Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 21.07.2016 - 2 MB 12/16
Fundstelle
openJur 2016, 10186
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 9. Kammer - vom 11.05.2016 geändert:

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 16.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2015 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf

11.177,99 € Euro

festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den der Antragsgegnerin am 20. Mai 2016 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11.05.2016 ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 16.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2015 zu Unrecht angeordnet.

Eine derartige Anordnung hat zu erfolgen, wenn die Anfechtungsklage der Antragstellerin keine aufschiebende Wirkung entfaltet – was angesichts des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO der Fall ist – und eine Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt, vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Var. VwGO.

Im Rahmen dieser Abwägung finden vor allem die Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei einer summarischen Prüfung Berücksichtigung. Ist der Bescheid offensichtlich rechtswidrig bzw. bestehen in Anlehnung an § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides, so überwiegt in der Regel das Aussetzungsinteresse. Ist der Bescheid hingegen offensichtlich rechtmäßig, überwiegt in der Regel das Vollziehungsinteresse.

Vorliegend überwiegt das Aussetzungsinteresse nicht. Es ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides, mithin ist der Erfolg der Klage zumindest nicht ebenso wahrscheinlich wie ihr Misserfolg (Senatsbeschl. v. 24.06.1998 - 2 M 7/98 -).

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes handelt es sich bei dem Grundstück der Antragstellerin um ein i. S. d. Ausbaubeitragsrechts bevorteiltes sog. gefangenes Hinterliegergrundstück. Es liegt weder an der Uferstraße noch an der Mecklenburger Straße direkt an.

6Grundsätzlich ist ein solchen Hinterliegergrundstück nur dann beitragspflichtig, wenn der Eigentümer des Hinterliegergrundstücks dauerhaft berechtigt ist, die ausgebaute Straße über das Anliegergrundstück in Anspruch zu nehmen (Thiem/Böttcher, Rn 579 zu § 8 KAG). Dies kann etwa bei einem dinglichen Wegerecht vorliegen, ein lediglich schuldrechtlicher Anspruch auf Benutzung des Anliegergrundstückes zwecks Verbindung zur Einrichtung genügt hingegen nicht (Thiem/Böttcher, Rn 581a zu § 8 KAG), Bei gefangenen Hinterliegergrundstücken sind die Anforderungen an die Sicherung der Zuwegung geringer, hier kann auch ein Notwegerecht genügen (Thiem/Böttcher, Rn 579 zu § 8 KAG).

Das Grundstück ist durch die Flurstücke ... und ... als Anliegergrundstücke, die im Eigentum des Bundes stehen, von der Einrichtung „Uferstraße“ getrennt. Ein dingliches Wegerecht über diese Grundstücke besteht nicht. Zur Mecklenburger Straße hin ist das Grundstück der Antragstellerin durch die Flurstücke ... und ... getrennt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes Schleswig handelt es sich bei diesen letztgenannten Flurstücken, auf denen sich ein Gehweg befindet, nicht um einen Teil der öffentlichen Straße „Mecklenburger Straße“.

Als diese beiden Flurstücke in das Eigentum der Antragsgegnerin fielen – Eintragung der Auflassung am 20.08.2009 –, wurden sie nicht gemäß § 6 Abs. 1 und 2 StrWG als öffentliche Straße gewidmet. Da die Mecklenburger Straße als öffentliche Straße zudem weder verbreitert, begradigt, durch Verkehrsanlagen ergänzt noch unwesentlich verlegt wurde, greift auch nicht die Widmungsfiktion des § 6 Abs. 5 StrWG hinsichtlich der Flurstücke ... und ... .

9Eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 5 StrWG, wie sie das Verwaltungsgericht vornimmt, ist nicht statthaft. Zwar liegt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, eine vergleichbare Interessenlage vor – ob die Stadt einen Gehweg an eine bestehende öffentliche Straße anbaut oder aber ein bestehender Gehweg, der an eine öffentliche Straße angrenzt, in das Eigentum der Stadt als Baulastträgerin fällt, stellt eine ähnliche Interessenlage dar –, es fehlt jedoch eine planwidrige Regelungslücke.

Ausnahmevorschriften wie die Vorschrift des § 6 Abs. 5 StrWG sind grundsätzlich nicht analogiefähig, weil es an der Planwidrigkeit der Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber sah das Erfordernis von Ausnahmen von der Grundregelung – eine Widmung durch Verfügung gem. § 6 Abs. 1 und 2 StrWG - und hat diese in der Vorschrift § 6 Abs. 5 StrWG in nicht exemplarischer Art und Weise abschließend geregelt. Die Möglichkeit einer Widmungsfiktion qua Erwerb von Grundstücken, die an gewidmeten öffentlichen Straßen anliegen, wurde gerade nicht geregelt, obwohl diese Variante nicht fernliegend ist und dem Gesetzgeber bekannt gewesen sein dürfte. Gründe, dennoch ausnahmsweise eine Analogiefähigkeit der Vorschrift anzunehmen, sind nicht ersichtlich.

Die Flurstücke sind auch nicht qua § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrWG Teil der öffentlichen Straße. Aus § 2 Abs. 1 StrWG und der ratio des Gesetzes ergibt sich, dass nur solche Gehwege gemäß 2 Abs. 2 Nr. 1 StrWG Teil der öffentlichen Straße sind, die bereits zum Zeitpunkt der Widmung der Straße vorhanden und im Eigentum der Stadt gewesen waren. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so ist § 6 Abs. 5 StrWG die speziellere Norm, die über§ 2 Abs. 2 Nr. 1 StrWG nicht umgangen werden darf.

Ein dingliches Wegerecht besteht auch über die Flurstücke ... und ... nicht. Die Antragstellerin hat jedoch in Form von Notwegerechten gemäß § 917 Abs. 1 Satz 2 BGB einen rechtlich zulässigen und dauerhaften Zugang über Anliegergrundstücke zur Uferstraße.

Es besteht keine Verbindung des Grundstückes der Antragstellerin zu einem öffentlichen Weg, eine solche ist zur ordnungsgemäßen Benutzung des Grundstückes, auf dem sich ein Betrieb befindet, erforderlich und die Benutzung des Verbindungsgrundstückes ist ferner notwendig. Ob auch das für das Bestehen eines Notwegerechts konstitutive Duldungsverlangen – ggf. konkludent durch jahrelange einvernehmliche Nutzung – vorliegt, kann mit Blick auf die Beitragspflicht der Antragstellerin offen bleiben, da in dem Falle, dass ein Duldungsverlangen nicht vorliegt, dieses Hindernis zur Begründung eines Notwegerechtes allein von der Antragstellerin abhängig ist und dieses Hindernis somit beitragsrechtlich ohne Bedeutung ist (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 08.07.2015 - 4 LB 15/14 -).

Hinsichtlich der Ausübung des Notwegerechtes ergeben sich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten drei mögliche Konstellationen. Die erste Variante führt vom westlichen Ende des Grundstückes der Antragstellerin – von der Einfahrt zum nördlich gelegenen Betriebsparkplatz – über das Flurstück ... zur Uferstraße. Die zweite Variante führt vom süd-östlichen Ende des Grundstückes der Antragstellerin – von der Einfahrt zum süd-östlichen Betriebsparkplatz – über das Flurstück ... zur Uferstraße (bei einem engen Wendekreis eventuell auch zur Mecklenburger Straße). Die dritte Variante führt vom östlichen Ende des Grundstückes der Antragstellerin durch ein Torhaus über die Flurstücke ... und ... zur Mecklenburger Straße.

15Bei mehreren möglichen Verbindungen ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, (vgl. Palandt/Bassenge, Rn 61 zu § 917 BGB). Dem Interesse an einer möglichst geringen Belastung durch den Notweg ist das Interesse an einer möglichst großen Effektivität des Notweges gegenüberzustellen.

Die Belastung für die Grundstücke, über die das Notwegerecht führen könnte, ist in allen drei Varianten denkbar gering, da der Notweg jeweils nicht nur sehr kurz ist, sondern die Grundstücke ferner auch aufgrund ihrer geringen Tiefe und derzeitiger Verwendung kaum wirtschaftlich nutzbar sind. Welcher Weg auch unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange der effektivste ist, vermag der Senat auch angesichts der Tatsache, dass mit einem Wegerecht allein nicht beide Betriebsparkplätze erreicht werden können, nicht abschließend zu beurteilen. Bei der Abwägung ist ferner zu berücksichtigen, dass der nördliche Parkplatz zwar von der Mecklenburger Straße durch das Torhaus erreichbar ist, die maximale Durchfahrtshöhe durch das Torhaus jedoch nur 3,6 m beträgt und die Rangiermöglichkeiten für einen Lkw hinter dem Torhaus begrenzt sind. Eine Zufahrtsmöglichkeit von Westen aus ohne störendes Torhaus ist zudem aufgrund einer effektiven Brandbekämpfung – die Antragstellerin lagert Stoffe nach Nr. 13 des Anhanges I der 12. BImSchV (Erdölerzeugnisse) – erforderlich.

17Angesichts der geringen Belastung für die Grundstücke, über die der Notweg führen könnte, der jahrelang geübten Praxis, diese Wege zu nutzen, und der wirtschaftlichen sowie sicherheitsbedingten Bedeutung der verschiedenen Zugangsmöglichkeiten zum Betriebsgelände ist ausnahmsweise von mehreren verschiedenen Notwegerechten – auch zur Uferstraße – auszugehen.

Den Notwegerechten steht § 918 BGB nicht entgegen, weil die Antragstellerin nicht eine bestehende Verbindung zu einem öffentlichen Weg, die Mecklenburger Straße, willkürlich aufgehoben hat. Willkür liegt nur vor, wenn die Antragstellerin gegen eine ordnungsgemäße Grundstücksbewirtschaftung ohne gebotene Rücksicht auf die Nachbarn verstößt (vgl. Palandt/Bassenge, Rn 1 zu § 918 BGB). Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).