hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 05. März 2002
durch
für R e c h t erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen die am 21.11.2001 und am 12.12.2001 verkündeten Urteile des Amtsgerichts Warstein (Az.: 3 C 280/01) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das klagende Land macht aus übergegangenem Recht ( §§ 5 Abs. 1 OEG, 81 a BVers.G) Ansprüche der Frau L2 (der Tochter des Beklagten L3 und der Schwester des Beklagten L4) geltend. Beide Beklagten sind rechtskräftig wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern, teilweise zum Nachteil der L2, teilweise zum Nachteil von deren Schwester L5 verurteilt, und zwar der Bruder L4 von der Jugendkammer zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten, der Vater L3 von der Jugendschutzkammer zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten.
Mit Bescheid vom 18.03.1989 stellte das Versorgungsamt Soest bei L2 ein "posttraumatisches Belastungssyndrom" fest, das auf die vorgeschriebenen Gewalttaten zurückzuführen sei.
Mit der Klage macht das klagende Land für L2 geltend:
- Kosten der Verhaltenstherapie 2.037,22 DM
-Fahrtkosten zur Therapie 2.241,20 DM -stationäre Behandlung für 3 Tage 856,05 DM 5.234,47 DM.
Des weiteren hat das klagende Land die Feststellung der Ersatzpflicht beider Beklagten als Gesamtschuldner für weitere Schäden begehrt.
Die beiden Beklagten haben Klageabweisung beantragt.
Das Amtsgericht hat der Klage mit dem Zahlungsantrag in Höhe von 4.617,27 DM nebst 4% Zinsen gegen die beiden Beklagten als Gesamtschuldner - unter Abweisung im übrigen - stattgegeben (Urteil vom 21.11.2001) und dem Feststellungsantrag voll entsprochen (Urteil vom 12.12.2001).
Gegen beide Urteile richten sich die Berufungen beider Beklagten, die die Kammer zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Wegen des Inhalts der Berufungsangriffe wird auf die Berufungsbegründung vom 29.01.2002 Bezug genommen.
Die zu einer Berufung verbundenen Rechtsmittel der beiden Beklagten sind zulässig, haben jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat beide Beklagten zu Recht gesamtschuldnerisch zur Zahlung verurteilt und ebenso gesamtschuldnerisch ihrer Ersatzpflicht für mögliche weitere Schäden festgestellt. Die ursprünglich der verletzten L2 zustehenden Ansprüche sind auf das klagende Land übergegangen.
I.
Der Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) schulden L2 Schadensersatz aus unerlaubter Handlung, und zwar nach § 823 Abs. 1 BGB sowie nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 176 Abs. 1 StGB a.F.. Der Vater L4 hat L2 entsprechend den rechtskräftigen Feststellungen der Jugendschutzkammer des Landgerichts Arnsberg aus dem Urteil vom 24.02.1998 ( 2 KLs 22 Js #/) in zwei Fällen sexuell mißbraucht. Die Kammer hat ihre Feststellungen aufgrund eines Geständnisses getroffen, Einzelstrafen von je 1 Jahr zugrundegelegt und - insgesamt auch zur Abgeltung von 5 weiteren Taten zum Nachteil der älteren Schwester L5 - auf eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten erkannt. Die aufgrund eines Geständnisses festgestellten Mißbrauchsfälle sind mit der Berufung nicht hinreichend angegriffen. Damit hat L4 das allgemeine Persönlichkeitsrecht der seinerzeit 9-11 Jahre alten Geschädigten verletzt sowie eine Körperverletzung zu deren Nachteil gem. § 823 Abs. 1 BGB begangen. Daneben haftet er auf den der Verletzten entstandenen Schaden aus dem Gesichtspunkt der Verletzung eines Schutzgesetzes ( § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 176 Abs. 1 BGB a.F.).
Der Bruder L3 hat nach den rechtskräftigen Feststellungen der Jugendkammer des Landgerichts Arnsberg im Urteil vom 20.04.1999 in sieben Fällen einen sexuellen Mißbrauch an der damals 9-11 Jahre alten L2 begangen.(2 KLs 22 Js ##). Die Verurteilung zu 10 Monaten Jugendstrafe beruhte auf einem Geständnis des seinerzeitigen Angeklagten. Damit haftet auch L3 auf Schadensersatz wegen einer schweren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und wegen Körperverletzung zum Nachteil von L2 gem. § 823 Abs. 1 BGB sowie wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 176 Abs. 1 StGB a.F. Das Vorbringen in erster und zweiter Instanz ist nicht geeignet, die Feststellungen der Jugendkammer in Zweifel zu ziehen.
II.
Mit ihren unter I geschilderten unerlaubten Handlungen haben der Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) auch adäquat kausal die psychischen Folgeschäden bei L2 verursacht. L2 leidet heute entsprechend dem Bescheid des Versorgungsamtes Soest vom 18.03.1999, den Feststellungen der Dipl.-Psychologin T vom 04.06.1998 und den Ausführungen der Frau Dr. M vom 03.02.1999 an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die mit Angstzuständen, Alpträumen, Vermeidungsverhalten und Stimmungseinbrüchen einhergeht. Das Selbstbewußtsein ist stark vermindert, die junge Frau hat Durchsetzungsprobleme und leidet generell an Zukunftsangst. Damit liegt als Folge des sexuellen Mißbrauchs durch beide Beklagten ein psychischer Gesundheitsschaden vor. Diese psychische Gesundheitsstörung ist zur Überzeugung der Kammer durch die vom klagenden Land überreichten Unterlagen einerseits und das in den rechtskräftigen Urteilen festgestellte Tatgeschehen andererseits bewiesen. Um diese psychischen Folgeschäden festzustellen, bedurfte die Kammer insbesondere nicht weiterer Aufklärung durch ein gerichtliches Sachverständigengutachten.
Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die festgestellten psychischen Folgeschäden adäquat kausal auf den Mißbrauch der L2 durch L3 und L4 zurückzuführen ist. Auszugehen ist davon, dass es sich nicht um eine Frage der haftungsbegründenden Kausalität, sondern um eine solche der haftungsausfüllenden Kausalität handelt. Die haftungsbegründende Kausalität steht nach den rechtskräftigen Strafurteilen außer Zweifel (schuldhafte rechtswidrige Körperverletzung gem. § 823 Abs. 1 und Verstoß gegen ein Schutzgesetz gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 176 Abs. 1 StGB a.F.). Vor diesem Hintergrund gilt zur Klärung der Frage, ob als Folge dieser haftungsbegründenden Tatbestände auch psychische Schäden eingetreten sind, die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO (BGH NJW 2000, 862, 863). Die Kammer tritt dem ausdrücklich bei. Soweit in der Kommentierung zum Teil die Beweiserleichterung zugunsten des Geschädigten über § 287 ZPO in Frage gestellt wird (vgl. Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 4.Aufl., Rdnr. 431), ist dies zum einen wenig überzeugend, zum anderen ist die dortige Argumentation hier nicht einschlägig. Vorliegend geht es nicht darum, über eine Anwendung des § 287 ZPO naturwissenschaftliche Zusammenhänge hinwegzuschätzen (so aber Oetker, a.a.O.). Eine derartige Konkurrenz zu naturwissenschaftlich belegbaren Zusammenhängen besteht bei einem psychischen Folgeschaden der vorliegenden Art nicht. Demnach reicht zum Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität hier eine überwiegende, freilich auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit ( BGH NJW 2000, 509). Diese ist -mit der Folge der Ursächlichkeit des Mißbrauchs durch den Beklagten zu 1) und den Beklagten zu 2) für die diagnostizierte,Traumatisierung nebst ihrer Begleiterscheinungen- bewiesen. Solche psychischen Folgeschäden liegen zunächst bei sexuellem Mißbrauch durch Familienangehörige zu Lasten eines Opfers, das sich im Kindesalter befindet (hier: zwischen 9 und 11 Jahren), schon entwicklungspsychologisch nahe. Das Vertrauen des Kindes in seine Umwelt und den Schutz der Familie wird dabei auf grausame Weise enttäuscht. Das Kind fühlt sich schutzlos gerade denen ausgeliefert, die es an sich vor Schaden durch Dritte und durch Umweltfaktoren bewahren sollen. Auf dieser Grundlage werden Sichtweise und Verhalten des kindlichen Opfers durch einen solchen Mißbrauch in der Familie nachhaltig geprägt. Dies gilt sowohl für den Mißbrauch durch den Vater, der damit seine Rolle als Autoritäts- und Vertrauensperson des Kindes in gröblicher Weise mißbraucht, als auch für den Mißbrauch durch den - hier um ca. 7 Jahre - älteren Bruder. Beide haben zudem das aus der Sicht des Kindes zunächst als schützend empfundene räumliche Umfeld der Familie für ihre Taten ausgenutzt. Vor diesem Hintergrund besteht zwischen den strafrechtlich abgeurteilten Mißbrauchstaten zum einen und den festgestellten psychischen Folgeschäden bei L2 zum anderen ein sehr enger, sich nahezu aufdrängender Zusammenhang, der auf jeden Fall den Kausalitätsanforderungen im Rahmen des § 287 ZPO genügt.
Die anderweitigen Erklärungsversuche des beklagten Vaters, (etwa eine Herbeiführung des jetzigen psychischen Zustandes durch Schläge oder besondere Strenge) sind rein theoretischer Natur und enthalten nicht die erforderliche Behauptung eines realen Ablaufs. Die psychischen Folgeschäden bei L2 beruhen jedenfalls entscheidend auf dem sexuellen Mißbrauch durch den Vater und den Bruder. Darauf, wie sich L2 heute ohne die erlittene Mißbrauchsfälle verhalten würde, ist angesichts des feststehenden Mißbrauchs durch beide Beklagte und der daraus resultierenden Posttraumatisierung nicht abzustellen. Insoweit würde es sich um eine Frage der hypothetischen Kausalität handeln (Möglichkeit der Herbeiführung des jetzigen Zustandes auch durch andere als die tatsächlich bewiesenen Ursachen). Auch der mehrfache Mißbrauch durch den Bruder hat sich entscheidend als Faktor für die psychischen Folgeschäden ausgewirkt. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zum besonderen Vertrauensverhältnis, das zwischen einer wesentlich jüngeren Schwester und ihrem älteren Bruder innerhalb der Familie steht, Bezug genommen.
III.
Gem. § 830 Abs. 1 S. 2 BGB sind beide Beklagten für den psychischen Folgeschaden verantwortlich. Dazu ist ein gemeinschaftliches Handeln als Mittäter oder als Teilnehmer einer Straftat insoweit - anders als im Falle des Abs. 1 S.1 - nicht erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn mehrere Personen unabhängig voneinander eine selbständige unerlaubte Handlung begangen haben, wobei durch eine dieser Handlungen der Verletzungserfolg tatsächlich herbeigeführt wird, der wirkliche Urheber aber nicht ermittelt werden kann. Darüber hinaus reicht es aber auch aus -und diese Variante liegt hier vor -, wenn nicht festgestellt werden kann, welchen Anteil jeder einzelne an dem Verletzungserfolg hat, aber die Handlung jedes einzelnen geeignet war, den ganzen Schaden herbeizuführen (sog. kumulative Kausalität, vgl. Stein in Münchener Kommentar zum BGB, Schuldrecht besonderer Teil III, 3.Aufl. 1997, § 830 Rdnr. 21). Vorliegend konnte jeder Mißbrauchsfall durch Vater oder Bruder die Traumatisierung mit ihren Nebenfolgen herbeiführen. Auch besteht der erforderliche räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen den Handlungen der Beklagten zu 1) und 2), die sämtlich im häuslichen Umfeld geschehen sind, als Nadine zwischen 9 und 11 Jahren alt war. Damit haften die Beklagten zu 1) und 2) nicht lediglich quotenmäßig auf einen bestimmten Anteil am psychischen Folgeschaden, sondern jeweilsvoll. Deshalb hat das Amtsgericht sie auch zu Recht nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner verurteilt.
Die mit dem zuerkannten Zahlungsanspruch geltend gemachten Aufwendungen, die der Höhe nach mit der Berufung nicht angegriffen werden, haben die Beklagten demzufolge als Gesamtschuldner gem. § 249 S. 2 BGB zu ersetzen. Ist der psychische Folgeschaden durch den haftungsbegründenden Vorgang adäquat kausal herbeigeführt, so gilt dies auch für diejenigen Aufwendungen, die zur Beseitigung der psychischen Gesundheitsstörungen getätigt werden.
IV.
Entsprechend den vorstehenden Ausführungen hat das Amtsgericht auch dem Feststellungsantrag zu Recht stattgegeben. Die Beklagten sind gesamtschuldnerisch verpflichtet, dem klagenden Land aus übergegangenem Recht den der Frau L2 aus den unerlaubten Handlungen der beiden Beklagten zwischen 1989 und 1991 weiter entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.