FG Hamburg, Beschluss vom 14.10.2016 - 3 V 201/16
Fundstelle
openJur 2016, 10165
  • Rkr:
Tatbestand

I. Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Anrechnungsverfügung vom 18.07.2006 über die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen für das Jahr 2006. Streitig ist die Rückforderung der angerechneten Kapitalertragsteuer.

1. Die Antragstellerin ist eine GmbH und betreibt ein Unternehmen, das den Erwerb und die Veräußerung von börsennotierten Wertpapieren und Derivaten im eigenen Namen und für eigene Rechnung i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 5 Kreditwesengesetz (KWG) mit dem Ziel eines kurzfristigen Eigenhandelserfolges zum Gegenstand hat.

Im Jahr 2006 tätigte die Antragstellerin drei Aktien-Transaktionen und erzielte dabei Dividendenerträge in Höhe von insgesamt 6.317.500,00 € (darauf entfallende Kapitalertragsteuer insgesamt: 1.263.500,00 €, vgl. Hefter "Einspruch und AdV-Verfahren" Bl. 8).

Diesbezüglich verbuchte die Antragstellerin in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung Zinsen und ähnliche Aufwendungen in Höhe von insgesamt 6.579.343,43 € gewinnmindernd (davon Dividendenausgleichzahlungen in Höhe von 5.985.831,25 €, ...).

2. Der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) erließ am 22.10.2007 einen Bescheid über Körperschaftsteuer für 2006, in dem es ausgehend von einem erklärten Jahresüberschuss in Höhe von 198.164 € Körperschaftsteuer für 2016 in Höhe von 67.287 € festsetzte und die gezahlte Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge i. H. v. 1.263.500,00 € anrechnete. Dies führte nach Verrechnung mit der Gewerbesteuerzahllast für 2006 zu einer Erstattung von insgesamt 1.198.766,22 € (inkl. Solidaritätszuschlag, ...).

3. Ab März 2014 prüfte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A Gesellschafter diverser kurzlebiger Kapitalgesellschaften, die in den Jahren 2006 bis 2011 in unterschiedlichen Konstellationen in sog. Cum-/Ex-Anlagen direkt oder indirekt investiert hatten. Im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen wurden Unterlagen übergeben, aus denen sich für das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A die "Vermutung" ergab, dass im Rahmen eines Investments namens B (...), welches von einer Tochtergesellschaft der C (...) aufgelegt worden war, die Kapitalertragsteuer im Rahmen der zu Grunde liegenden Cum-/Ex-Geschäfte auf Ausschüttungen deutscher DAX-Unternehmen im Ergebnis einmal angemeldet und gezahlt, aber mehrfach angerechnet wurde.

Die Prüfer des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A stellten in ihrem - undatierten, aber nach Aktenlage aus 2016 stammenden - Bericht über das Ergebnis der Ermittlungen u. a. Folgendes fest (...)

"Investment B(...)Das B Investment zielte nach Ansicht des BFH nicht - wie bei Börsengeschäften allgemein üblich - darauf ab, Gewinne aus Kursschwankungen bzw. Dividendenerträgen der Wertpapiere zu erzielen. Die Auswertung der B-Unterlagen zeigt, dass diese Geschäfte zu dem Zweck initiiert wurden, um Gewinne aus dem Umstand zu generieren, dass der deutsche Fiskus auf der einen Seite Kapitalertragsteuer beim Anleger erstattet bzw. anrechnet, welche auf der anderen Seite tatsächlich nicht an den Fiskus abgeführt und gezahlt worden ist.

Es handelt sich um ein systematisches und zielgerichtetes Investment, bei dem deutsche Aktien von ausländischen Marktteilnehmern (Leerverkäufern) am Tag vor dem Dividendenstichtag oder am Dividendenstichtag durch die Investoren schuldrechtlich erworben wurden. Unter den Investoren ist u. a. die D GmbH. Dies ergibt sich aus den Unterlagen der E Ltd, Fragebogen gem. § 31 IV; V WPHG.

Durch den Kauf von deutschen Aktien von ausländischen Marktteilnehmern konnte der depotführenden Bank der Investoren, der F, suggeriert werden, es hätte ein Kauf von Aktien mit Dividendenanspruch, "cum", stattgefunden. Die vertraglichen Grundlagen dieses B-Investments waren Gegenstand des Urteils des BFH vom 16.04.2014."

(...)

ErmittlungenGemäß § 208 I Nr. 1 und 2 AO i. V. m. § 404 AO wurde am 18.12.2015 ein Prüfungsauftrag erteilt.

Im Rahmen der Ermittlungen bestätigte die E Ltd. und die G Ltd. mit Mail vom 07.12.2015, das bei allen an dem Investment B teilnehmenden Gesellschaften die Transaktionsstrukturen identisch sind. Damit ist die Entscheidung des BFH vom 16.4.2015 auf alle anderen Investoren des B zu übertragen und somit auch auf die D GmbH.

Ermittlungen gegen Verantwortliche aus dem Bereich der Anlagegesellschaften D haben bisher zu keinem Anfangsverdacht geführt. (...).

FazitIn Bezug auf das Urteil des BFH vom 16.04.2015 (gemeint: 16.04.2014) sind die Kapitalertragssteueranrechnungen in der Körperschaftsteuererklärung 2006 der D GmbH, die auf das Investment B entfallen, zu versagen.

Die D GmbH handelte im VZ 2006 mit den aus der Anlage ersichtlich Aktien.

Die Anrechnung der Kapitalertragssteuer im Körperschaftsteuerbescheid 2006 i. H. v. 1.263.500,00 € KESt und 69.492,50 € Solz ist nach den oben dargestellten Feststellungen zu ändern. Ob eine Änderung in Betracht kommt, bitte ich eigener Zuständigkeit zu prüfen."

4. Der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) erließ am 18.07.2016 eine geänderte Anrechnungsverfügung für das Jahr 2006 über die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen auf die Körperschafteuer. Darin wurde die Anrechnung der Kapitalertragsteuer gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) zurückgenommen und wurden folgende Anrechnungsbeträge sowie Zinsen mit Fälligkeit am 22.08.2016 zurückgefordert:

Kapitalertragsteuer1.263.500,00 €Zinsen   625.432,00 €Solidaritätszuschlag     69.492,50 €Zur Erläuterung wurde ausgeführt:"Die anrechenbaren Steuern waren abzuerkennen (sog. Cum Ex Geschäfte laut Mitteilung des FA für Steuerstrafsachen u. Steuerfahndung A)."

5. Gegen die geänderte Anrechnungsverfügung legte die Antragstellerin am 27.07.2016 Einspruch ein und beantragte AdV. Über den Einspruch hat das FA bislang nicht entschieden.

Zur Begründung trug die Antragstellerin vor: Die Anrechnungsverfügung für 2006 über die Änderung von Abzugsbeträgen vom 18.07.2016 enthalte nur den pauschalen Hinweis auf so genannte Cum-/Ex-Geschäfte, ohne sonstige Erläuterung oder Nachweisführung. Ihr, der Antragstellerin, sei vor der Änderung der Anrechnungsverfügung kein rechtliches Gehör gewährt worden.

Mit Schreiben vom 08.08.2016 teilte das FA der Antragstellerin mit, dass der Einspruch zwar zulässig, aber nicht begründet sei. Der zu beurteilende Sachverhalt entspreche laut Mitteilung des Finanzamtes A dem, der der BFH-Entscheidung vom 16.04.2014 zugrunde gelegen habe. Insofern liege eine Angabe der Antragstellerin im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO vor (vergleiche FG Kassel vom 08.10.2012, Az. 4 V 1661/11). Eine Aussetzung der Vollziehung komme in Anbetracht des festgestellten Sachverhaltes mangels erheblicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht in Betracht (...).

Mit Schreiben vom 09.08.2016 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die Ablehnung des AdV-Antrags ein und trug zur Begründung vor, das BFH-Urteil vom 16.04.2014 sei ganz offenkundig nicht einschlägig. Im entschiedenen Fall habe über die zu beurteilenden Sachtatbestände von Anfang an Uneinigkeit zwischen dem zuständigen Finanzamt und dem Steuerpflichtigen bestanden. Insbesondere sei aber in Bezug auf den strittigen Steuerbescheid des Jahres 2008 weder Festsetzungs- noch Zahlungsverjährung eingetreten.

Sie, die Antragstellerin, habe sämtliche steuerlichen Pflichten zu jeder Zeit erfüllt und insbesondere die steuerlich maßgeblichen Sachtatbestände vollständig und wahrheitsgemäß offengelegt. Sie habe keine Kenntnis von den Machenschaften der Bank gehabt und auch subjektiv niemals irgendeine Verkürzung von Steuern in Kauf genommen. Die Bescheinigungen über die Steueranrechnungsbeträge der F AG & Co. KGaA seien nicht durch sonstigen Verwaltungsakt aufgehoben worden.

Die Festsetzungsfrist für das Jahr 2006 sei mit Ablauf des 31.12.2011 abgelaufen. Die Zahlungsverjährung in Bezug auf den mit Bescheid vom 22.10.2007 festgesetzten Erstattungsbetrag für das Jahr 2006 sei spätestens mit Ablauf des ein 30.12.2012 eingetreten.

Sie, die Antragstellerin, verfüge nicht über ausreichende, liquide Mittel zur Tilgung der ungerechtfertigten Steuernachforderung für das Jahr 2006. Eine sofortige Veräußerung des Anlagevermögens würde zur Realisierung von signifikanten Kursverlusten führen (...).

Der Einspruch gegen die Ablehnung des AdV Antrags wurde noch nicht beschieden.

6. Am 17.08.2016 hat die Antragstellerin einen gerichtlichen Antrag auf AdV gestellt. Zur Begründung trägt sie vor, sie habe in ihrer Körperschaftsteuererklärung 2006 keine Angaben im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO gemacht. Sie habe im Kalenderjahr 2006 drei Transaktionen getätigt, die jeweils refinanziert worden seien. Dieser Sachverhalt sei dem FA mit Schreiben vom 27.08.2007 vollständig offengelegt und im Detail erläutert worden. Das FA sei nach Prüfung an Amtsstelle im Jahr 2007 in zutreffender Anwendung des damals geltenden Rechts zu dem Schluss gekommen, dass das wirtschaftliche Eigentum an den Wertpapieren bei ihr, der Antragstellerin, gelegen habe. Es könne dahingestellt bleiben, ob bei erneuter Würdigung des Sachverhaltes nach der Rechtslage des Jahres 2016 eine andere Auffassung zu vertreten wäre, da die Veranlagung für das Jahr 2006 bereits bestandskräftig sei.

Die Festsetzungsverjährung für das Jahr 2006 sei bereits mit Ablauf des 31.12.2011 eingetreten, eine Verlängerung auf zehn Jahre komme nicht in Betracht, da der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt sei.

Die Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO seien vorliegend nicht gegeben. Die Änderung der Rechtsauffassung stelle keine neue Tatsache gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO dar.

Im Übrigen seien die Wertpapiere nicht "leer" an sie, die Antragstellerin, verkauft worden. Die von ihr erworbenen Wertpapiere hätten sich nachweislich im Bestand des Bankinstitutes befunden.

Das BFH-Urteil vom 16.04.2014 (Az. I R 2/12) betreffe eine grundlegend andere Fallkonstellation. Das Finanzamt habe im entschiedenen Fall bei der erstmaligen Veranlagung des Jahres 2008 die Anrechnung von Steueranrechnungsbeträgen versagt. Der Bescheid des Jahres 2008 sei im entschiedenen Fall weder festsetzungs- noch zahlungsverjährt und daher nach den Vorschriften der AO noch änderbar gewesen.

Die Ablehnung der AdV führe zu einer unbilligen Härte. Sie, die Antragstellerin, verfüge nicht über ausreichende, liquide Mittel zur Tilgung der ungerechtfertigten Steuernachforderung für das Jahr 2006.

Die Antragstellerin beantragt,die Vollziehung des Bescheides über die geänderte Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen auf die Körperschaftsteuer für 2006 vom 18.07.2016 bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Das FA beantragt,den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt es aus, dass die Änderung der ursprünglichen Anrechnungsverfügung nach § 130 Abs. 2 AO rechtmäßig gewesen sei.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO hätten vorgelegen. Die Antragstellerin habe den ursprünglichen Abrechnungsbescheid dadurch erwirkt, dass ihre Angaben in der Steuererklärung und die vorgelegten Bescheinigungen zu Unrecht den Eindruck erweckt hätten, dass anrechenbare Kapitalertragsteuer vorliege. Die Antragstellerin sei nicht schutzwürdig, da sie die Ursachen für die Rechtswidrigkeit selbst gesetzt habe, die Ursache also nicht in der Sphäre der Behörde liege.

Nach der Rechtsprechung sei in Fällen von Erstattung nicht abgeführter Kapitalertragsteuer in so genannten Cum-/Ex-Geschäften ebenfalls das Tatbestandsmerkmal des unlauteren Mittels erfüllt, so dass auch eine Änderung nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO in Betracht komme.

Nach § 130 Abs. 3 AO sei die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigten, zulässig. Ihm, dem FA, sei durch die Kontrollmitteilung des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A am 30.06.2016 der Cum-/Ex-Sachverhalt für das Jahr 2006, der die Rücknahme rechtfertige, bekannt geworden. Die Bescheidänderung am 18.07.2006 sei daher innerhalb der normierten Einjahresfrist vorgenommen worden.

Ein rechtswidriger Verwaltungsakt dürfe auch noch zurückgenommen werden, nachdem er unanfechtbar geworden sei, dies stelle § 130 Abs. 1 AO klar. Soweit eine Festsetzungsfrist gelte, sei zwar zu beachten, dass der Verwaltungsakt nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zurückgenommen oder geändert werden könne. Die Festsetzungsfrist sei aber in 2016 bei Erlass des Änderungsbescheides für das Jahr 2006 noch nicht abgelaufen gewesen, da die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre betragen habe, weil hinsichtlich der sich durch den Änderungsbescheid ergebenden Nachforderung die Voraussetzungen für eine begangene Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorgelegen hätten.

Die Zahlungsverjährung sei im Zeitpunkt der Bescheidänderung noch nicht eingetreten gewesen. Aufgrund der Änderung der Anrechnungsverfügung des Körperschaftsteuerbescheides 2006 vom 18.07.2016 sei erstmalig ein Rückzahlungsanspruch gegen die Antragstellerin entstanden. Dieser Nachzahlungsbetrag sei zum 22.08.2016 erstmalig fällig geworden, so dass nach § 229 AO die fünfjährige Zahlungsverjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2016 in Gang gesetzt worden sei.

...

Gründe

II. Der Antrag ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag ist zulässig.

Die Anrechnungsverfügung ist ein Verwaltungsakt, dessen Rechtswirkungen im Ausweis eines Leistungsgebots oder eines Erstattungsanspruchs liegen. Insoweit ist sie vollziehbar i. S. des § 69 Finanzgerichtsordnung (FGO) wie ein nach § 218 Abs. 2 AO ergangener Abrechnungsbescheid (BFH-Beschluss vom 10.04.1992 I B 4/92, BFH/NV 1992, 683).

Das FA hat den von der Antragstellerin gestellten behördlichen AdV-Antrag am 08.08.2016 abgelehnt, so dass die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO erfüllt ist. Dass die Antragstellerin gegen die Ablehnung Einspruch eingelegt hat, steht dem gerichtlichen Antrag nach § 69 Abs. 4 FGO nicht entgegen. Der Steuerpflichtige hat die freie Wahl, ob er seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl beim FA als auch dem FG anbringt. Insbesondere ist es ihm unbenommen, gegen einen ablehnenden AdV-Bescheid des FA Einspruch (§ 347 AO) einzulegen und zugleich einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO beim FG anzubringen (Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 15.1).

2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind nach der Rechtsprechung des BFH zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheides neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Beschlüsse vom 21.11.2013 II B 46/13, BFH/NV 2014, 269; vom 11.07.2013 XI B 41/13 BFH/NV 2013, 1647; vom 12.12.2012 I B 127/12, BFHE 239, 25, BStBl II 2013, 272).

b) Nach Maßgabe der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung auf Grundlage präsenter Beweismittel sind die Voraussetzungen für eine AdV erfüllt. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anrechnungsverfügung bestehen ernstliche Zweifel.

Es kann vorliegend dahinstehen, ob den im Jahre 2006 abgewickelten Geschäften Leerverkäufe zugrunde lagen, ob die Voraussetzungen einer Änderung gem. § 130 Abs. 2 AO vorlagen und ob bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war. Einer Änderung der Anrechnungsverfügung stand jedenfalls der Eintritt der Zahlungsverjährung entgegen.

aa) Nach § 228 Abs. 1 AO unterliegen Ansprüche aus dem Steuerverhältnis einer besonderen Zahlungsverjährung, die fünf Jahre beträgt. Die Frist für die Zahlungsverjährung wird dabei durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt, und zwar ungeachtet dessen, ob diese Festsetzung mit der Ausweisung eines Erstattungsanspruchs oder gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) einer Abschlusszahlung verbunden wird (BFH-Urteil vom 09.12.2010 VII R 3/10, BFH/NV 2011, 750).

bb)   aaa) Nach der Rechtsprechung des BFH besteht der Sinn und Zweck der Zahlungsverjährung darin, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehren soll, was der Steuerpflichtige aufgrund der gegen ihn ergangenen Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugssteuer noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist. Nicht nur fällig gewordene steuerliche Ansprüche können nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist nicht mehr geltend gemacht werden. Vielmehr kann auch auf fällig gewordene Steuern nichts mehr angerechnet und dadurch kein Erstattungsanspruch zugunsten des Steuerpflichtigen gem. § 37 Abs. 2 AO mehr ausgelöst werden (BFH-Urteil vom 12.02.2008 VII R 33/06, BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504).

bbb) Ebenso ist ausgeschlossen, dass in dem Fall, in dem die Abschlusszahlung des Steuerpflichtigen im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG durch Anrechnungen fällig geworden ist, die Anrechnungsbeträge, die Grundlage für die Erstattung waren, nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist zurückgenommen werden und dadurch ein Erstattungsanspruch im Sinne des § 37 Abs. 2 AO zugunsten des FA ausgelöst wird (Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 08.12.2009 15 K 6030/06 B, Juris, bestätigt durch BFH-Urteil vom 09.12.2010 VII R 3/10, BFH/NV 2011, 750).

ccc) Die Änderung einer Anrechnungsverfügung nach Eintritt der Zahlungsverjährung ist danach ungeachtet dessen auszuschließen, ob es um die nachträgliche Anrechnung durch Steuerabzug entrichteter Beträge und eine daraus folgende Verringerung der Abschlusszahlung bzw. eine Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen geht oder umgekehrt um die Korrektur einer solchen Anrechnung zu Lasten des Steuerpflichtigen mit der Folge einer Erhöhung der Abschlusszahlung bzw. einer Steuernachforderung des Finanzamtes (BFH-Urteile vom 25.10.2011 VII R 55/10, BFHE 235, 115, BStBl II 2012, 220; vom 27.10.2009 VII R 51/08, BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382).

ddd) Die Zielsetzung des Gesetzes verlangt es, dass dies ungeachtet der Gründe der zunächst fehlerhaften Abrechnung immer dann gilt, wenn sich bei der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergeben hat und der entsprechende Betrag gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG an den Steuerpflichtigen ausgezahlt worden ist. Der (Zahlungs-)Anspruch des Finanzamts auf Rückzahlung eines solchen Betrages entsteht zwar erst und wird damit fällig, wenn das FA seine Anrechnungsverfügung ändert, weil es die Fehlerhaftigkeit seiner Abrechnung erkennt. "Grundlage" dieses Anspruches, der die Ansprüche aus dem Steuerverhältnis i. S. des § 218 Abs. 1 Satz 1 AO lediglich "verwirklicht", sind jedoch die im Steuerfestsetzungsverfahren ergangenen Entscheidungen, deren Erlass die Zahlungsverjährung auch dann in Lauf setzt, wenn sie nicht den Inhalt haben, den das Finanzamt bei seinen Entscheidungen im Steuererhebungsverfahren, insbesondere bei der Abrechnung gemäß § 36 Abs. 4 EStG, unterstellt (BFH-Urteil vom 25.10.2011 VII R 55/10, BFHE 235, 115, BStBl II 2012, 220).

eee) Diese Grundsätze gelten nur für die Fälle, in denen es lediglich um zu berichtigende Posten der Anrechnungsverfügung unabhängig von einer geänderten Steuerfestsetzung geht. Ändert sich dagegen die Steuerfestsetzung, ist im Umfang dieser Änderung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen, ohne dass der Anpassung bis dahin ggf. bereits abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen bezüglich früher entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entgegenstehen könnten (BFH-Urteil vom 29.10.2013 VII R 68/11, BFHE 243, 111, BStBl II 2016, 115).

cc) Nach diesen Grundsätzen durfte die vom FA erlassene Anrechnungsverfügung nach Ablauf von fünf Jahren seit Erlass des ursprünglichen Körperschaftsteuerbescheides nicht mehr geändert werden.

Zwar ist dem FA zuzugeben, dass durch den erstmaligen Körperschaftsteuerbescheid für 2006 die festgesetzte Körperschaftsteuer i. H. v. 67.287 € nicht bereits in 2007 fällig geworden ist, da die Antragstellerin aufgrund der Anrechnung der Kapitalertragsteuer keine Abschlusszahlung zu leisten hatte. Die Fälligkeit des Körperschaftsteueranspruchs 2006 wäre demnach erstmalig durch den geänderten Bescheid in 2016 mit dem Wegfall des anzurechnenden Betrages eingetreten. Darauf kommt es aber nach der Rechtsprechung des BFH nicht an, da die Zahlungsverjährung bereits durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in 2007 in Lauf gesetzt wurde, auch wenn die Festsetzung mit der Ausweisung eines Erstattungsanspruchs verbunden wurde (oben 2.b)aa) und 2.b)bb)ddd)).

Da die Körperschaftsteuerfestsetzung für 2006 unverändert blieb, kommt eine Änderung der Anrechnungsverfügung auch nicht als Anpassung an eine geänderte Steuerfestsetzung in Betracht (oben 2.b)bb)eee)).

c) Die Voraussetzungen einer AdV aufgrund "unbilliger Härte" gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO liegen nicht vor.

Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde (BFH-Beschlüsse vom 26.10.2011 I S 7/11, BFH/NV 2012, 583; vom 02.06.2005 III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar hat die Antragstellerin behauptet, dass sie durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sei. Die Voraussetzungen für eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte sind hier jedoch nicht glaubhaft gemacht.

d) Die zu gewährende AdV war nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.

Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 18.12.2013 I B 85/13, BFHE 244, 320, BStBl II 2014, 947; vom 21.11.2013 II B 46/13, BFHE 243, 162, BStBl II 2014, 263).

Eine Gefährdung der umstrittenen Steueransprüche für das Streitjahr ist weder vom FA vorgetragen noch sonst ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

4. Die Beschwerde ist nicht zuzulassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 128 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO). Der BFH hat bereits in den Jahren 2009 und 2010 in Cum-/Ex-Sachverhaltskonstellationen die Frage des Ablaufs der Zahlungsverjährungsfrist im obigen Sinne entschieden (BFH-Urteile vom 09.10.2010 VII R 3/10, BFH/NV 2011, 750, Juris Rn. 1 und 9; vom 27.10.2009 VII R 51/08 BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382, Juris Rn. 1 und 34).

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