OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.09.2002 - 19 B 1597/02
Fundstelle
openJur 2011, 18901
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 L 1627/02
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, auf die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragsteller,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Sohn N. der Antragsteller zum Schuljahr 2002/2003 vorläufig in die Klasse 5 der E. - I. -Realschule aufzunehmen,

im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt hat.

Eine - wie hier - vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn glaubhaft gemacht ist (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO), dass den Antragstellern ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können, und wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren überwiegend wahrscheinlich ist.

Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 5. April 2002 - 19 B 460/02 -, 18. Dezember 2000 - 19 B 1306/00 - und 20. September 2000 - 19 B 1296/00 -, jeweils m. w. N.

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Zugang zum öffentlichen Bildungswesen erforderlich ist, um schlechthin unzumutbare Nachteile abzuwenden. Das Recht des Sohnes N. der Antragsteller als Schüler auf Erziehung und Bildung (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV NRW, Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 GG) und das Recht der Antragsteller als Eltern, die Erziehung und Bildung ihres Kindes zu bestimmen (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), umfassen das Recht auf Zugang zum öffentlichen Bildungswesen unter zumutbaren Bedingungen und ferner das Recht, den einzuschlagenden schulischen Bildungsweg und damit auch die Schulform frei zu wählen. Dieses verfassungsrechtlich gewährleistete Recht beinhaltet lediglich die freie Wahl der Schulform, also des entsprechenden Bildungsganges und des entsprechenden Ausbildungsziels, grundsätzlich aber nicht die freie Wahl einer bestimmten Schule innerhalb derselben Schulform. Erst wenn der Besuch einer anderen Schule der von den Eltern des Schülers gewählten Schulform unter zumutbaren Bedingungen nicht möglich ist und deshalb durch Nichtaufnahme auf die gewünschte Schule die verfassungsrechtliche Garantie der Schulformwahl in Frage gestellt ist, kann sich ein Anspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule ergeben.

Vgl. im Einzelnen OVG NW, Beschlüsse vom 6. August 1998 - 19 B 1445/98 -, 19. Mai 1998 - 19 B 541/98 - und vom 30. August 1994 - 19 B 2132/94 -.

Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass die beantragte Anordnung zur Gewährleistung des Rechts auf Schulformwahlfreiheit nötig ist. Für den Sohn N. der Antragsteller besteht, was zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist, zum Schuljahresbeginn 2002/2003 die Möglichkeit der Aufnahme in eine Eingangsklasse der X. -S. -Realschule, da diese noch über hinreichende Aufnahmekapazität verfügt. Diese Schule zählt zu der gewählten Schulform.

Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass ihr Sohn N. diese Realschule nur unter Bedingungen besuchen kann, die so beschwerlich bzw. unzumutbar sind, dass sie die beantragte einstweilige Anordnung im Vorgriff auf das erstrebte Ergebnis des eingeleiteten Klageverfahrens (VG Gelsenkirchen 4 K 2383/02) notwendig machen.

Dass der Schulweg zur in der Innenstadt von E1. gelegenen X. -S. - Realschule, die nach dem Vorbringen der Antragsteller ihr Sohn vom Zentrum von E1. - M. aus nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit einer Fahrtdauer von 50 Minuten unter einmaligem Umsteigen von der S-Bahn in einen Bus und mit einem zusätzlichen Fußweg von 10 Minuten (so im vorliegenden Verfahren angegeben) bzw. von 5 Minuten (so im Klageverfahren vorgetragen) erreichen kann, im allgemeinen zumutbar ist, hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt, denen die Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht entgegen getreten sind. Auch bei besonderer Berücksichtigung der angeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Sohnes N. der Antragsteller ergibt sich aus deren Vorbringen nicht, dass der Schulweg so beschwerlich ist, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zur Abwendung unzumutbarer Nachteile erforderlich ist. Der Sohn der Antragsteller leidet ausweislich der von diesen vorgelegten ärztlichen Bescheinigung an Asthma bronchiale und ist auf die ständige Einnahme entsprechender Medikamente - nach Angaben der Antragsteller regelmäßig mindestens zweimal täglich Cortisonspray - angewiesen; körperliche Anstrengungen, die zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes führen könnten wie die Bewältigung eines längeren Schulweges, wenn damit Umsteigen und mehrfache Wartezeiten an Haltestellen verbunden seien, sollten vermieden werden. Zwar leuchtet vor diesem Hintergrund ohne Weiteres ein, dass der Schulweg zu der von der Antragsgegnerin geleiteten Realschule - nach Angaben der Antragsteller dauert eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln 10 bis 15 Minuten - weniger anstrengend ist als derjenige zur X. -S. -Realschule; damit ist aber noch nicht die Unzumutbarkeit des letztgenannten Schulwegs im oben genannten Sinne glaubhaft gemacht. Die Antragsteller haben nicht hinreichend dargetan, dass ihr Sohn die deutlich längere Schulwegzeit in der S-Bahn bzw. in einem Bus der städtischen Verkehrsbetriebe wie auch das einmalige Umsteigen je Schulweg nicht bewältigen kann oder dass sie mit solchen körperlichen Anstrengungen verbunden ist, die zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen oder sich nachteilig auf die schulische Leistungsfähigkeit auswirken. Es ist auch nicht geltend gemacht, dass das Umsteigen mit erheblichen Wartezeiten verbunden ist. Es ist ferner nicht aufgezeigt, dass der Sohn bei - je nach Witterung - auftretender Atemnot schon wegen des längeren Schulwegs in höherem Maße gefährdet wäre und, wenn er mit den erforderlichen Medikamenten ausgestattet wird, sich nicht wie sonst beim Auftreten von Atemnot auch oder wie auf dem kürzeren Schulweg medikamentös versorgen könnte. Da er ausweislich der ärztlichen Bescheinigung auf die "ständige" Einnahme von Medikamenten angewiesen und nichts für eine ständige Begleitung durch eine Betreuungsperson ersichtlich ist, kann davon ausgegangen werden, dass sich der Sohn der Antragsteller bei der Versorgung mit Medikamenten, etwa mit Cortisonspray, selbst helfen kann. Dass sich für den Sohn der Antragsteller, welcher nach deren Angaben wegen seiner Erkrankung besonders anfällig ist für Erkältungskrankheiten, das Ansteckungsrisiko auf dem längeren Schulweg zur X. - S. -Realschule in stark frequentierten öffentlichen Verkehrsmitteln in erheblichem Maße erhöht, ist ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Auch auf der Fahrt zu der von der Antragsgegnerin geleiteten Realschule in öffentlichen Verkehrsmitteln wird die körperliche Nähe zu oder der Kontakt mit mitfahrenden Mitschülern oder anderen Benutzern nicht zu vermeiden sein; dass hier das Ansteckungsrisiko nennenswert geringer ist, haben die Antragsteller nicht aufgezeigt. Ihrem Vorbringen ist schließlich auch nicht hinreichend substanziiert zu entnehmen, dass ihr Sohn auf die Betreuung durch seine älteren Geschwister angewiesen ist, die das Gymnasium in dem Schulzentrum in L. besuchen, zu dem auch die von der Antragsgegnerin geleitete Realschule gehört, und die ihn auf dem Schulweg begleiten können. Es ist nicht hinreichend dargetan, dass die Geschwister darauf achten müssen, dass ihr Bruder N. sich witterungsgemäß anzieht und sich nicht schutzlos dem Regen aussetzt, weil dieser noch nicht selbst entsprechende Vorkehrungen treffen kann. Dass die Geschwister ihm beim Tragen der Schultasche helfen müssen, weil dies zu körperlichen Anstrengungen führt, die zur Verschlechterung des Krankheitsbildes zu vermeiden sind, ist dem Vorbringen der Antragsteller nicht zu entnehmen.

Auch im Hinblick auf den Schulbesuch selbst ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Aufnahme in die von der Antragsgegnerin geleitete Realschule dringend notwendig und die Verweisung auf die X. -S. -Realschule zu für den Sohn der Antragsteller unzumutbaren Nachteilen führt, die den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderlich machen. Dass er - etwa in Pausen auf dem Schulhof - auf die Betreuung durch seine älteren Geschwister zur medizinischen Versorgung angewiesen wäre, ist nicht nachvollziehbar vorgetragen. Für das Vorbringen, die Antragstellerin zu 2., die Lehrerin an der H. -Grundschule ist, könne im Notfall schnellstmöglich bzw., wie in der Klageschrift ausgeführt, mit dem Fahrzeug gerade einmal in 5 Minuten von ihrem Arbeitsplatz aus die von der Antragsgegnerin geleitete Realschule erreichen, um dafür zu sorgen, dass der Sohn N. bei Bedarf mit Spray oder Medikamenten versorgt werde, gilt Entprechendes; es ist schon, wie oben ausgeführt, nicht hinreichend dargetan, dass der Sohn N. sich mit Medikamenten wie Cortisonspray nicht selbst helfen kann. Davon abgesehen ist nicht glaubhaft gemacht, dass und wie die Antragstellerin zu 2. zur medizinischen Versorgung ihres Sohnes in einem Notfall ihren Arbeitsplatz etwa während des Unterrichts in einer Grundschulklasse vorübergehend, allein für die Fahrt zwischen der Grundschule und der von der Antragsgegnerin geleiteten Realschule für etwa 10 Minuten, verlassen kann, ohne gegen ihre Dienstpflichten als Grundschullehrerin zu verstoßen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).