LG Düsseldorf, Urteil vom 28.03.2002 - 31 O 131/01
Fundstelle
openJur 2011, 20017
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. I ZR 76/07
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 1.034,22 (2.022,75 DM) nebst 5% Zinsen über dem Basiszins nach § 1 des Diskontsatzüberleitungsgesetzes seit dem 16. November 2001 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagte jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 2.400. Der Beklagten wird nachgelassen, die ihr von der Klägerin drohende Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 1.100 abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung entsprechend hohe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist Transportversicherer der XXX GmbH in G, welche die Beklagte am 20. Oktober 2000 mit dem Transport von drei Paketen zu ihrer Schwesterfirma VVV in D betraute (Frachtbrief Anl. K 1, Bl. 6 d.A.). Von zwei mit dem Versand "Expedited" verschickten Paketen mit der …-Kontroll-Nr. 1 Z 594 683 678 459 793 0 kam eines nicht bei der Empfängerin an (Anl. K 2, Bl. 7 d.A.); das andere und das Express-Paket mit der Kontroll-Nr. 1 Z 594 683 668 452 520 5 erreichten ihr Ziel.

Die Klägerin verlangt mit der Behauptung, in den drei Paketen seien die im Lieferschein (Anl. K 3, Bl. 8 d.A.) beschriebenen Module gewesen, die dort markierten Waren seien nicht angekommen, sie habe ihre Versicherungsnehmerin entsprechend entschädigt, Schadensersatz. Die Beklagte schulde Zahlung des vollen Warenwertes, da der Schaden aufgrund qualifizierten Verschuldens der Beklagten oder ihres Schwesterunternehmens in Amerika eingetreten sei, was sich schon daraus ergebe, dass sie konkrete Angaben zu den Umständen des Verlustes nicht machen könne.

Sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie US$ 52.300 nebst 5% Zinsen über dem Basiszins der Bundesbank seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet die Regulierung des Schadens durch die Klägerin und deren Aktivlegitimation insgesamt und beruft sich auf die Haftungsbeschränkung nach dem Warschauer Abkommen (WA). Die Versicherungsnehmerin der Klägerin habe keine Wertangaben gemacht. Das in Verlust geratene Paket sei in ihrer Umschlagbasis auf dem Flughafen von Philadelphia am 21.10. 2000 um 2:43 letztmals gescannt worden (Anl. B 1, Bl. 22 f d.A.). Sie habe den Verlust nicht durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet; Ausreißer und Verluste seien unvermeidlich. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass die Anforderung zu Kontrollen in Amerika geringer seien als in Deutschland (§ 7 - 309 Abs. 1 CC, Anl. B 2, Bl. 24, 30 d.A.).

Die Klägerin meint, der Schadenshergang liege weiterhin im dunkeln, sie bestreitet, dass die Regelungen der CC anwendbar seien, es sei deutsches Recht zugrunde zu legen. Im Ergebnis hält sie die Angaben der Beklagten zu den Umständen des Verlustes nicht für ausreichend.

Gründe

Die Klage ist, soweit ihr stattzugeben ist, nach den Artt 18, 22 Abs. 2a WA begründet, im Übrigen ist sie unbegründet, da zum einen die Klägerin einen besonderen Warenwert nicht deklariert hat (Art 22 Abs. 2a Satz 2 WA) und andererseits die Beklagte auch nicht unbeschränkt nach Art 25 WA haftet.

1. Die Beklagte hat dem Grunde nach für den Schaden nach dem Verlust eines der beiden als beschleunigt "expedited" versandten Pakete (der Unterschied zum Express-Versand mag dahinstehen) einzustehen. Ob ihr Schreiben vom 29. Januar 2001 (Anl. K 4, Bl. 8a d.A.) ein Anerkenntnis darstellt, ist letztlich nicht entscheidungserheblich, weil sie nach Art 22 Abs. 2 a WA jedenfalls beschränkt haftet und der Verlust eines Packstücks und das Gewicht unstreitig sind. Unbestritten ist weiterhin (was sich auch aus den Anlagen K 4 und K 5, Bl. 8a und 9 d.A.) ergibt, dass die Beklagte an die Versicherungsnehmerin der Klägerin den Haftungsgrundbetrag von 1.000,-- DM gezahlt hat.

Die Aktivlegitimation der Klägerin ergibt sich zumindest aus der nicht mehr angezweifelten Anlage K 6 (Bl. 36 d.A.).

Die Höhe des sich aus Art 22 Abs. 2 WA ergebenden Grundausgleichs ist ebenfalls unstreitig.

2. Die Voraussetzungen, unter denen die Beklagte nach Art 25 WA unbeschränkt haften würde, können nicht festgestellt werden. Unbeschränkt haftet sie zunächst nicht schon nach Art. 22 Abs. 2 a Satz 2 WA, weil die Versicherungsnehmerin der Klägerin unstreitig eine Wertdeklaration nicht vorgenommen hat. Unabhängig davon würde eine unbeschränkte Haftung voraussetzen, dass die Beklagte oder ihre Leute Handlungen vorgenommen oder unterlassen hätten in der Absicht, Schaden herbeizuführen oder dass sie in dem Bewusstsein gehandelt hätten, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.

Eine solche Einstellung der Beklagten sieht die Klägerin in dem Umstand, dass die Beklagte zum Schadenshergang Einzelheiten nicht vortragen könne. Das ist indessen nicht gerechtfertigt.

Die Beklagte beruft sich - wenn auch von der Klägerin bestritten - darauf, den Sendungsverlauf des in Verlust geratenen Paketes bis zum 21. Oktober 2000 2:43 Uhr und bis zum Eintreffen in ihrer Hauptumschlagbasis am Airport Philadelphia nachvollziehen zu können (Anl. B 1, Bl. 22 d.A.).

Es ist allgemein anerkannt, dass sich das in Art 25 WA vorausgesetzte qualifizierte Verschulden des Luftfrachtführers oder seiner Leute auch aus einer mangelhaften Organisation des Betriebsablaufs ergeben kann, der keinen hinreichenden Schutz der zu befördernden Frachtgüter gewährleistet und sich in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzt. Ebenso ist unumstritten, dass der Geschädigte die materielle Beweislast für die Voraussetzungen des Art 25 WA trägt. Dabei erfüllt der Anspruchsteller die ihm obliegende Darlegungslast für ein grob fahrlässiges Verschulden des Spediteurs oder Frachtführers bereits dann, wenn der Klagevortrag nach den Umständen des Falles ein grob fahrlässiges Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahe legt und allein der Spediteur oder der Frachtführer zur Aufklärung des in seinem Bereich entstandenen Schadens zumutbarerweise beitragen kann. In diesem Fall darf sich der Anspruchsgegner zur Vermeidung prozessualer Nachteile nicht darauf beschränken, den Sachvortrag schlicht zu bestreiten. Er ist vielmehr gehalten, das Informationsdefizit des Anspruchstellers durch detaillierten Sachvortrag zum Ablauf des Betriebes und den ergriffenen Sicherungsmaßnahmen auszugleichen (zur sekundären Darlegungslast zuletzt: BGH TranspR 2001, 29 [33] mwN).

Kommt der Frachtführer seiner Darlegungslast nach, bleibt es Sache des Geschädigten, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der vom (Luftfrachtführer) vorgetragene Organisationsablauf den strengen Verschuldensvorwurf des Art 25 WA rechtfertigt. Dazu kann er entweder den Tatsachenvortrag des Luftfrachtführers angreifen oder aufzeigen, weshalb die Organisation des Frachtablaufs den normativen Anforderungen des Art 25 WA nicht gerecht wird. In beiden Fällen trägt der Geschädigte den Nachteil aus der Nichterweislichkeit seiner Behauptungen und muss sich im Fall des fehlgeschlagenen Beweises mit der beschränkten Haftung nach Art 22 WA begnügen.

Das von der Beklagten vorgelegte Sendungsverfolgungsprotokoll (Anl. B 1, Bl. 22 d.A.) lässt erkennen, dass die Beklagte die übernommenen Pakete an den Umschlagplätzen durch Scannung erfasst hat. Die abhanden gekommene Sendung wurde am 18.10. in G übernommen, befand sich noch am 18.10. zwischen 20.32 Uhr und 21.45 Uhr in der Hauptumschlagbasis (HUB) der Beklagten in K, war um 2.00 Uhr nachts in H und von 13.14 Uhr bis 14.25 Uhr in der HUB Hl. Am 20. Oktober um 19.45 Uhr erreichte das Paket den Flughafen von Philadelphia, wo es am 21.10. um 2.43 Uhr letztmalig erfasst wurde. Da sich dieser Transportablauf aus dem vorgelegten Sendungsverfolgungsprotokoll ergibt, hat die Beklagte hinreichend vorgetragen. Es wäre sinnlos gewesen, diesen Weg schriftsätzlich zu wiederholen. Nicht nachvollziehbar ist, weshalb die Klägerin bestreitet, dass sich aus dem Protokoll ergebe, dass die Sendung in der HUB Philadelphia verloren gegangen ist. Zum einen hat die Beklagte dies nicht behauptet, zum anderen ist es offensichtlich, dass die letzte Scannung den Abtransport des Paketes vom Flughafen Philadelphia dokumentiert. Verloren gegangen ist die Sendung also auf dem Weg von Philadelphia nach D oder auch zu einer weiteren denkbaren Zwischenstation.

Zur Ursache des Verlustes braucht die Beklagte nicht vorzutragen; es liegt nahe, dass ihr diese unbekannt ist. Daraus kann indessen nicht auf qualifiziertes Verschulden geschlossen werden.

Nach der Vorlage des Sendungsverfolgungsprotokolls durch die Beklagte, an dessen Richtigkeit die Kammer keinen Zweifel hat, wäre es Sache der Klägerin gewesen, entsprechend der von ihr selbst zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.9. 2000 den Tatsachenvortrag der Beklagten anzugreifen oder aufzuzeigen, aus welchen Gründen die Organisation gleichwohl nicht den üblichen Sicherheitsstandards entspricht. Daran fehlt es. Auch der Vortrag im - nicht nachgelassenen - Schriftsatz der Klägerin vom 27. März 2002 (!) rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 709 Satz 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.