LG Bonn, Urteil vom 19.10.2016 - 1 O 42/16
Fundstelle
openJur 2017, 413
  • Rkr:
Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt in erster Linie die Zustimmung des Beklagten zur Weiterkultivierung und Transfer von zwei in einer reproduktionsmedizinischen Praxis in E derzeit eingelagerten kryokonservierten 2-PN-Zellen (Eizellen im Vorkernstadium). Von Eizellen im 2-PN-Stadium wird gesprochen, wenn das männliche Spermium zwar bereits in die weibliche Eizelle eingedrungen ist, dort aber noch zwei Vorkerne (sog. Pronuklei) mit einem einfachen Chromosomensatz von Mann bzw. Frau vorhanden sind. Erst wenn sich die beiden Chromosomensätze zur ersten gemeinsamen Teilung zusammenfinden, liegt ein Embryo im Sinne des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) vor.

Die mittlerweile 42-jährige Klägerin ist Amerikanerin und war ab Juni 2014 in einer festen Beziehung mit dem Beklagten. Der Beklagte ist Vater von vier minderjährigen Kindern im Alter zwischen 7 bis 15 Jahren und hat sich nach der Geburt seines jüngsten Kindes sterilisieren lassen. Die Parteien entschlossen sich, gemeinsam in einer ärztlichen Praxis in E eine Kinderwunschbehandlung durchführen zu lassen.

Am 23.06.2015 unterzeichneten sie eine Einverständniserklärung zu einer invitro-Fertilisation mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion mit Embryotranfer in der Kinderwunsch-L3 (Anlage K2, Bl... d. A.). In dieser Erklärung heißt es wörtlich:

"Die Entscheidung zu diesen Behandlungen kann zu jeder Zeit bis zur Durchführung, nach schriftlicher Mitteilung an die behandelnde Ärztin und ohne Angaben von Gründen, widerrufen werden."

Für die Übernahme der Kinderwunschbehandlung verlangten die Ärzte den Abschluss einer speziellen notariellen Vereinbarung. Am 26.06.2015 schlossen die Parteien daher eine notarielle Vereinbarung über eine homologe Insemination (= Befruchtung mit den Spermien des (Ehe-)Partners einer festen, auf Dauer angelegten Partnerschaft) (Anlage K1, Bl... d. A.). In diesem Vertrag wurde unter § 1 erklärt:

"Eine natürliche Befruchtung der Partnerin der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist nach Auskunft der behandelnden Ärzte derzeit aussichtslos. Daher wünschen beide Erschienenen die Vornahme einer homologen Insemination; soweit medizinisch indiziert auch im Wege der extrakorporalen Befruchtung einer von der Partnerin stammenden Eizelle durch Übertragung von Samen des Partners zur Verwirklichung ihres Kinderwunsches im Wege der sogenannten invitro-Fertilisation."

§ 3 Nr. 2 der Vereinbarung lautet wie folgt:

"Die vorstehend erklärte Einwilligung kann von jedem der Erschienenen bis zur erfolgreichen Befruchtung der Partnerin durch schriftliche Erklärung gegenüber dem behandelnden Arzt und/oder der Partnerin widerrufen werden."

Am 14.07.2015 schlossen die Parteien sodann mit der Kinderwunschklinik einen Vertrag über die Kryokonservierung und Lagerung von reproduktiven Geweben und Zellen einer Frau.

In § 11 des Vertrages heißt es:

"Die Auftraggeberin ist zu jedem Zeitpunkt berechtigt, ihr Einverständnis mit der Fortführung der Kryokonservierung durch schriftliche Erklärung gegenüber der L3 GbR zu widerrufen."

In § 12 Nr. 1:

"Das Konservierungsgut ist Eigentum der Auftraggeberin und unterliegt ihrem Verfügungsrecht."

Im weiteren Verlauf wurden sodann in einem im August 2015 stattfindenden ersten Behandlungszyklus 7 Eizellen der Klägerin extrakorporal mit Sperma des Beklagten "befruchtet", wobei die Spermien zunächst aufgrund der Sterilisation des Beklagten operativ aus dem Hoden entnommen werden mussten. Der Klägerin wurden dann zwei befruchtete Eizellen noch im August 2015 transferiert, führten jedoch zu keiner fortgesetzten Schwangerschaft.

Zwei weitere 2-PN-Zellen wurden für eine spätere Verwendung bei Bedarf und einen zweiten Transfer kryokonserviert (= in Stickstoff eingefroren) und befinden sich derzeit in diesem Zustand in der Kryobank der Kinderwunschklinik.

Die Parteien waren sich - nach dem Vortrag der Klägerin - Ende August 2015/Anfang September 2015 noch einig, dass die beiden 2-PN-Zellen der Klägerin in einem zweiten Behandlungszyklus transferiert werden sollten.

Am 01.09.2015 kam es - die Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig - zu einem Zerwürfnis der Parteien. Am 02.09.2015 nahmen die Parteien dennoch gemeinsam an einem Besprechungstermin in der Kinderwunschklinik teil. Dort wurde mit der behandelnden Ärztin erörtert, ob die kryokonservierten 2-PN-Zellen unmittelbar im September oder nach einer kurzen Erholungspause im Oktober 2015 transferiert werden sollen. Die Klägerin wollte die Zellen zunächst unmittelbar transferieren, entschied sich dann aber in der Erwartung, dass der Transfer unmittelbar nach einer geplanten Reise nach M erfolgen sollte, für einen späteren Termin.

Die Klägerin reiste sodann am 07.09.2015 nach M. Während dieses Aufenthalts widerrief der Beklagte mit E-Mail vom 08.09.2015 gegenüber der Kinderwunschklinik aus privaten Gründen sein Einverständnis zu jeglichen weiteren Behandlungsschritten mit den von ihm gespendeten Spermien. Nach Rückkehr der Klägerin verweigerte die Praxis aufgrund des Widerrufs des Beklagten die Fortsetzung der Behandlung und den geplanten Transfer.

Die Klägerin ist der Ansicht, gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Zustimmung zur Weiterkultivierung und Transfer der eingelagerten 2-PN-Zellen aus Vertrag unter Berücksichtigung der Auslegung der Normen des ESchG und des Grundsatzes von Treu und Glauben zu haben. Embryonen, aber auch Zellen im Vorkernstadium, unterlägen dem ausschließlichen Persönlichkeitsrecht der Frau. Der Widerruf des Beklagten sei wegen Verstoßes gegen § 4 ESchG iVm § 134 BGB unwirksam. Nach § 4 Abs. 1 Nr.1 ESchG müsse bis zur Befruchtung ein beiderseitiges Einverständnis von Mann und Frau vorliegen, ein fortdauerndes Einverständnis des Mannes zwischen dem Befruchtungs- und dem Transferzeitpunkt werde vom Gesetz jedoch nicht verlangt. Diese Unterscheidung sei auch von dem OLG Rostock, Urteil vom 07.05.2010 - 7 U 67/09 - bestätigt worden. Bei einer invitro-Behandlung sei ferner bereits das Einspritzen der Samenzellen in die Eizelle und die dadurch in Gang gesetzte Weiterkultivierung der Zellen als Befruchtung anzusehen. Dies sei auch mit dem biologisch regelhaften Befruchtungsvorgang in Einklang zu bringen, bei dem nach vollzogenem Geschlechtsverkehr und einer daraufhin folgenden Befruchtung einer weiblichen Eizelle der Mann auch nicht berechtigt oder in der Lage sei, "sein Sperma zurückzuverlangen".

Die Klägerin erklärt hilfsweise die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, da sie von der in deutscher Sprache verfassten Widerrufsklausel keine hinreichende Kenntnis gehabt habe und diese seitens des Beklagten bei seiner Übersetzung arglistig verschwiegen worden sei.

Die Klägerin ist ferner der Ansicht, der Beklagte sei auch deliktisch zur Herstellung des Ursprungszustandes verpflichtet, da sein Verhalten eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zu ihren Lasten darstelle, weil ihre natürlichen Gebärchancen gegen null tendieren würden.

Schließlich behauptet die Klägerin, die Behandlungskosten in Höhe von 7.079,28 € allein getragen zu haben.

Sie beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, gegenüber der reproduktionsmedizinischen Gemeinschaftspraxis Dr. C & Dr. F - Kinderwunsch-L3, L ...-..., ...# E seine schriftliche Zustimmung zur Weiterkultivierung und dem Transfer der dort eingelagerten und kryokonservierten Embryonen/2-PN-Zellen (dortige Patientenidentifikationsnummern ... und ...; gemäß Vertrag über Kryokonservierung und Lagerung von reproduktiven Geweben und Zellen einer Frau vom 14.07.2015) auf sie zu erklären;

2. den Beklagten zu verurteilen, sowohl gegenüber ihr, als auch gegenüber der reproduktionsmedizinischen Gemeinschaftspraxis Dr. C & Dr. F - Kinderwunsch-L3, L ...-..., ...# E, für den Fall das die Kinderwunschbehandlung aus welchen Gründen auch immer dort nicht fortgeführt wird, seine schriftliche Zustimmung zur Herausgabe an sie zu ihrer freien Verwendung der dort eingelagerten und kryokonservierten Embryonen/2-PN-Zellen (dortige Patientenidentifikationsnummern ... und ...; gemäß Vertrag über Kryokonservierung und Lagerung von reproduktiven Geweben und Zellen einer Frau vom 14.07.2015) zu erklären;

3. hilfsweise festzustellen, dass sie über die in der reproduktionsmedizinischen Gemeinschaftspraxis Dr. C & Dr. F - Kinderwunsch-L3, L ...-..., ...# E gelagerten und kryokonservierten Embryonen/2-PN-Zellen (dortige Patientenidentifikationsnummern ... und ...; gemäß Vertrag über Kryokonservierung und Lagerung von reproduktiven Geweben und Zellen einer Frau vom 14.07.2015) alleine und frei verfügen kann und für die Weiterkultivierung, Transfer oder Herausgabe an sie die Zustimmung des Beklagten nicht erforderlich ist;

4. hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an sie 7.079,28 € Behandlungskosten für künstliche Befruchtung und angefallene Behandlungsbegleitkosten zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, den Vertrag wirksam widerrufen zu haben. Das ESchG sei nicht anwendbar, da im Zeitpunkt des Widerrufs keine Embryonen i. S. d. ESchG vorgelegen hätten. Anders als bei einer normalen Schwangerschaft habe vorliegend der Transfer noch gar nicht stattgefunden, so dass nicht einzusehen sei, wieso der Frau ein weitergehendes Recht als dem Mann zustehen solle. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass beide Elternteile in gleichem Maße durch die Entscheidung Eltern zu werden betroffen seien, so dass auch beide Elternteile - jedenfalls zu dem Zeitpunkt vor dem beabsichtigten Transfer - die gleichen Rechte und Pflichten haben müssten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

1.

Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen den Beklagten auf Zustimmung zur Weiterkultivierung und Transfer der in der Kinderwunschklinik eingelagerten kryokonservierten 2-PN-Zellen zu (Antrag zu 1).

Ob ein derartiger Anspruch aus dem zwischen den Parteien geschlossenen notariellen Vertrag vom 26.06.2015 oder dem Vertrag über die Kryokonservierung und Lagerung von reproduktiven Geweben und Zellen einer Frau zwischen der Kinderwunschklinik und den Parteien vom 14.07.2015 abgeleitet werden kann, kann dahinstehen. Der Beklagte hat seine Einwilligung zu den weiteren Schritten der künstlichen Befruchtung wirksam nach § 3 Nr. 2 des notariellen Vertrages widerrufen.

Der am 08.09.2015 gegenüber der Kinderwunschklinik erklärte Widerruf ist entgegen der Ansicht der Klägerin weder rechtlich unbeachtlich, noch verstößt er gegen § 4 ESchG. Insbesondere ist die Regelung in § 3 des Notarvertrages nicht - wie die Klägerin meint - nach § 134 BGB iVm § 4 ESchG nichtig, sondern steht vielmehr im Einklang mit den Wertungen des ESchG und dem geltenden Verfassungsrecht.

Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 ESchG kommt es hinsichtlich der Befruchtung einer Eizelle auf die Einwilligung von Mann und Frau an. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass zumindest bis zu dem Zeitpunkt der Befruchtung die Einwilligung auch widerrufen werden kann.

Eine Befruchtung der Eizellen ist vorliegend noch nicht erfolgt. Entgegen der Ansicht der Klägerin gilt die Eizelle nach dem Eindringen der Samenzelle in das Zytoplasma weder im medizinischen noch im juristischen Sinne als befruchtet.

Bei den streitgegenständlichen 2-PN-Zellen handelt es sich um sog. in der Befruchtung befindliche Eizellen. Bei derartigen Eizellen ist das Spermium zwar schon eingedrungen, die beiden Zellkerne sind jedoch noch nicht miteinander verschmolzen. Mit dem Eindringen der Samenzelle in das Plasma der Eizelle (Imprägnation) entsteht die Zygote. Durch Stoffwechselvorgänge formieren sich aus den haploiden Chromosomensätzen der Ei- und Samenzelle je zwei Vorkerne (Pronuklei), die von Membranen umgeben sind. Es beginnt in jedem Vorkern die Verdopplung (identische Reduplikation). Die Vorkerne wandern aufeinander zu, die Membranen lösen sich auf und die haploiden Chromosomensätze der Vorkerne vereinigen sich (Konjugation) zur ersten gemeinsamen Teilung (Furchung). Dieser Vorgang dauert 15 bis 18 Stunden. Erst damit ist die Befruchtung abgeschlossen (vgl. LG Neubrandenburg, Urteil vom 12.08.2009, Az. 2 O 111/09, zitiert nach juris). Bei der künstlichen Befruchtung wird gerade diese Kernverschmelzung durch Einfrieren der 2-PN-Zellen in Stickstoff gestoppt, um ein Verschmelzen der beiden Kerne und eine Verdopplung der zunächst haploiden Chromosomensätze zu verhindern. Durch das bloße Eindringen des Spermiums in die Eizelle ist die Befruchtung noch nicht abgeschlossen. Nach der fortpflanzungsmedizinischen und biologischen Begriffsbestimmung sind die kryokonservierten 2-PN-Zellen damit noch unbefruchtete Eizellen im Vorkernstadium.

Dies entspricht auch der juristischen Auslegung. Der Gesetzgeber hat im ESchG lediglich "befruchtete" von "unbefruchteten" Eizellen unterschieden und die "im Befruchtungsvorgang befindlichen Eizellen" keiner der beiden verwendeten Kategorien ausdrücklich zugeordnet. Auch aus der Gesetzesbegründung ergeben sich keine sicheren Anhaltspunkte dafür, ab welchem Stadium von einer befruchteten Eizelle ausgegangen werden kann und wie im Befruchtungsstadium befindliche Eizellen zu behandeln sind. Der Abschlussbericht der Bund-Länder Arbeitsgruppe "Fortpflanzungsmedizin" vom 29.11.1988 sprach zwar davon, dass die Eizelle nach dem Eindringen der Samenzelle als befruchtet zu betrachten ist (vgl. Taupitz in Günther/Taupitz/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 2008, § 1 Rn.19). Dieser weiten Auslegung kann aber nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber legt in § 8 Abs. 1 ESchG besonderes Augenmerk auf den Zeitpunkt der Kernverschmelzung. Nach der gesetzlichen Legaldefinition gilt die befruchtete, entwicklungsfähige, menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an als Embryo. Damit kann eine "im Befruchtungsvorgang befindliche Eizelle" nicht als befruchtet bezeichnet werden. Der entscheidende qualitative Schritt der Kernverschmelzung hat bei imprägnierten Eizellen gerade noch nicht stattgefunden, so dass sie befruchteten entwicklungsfähigen Eizellen und mithin einem Embryo nicht gleich gestellt werden können (vgl. hierzu auch Brewe in Embryonenschutz und Stammzellengesetz, Berlin u. w., 2006, S. 91). Eine "im Befruchtungsvorgang befindliche Eizelle" ist vielmehr als unbefruchtet im Sinne des § 1 Nr. 1 ESchG anzusehen. Dies entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch und üblichen Verständnis, wonach "befruchtet" "fertig befruchtet" bedeutet und alle Phasen davor dem Terminus "unbefruchtet" zuzuordnen sind (so auch Taupitz, aaO).

Gegen ein solches Verständnis kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass der Befruchtungsvorgang ohne weiteres Zutun bereits mit der Zugabe der Samenzellen in Gang gesetzt worden ist, ohne dass es einer weiteren Handlung bedarf. Soweit die Klägerin die Vorschrift des § 4 ESchG als Unternehmensdelikt einstuft und darauf abstellt, dass es insoweit nicht auf den Abschluss der Befruchtung (Auflösung der Membran zwischen den beiden haploiden Vorkernen und Beginn der Bildung eines diploiden Stadiums), sondern auf die Tathandlung (erfolgreiche Insemination) ankomme und diese Tathandlung bereits den Beginn der Befruchtungskaskade einleite, verfängt dies nicht. Anders als beim natürlichen Befruchtungsvorgang wird im Rahmen der künstlichen Befruchtung gerade die Fortentwicklung der Zellen und Verschmelzung der Zellkerne gestoppt und läuft nicht im natürlichen Sinne "automatisch" weiter. Dies zeigt gerade die in der Praxis übliche und gesetzeskonforme Kryokonservierung von Vorkernzellen, bei denen eine Fortsetzung des Befruchtungsvorgangs eben nur durch eine weitere Handlungen, nämlich das Auftauen der Zellen, möglich ist und der durch die Kryokonservierung unterbrochene Befruchtungsvorgang erst infolge des Auftauens zur Vollendung gelangen kann. Im Rahmen der künstlichen Befruchtung wird damit künstlich eine Zäsur geschaffen, mithin die natürliche Entwicklungskaskade unterbrochen. Gerade dies ermöglicht es, die Befruchtung der Eizelle im Gegensatz zum natürlichen Vorgang noch zu stoppen und zu verhindern. Der künstlich geschaffene Reproduktionsvorgang ist mit einer Befruchtung auf natürliche Art und Weise nicht vergleichbar.

Darüber hinaus ist § 4 ESchG bereits seinem Sinn und Zweck nach auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Vorschrift will Missbräuchen bei der wissenschaftlich erschlossenen extrakorporalen Befruchtung und der künstlichen Insemination begegnen (Pelchen/Häberle in Erbs/Kohlhaas, strafrechtliche Nebengesetze, 208. EL Mai 2016, § 4 Rn.1) und richtet sich damit in erster Linie an die Reproduktionsmediziner. Zudem soll sie das Selbstbestimmungsrecht der Gametengeber in dem besonders sensiblen Bereich der Fortpflanzung sicherstellen (Taupitz, aaO, § 4 Rn.3). Die Einwilligung derer, deren Keimzellen für die Befruchtung verwendet werden, ist damit Grundvoraussetzung für eine reproduktionsmedizinische Behandlung und wird nicht erst durch die Vorschrift geschaffen. Die Möglichkeit, die Zustimmung zur weiteren reproduktionsmedizinischen Behandlung widerrufen zu können, ist Ausdruck der grundrechtlich geschützten Reproduktionsfreiheit als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass das Recht auf Achtung des Privatlebens i. S. v. Art. 8 EMRK, das Recht auf Achtung der Entscheidung für oder gegen eine Mutter- oder Vaterschaft zu sein, einschließt (EGMR (Große Kammer), Urteil vom 10.04.2007 - 6339/05, in NJW 2008, 2013). Dieses Recht steht beiden werdenden Eltern gleichermaßen zu und kann nicht durch die Wahl einer besonderen Reproduktionsmethode, der invitro-Fertilisation, einseitig auf einen Elternteil verlagert werden. Die Besonderheit bei der invitro-Fertilisation besteht darin, dass durch den künstlich unterbrochenen Befruchtungsvorgang auch der Zeitpunkt der Entscheidung, ein Kind zu zeugen, künstlich nach hinten verlagert wird. Bis zur Verschmelzung der Zellkerne und dem anschließenden Transfer besteht noch für beide Elternteile gleichermaßen die Möglichkeit sich gegen die Zeugung werdenden Lebens zu entscheiden. Die seitens der Klägerin angestrebte Auslegung, dass Embryonen sowie Zellen im Vorkernstadium dem ausschließlichen Persönlichkeitsrecht der Frau unterliegen, so dass es nach der Befruchtung nur noch auf die Einwilligung der Frau ankäme und der Mann den Transfer nicht mehr verweigern dürfe, wenn er zu Beginn der Behandlung der Befruchtung zugestimmt habe, ist mit dem Sinne und Zweck des § 4 ESchG und den Grundrechten des Mannes nicht in Einklang zu bringen. Sie verkürzt einseitig das verfassungsrechtlich garantierte Recht des Mannes auf Reproduktionsfreiheit. Die Vorschrift des § 4 ESchG dient keinesfalls dazu, verfassungsrechtlich garantierte Rechte einzuschränken, sondern gerade dazu, sie vor allem gegenüber Eingriffen Dritter zu schützen.

Darüber hinaus geht es nicht nur um die Kollision der verfassungsrechtlich garantierten Reproduktionsfreiheit von Mann und Frau, sondern ebenso um die Interessen des ungeborenen Kindes. Die Vorschrift des § 4 ESchG soll laut ihrer amtlichen Begründung auch dem Schutz des Kindeswohls dienen, da Gefahren für die Entwicklung des Kindes nicht ausgeschlossen werden können, wenn die Erzeugung nicht in einer dem Willen der Beteiligten entsprechenden Weise erfolgt ist (BT-DRS. 11/5460, S. 10 zu § 4 ESchG). Diese Gefahr besteht vorliegend, da sich bei der Identitätsfindung des Kindes die Vorstellung durchaus belastend auswirken kann, dass der leibliche Vater noch vor der eigentlichen Befruchtung seine Zustimmung zurückgezogen hat und die weitere Entwicklung nicht mehr von seinem Willen gedeckt war. Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich der Fall auch entscheidend von der klägerseits zitierten Entscheidung des OLG Rostock (Urteil vom 07.05.2010, Az.: 7 U 67/09: Anspruch einer Frau auf Herausgabe imprägnierter Eizellen nach dem Tod des Mannes). Im dortigen Fall lag die Einwilligung des Mannes zur Befruchtung - zumindest bis zu seinem Tod - vor, sodass die Weiterbehandlung der Zellen letztlich im Einverständnis beider Elternteile erfolgte. In dieser speziellen Konstellation sah der Senat die Interessen des Kindeswohls nicht gefährdet.

Die Klägerin hat die Widerrufsklausel ferner auch nicht wirksam angefochten. Unabhängig davon, dass das Widerrufsrecht des Mannes bezüglich der weiteren Schritte der künstlichen Befruchtung bereits Ausdruck seiner verfassungsrechtlich gesicherten Reproduktionsfreiheit ist, ist in dem notariellen Vertrag eindeutig festgehalten: "Frau L2 ist nach eigenen Angaben und nach Überzeugung des Notars der deutschen Sprache hinreichend mächtig, um der Verhandlung zu folgen." Insofern kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, der Beklagte habe ihr den Vertrag nicht hinreichend übersetzt bzw. sie über die Widerrufsklausel arglistig getäuscht.

Aus diesen Erwägungen ist auch ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 1 BGB sowie § 826 BGB auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes - der Erteilung der Einwilligung des Beklagten - nicht begründet. Dem Beklagten ist weder eine Pflichtverletzung noch eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorzuwerfen. Eine solche kann insbesondere nicht in dem Umstand gesehen werden, dass er der Klägerin - möglicherweise bereits in dem Bewusstsein, dass er seine Einwilligung widerrufen werde - zu einer Reise nach M geraten hat, um dann in ihrer Abwesenheit den Widerruf zu erklären. Dem der Beklagte war jederzeit bis zu der Befruchtung und dem anschließenden Transfer berechtigt, seine Einwilligung zu widerrufen.

2.

Der Klägerin steht auch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zustimmung zur Herausgabe der streitgegenständlichen 2-PN-Zellen an sie bzw. zu Händen eines Arztes zur freien Verwendung gegenüber dem Beklagten zu (Antrag zu 2).

Ein Anspruch folgt nicht aus § 12 Abs. 1 des Vertrages über die Kryokonservierung und Lagerung von reproduktiven Geweben und Zellen einer Frau vom 14.07.2015 (Anlage K3). Entgegen § 12 des Vertrages ist das Konservierungsgut nicht Eigentum der Klägerin und unterliegt auch nicht ihrem alleinigen Verfügungsrecht. Der Wortlaut der Vorschrift spricht das Eigentums- und Verfügungsrecht zwar ausdrücklich "der Auftraggeberin" zu, damit ist jedoch nicht ausschließlich die Klägerin gemeint. Im gesamten Vertragstext wird nur von "der Auftraggeberin" im Singular gesprochen. Vertragsparteien und Auftraggeber sind jedoch sowohl die Klägerin als auch der Beklagte; beide sind auf der ersten Seite als Vertragsparteien aufgeführt und haben die Vereinbarung gemeinsam unterzeichnet. Bei der Bezeichnung "die Auftraggeberin" handelt es sich mithin lediglich um eine vorformulierte Bezeichnung zur Vereinfachung. Darüber hinaus betrifft der zwischen den Parteien und der Kinderwunschklinik geschlossene Vertrag nur das Verhältnis der Parteien zur Klinik nicht hingegen das Verhältnis der Parteien untereinander. § 12 ist daher dahingehend auszulegen, dass der "Auftraggeberin" (der Klägerin und dem Beklagte) gegenüber der Kinderwunschklinik das alleinige Verfügungsrecht an den 2-PN-Zellen obliegt. Alles andere wäre mit dem eingangs bereits dargestellten verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht der Parteien nicht in Einklang zu bringen. Eine Rechtsposition der Klägerin gegenüber dem Beklagten in der Weise, dass sie ohne dessen Zustimmung nach freiem Belieben über die 2-PN-Zellen verfügen kann, kann infolge des Vorranges des Verfassungsrechts durch diesen Vertragspassus nicht begründet werden. Eine derartige Regelung würde vielmehr gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten verstoßen, da bis zur Befruchtung und dem Transfer der Eizellen seine Einwilligung für jeden weiteren Schritt erforderlich ist (vgl. unter 1.).

3.

Anschließend an die vorstehenden Erwägungen bleibt auch für den Antrag auf Feststellung, dass die Klägerin über die streitgegenständlichen 2-PN-Zellen alleine und frei verfügen kann und die Zustimmung des Beklagten für die Weiterkultivierung, den Transfer oder die Herausgabe nicht erforderlich ist, kein Raum.

4.

Schließlich steht der Klägerin der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der Behandlungskosten in Höhe von 7.079,28 € nicht zu. Die aufgewendeten Behandlungskosten sind als sog. frustrierte Aufwendungen einzustufen, also Aufwendungen, die vor einem "Schadensereignis" getätigt worden sind, und durch den Widerruf des Beklagten nutzlos geworden sind. Ein Geschädigter kann derartige Aufwendungen indes nur unter den Voraussetzungen des § 284 BGB verlangen. Die Voraussetzungen von § 284 BGB liegen aber nicht vor. Dem der Ersatz vergeblicher Aufwendungen kann nur "anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung" verlangt werden. Ein Schadensersatzanspruch steht der Klägerin jedoch in Ermangelung einer Pflichtverletzung des Beklagten nicht zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.

Streitwert: 17.079,28 € (6.000 € für die Anträge zu 1) und 2); 4.000 € für den Antrag zu 3) und 7.097,28 € für den Antrag zu 4)