OLG Hamm, Beschluss vom 18.11.2002 - 2 Ss 768/02
Fundstelle
openJur 2011, 19849
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 32 a Ds 63 Js 321/02 (38/02)
Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde lie-genden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe

Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden.

Nach den getroffenen Feststellungen entnahm der Angeklagte am 29. Januar 2002 gegen 11.00 Uhr in den Geschäftsräumen der Firma S in C den Auslagen eine Tafel N-Schokolade zu einem Verkaufspreis von 0,50 EUR und verbarg diese in seiner Hosentasche, um sie sich rechtswidrig ohne Bezahlung zuzueignen. An der Kasse bezahlte er lediglich drei Dosen Bier und wurde hinter der Kassenzone angesprochen.

Ferner entnahm er am 20. Februar 2002 gegen 15.30 Uhr in der C Innenstadt von den Auslagen, die vor dem Geschäft "C-Club" präsentiert waren, drei CDs im Gesamtwert von 18,40 EUR und steckte sie in einen mitgeführten Rucksack, um sie sich ohne Bezahlung rechtswidrig zuzueignen. Anschließend wurde er von der Polizei überprüft.

Zur Person des Angeklagten, der seit 1990 - mit kurzen Unterbrechungen - arbeitslos ist und seinen Lebensunterhalt von Sozialhilfe bestreitet, hat das Amtsgericht im Übrigen festgestellt, dass er bislang erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. In welchem Umfang dies von 1984 bis 1993 geschehen ist, wird im Einzelnen nicht dargelegt. Zu den seit 1995 erfolgten Vorverurteilungen hat das Amtsgericht folgendes festgestellt:

1.

Am 8. Mai 1995 verurteilte ihn das Amtsgericht Dortmund wegen unerlaubten Betäubungsmittelerwerbs in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten.

Am 22. Februar 1996 verurteilte ihn das Amtsgericht Dortmund wegen Hehlerei, Diebstahls in fünf Fällen, Erschleichens von Leistungen sowie Hausfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung.

Mit Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 31. Oktober 1996 wurde aus diesen beiden Verurteilungen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten gebildet, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach Widerruf und Teilverbüßung ist derzeit noch ein Strafrest zur Bewährung bis Dezember 2004 ausgesetzt.

2.

Mit Urteil vom 31. Oktober 1996 verurteilte ihn das Amtsgericht Dortmund wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen.

3.

Durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 24. Juni 1998 wurde er wegen Diebstahls in 16 Fällen und wegen Nötigung in Tateinheit mit Führens einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, von der ein Strafrest bis November 2003 zur Bewährung ausgesetzt ist, verurteilt.

4.

Am 21. April 1999 verurteilte ihn das Amtsgericht Bochum wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zurückgestellt ist.

5.

Am 20. September 2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Bochum wegen Diebstahls sowie wegen Begünstigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten, deren Strafrest bis Oktober 2004 zur Bewährung ausgesetzt ist.

6.

Zuletzt wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 28. November 2001 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,- DM verurteilt.

Nähere Einzelheiten zu den begangenen Vortaten und zur Rechtskraft der Vorverurteilungen werden im angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt.

Der Tatrichter hat darüber hinaus Anhaltspunkte für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit aufgrund einer eventuellen Alkoholisierung oder der bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit nicht festgestellt, da weder Ausfallerscheinungen noch Erinnerungslücken des Angeklagten vorgelegen hätten.

Zur Strafzumessung hat er folgendes ausgeführt:

"Ausgehend vom Strafrahmen des § 242 StGB war zu Gunsten des Angeklagten neben anderen Umständen insbesondere seine voll umfänglich geständige Einlassung sowie seine Betäubungsmittel- und Alkoholabhängigkeit zu berücksichtigen. Ferner waren die geringen Schadenshöhen insbesondere bei der Entwendung der Tafel Schokolade zu berücksichtigen wie auch der Umstand, daß die entwendeten Waren wieder den Geschädigten zurückgeführt werden konnten.

Zu Lasten des Angeklagten mußten sich allerdings seine erheblichen Vorbelastungen auch im einschlägigen Bereich auswirken.

Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände kam nur die Verhängung von Freiheitsstrafe für beide Taten in Betracht. Bezüglich der Tat vom 29.01.2002 war auch unter Berücksichtigung des geringen Wertes von 0,50 Euro die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB zwingend notwendig. Der Angeklagte ist seiner Persönlichkeit nach als Serienstraftäter zu bezeichnen. Mildere Maßnahmen, insbesondere die Verhängung von Geldstrafen, haben ihn bislang nicht davon abhalten können, Vermögensdelikte zu begehen.

Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände war für die Tat vom 29.01.2002 - Diebstahl bei der Firma S - eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten sowie für den Diebstahl vom 20.02.2002

- C-Club - eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten als schuld-, tat- und sühnemindestangemessen zu verhängen.

Unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände war hieraus eine schuld-, tat- und sühneangemessene Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten zu bilden."

Gegen dieses Urteil richtet sich die wirksam auf die Überprüfung des Rechtsfolgen-

ausspruchs beschränkte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel hat in diesem Umfang - zumindest vorläufig - Erfolg, da die Ausführungen des Amtsgerichts rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten.

Allerdings ist die Strafzumessung allein Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann in der Regel nur dann eingreifen, wenn Erwägungen, mit denen der Tatrichter Straftaten und Strafmaß begründet hat, in sich rechtlich fehlerhaft sind oder wenn der Tatrichter einen der rechtlich anerkannten Strafzwecke überhaupt nicht in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hat. Auch die Bewertung der Strafzwecke dem Grade nach ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht ist ausnahmsweise aber dann zum Eingreifen berechtigt und verpflichtet, wenn die Strafe in einem groben Missverhältnis zum Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

Das aus diesem Grundsatz abgeleitete, aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot besitzt Verfassungsrang und setzt auch dem Strafanspruch des Staates im Einzelfall Grenzen.

Zwar ist anerkannt, dass der Tatbestand des Diebstahls geringwertiger Sachen, der seit der Änderung der Strafvorschrift durch Art. 19 Nr. 131 EGStGB im Jahr 1974 keinen eigenen Straftatbestand mehr bildet, sondern uneingeschränkt Anwendungsfall des § 242 StGB ist, der Verfassung entspricht (vgl. BVerfGE 50, 205 = NJW 1979, 1039). Demzufolge gibt das Gesetz dem Richter auch für die Ahndung von Diebstählen geringwertiger Sachen einen weiten Strafrahmen an die Hand, der Freiheitsstrafen bis zur Höchstgrenze des § 242 StGB einschließt.

Diebstähle geringwertiger Sachen brauchen auch nicht leicht zu wiegen, was dann der Fall sein kann, wenn der Täter ohne Not oder sonstige noch verständliche Beweggründe um geringfügiger Vorteile willen einen Einbruch begeht oder die Hilflosigkeit eines unbemittelten Opfers ausnutzt (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Entsprechendes kann auch dann gelten, wenn sich z.B. ein Täter bei häufigen Beutezügen in Ladengeschäften im Einzelfall der Wertgrenze für die Annahme eines geringen Schadens zwar annähert, aber sie regelmäßig nicht überschreitet und schon bei Tatbegehung dadurch dreist auf die Verhängung bloßer Geldstrafen spekuliert. Es kann daher auch nicht ein genereller Ausschluss der Verhängung von Freiheitsstrafe zugunsten einer Geldstrafe bei Ladendiebstählen angenommen werden. Hartnäckiges rechtsmissbräuchliches und gemeinschädliches Verhalten kann auch bei einer Häufung von Diebstählen geringwertiger Sachen vorliegen (vgl. zu allem auch zutreffend OLG Stuttgart NJW 2002, 3188).

Diese grundsätzlichen Erwägungen entheben den Tatrichter aber nicht der Pflicht, im konkreten Einzelfall unter Abwägung der maßgeblichen Strafzumessungsgesichtspunkte zu prüfen, ob die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen eines ausgesprochenen Bagatelldeliktes überhaupt noch einen gerechten Schuldausgleich darstellt und nicht gegen das Übermaßverbot verstößt.

Für den Diebstahl einer absolut geringwertigen Sache wie hier einer Tafel Schokolade im Wert von 50 Cent ist die Verhängung einer Freiheitsstrafe, deren Mindestmaß nach § 38 Abs. 2 StGB einen Monat beträgt, möglicherweise nicht mehr

vertretbar. Das Tatunrecht wiegt in solchen Fällen so gering, dass jedenfalls die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten eine unangemessen harte und damit gegen das Übermaßverbot verstoßende Sanktion darstellt. Das gilt selbst dann, wenn der Täter einschlägig vielfach vorbestraft ist, wie das OLG Stuttgart in der genannten Entscheidung betreffend den Diebstahl einer Milchschnitte im Wert von 26 Cent zutreffend festgestellt hat (vgl. auch OLG Braunschweig, NStZ RR 2002, 75, das für den Diebstahl einer Schachtel Zigaretten im Wert von 5 DM durch einen vielfach vorbestraften Täter eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten für zu hoch, eine solche von einem Monat aber für angemessen erachtet hat).

Wie im Fall des OLG Stuttgart gilt dies auch vorliegend erst recht bei Berücksich-

tigung der Besonderheiten in der Persönlichkeit des Angeklagten, der alkohol- und betäubungsmittelabhängig ist.

Wenn aber die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Raum steht, wird auch die Frage des Vorliegens erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB sorgfältig zu prüfen sein, ggfls. mit Hilfe eines Sachverständigen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil reichen hierzu jedenfalls nicht aus.

Die genannten Grundsätze gelten aber nicht nur für den Diebstahl der Tafel Schokolade in der speziellen Situation eines Selbstbedienungsgeschäftes, sondern auch bezüglich des Diebstahls der CDs im Wert von weniger als 20,- EUR, die vor einem Geschäft - offenbar in einer Verkaufsgondel - ausgelegt waren und damit für einen Menschen der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten besonderen Anreiz zum Diebstahl boten.

Unter den gegebenen Umständen bedarf es daher zur Rechtfertigung einer wie vom Tatrichter hier verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten weiterer Ausführungen, um ausschließen zu können, dass ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorliegt.

Da somit auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe keinen Bestand haben konnte, war es dem Senat verwehrt, zur Strafart und zur Strafhöhe in der Sache selbst zu entscheiden.

Das angefochtene Urteil war daher im Umfang der Anfechtung im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückzuverweisen.