OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2002 - 30 W 13/02
Fundstelle
openJur 2011, 20009
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 21 O 185/01
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des Vorsitzenden der 1. Kammer für Handelssachen vom 13. Februar 2002 ergänzt durch die Begründung vom 16. Mai 2002 wird der angefochtene Beschluss abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Von den Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs tragen die Kläge-rin 1/3 und die Beklagte 2/3.

Von den nach einem Beschwerdewert bis zu 2.000 EUR zu bemessenden Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin 58% und die Beklagte 42%.

Gründe

Nachdem sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 04. Februar 2002 vor dem Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen vergleichsweise geeinigt haben, dass die Beklagte zur Abgeltung sämtlicher in diesem Rechtsstreit berührter Forderungen an die Klägerin noch 3.030,73 EUR zahlt, und das Gericht ersucht haben, über die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a ZPO zu entscheiden, wobei auf eine Begründung verzichtet wurde, hat der Vorsitzende durch den angefochtenen Beschluss die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Vergleichs gegeneinander aufgehoben.

Mit der sofortigen Beschwerde will die Klägerin eine Kostenquotelung von 1/10 zu 9/10 zu Lasten der Beklagten erreichen.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.

Über das Rechtsmittel entscheidet der Senat und nicht gemäß § 568 ZPO eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, weil die angefochtene Entscheidung, die der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen nach § 349 Abs. 2 Nr. 12 ZPO getroffen hat, keine von einem Einzelrichter (§§ 348, 348a ZPO) getroffene Entscheidung ist, was sich aus §§ 349 Abs. 4, 350 ZPO ergibt (OLG Karlsruhe MDR 2002, 778).

Die nach § 91a Abs. 2 S. 1 statthafte sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) ist zulässig.

Die Einigung der Parteien in dem gerichtlichen Vergleich vom 13.02.2002, über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Vergleichs solle das Gericht entscheiden, wobei auf eine Begründung verzichtet werde, ist kein zweifelsfreier Rechtsmittelverzicht. Nach der Neufassung des § 515 ZPO kann ein Rechtsmittelverzicht zwar auch schon vor Verkündung der gerichtlichen Entscheidung, und zwar einseitig wirksam erklärt werden (Musielak/Ball ZPO 3. Aufl. 2002 § 515 Rn. 1; anders noch zum alten Recht: OLG Hamm [9. Zivilsenat] NJW-RR 2000, 212). Entgegen der jedenfalls früheren Auffassung anderer Senate des OLG Hamm, ein Rechtsmittelverzicht liege bereits dann vor, wenn sich die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich über den prozessualen Anspruch einigen, dem Gericht die Kostenentscheidung übertragen und zugleich auf deren Begründung verzichten (OLG Hamm [22. Zivilsenat] MDR 1989, 919; OLG Hamm [20. Zivilsenat] NJW-RR 1993, 827; OLG Hamm [12. Zivilsenat] NJW-RR 1994, 1407) hält der erkennende Senat daran fest, dass ein Rechtsmittelverzicht unmissverständlich erklärt werden muss (OLG München JurBüro 1981, 892; OLG Köln KostRspr BRAGO § 9 Nr. 43, zumindest tendenziell auch: OLG Hamm [9. Zivilsenat] NJW-RR 2000, 212). Ein Begründungsverzicht ist deshalb nicht ohne weiteres ein Rechtsmittelverzicht. Bei dem Verzicht auf eine Begründung gehen die Parteien erkennbar davon aus, dass das Gericht eine für beide Seiten akzeptable Kostenentscheidung treffen wird. Diese Erklärung lässt sich nicht zwanglos dahin auslegen, dass die Parteien auch bereit sind, eine fehlerhafte Kostenentscheidung hinzunehmen (Schneider MDR 2001, 1010). Das Argument, ein Kostenbeschluss nach § 91a ZPO dürfe schließlich nur dann ohne Begründung bleiben, wenn er keinem Rechtsmittel unterliege, ist nur scheinbar zwingend, denn es setzt voraus, was zu beweisen ist.

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

Wenn die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, hat das Gericht gemäß § 91a Abs. 1 ZPO über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Diese Vorschrift und nicht § 98 ZPO, der mangels Vereinbarung der Parteien eine Aufhebung der Prozess- und Vergleichskosten vorsieht, ist für die Kostenentscheidung auch dann maßgeblich, wenn die Parteien in einem Vergleich eine Kostenvereinbarung dahingehend getroffen haben, dass sie die Entscheidung über die Kosten dem Gericht überlassen (MünchKomm/Belz ZPO 2. Aufl. 2000 § 98 Rn. 30; Musielak/Wolst a.a.O. § 98 Rn. 3).

Nach dem Maßstab des § 91a Abs. 1 ZPO trifft grundsätzlich die Partei insgesamt oder anteilig die Kostenlast, die ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses ganz oder teilweise unterlegen wäre. Bei dieser Prognoseentscheidung darf sich das Gericht aus prozessökonomischen Gründen zwar mit einer summarischen Prüfung begnügen, denn die Vorschrift will die Gerichte entlasten und das Verfahren vereinfachen (BVerfG NJW 1993, 1060). Schwierige Rechtsfragen können ungeklärt bleiben. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Parteien nach überwiegender Wahrscheinlichkeit genügt (BGH NJW-RR 2000, 482; Zöller/ Vollkommer ZPO 23. Aufl. 2002 § 91a Rn. 26a; Elzer NJW 2002, 2006, 2007). Es kann deshalb angemessen sein, die Kosten gegeneinander aufzuheben (Musielak/Wolst a.a.O. § 91a Rn. 23).

Das Gericht ist danach sowohl bei der Ermittlung der Rechtslage als auch bei der Bindung an diese freier gestellt als im Urteil (Zöller/Vollkommer a.a.O. Rn. 24). Es ist aber auch bei einer Entscheidung nach § 91a ZPO an die Grundsätze der allgemeinen Regeln des Kostenrechts gebunden. Daher hat nach billigem Ermessen derjenige die Kosten zu tragen, dem sie voraussichtlich bei Fortführung des Verfahrens nach §§ 91 - 97, 100 f. ZPO hätten auferlegt werden müssen (Musielak/Wolst a.a.O. m.w.N.).

Die angefochtene Entscheidung wird diesen Grundsätzen nicht gerecht.

Mit der Klage ist Zahlung von Miete i.H.v. 11.628,59 DM (5.945,60 EUR) verlangt worden. Außerdem hat sich die Klägerin sonstiger Ansprüche i.H.v. 1.474,65 DM (753,98 EUR) berühmt, insoweit aber keinen Zahlungsantrag gestellt. Der Streitwert für das Klageverfahren betrug mithin 5.945,60 EUR.

Die Mietforderungen sind nach Rechtshängigkeit i.H.v. 4.060,00 DM (2.075,85 EUR) anerkannt worden. Die darauf anteilig entfallenden Kosten gehen zu Lasten der Beklagten, denn die Voraussetzungen eines sofortigen Anerkenntnisses nach § 93 ZPO, bei dem ausnahmsweise dem Kläger die Kosten zur Last fallen, sind weder ausdrücklich geltend gemacht worden noch ersichtlich.

Hinsichtlich der restlichen Mietforderungen i.H.v. 7.568,59 DM = 3.869,75 EUR war im Streit, ob der von der Klägerin berechnete Tagessatz von 90,00 DM oder nur der von der Beklagten akzeptierte Tagessatz von 50,00 DM berechtigt war. Das hätte sich nach Lage der Akten ohne Beweisaufnahme durch Einholen eines Sachverständigengutachtens nicht ohne weiteres klären lassen. Es kann dahinstehen, ob eine von dem erstinstanzlichen Richter in der mündlichen Verhandlung geäußerte, der Klägerin günstigere Meinung, bei der Kostenentscheidung im Rahmen des § 91a ZPO zu beachten sein könnte. Der Beschluss oder der sonstige Akteninhalt bestätigt den entsprechenden Vortrag der Klägerin jedenfalls nicht. Es widersprach daher nicht billigem Ermessem, wenn für den auf die restlichen Mietforderungen entfallenden Teil eine Kostenaufhebung erfolgte. Für die Kostenquote des Rechtstreits hätte das Landgericht mithin rechnerisch von einem Obsiegen der Klägerin in Höhe von 2.075,85 EUR + 1/2 von 3.869,75 EUR = 4.010,73 EUR ausgehen können, das sind rund 67% des Streitwertes.

Soweit durch den Vergleich über den Klageantrag hinaus ausdrücklich auch die weiteren "in diesem Rechtsstreit berührten Forderungen der Klägerin" erfasst wurden, betrifft das die weiteren 1.474,65 DM = 753,98 EUR, deren sich die Klägerin berühmt hat. Das führt zu einem den Streitwert geringfügig übersteigenden Gegenstandswert des Vergleichs von insgesamt 5.945,60 EUR + 753,98 EUR = 6.699,58 EUR. Das Landgericht hat auch die insoweit angegebenen Positionen - wohl für den Fall, dass über sie hätte entschieden werden müssen - für nicht entscheidungsreif gehalten. Es besteht kein Anlass, dem nicht zu folgen. Auch insoweit war daher eine Kostenaufhebung angemessen. Für die Kostenquote des Vergleichs hätte das Landgericht demgemäß rechnerisch von einem Obsiegen der Klägerin in Höhe von 2.075,85 EUR + 1/2 von (3.869,75 EUR+ 753,98 EUR) = 4.387,40 EUR ausgehen können, das sind etwa 65% des Gegenstandwerts des Vergleichs.

Annähernd diese Quoten hätten mangels anderer Anhaltspunkte der Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs zu Grunde gelegt werden müssen.

Soweit der angefochtene Beschlusses darauf abstellt, eine Kostenaufhebung sei angesichts der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits mit der Folge der Vermeidung einer Beweisaufnahme und der dadurch entstehenden Kosten sachgerecht gewesen, trifft nur das zweite Merkmal zu. Hinsichtlich des ersten Merkmals wird nicht beachtet, dass der Gesichtspunkt einer gütlichen Einigung für eine einvernehmliche Kostenregelung die Parteien maßgeblich sein kann, dass er aber kein tauglicher Maßstab aber für das Gericht ist, das - wie dargestellt - an die Kriterien des § 91a ZPO gebunden ist.

Soweit sich schließlich aus dem Maß des gegenseitigen Nachgebens rechnerisch eine andere Quote ergibt, lässt sich daraus für die Kostenentscheidung nichts gewinnen. Es wäre unbillig, eine Partei nur deshalb mit Kosten zu belasten, weil sie in der Sache womöglich großzügig nachgegeben hat (OLG Oldenburg JurBüro 1993, 558; Musielak/Wolst a.a.O. § 91a Rn. 24).

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Ihre Quote beruht darauf, dass die Klägerin mit ihrer sofortige Beschwerde eine Reduzierung ihrer Kostenbelastung von 50% auf 10% erreichen wollte, aber nur eine auf 33% erreicht hat, folglich im Beschwerdeverfahren i.H.v. 23/40 = 58% unterlegen ist.