - mittelbar dadurch bestätigt, dass sie mehrfach vortragen, sie hätten die wiederholten Lautsprecherdurchsagen des Beklagten nicht bzw. teilweise nicht verstehen können.

Außerdem wurde der Straßenverkehr am Siegfriedplatz erheblich behindert. Fahrzeugführer waren wegen des blockierten Straßenzuges an der Westseite des Platzes im Einmündungsbereich Siegfriedstraße/Rolandstraße gezwungen, auf andere Straßen auszuweichen. Ihre Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr wurde durch die Versammlung beeinträchtigt.

Das Ermessen, das dem Beklagten damit eröffnet war, hält sich unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

vgl. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 14.5.1985, a.a.O., und vom 21.4.1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834 = BayVBl. 1998, 562

in den durch § 114 Satz 1 VwGO gezogenen Grenzen gerichtlicher Überprüfung. Die Erwägungen, die den Beklagten zur Auflösung der Versammlung veranlasst haben, umfassten alle wesentlichen berücksichtigungsbedürftigen Gesichtspunkte und lassen keinen Abwägungsfehler erkennen.

Der Beklagte hat es zu Recht als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob es sich bei der Versammlung am Siegfriedplatz überhaupt um eine zulässige, als solche grundsätzlich schützenswerte Spontanversammlung handelte, für die insbesondere erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der Anmeldepflicht (§ 14 VersG) bestehen. Zwar kann sich eine Spontanversammlung bzw. -demonstration durchaus aus aktuellem Anlass im Anschluss an eine Versammlung oder Demonstration bilden, z.B. in Folge von Polizeimaßnahmen (sog. Folgeversammlung/-demonstration).

Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 VersG Rdnr. 18.

Mit Blick auf das Thema des ursprünglichen Aufzugs (multifunktionale Straßennutzung, vgl. den Text des Einladungsplakats), das nach den Worten des Klägers S. auch eines der Motive der hier streitigen Versammlung war, erfolgte die erneute Zusammenkunft der Kläger am Siegfriedplatz jedoch nicht aus aktuellem Anlass. Ein Eintreffen der Demonstranten am Siegfriedplatz war von vornherein beabsichtigt. Die Kläger haben selbst erklärt (z.B. im Schriftsatz vom 26.3.2001), es sei abgesprochen gewesen, dass bereits der ursprüngliche Aufzug seinen Weg über den Siegfriedplatz nehmen sollte. Zudem müssen die am Siegfriedplatz eingesetzten Blockademittel (Tripoden, Betonfässer; vgl. dazu die z.B. im Verwaltungsvorgang des Beklagten dokumentierten Bauanleitungen aus dem Szene- Handbuch "Direkte Aktionen/Die kleine Blockadefibel") vorbereitet gewesen sein; sie sind nicht spontan beschafft bzw. gefertigt worden. Auch das spricht sehr deutlich gegen eine spontane Zusammenkunft am Siegfriedplatz.

Dass die Versammlung spontan im Sinne von "nicht von langer Hand vorbereitet" war, könnte lediglich mit Blick auf den zweiten behaupteten Versammlungszweck (Protest gegen die Auflösung des vorherigen Aufzugs) gelten. Dieser Versammlungszweck konnte sich naturgemäß erst etwa eine Stunde zuvor auf Grund der tatsächlichen Entwicklung der Geschehnisse am Nachmittag des 25.4.1998 konkretisieren. Aber auch insoweit waren die Demonstranten auf eine Zusammenkunft am Siegfriedplatz vorbereitet, wie die dortige vorherige ortsnahe Bereitstellung (vgl. Bericht des Q. Q. vom 27.4.1998 [BA II, Bl. 31 ff.], S. 4 f., und Vermerk der KK'in Scholz vom 24.9.1998 [Bl. 3 ff. in 46 Js 669/98 StA Bielefeld], S. 2 unten/3 oben) der später eingesetzten Blockademittel auf der Ladefläche von "Tim's Leihwagen" verdeutlicht. Außerdem sollten ausweislich der "Pressemitteilung" des "Anti A 33 Hüttendorf C. " vom nachfolgenden Tage gemäß einem vorgefassten Entschluss die Tripoden, die am Siegfriedplatz auf dem Leih-LKW bereitgehalten wurden, zu nichts anderem dienen, als vor einem (von vornherein einkalkulierten) "allzu schnellen Polizeizugriff zu schützen". Da die Demonstranten nach alledem offensichtlich fest entschlossen waren, auf jeden Fall am Siegfriedplatz zusammenzutreffen, und die dargelegten tatsächlichen Umstände es sehr nahe legen, dass sie auch eine Auflösung ihres Ursprungsaufzuges eingeplant hatten, ist die Annahme einer anschließenden Spontanversammlung am Siegfriedplatz schwerlich zu begründen.

Doch auch wenn es sich bei der nicht angemeldeten Veranstaltung am Siegfriedplatz um eine prinzipiell grundrechtsgeschützte Spontanversammlung gehandelt haben sollte, durfte der Beklagte bei seinen Erwägungen berücksichtigen, dass die Demonstranten sich jedenfalls insoweit rechtswidrig verhielten, als sie mit einer Fortsetzung ihres ursprünglichen Demonstrationsanliegens für den am Bahnhof begonnenen Aufzug, der sich bis zum Siegfriedplatz hinziehen sollte, die sofort vollziehbare (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO) Auflösungsverfügung vom Nachmittag durch die Veranstaltung am Siegfriedplatz, wiederum begleitet durch den lautstarken Einsatz einer Großlautsprecheranlage, der mit der Auflagenverfügung vom 24.4.1998 schon für den nachmittäglichen Aufzug untersagt worden war, offensichtlich zu umgehen versuchten.

Hinzu kam, dass die längerfristige Blockade eines Straßenzuges am Westrande des Siegfriedplatzes nicht nur beiläufige Folge, sondern bewusstes Ziel der dortigen Versammlung war, zumindest eines von mehreren. Diese Absicht wird allein schon durch den quer auf der Fahrbahn geparkten Toyota-Buli, die auf der T. aufgestellten Tripoden und Betonfässer, deren spezifische Benutzung als Blockademittel durch Demonstranten, die in die Spitzen der Tripoden kletterten und ihre Arme in die Rohre der Betonfässer steckten, sowie das Eingeständnis des verfolgten Blockade-Zwecks ("Pressemitteilung" vom folgenden Tage) überaus deutlich. Der Beklagte durfte berücksichtigen, dass nicht nur eine gezielte Behinderung eines Polizeieinsatzes, sondern auch eine nicht nur ganz kurzfristige bewusste Verkehrsblockade, also eine gezielte Störung des Straßenverkehrs, keine Rechtfertigung aus der Versammlungsfreiheit erfährt.

Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 VersG Rdnr. 112.

Aktivitäten im Zusammenhang mit einer Versammlung, deren Zweck die Beeinträchtigung der Rechte Dritter ist, verlassen den Rahmen zulässiger Grundrechtsausübung.

Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 VersG Rdnr. 113, ähnlich Rdnr. 116, jeweils m.w.N.

Nicht zu beanstanden ist ferner der vom Beklagten angenommene Verstoß der Demonstranten gegen Vorschriften des Landesimmissionsschutzgesetzes. Dass der Beklagte in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung davon sprach, er habe einen Verstoß gegen "§ 9" - statt § 10 (siehe oben) - dieses Gesetzes angenommen, war ein offensichtliches bloßes Versehen. Bei diesem immissionsschutzrechtlichen Gesichtspunkt handelt es sich übrigens nicht um einen Ermessensaspekt, den der Beklagte erst in der mündlichen Verhandlung nachgeschoben hätte - ganz abgesehen davon, dass eine Ermessensergänzung zu diesem Zeitpunkt noch ohne weiteres möglich gewesen wäre (§ 114 Satz 2 VwGO) und der Kläger S. sowie der Prozessbevollmächtigte ausdrücklich Gelegenheit erhielten, zu dem genannten Gesichtspunkt Stellung zu nehmen -. Der ausdrückliche Hinweis des Beklagten auf das Landesimmissionsschutzgesetz war vielmehr nur die Präzisierung seiner von Anfang an mitgeteilten Erwägung, dass die abgespielte Musik erheblich zu laut gewesen sei.

Für die Ermessensüberlegungen des Beklagten durfte es darüber hinaus eine Rolle spielen, dass die Demonstranten sich mit ihrem Verhalten zumindest dem erheblichen Verdacht einer Straftat aussetzten. Immerhin haben später drei Strafgerichtsinstanzen bis hin zum OLG Hamm (Beschluss vom 28.11.2000 - 3 Ss 956/00 -) im Verfahren gegen den Kläger S. das diesem Kläger - ebenso wie allen anderen Klägern - zuzurechnende Errichten von Straßenbarrieren durch auf der Fahrbahn aufgestellte Fahrzeuge, Dreibeine und Betonfässer, um andere Verkehrsteilnehmer an einer ungestörten Durchfahrt zu hindern, als tatbestandliche Nötigungshandlung i.S.d. § 240 Abs. 1 StGB gewertet, und in den ersten zwei Instanzen jenes Verfahrens haben die Strafgerichte sogar dahin erkannt, dass das aufgezeigte Verhalten auch verwerflich i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB gewesen sei. Es war damit keinesfalls ein zur Rechtswidrigkeit der Auflösungsverfügung führender Ermessensfehler, wenn der Beklagte auf Grund seiner - bei Erlass der streitigen Verfügung naturgemäß noch nicht vollständigen - Erkenntnislage vermutete, die Demonstranten könnten eine strafbare Nötigung begangen haben.

Die Auflösungsverfügung wurde auch nicht dadurch rechtswidrig, dass der Beklagte zuvor kein Kooperationsgespräch

vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985, a.a.O.; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 VersG Rdnrn. 25 ff.

geführt hatte. Selbst wenn einzelne Demonstranten dem Beklagten vor Ort vergeblich ein Gespräch über den weiteren Verlauf der Versammlung angeboten haben sollten, wie die Kläger behaupten, durfte der Beklagte die streitige Auflösungsverfügung erlassen. Denn ein eigentliches Kooperationsgespräch war mangels eines Versammlungsleiters, der die Ergebnisse eines solchen Gesprächs verbindlich an die Demonstranten hätte weitergeben können, gar nicht möglich. Es gab ebenso wie schon bei dem Aufzug am Nachmittag auch für die Versammlung am Siegfriedplatz keinen verantwortlichen Versammlungsleiter oder personifizierbaren Veranstalter. Eine Kooperation in Form einer Erörterung schied damit aus tatsächlichen Gründen aus.

Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 14 VersG Rdnr. 29.

Eine der zuständigen Behörde unter bestimmten Umständen auch bei Spontanversammlungen im Sinne einer versammlungsfreundlichen Verfahrensgestaltung gebotene Aufnahme einer Verbindung zu den Versammlungsteilnehmern mit dem Ziel, gegebenenfalls Verabredungen zur Reduzierung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auf ein hinnehmbares Maß zu treffen,

vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 VersG Rdnr. 56,

musste der Beklagte vor Erlass der streitigen Auflösungsverfügung nicht mehr versuchen, nachdem die Demonstranten schon die Auflösungsverfügung vom Nachmittag durch Fortsetzung ihres Zusammentreffens am Siegfriedplatz offensichtlich missachtet, insbesondere auch dort die verbotenen Großlautsprecher wieder eingesetzt und damit ihre mangelnde Rechtstreue zu erkennen gegeben hatten, was aus der nicht zu beanstandenden Sicht des Beklagten eine Verhandlung mit ihnen - mit wem von ihnen konkret auch immer - aussichtslos erscheinen ließ.

Aus den vorgenannten Gründen bot sich schließlich für den Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes kein anderes, gleichermaßen zur Gefahrenbeseitigung geeignetes, aber weniger einschneidendes Mittel als die Auflösung der Versammlung an. Dem Prinzip praktischer Konkordanz kollidierender Verfassungsgüter

vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 VersG Rdnrn. 84 f.

hat der Beklagte ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass er die Versammlung am Siegfriedplatz erst nach etwa einer dreiviertel Stunde aufgelöst, den Demonstranten also eine nicht nur geringfügige Zeitspanne der vorübergehenden Beeinträchtigung anderer Verfassungsgüter (Gesundheit, Bewegungsfreiheit) zur Verfolgung ihres Versammlungsanliegens zugestanden hat. Zudem ist auch bei dieser Güterabwägung von Bedeutung, dass die mit der Ausübung der Versammlungsfreiheit verbundene Beeinträchtigung fremder Grundrechtspositionen nicht nur unausweichliche Nebenfolge, sondern (zumindest) Teilzweck der im Rahmen der Versammlung entwickelten Aktivitäten war.

Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15 VersG Rdnr. 107.

Über die Rechtmäßigkeit der im Anschluss an die Auflösungsverfügung erfolgten "einschließenden Absperrung" ("Einkesselung") der Demonstranten, die ihrer aus der Auflösungsverfügung folgenden gesetzlichen Pflicht, sich sofort zu entfernen (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 VersG), keine Folge leisteten, obwohl sie dies ausweislich des vom Beklagten vorgelegten Videos jedenfalls bis 18.13 Uhr ohne weiteres innerhalb eines ausreichenden Zeitraums hätten tun können - sie haben aber nicht einmal erkennbare Anstalten gemacht, sich zu entfernen -, ist im vorliegenden Verfahren ebenso wenig zu entscheiden wie über die Rechtmäßigkeit der nachfolgenden Ingewahrsamnahme der Demonstranten.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO, die Anordnungen zu ihrer vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.