OLG Hamm, Urteil vom 08.01.2002 - 1 UF 180/01
Fundstelle
openJur 2011, 19184
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 10 F 245/01
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 4.7.2001 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Minden abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist begründet; sie führt zur Abweisung der Klage.

Die zugunsten der Beklagten am 22.6.1999 errichteten Unterhaltstitel sind nicht zugunsten des Klägers abzuändern.

I.

Der Kläger hat sich mit Urkunden vom 22.6.1999 - Registernummern #/1999 und #/1999 - vor dem Jugendamt der Stadt N verpflichtet, für die Beklagten monatlichen Unterhalt in Höhe von 306 DM und 230 DM, insgesamt also 536 DM, zu zahlen.

Die Abänderung dieser Unterhaltstitel kommt zugunsten des Klägers nur nach Maßgabe der aus § 242 BGB entwickelten Grundsätze über die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht. Hiernach ist eine Abänderung dann geboten, wenn es einer Partei nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann, an der bisherigen Regelung festgehalten zu werden. Hiervon kann zugunsten des Klägers nicht ausgegangen werden.

II.

Da mit den erwähnten Urkunden nur eine Zahlungsverpflichtung des Klägers tituliert worden ist, nach der der Kläger Beträge zu zahlen hat, die - insbesondere unter Berücksichtigung der ab dem 1.1.2001 veränderten Regelung zur Anrechnung des Kindergeldanteils gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB - nicht einmal den Mindestunterhalt der Beklagten abdecken, kommt die begehrte Abänderung der Titel von vornherein nur in Betracht, wenn der Kläger unter Wahrung seines notwendigen Selbstbehalts nicht in der Lage ist, Zahlungen entsprechend seiner titulierten Verpflichtung zu leisten. Dies kann auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu den mit seiner Erkrankung verbundenen finanziellen Einbußen nicht angenommen werden.

1.

a)

Der Kläger hat seit dem 1.1.2001 ein Krankengeld in Höhe von rund 1970 DM im Monat bezogen. Ab dem 29.7.2001 erhält er Arbeitslosengeld von wöchentlich 408,80 DM, also monatlich rund 1771 DM.

b)

Dieses Einkommen ist zu bereinigen wegen der Belastung des Klägers aufgrund der Aufnahme eines Kredits, zu dessen Abzahlung der Kläger zur Zeit monatlich 502 DM aufbringt. Dabei ist jedoch allenfalls ein Betrag von monatlich 200 DM zugunsten des Klägers und zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen.

(1)

Ob im Rahmen der Prüfung der Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsschuldners eine Schuld ganz oder teilweise oder gar nicht zu berücksichtigen ist, kann nur im Rahmen einer tatrichterlichen umfassenden Interessenabwägung aller konkreten Umstände nach billigem Ermessen beurteilt werden (Wendl/Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Auflage, § 1 Rdn 541). Dabei ist allerdings zu beachten, dass minderjährige Kinder auch bei einer erheblichen Verschuldung des Unterhaltspflichtigen auf jeden Fall den Regelbetrag nach der Regelbetrag-Verordnung erhalten. Dabei fällt entscheidend ins Gewicht, dass bei minderjährigen Kindern zumindest bis zum Ende der Schulpflicht von vornherein jede Möglichkeit ausscheidet, durch eigene Anstrengungen zur Deckung des notwendigen Unterhalts beizutragen, so dass sie besonders schutzwürdig sind. Außerdem haben Kinder im Gegensatz etwa zu Ehegatten auf die Entstehung der Schulden selbst keinen Einfluss. Die nach Billigkeitsgrundsätzen vorzunehmende Abwägung der berechtigten Interessen des Verpflichteten und der minderjährigen Kinder wird daher regelmäßig zu keiner Berücksichtigung von Schulden führen, durch die der Regelbetrag (also der Mindestunterhalt in dem weiter oben angesprochenen Sinne) nicht mehr erreicht wird (vgl. Wendl-Gerhardt, aaO., § 1 Rdn 552 a). Dieser Grundsatz unterliegt nur insoweit einer Einschränkung, als der Verpflichtete nicht einer durch Zinsen weiter anwachsenden Verschuldung ausgesetzt werden soll (Wendl/Gerhardt, aaO.). Hiernach werden Zahlungen zur Begleichung der Darlehenszinsen regelmäßig berücksichtigungsfähig sein können, während der Unterhaltsverpflichtete die Zahlung des Mindestunterhalts in Höhe des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung regelmäßig nicht unter Hinweis auf Aufwendungen zur Tilgung eines Kredits verweigern kann.

(2)

Unter diesen Voraussetzungen hält der Senat allenfalls einen Betrag von 200 DM monatlich für berücksichtigungsfähig. Nach den vorgelegten Unterlagen war am 1.3.2001 noch ein Restbetrag von 16.118 DM zurückzuzahlen, wobei der Kläger Zinsen in Höhe von 10,08 % zu zahlen hatte. Demnach wären monatlich Zinsen von rund 135 DM zu zahlen gewesen. Auch wenn man in Erwägung zieht, dass dem Kläger möglicherweise höhere Zinsen in Rechnung zu stellen wären, wenn er Zahlungen nicht mehr in der kreditvertraglich vereinbarten Höhe - also auf die Zinsen und zur Tilgung - leistete, kommt der Ansatz eines höheren Betrages als 200 DM monatlich zu Gunsten des Klägers nicht in Betracht. Dabei ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass der gemäß § 1603 Abs. 2 BGB verschärft unterhaltspflichtige Kläger in keiner Weise dargelegt hat, dass er sich unter Hinweis auf seine verminderten Einkünfte um eine Streckung des Kredits bemüht hat oder dass eine derartige Streckung von vornherein gar nicht möglich gewesen wäre. Mit Zahlungen in Höhe von monatlich rund 200 DM hätte der Kläger - eine gleichbleibende effektive Verzinsung vorausgesetzt - den Kredit innerhalb eines Zeitraums von rund 11 Jahren abtragen können.

2.

Eine weitere Bereinigung des Einkommens des Klägers kommt nicht in Betracht.

a)

Zahlungen aufgrund abgeschlossener Bausparverträge sind nicht berücksichtigungsfähig. Der Kläger hat insoweit Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der zu seinen Gunsten bestehende Saldo auf einem der beiden Bausparkonten den Minussaldo auf dem anderen Konto um mehr als 1000 DM übersteigt. Dass dem Kläger - eventuell unter einem allerdings hinnehmbaren Verlust gewisser finanzieller Vorteile - ein Ausgleich nicht möglich wäre, ist nicht dargelegt, so dass Zahlungen des Klägers in diesem Zusammenhang insgesamt keine Berücksichtigung finden können.

b)

Ebensowenig ist das Einkommen des Klägers wegen der Zahlungen auf zugunsten der Beklagten abgeschlossener Versicherungsverträge zu bereinigen. Dem steht schon entgegen, dass zuerst der Mindestunterhalt der Beklagten abgesichert werden muss. Infolgedessen kann der Kläger sich nicht nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage darauf berufen, dass ihm die Zahlung des Mindestunterhalts nicht zuzumuten sei, weil er Zahlungen auf nicht notwendige Versicherungsverträge zugunsten der Beklagten zu leisten habe. Dass er die Zahlungen auf die Versicherungsverträge nicht jederzeit einstellen kann, hat auch der Kläger nicht vorgetragen.

3.

Nach allem ist von einem bereinigten Nettoeinkommen des Klägers für die Zeit bis zum 29.7.2001 von monatlich 1770 DM und ab dem 29.7.2001 von monatlich 1571 DM auszugehen.

Aus diesem Einkommen kann der Kläger den titulierten Unterhalt von monatlich insgesamt 536 DM zahlen, ohne dass sein notwendiger Selbstbehalt beeinträchtigt wäre.

a)

Der Senat verkennt dabei nicht, dass der notwendige Selbstbehalt für einen nicht erwerbstätigen Unterhaltsschuldner für die Zeit bis einschließlich zum 30.6.2001 1.300 DM und ab dem 1.7.2001 1.425 DM betragen hat oder beträgt.

Der Kläger lebt aber - wie er im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat - mit seiner Lebensgefährtin, Frau T, zusammen. Das Zusammenleben in einer häuslichen Gemeinschaft kann unter dem Gesichtspunkt ersparter Wohn- und Haushaltskosten nach den Umständen des Einzelfalles die Leistungsfähigkeit steigern (vgl. Hammer Leitlinien Ziffer 14 (2)). Hiervon ist auch im Streitfall auszugehen. Der Kläger hat im Senatstermin erklärt, die Mietkosten würden insgesamt von dem Konto seiner Lebensgefährtin abgebucht. Er leiste dafür einen den hälftigen Mietkosten entsprechenden Beitrag zur Deckung der laufenden Lebenshaltungskosten. Es liegt nahe, dass damit das Zusammenleben des Klägers mit seiner Lebensgefährtin so ausgestaltet ist, dass der Kläger letztlich keine Mietkosten zu tragen hat, weil sich seine Zahlungen nur auf die laufenden Lebenshaltungskosten beschränken, die der Kläger ohnehin anteilig zu tragen hätte.

Jedenfalls erspart der Kläger aber schon wegen des Beitrags seiner Lebensgefährtin zu den Mietkosten Aufwendungen in nicht unerheblicher Höhe. Bedenkt man, dass in dem Selbstbehalt von 1300 DM bis 650 DM und in dem Selbstbehalt von 1425 DM bis 700 DM für Unterkunft einschließlich umlagefähiger Nebenkosten und Heizung enthalten sind, rechtfertigt sich bereits unter diesem Gesichtspunkt eine deutliche Herabsetzung des notwendigen Selbstbehalts. Zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass im Regelfall mit dem Zusammenleben in einer häuslichen Gemeinschaft auch im übrigen Ersparnisse im Hinblick auf die allgemeinen Haushaltskosten verbunden sind.

Der Senat geht deshalb unter Würdigung der dargelegten Umstände davon aus, dass der Kläger aufgrund des Zusammenlebens mit Frau T mindestens Wohn- und Haushaltskosten in Höhe von monatlich 390 DM erspart.

b)

Unter Berücksichtigung dieser Ersparnis ist der notwendige Selbstbehalt des Klägers nicht beeinträchtigt, selbst wenn der Kläger weiterhin Zahlungen an die Beklagten entsprechend den unter dem 22.6.1999 titulierten Beträgen zu leisten hat (1970 DM - 200 DM - 536 DM + 390 DM = 1624 DM bzw. ab dem 29.7.2001 1771 DM - 200 DM - 536 DM + 390 DM = 1425 DM) .

c)

Dabei hat der Senat - zu Gunsten des Klägers - für die Zeit ab dem 29.7.2001 bislang nicht einmal berücksichtigt, dass dem Kläger die Ausübung einer Nebentätigkeit - mit der er ohne Anrechnung auf das ihm ausgezahlte Arbeitslosengeld noch einen Betrag von mindestens 318 DM (§ 141 SGB III) hinzuverdienen könnte - nach der Erklärung des in erster Instanz beauftragten Sachverständigen durchaus zumutbar ist. Soweit der Kläger insoweit auf gewisse Vorbehalte seines Arbeitgebers verweist, ist bislang nicht dargetan, dass der Kläger sich hinreichend - insbesondere unter Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigen zu der medizinischen Unbedenklichkeit einer solchen geringfügigen Nebentätigkeit - um die Ausräumung dieser Bedenken bemüht hätte.

4.

Die obigen Ausführungen werden durch die von dem Klägervertreter im Senatstermin erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.8.2001 (FamRZ 2001, 1685) nicht in Frage gestellt. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung nicht etwa die Berücksichtigung ersparter Wohn- und Haushaltskosten bei der Bemessung des notwendigen Selbstbehalts als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.