OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.04.2002 - 2 A 2122/00
Fundstelle
openJur 2011, 19715
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 K 9808/94
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je einem Drittel. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin zu 1) wurde am 27. August 1947 in K. in Kasachstan geboren. Ihre Eltern sind die am 14. November 1927 in I. -A. auf der K. geborene deutsche Volkszugehörige L. P. , geb. J. , und der am 27. Februar 1923 in F. im Gebiet Saratow in der Russischen Föderation geborene deutsche Volkszugehörige E. P. . Die Eltern der Klägerin zu 1) reisten am 28. Dezember 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein und halten sich seitdem hier auf.

Die am 7. April 1980 geborene Klägerin zu 3) stammt aus der am 4. Dezember 1971 geschlossenen Ehe der Klägerin zu 1) mit dem Kläger zu 2).

Am 19. Dezember 1991 stellten die Kläger beim Bundesverwaltungsamt einen Antrag auf Aufnahme als Aussiedler. In dem Antragsformular ist für die Klägerin zu 1) als Volkszugehörigkeit und Muttersprache "Deutsche" und als ihre jetzige Umgangssprache in der Familie "Deutsch-Russisch " angegeben. Zur Frage der Beherrschung der deutschen Sprache ist erklärt, dass sie die deutsche Sprache verstehe, spreche und schreibe. In der Familie werde von den Großeltern/Großelternteil, von den Eltern/Elternteil sowie vom Antragsteller, seinem Ehegatten und seinen Kindern Deutsch gesprochen. Die Frage nach der Pflege des deutschen Volkstums wurde verneint. In den dem Aufnahmeantrag beigefügten Abschriften der Geburtsurkunden der Klägerin zu 3) vom 5. Mai 1980 und deren Bruders W. vom 21. März 1974 ist als Nationalität der Klägerin zu 1) "Deutsche" eingetragen. Auch im in Fotografie zu den Verwaltungsvorgängen gereichten Inlandspass der Klägerin zu 1) vom 28. April 1980 ist sie als "Deutsche" bezeichnet.

Der Kläger zu 2) stammt nach den Angaben im Aufnahmeantrag von dem 1911 geborenen und 1943 gestorbenen russischen Volkszugehörigen L. P. und der am 8. Mai 1901 geborenen und am 11. Mai 1971 gestorbenen deutschen Volkszugehörigen L. P. , geborene S. , ab. Für den Kläger zu 2) ist in dem Antragsformular als Volkszugehörigkeit "Russische" und als Muttersprache "Russisch" sowie als seine jetzige Umgangssprache in der Familie "Russisch- Deutsch" angegeben. Zur Frage der Beherrschung der deutschen Sprache ist erklärt, dass er die deutsche Sprache verstehe, spreche und schreibe. In der Familie werde von den Eltern/Elternteil sowie vom Ehegatten Deutsch gesprochen. Die Frage nach der Pflege des deutschen Volkstums wurde verneint. In den dem Aufnahmeantrag beigefügten Abschriften der Geburtsurkunden der Klägerin zu 3) vom 5. Mai 1980 und deren Bruders W. vom 21. März 1974 ist als Nationalität des Klägers zu 2) "Russe" eingetragen. Auch im in Fotografie zu den Verwaltungsvorgängen gereichten Inlandspass des Klägers zu 2) vom 5. Februar 1980 ist er als "Russe" bezeichnet. Als jetziger Beruf des Klägers zu 2) ist angegeben: "Chef im Isolator" und als Art seiner beruflichen Tätigkeit für die Zeit von 1967 bis 1991: "Vorgesetzter im Gefängnis". Auf Nachfrage des Bundesverwaltungsamtes reichten die Kläger am 5. Januar 1994 eine beglaubigte Übersetzung einer Bescheinigung des Leiters der Abteilung für das Personalwesen der Verwaltung vom 6. Dezember 1993 mit Angaben zu den Tätigkeiten des Klägers zu 2) zu den Verwaltungsvorgängen. Wegen des Inhaltes dieser Übersetzung wird auf Blatt 91 f der Beiakte Heft 1 Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 26. April 1994 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag der Kläger im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Kläger seien aufgrund der beruflichen Stellung des Klägers zu 2) als Oberst im Ministerium des Innern vom Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft ausgeschlossen.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 10. Mai 1994 Widerspruch ein und machten zur Begründung im Wesentlichen geltend: Der Kläger zu 2) habe nach Absolvierung der Abendschule und eines juristischen Fernstudiums als einfacher Wächter in einem Gefängnis begonnen und sei aufgrund guter Arbeitsergebnisse normal befördert worden. In dem Gefängnis habe es keine politischen Gefangenen gegeben. Privilegien habe er nicht genossen. Seine berufliche Position sei nicht an Ideologie gebunden gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 1994 wies das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 23. Dezember 1994 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben und zu deren Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Der Kläger zu 2) habe keine herausgehobene berufliche Stellung innegehabt. Er habe die Mittelschule im Jahre 1958 ohne Abschluss verlassen und eine Lehre als Dreher begonnen. Auf der Abendschule habe er im Jahre 1960 die Mittelschulreife erlangt. Danach habe er als Bergmann gearbeitet und nebenbei die Fernmilizschule besucht. Nach deren Abschluss im Jahre 1969 sei er im Rang eines Unterleutnants als Kontrolleur in der Untersuchungshaftanstalt S. beschäftigt gewesen. Gleichzeitig habe er ein juristisches Fernstudium begonnen. Im Jahre 1970 sei er zum Leutnant, im Jahre 1973 zum Oberleutnant befördert worden. Ab 1974 habe er als Helfer des Dienst habenden Behördenleiters gearbeitet. Nach dem Abschluss des Fernstudiums im Jahre 1975 habe er ab 1976 die Untersuchungshaftanstalt in der Stadt K. im Gebiet S. geleitet. Im Jahre 1980 sei er zum Major und 1987 zum Oberstleutnant befördert worden. 1986 sei er Leiter der Untersuchungshaftanstalt für normale Kriminelle in S. geworden. Es habe sich um eine Haftanstalt mit 7.500 Häftlingen gehandelt. Dem Kläger zu 2) hätten 450 Mitarbeiter unterstanden. Im Jahre 1991 sei er zum Oberst befördert worden. Begünstigungen für den Kläger zu 2) sowie Fremdbegünstigungen für die Klägerin zu 1) habe es nicht gegeben.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 26. April 1994 und des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 1994 zu verpflichten, ihnen einen Aufnahmebescheid zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der berufliche Werdegang des Klägers zu 2), der laut Arbeitsbuch sogar zum Dienstrang eines Oberst geführt habe, habe nur durch eine besondere Bindung an das totalitäre System des Herkunftslandes erreicht werden können. Die Klägerinnen zu 1) und 3) seien durch die herausgehobene berufliche Stellung des Klägers zu 2) begünstigt worden. Dies folge aus den Angaben bei der Anhörung, die Familie habe nur zur halben Miete gewohnt, zwei Dienstwagen hätten auch zur freien Nutzung zur Verfügung gestanden und die Familie habe jährlich kostenlos an den besten Ferienplätzen Urlaub machen bzw. an Jagdgesellschaften teilnehmen können.

Mit Schriftsatz vom 8. September 1999 hat die Beklagte ein Protokoll über die Anhörung der Kläger zu 1) und 2) in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Moskau vom 31. Mai 1999 zu den Gerichtsakten gereicht. Wegen des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf den Inhalt des Protokolls (Beiakte Heft 2) Bezug genommen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, abgewiesen.

Zur Begründung der vom Senat durch Beschluss vom 9. November 2001 zugelassenen Berufung führen die Kläger ergänzend aus: Die Tatsache, dass der Kläger zu 2) als langjährig mit einer "Deutschen" Verheirateter seine berufliche Stellung auch nach dem Untergang des kommunistischen Herrschaftssystems habe beibehalten können, spreche dagegen, dass es sich bei dieser beruflichen Position um eine Machtposition des kommunistischen Herrschaftsapparates gehandelt habe. Letztlich hätten die Klägerinnen zu 1) und 3) einen Anspruch auf Einbeziehung in den Aufnahmebescheid des Vaters der Klägerin zu 1).

Mit Schriftsatz vom 12. März 2002 haben die Kläger eine beglaubigte Kopie nebst Übersetzung des Arbeitsbuches des Klägers zu 2) zu den Gerichtsakten gereicht. Wegen des Inhaltes des Arbeitsbuches im Einzelnen wird auf Blatt 156 bis 170 der Gerichtsakte verwiesen. Gleichzeitig hat der Kläger zu 2) eine "Autobiographie/Lebenslauf" vom 18. Februar 2002 überreicht. Wegen dessen Einzelheiten wird auf den Inhalt von Blatt 171 bis 175 Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Kläger eine Abschrift des Beschäftigungsnachweises des Klägers zu 2) mit Angaben über Auszeichnungen und Prämien zu den Gerichtsakten gereicht. Wegen der Angaben im Einzelnen wird auf den Inhalt von Blatt 243 ff der Gerichtsakten Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 26. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 1994 zu verpflichten, ihnen einen Aufnahmebescheid zu erteilen,

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Sie gehe weiterhin davon aus, dass der Kläger zu 2) den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b) BVFG erfülle. Ausweislich seines Arbeitsbuches sei er seit 1967 im Dienst der Innenverwaltung des Gebietsexekutivkomitees S. im Bereich der Angelegenheiten des Strafvollzuges und der sozialen Rehabilitation tätig gewesen. Aus den Angaben der Kläger ergebe sich, dass der Kläger zu 2) eine berufliche Funktion ausgeübt habe, die in einer Einrichtung der inneren staatlichen Verwaltung auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene angesiedelt gewesen sei. Nach seinen eigenen Angaben sei die Mitgliedschaft in der KPdSU unabdingbare Voraussetzung für das Erreichen dieser Position gewesen. Deshalb könne davon ausgegangen werden, dass diese Position im Regelfall mit Parteimitgliedern besetzt worden sei. Als Führungsfunktion in einem bewaffneten Staatsorgan habe sie einer Gruppe von Tätigkeiten angehört, die es zwar auch in freiheitlichdemokratischen Systemen gebe, die aber für eine kommunistische Diktatur in dem Sinne systemunterstützend seien, dass die Herrschenden sich dieser Funktionsträger zur Herrschaftsausübung bedienten und diese daher auch unter ihre besondere Kontrolle stellen müssten.

Der Kläger zu 2) ist in der mündlichen Verhandlung vom Senat zu Einzelheiten seiner beruflichen Tätigkeit gehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Inhalt der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2002 (Bl. 235 ff der Gerichtsakten) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Aufnahmebescheides.

Als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin zu 1) geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides kommen die §§ 26 und 27 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993, BGBl I S. 829, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG) vom 30. August 2001, BGBl I S. 2266, in Betracht. Für die Beurteilung der Ansprüche ist insgesamt das nunmehr geltende Recht maßgebend. Denn nach der hier für eine Anwendung des bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Rechts gemäß § 100 Abs. 1 BVFG allein in Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG kann Aussiedler nur (noch) sein, wer das Aussiedlungsgebiet vor dem 1. Januar 1993 verlassen hat. Die Kläger leben jedoch heute noch in der Russischen Föderation.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Verlassen dieser Gebiete die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Spätaussiedler aus dem hier in Rede stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion ist nach § 4 Abs. 1 BVFG, wer deutscher Volkszugehöriger ist und bestimmte - hier unstreitig gegebene - Stichtagsvoraussetzungen erfüllt. Da die Klägerin zu 1) nach dem 31. Dezember 1923 geboren ist, ist sie nach § 6 Abs. 2 BVFG deutsche Volkszugehörige, wenn sie von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG). Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG). Diese ist nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann (§ 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG).

Die Klägerin zu 1) erfüllt die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BVFG. Da sie unstreitig von den deutschen Volkszugehörigen E. und L. P. abstammt, gehörte sie nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität und war dementsprechend in ihrem Inlandspass mit deutscher Nationalität eingetragen. Der Bewertung des Sprachtesters der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Moskau bei der Anhörung der Klägerin zu 1) am 31. Mai 1999, sie spreche "mit vollständigem Wortschatz problemlos zu jedem Thema deutsch" und der "zumindest grundlegende Erwerb der dt. Sprache in der Familie ist jedoch deutlich hörbar (Dialekt)", ist aus dem Inhalt des Protokolls der Anhörung nachvollziehbar und wird weder von der Beklagten noch vom Beigeladenen angegriffen.

Dem Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft durch die Klägerin zu 1) steht jedoch § 5 Nr. 2 c) BVFG in der - durch das Gesetz zur Sanierung des Bundeshaushalts (Haushaltssanierungsgesetz -HSanG-) vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2534 geänderten - ab 1. Januar 2000 geltenden Fassung entgegen. Diese Vorschrift gilt mangels Überleitungsvorschriften auch für noch nicht abgeschlossene Aufnahmeverfahren.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 -, DVBl. 2001, 1156.

Nach § 5 Nr. 2 c) BVFG erwirbt die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder Abs. 2 BVFG nicht, wer für mindestens drei Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat mit dem Inhaber einer Funktion im Sinne von Nummer 2 b), das heißt einer Funktion, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der Umstände des Einzelfalls war (§ 5 Nr. 2 b) BVFG). Dies ist hier der Fall, da der Kläger zu 2) eine solche Funktion zumindest von 1986 bis zum Ende des kommunistischen Systems am 7.2.1990 innegehabt hat.

§ 5 Nr. 2 c) BVFG knüpft wie Nr. 2 b) der Bestimmung an das fehlende Kriegsfolgenschicksal an,

vgl. auch die Begründung zu Art. 9 des Entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Sanierung des Bundeshaushaltes, BT-Drucksachen 14/1523, S. 172, und 14/1636, S. 175 f.,

und geht davon aus, dass das für deutsche Volkszugehörige sonst (möglicherweise) bestehende Kriegsfolgenschicksal nicht mehr fortbestand, wenn der deutsche Volkszugehörige im Aussiedlungsgebiet für die Zeit von mindestens drei Jahren in häuslicher Gemeinschaft mit dem Träger einer Funktion zusammengelebt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt. Denn damit genoss auch er den Schutz des Systems, der auch den Funktionsinhaber selbst im Falle einer deutschen Volkszugehörigkeit vom Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft ausschloss, wie in der Rechtsprechung zu § 5 Nr. 2 b) BVFG geklärt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 -, DVBl. 2001, 1156.

Nach dieser Rechtsprechung ist ferner davon auszugehen, dass die Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2 b) BVFG nicht an dem Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen wirtschaftlichen Privilegierung in der Gesellschaft des Herkunftslandes festzumachen ist. Das Gesetz billigt auch dem deutschen Volkszugehörigen zu, nach seinen Kräften und Fähigkeiten auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in der früheren Sowjetunion. Deshalb können grundsätzlich alle diejenigen Funktionen, die auch in anderen, nichtkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam geltend angesehen werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 15.00 -, DVBl. 2001, 1526.

Dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich der erkennende Senat aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung grundsätzlich angeschlossen.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 15. November 2001 - 2 A 3532/00 -.

Daraus folgt, dass es in Bezug auf die Frage, ob der Kläger zu 2) eine Funktion im Sinne des Ausschlusstatbestandes des § 5 Nr. 2 b) BVFG innegehabt hat, nicht maßgeblich ist, dass der Kläger zu 2) Bediensteter der sowjetischen Verwaltung gewesen ist.

Unerheblich ist auch, dass er 1987 den Rang eines Oberstleutnants erreicht hat. Denn soweit in der Begründung zu Art. 9 des Entwurfs des Haushaltssanierungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 bestimmte Beispiele genannt sind, bei denen generell eine bedeutsame Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2 b) BVFG vorliegen soll,

BT-Drs. 14/1636, S. 175 f,

sind diese Erwägungen nicht maßgeblich, weil sie im Wortlaut des Gesetzes keinen hinreichenden Niederschlag gefunden haben.

Nach der genannten Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass eine Funktion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems gewöhnlich als bedeutsam galt, wenn es sich um eine Parteifunktion mit der Aufgabe handelte, den Willen der Partei in staatlichen, wirtschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen durchzusetzen. Funktionen in staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen, die auch in anderen nichtkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, sind dagegen dann für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems gewöhnlich bedeutsam, wenn sie von der Partei gelenkt ausgeübt wurden oder in einer Weise ausgeübt wurden, wie es bei vergleichbaren Einrichtungen in nichtkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen nicht der Fall ist, wie z. B. politische Strafverfolgung bzw. Vollzug entsprechender Verurteilungen und bestimmte oberste Leitungsfunktionen in Behörden.

Danach muss zumindest die vom Kläger zu 2) in der Zeit von 1986 bis Anfang 1990 konkret ausgeübte Funktion als Leiter der drittgrößten Untersuchungshaftanstalt (in der ehemaligen Sowjetunion und noch heute wird nach der Erklärung des Klägers zu 2) in der mündlichen Verhandlung für derartige Anstalten der Begriff Isolator verwandt) der Sowjetunion mit bis zu 9000 Insassen als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems gewöhnlich als bedeutsam angesehen werden. Denn diese Einrichtung ist zum einen allein durch den Kläger zu 2) als Leiter und zum anderen auch allgemein hinsichtlich der dort von ihm ausgeübten Tätigkeit in einer Weise geführt worden, wie es bei vergleichbaren Einrichtungen in nichtkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen nicht der Fall ist.

Es spricht schon einiges dafür, jede Funktion als Leiter einer Behörde von der Größe und Bedeutung wie die vom Kläger zu 2) geführte als gewöhnlich bedeutsam für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems im Sinne des § 5 Nr. 2 b) BVFG anzusehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. April 2001 - 5 C 19.00 -, DVBl 2001, 1527.

Denn es handelte sich mit einer Belegzahl bis zu 9000 Häftlingen um die drittgrößte Untersuchungshaftanstalt der ehemaligen Sowjetunion, in der nach der Erklärung des Klägers zu 2) jedenfalls seit 1986 nach Schließung der dem KGB unterstellten Isolatoren sämtliche Untersuchungshäftlinge dieses örtlichen Bereichs einsaßen.

Das mag jedoch offen bleiben. Denn jedenfalls gilt dies für eine Behörde dieser Größe und dieses Aufgabenbereichs, in der Einzelleitung bestand. Da dort dem Leiter kein Politoffizier zur Seite gestellt war, dessen Anweisungen er letztlich Folge zu leisten hatte, sondern der Leiter als letztverantwortlich allein entschied und damit auch für die Einhaltung der politischen Vorgaben verantwortlich war.

Im Übrigen ist die Bedeutsamkeit für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems auch aus Einzeltätigkeiten zu entnehmen, die vom Kläger zu 2) wahrgenommen wurden.

Dies gilt zunächst für die Behandlung der bereits verurteilten Straftäter, die auch in der vom Kläger zu 2) geführten Anstalt in S. einsaßen. Nachdem der Kläger zu 2) zunächst auf ausdrückliche Frage erklärt hatte, in der Anstalt hätten sich nur Untersuchungshäftlinge befunden, deren Behandlung im Einzelnen geschildert hatte und auch auf die Frage, weshalb er dann 1989 eine Prämie für die Festnahme eines Verbrechers erhalten habe, erklärt hatte, dabei handele es sich um eine inkorrekte Bezeichnung, es habe sich um einen Untersuchungshäftling gehandelt, hat er erst auf die Frage nach der Auszeichnung Nr. 25 (Würdigung der rechtzeitigen Gemüseeinbringung) eingeräumt, dass in der Anstalt auch verurteilte Straftäter ihre Strafe verbüßten.

In diesem Bereich des Strafvollzuges galt jedoch das so genannte Besserungsarbeitsrecht, das die Besserung und Umerziehung des Gefangenen zum Ziel hatte. Danach musste jeder Verurteilte auch politische Erziehung erhalten. Maßnahmen zur politischen Erziehung waren auch Propagandaarbeit und die Erläuterung der sowjetischen Gesetzgebung. Im Rahmen dieser Erziehungsarbeit war als Thema auch die Geschichte der kommunistischen Partei zu behandeln. Die Haltung, die die Gefangenen in und gegenüber diesem Unterricht zeigten, konnte von der Verwaltung für die Beurteilung des Ausmaßes ihrer Besserung und Umerziehung verwendet werden.

Vgl. amnesty international, Politische Gefangene in der UdSSR. Ihre Behandlung und ihre Haftbedingungen, Fischer Taschenbuch 1980, S.198 und 214 f..

Letzteres spielte bei der Frage der vorzeitigen Entlassung eines Strafgefangenen eine besondere Rolle.

Dass auch in der vom Kläger zu 2) geleiteten Haftanstalt Erziehungsarbeit geleistet wurde, hat er in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung nach anfänglichem Bestreiten später ausdrücklich bestätigt. Dort hat er auch angegeben, dass die Zuständigkeit für diese Arbeit nicht bei einem Parteifunktionär, sondern bei einem seiner Stellvertreter lag, weil in der von ihm geleiteten Anstalt "Einzelleitung bestand". Daraus folgt, dass der Kläger zu 2) als Leiter der Vollzugsanstalt letztlich die Verantwortung auch für die politische Arbeit in seinem Hause trug. Hinzu kommt, dass er danach entsprechend seinen Angaben auch für den Antrag auf vorzeitige Haftentlassung an das darüber entscheidende Gericht allein zuständig war.

Der Vollzug der Haft der Strafgefangenen war hinsichtlich der gesamten Tätigkeit des Klägers zu 2) auch von erheblichem Gewicht. Nach seinen Angaben durfte nach dem Gesetz der Anteil der verurteilten Gefangenen bis zu 3% der Insassen betragen. Das waren bei einer Gesamtzahl von 8000 bis 9000 Insassen immerhin bis zu 270 Gefangene.

Unter Berücksichtigung dieser Merkmale der beruflichen Tätigkeit des Klägers zu 2) ist die von ihm ausgeübte Funktion als Leiter einer Untersuchungshaftanstalt nach der Überzeugung des Senates als bedeutsam für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems zu beurteilen. Denn danach hatte der Kläger zu 2) in dieser Funktion auch die Aufgabe darauf hinzuwirken, dass in der Anstalt die Straftäter politisch im Sinne dieses Systems erzogen bzw. umerzogen wurden, um sie im Sinne der Vorgaben der kommunistischen Partei für die Wiedereingliederung in die kommunistische Gesellschaftsordnung nach der Haftentlassung vorzubereiten. Mit diesem Ziel diente die vom Kläger zu 2) ausgeübte Funktion auch der Stärkung und damit der Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems.

Darüber hinaus war in der ehemaligen Sowjetunion in bestimmten Fällen die Verurteilung auf der Grundlage von auch aus anderen Rechtsordnungen bekannten Straftatbeständen letztlich politisch motiviert, um dem kommunistischen Herrschaftssystem politisch missliebige Personen zu bessern oder umzuerziehen. Die solchermaßen etwa wegen Rowdytums oder Verleumdung verurteilten Straftäter,

vgl. amnesty international, Politische Gefangene in der UdSSR. Ihre Behandlung und ihre Haftbedingungen, Fischer Taschenbuch 1980, S. 88 ff.; amnesty international, Jahresbericht 1990, S. 486,

wurden im Gegensatz zu den Straftätern, die zu den vom Kläger zu 2) bei seiner Anhörung angesprochenen "politischen Verbrechen gegen den Staat, Kriegspropaganda oder Staatsverrat" verurteilt wurden, in den dem Innenministerium unterstellten Haftanstalten und nicht in den Einrichtungen des Geheimdienstes untergebracht. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Kläger zu 2) auch aus politisch Motiven Verurteilte zu beaufsichtigen hatte. Nach der Überzeugung des Senates diente auch diese Funktion der Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems und galt hierfür als bedeutsam.

Die Klägerin zu 1) hat auch vor dem Ende des kommunistischen Herrschaftssystems am 7. Februar 1990,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. November 1998 - 2 A 6235/95 -,

mindestens drei Jahre in der Zeit mit dem Kläger zu 2) in häuslicher Gemeinschaft gelebt, in der dieser die oben beschriebene Funktion des Leiters der Untersuchungshaftanstalt in S. ausgeübt hat. Denn die Klägerin zu 1) ist seit dem 4. Dezember 1971 mit dem Kläger zu 2) verheiratet und der Kläger zu 2) war von 1986 bis über den 7. Februar 1990 hinaus in S. Leiter der dortigen Anstalt.

Kann der Klägerin zu 1) danach kein Aufnahmebescheid erteilt werden, fehlt auch die Rechtsgrundlage für den von den Klägern zu 2) und 3) geltend gemachten Anspruch auf Einbeziehung in diesen Aufnahmebescheid nach den §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG.

Eine Einbeziehung der Klägerinnen zu 1) und 3) in den dem Vater der Klägerin zu 1) erteilten Aufnahmebescheid kommt ebenfalls nicht in Betracht. Dieser ist bereits am 28. Dezember 1992 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und damit Aussiedler und nicht Spätaussiedler geworden ist. Die Möglichkeit der Einbeziehung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG ist jedoch erst zum 1. Januar 1993 durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl I S. 2094, in das Bundesvertriebenengesetz aufgenommen worden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. April 1999 - 5 B 41.99 -.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 und 162 Abs. 3 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da dieser einen Sachantrag nicht gestellt und sich damit dem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.