OLG Hamm, Beschluss vom 08.10.2002 - 15 W 322/02
Fundstelle
openJur 2011, 18458
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 23 T 137/02
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Auf die erste Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Amts-gerichts Bad Oeynhausen vom 18.03.2002 wie folgt abgeändert:

Die Bestellung der Beteiligten zu 3) als weitere Betreuerin neben der Betei-ligten zu 2) mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheits-fürsorge und Vermögenssorge entfällt.

Für den Aufgabenkreis Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen gegenüber Herrn M wird die Beteiligte zu 2) zur Betreuerin der Betroffenen bestellt.

Gründe

I.

Die Betroffene besuchte ab dem Jahre 1994 als Austauschschülerin eine High School in den USA. Dort verliebte sie sich in einen damaligen Mitschüler, Herrn M. Nach dem Schulbesuch nahm die Betroffene ein Studium an der X1 Universität in N1 auf.

Die Betroffene wurde am 30.09.1996 Opfer eines Verkehrsunfalls, bei dem sie schwerste Verletzungen, insbesondere eine schwere Hirnverletzung erlitt. Nach der Krankenhausbehandlung wurde sie in die oben genannte Rehabilitationsklinik verlegt, wo sie sich bis heute befindet. Das Krankheitsbild ist durch eine Mehrfachbehinderung geprägt. Die Betroffene kann sich nur in einem Rollstuhl bewegen und muss überwiegend gefüttert werden. Sie hat ihr Sprechvermögen verloren und kann sich lediglich mit Hilfe einer sog. Dynavox mühsam verständlich machen.

Herr M hat die Beziehung zu der Betroffenen durch tägliche Besuche in der Rehabilitationsklinik aufrechterhalten. Er und die Beteiligte zu 2), die Mutter der Betroffenen, wurden von einem amerikanischen Gericht zu "full co gaudians" für die Betroffene bestellt. Die Betroffene erhielt für ihre Unfallverletzungen im Vergleichswege eine Schadensersatzsumme von 200.000,00 $, die bei einer amerikanischen Bank angelegt ist und zwischenzeitlich auf ca. 400.000,00 $ angewachsen ist. Die laufenden Kosten der Klinikbehandlung werden von einer amerikanischen Versicherungsgesellschaft gedeckt.

Die Betroffene hat ab Mitte des Jahres 2000 zunehmend den Wunsch geäußert, nach Deutschland zurückkehren zu können. Nachdem die Beteiligte zu 2) diesen Wunsch unterstützt hat, ist ihr Verhältnis zu Herrn M gespannt. Die Beteiligte zu 2) hat im Jahre 2001 bei dem X2 County Trial Court in C3 beantragt, ihr die alleinige Vormundschaft für die Betroffene zu übertragen und deren Rückkehr nach Deutschland zu genehmigen. In diesem Verfahren tritt Herr M dem Antrag der Beteiligten zu 2) entgegen; für die Betroffene ist eine amerikanische Rechtsanwältin als Verfahrenspflegerin bestellt worden. Eine abschließende Entscheidung über diesen Antrag ist bislang nicht ergangen.

Die Beteiligte zu 2) hat ferner am 09.08.2001 bei dem Amtsgericht Bad Oeynhausen beantragt, für die Betroffene eine vorläufige Betreuung nach deutschem Recht anzuordnen. Das Amtsgericht hat zunächst die Beteiligte zu 2) sowie den Bruder der Betroffenen persönlich angehört. Der Richter des Amtsgerichts hat sodann bei einer Reise in die Vereinigten Staaten die Betroffene, deren Freund M, die Beteiligte zu 2), den behandelnden Arzt und Pflegepersonen angehört sowie Unterredungen mit dem zuständigen amerikanischen Richter und der dortigen Verfahrenspflegerin der Betroffenen geführt.

Durch Beschluss vom 18.03.2002 hat das Amtsgericht die Beteiligten zu 2) und 3) zu gemeinsam vertretungsberechtigten Betreuerinnen der Betroffenen mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Vermögenssorge bestellt. Ferner hat es die Beteiligte zu 3) zur alleinigen Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen gegenüber Herrn M bestellt.

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 2) mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 27.03.2002 Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, als alleinige Betreuerin der Betroffenen bestellt zu werden. Das Landgericht hat die Beschwerde durch Beschluss vom 10.07.2002 zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2), die sie mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 16.08.2002 bei dem Oberlandesgericht eingelegt hat.

II.

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 2) folgt daraus, dass ihre erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG). Die weitere Beschwerde führt zur Bestellung der Beteiligten zu 2) als alleinige Betreuerin der Betroffenen für sämtliche Aufgabenkreise der angeordneten Betreuung.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer zulässigen Erstbeschwerde der Beteiligten zu 2) ausgegangen, die als Mutter der Betroffenen zu dem nach § 69 g Abs. 1 FGG erweiterten Kreis beschwerdeberechtigter Personen gehört. Die Beteiligte zu 2) konnte ihr Rechtsmittel in zulässiger Weise auf die Auswahlentscheidung des Amtsgerichts zur Person des bestellten Betreuers beschränken (vgl. Senat FGPrax 1996, 183 m.w.N.). Dementsprechend ist die Entscheidung des Amtsgerichts nur unter diesem Gesichtspunkt im Beschwerdeverfahren zu überprüfen.

In der Sache hält die Entscheidung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Bestellung der Beteiligten zu 3) als weitere Betreuerin sei gem. § 1899 Abs. 1 BGB geboten, weil die Beteiligte zu 2) den besonderen Schwierigkeiten der Betreuung allein nicht gewachsen sei. Besondere Schwierigkeiten der Betreuung ergäben sich hier daraus, dass in den Vereinigten Staaten parallel ein vormundschaftsgerichtliches Verfahren geführt werde, in dem geprüft werde, ob gegen den Widerstand des dort zum Mitvormund bestellten Herrn M eine Rückführung der Betroffenen nach Deutschland zu genehmigen sei. Dasselbe gelte für die Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten der Betroffenen. Nach dem derzeitigen Sachstand des vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens vor dem amerikanischen Gericht sei völlig ungeklärt, ob eine Übertragung der in den Vereinigten Staaten belegenen Vermögenswerte der Betroffenen nach Deutschland möglich sein werde und inwieweit Herrn M insoweit ein Mitspracherecht zustehe. Zwischen der Beteiligten zu 2) und Herrn M bestünden sowohl hinsichtlich der Wahrnehmung der Personensorge als auch der Vermögenssorge der Betroffenen erhebliche Spannungen und Interessenkonflikte. Diese Umstände ließen die Mitwirkung der Beteiligten zu 3) als fachkundige Rechtsanwältin bei der Wahrnehmung der Angelegenheiten der Betroffenen erforderlich erscheinen.

Diese Ausführungen berücksichtigen nach Auffassung des Senats nicht hinreichend die beschränkten rechtlichen Wirkungen der vom Amtsgericht vorgenommenen Betreuerbestellung. Es handelt sich hier um den in § 47 FGG geregelten Fall, dass neben einer im Ausland bereits bestehenden Vormundschaft für die Betroffene eine Betreuerbestellung nach deutschem Recht erfolgt ist. Das Gericht der Vereinigten Staaten nimmt ungeachtet der deutschen Staatsangehörigkeit der Betroffenen im Hinblick auf das dort bestehende Fürsorgebedürfnis eine internationale Zuständigkeit für sich in Anspruch, um für die Betroffene eine Vormundschaft zu führen; dies entspricht der Regelung der internationalen Zuständigkeit im deutschen Recht (§ 35 b Abs. 2 FGG). Die Ermessensentscheidung des Amtsgerichts nach § 47 Abs. 1 FGG, neben der in den Vereinigten Staaten geführten Vormundschaft eine Betreuerbestellung nach deutschem Recht vorzunehmen, ist vom Senat aufgrund des beschränkten Gegenstandes der Beschwerde nicht zu überprüfen. Die rechtliche Wirkung dieser Betreuerbestellung beschränkt sich indessen darauf, dass die im Ausland angeordnete Vormundschaft ungeachtet ihrer Anerkennungsfähigkeit (§ 16 a FGG) für deutsche Rechtsverhältnisse unwirksam wird (vgl. Staudinger/Kropholler, 13. Bearbeitung, Art. 24 EGBGB, Rdnr. 119; MK/BGB-Klinkhardt, Art. 24 EGBGB, Rdnr. 43; Keidel/Engelhardt, FG, 14. Aufl., § 47, Rdnr. 3).

Daraus folgt, dass der für die deutschen Rechtsverhältnisse angeordneten Betreuerbestellung keinerlei rechtliche Wirkungen in den Vereinigten Staaten zukommt. Die vom Amtsgericht vorgenommene Betreuerbestellung gibt den Beteiligten zu 2) und 3) keine gesetzliche Vertretungsmacht, Angelegenheiten der Personen- oder Vermögenssorge der Betroffenen in den Vereinigten Staaten wahrzunehmen. Da in Deutschland derzeit Angelegenheiten der Betroffen offenbar nicht zu regeln sind, entfaltet die Betreuerbestellung des Amtsgerichts praktische rechtliche Wirkungen erst dann, wenn die Betroffene das Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten verlässt. Ob die Betroffene nach Deutschland zurückkehren kann, ist von den amerikanischen Gerichten in eigener Zuständigkeit und Verantwortung zu entscheiden. An dem entsprechenden Verfahren ist die Beteiligte zu 2) bereits aus eigenem Recht als Mitvormünderin und Mutter der Betroffenen beteiligt und insoweit durch amerikanische Anwälte vertreten. Die Bestellung der Beteiligten zu 3) als weitere Betreuerin kann insoweit nichts bewirken.

Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 561 ZPO). Bei der Bestellung eines Betreuers für die deutschen Rechtsverhältnisse ist die Auswahlentscheidung allein nach deutschem Recht zu treffen. Nach § 1897 Abs. 5 BGB hat das Gericht bei seiner Auswahlentscheidung auf die verwandtschaftlichen Bindungen des Betroffenen u.a. zu seinen Eltern Rücksicht zu nehmen. Die Beteiligte zu 2) ist daher in erster Linie dazu berufen, das Amt der Betreuerin für ihre Tochter führen zu können. Die Bestellung mehrerer Betreuer ist nach § 1899 Abs. 1 S. 1 BGB nur möglich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen hierdurch besser besorgt werden können. Da das Gesetz in § 1897 Abs. 1 BGB vom Grundsatz der Einzelbetreuung ausgeht, ist die Bestellung mehrerer Betreuer nicht in das freie Ermessen des Gerichts gestellt (BayObLG FamRZ 1998, 512, 513). Neben den Fällen rechtlicher oder tatsächlicher Verhinderung des Betreuers für einzelne Angelegenheiten kommt als Grund für die Bestellung eines weiteren Betreuers in Betracht, dass die vorgesehene oder bereits bestellte Person den Anforderungen des Betreueramtes nicht für alle zu besorgenden Angelegenheiten gerecht werden kann (BayObLG FamRZ 1997, 1502).

Das Amtsgericht hat in der Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Bestellung einer weiteren Betreuerin sei erforderlich, weil die Beteiligte zu 2) nur eingeschränkt als Betreuerin geeignet sei. Dies folge aus den Bedenken, die das amerikanische Gericht, der die Betroffene behandelnde Arzt Dr. Q sowie die in den Vereinigten Staaten für die Betroffene bestellte Verfahrenspflegerin gegen die Person der Beteiligten zu 2) geäußert hätten, und zwar gestützt auf zwei Vorfälle in der Mitte des Jahres 2001, bei denen die Beteiligte zu 2) sich inkorrekt verhalten habe. Diese Begründung kann die Entscheidung des Amtsgerichts schon deshalb nicht tragen, weil das Gericht Eignungsmängel gegen die Person des vorgesehenen Betreuers nicht allein auf die Ansicht Dritter stützen kann, sondern eine eigenständige Beurteilung vornehmen und dazu die notwendigen tatsächlichen Feststellungen im Rahmen der Amtsermittlungspflicht (§ 12 FGG) treffen muss. Auch wenn die Entscheidung des Amtsgerichts erkennbar von dem anerkennenswerten Bestreben nach einer positiven Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Gericht getragen ist, kann dessen Beurteilung für die nach deutschem Recht zu treffende Entscheidung keine Bindungswirkung beigemessen werden.

Die eigenständige Beurteilung des Senats ergibt, dass durchgreifende Bedenken gegen die Eignung der Beteiligten zu 2) als Betreuerin, die Veranlassung zur Bestellung einer weiteren Betreuerin nach § 1899 Abs. 1 BGB geben könnten, nicht bestehen. Maßstab ist dabei ausschließlich, ob die Beteiligte zu 2) für die Rechtsverhältnisse in Deutschland, also für den Fall einer etwaigen Rückkehr der Betroffenen in ihr Heimatland, deren Angelegenheiten im Bereich der Personen- und der Vermögenssorge ordnungsgemäß wahrnehmen kann. Dafür spricht, dass die Beteiligte zu 2) sich intensiv um das persönliche Wohlergehen ihrer Tochter in den Vereinigten Staaten bemüht hat. Sie hat ferner bereits die Zusage eines Klinikplatzes in der Klinik S in C erwirkt, in der eine fachgerechte Fortführung der Behandlung der Betroffenen im Hinblick auf ihre Mehrfachbehinderung als gewährleistet erscheint. Die Vermögensangelegenheiten der Betroffenen wird die Beteiligte zu 2) zwar nicht allein regeln können, soweit es um die Geltendmachung von Ansprüchen der Betroffenen in den Vereinigten Staaten geht, insbesondere gegen den dort ansässigen Versicherer, der bislang die Kosten des Klinikaufenthalts deckt. Soweit die Beteiligte zu 2) sich in dieser Hinsicht anwaltlicher Hilfe in den Vereinigten Staaten bedienen muss, reicht es für ihre Eignung als Betreuerin bereits aus, wenn sie einen Rechtsanwalt beauftragen und sachlich informieren kann (BayObLG FamRZ 1997, 1502); dazu ist die Beteiligte zu 2) erkennbar in der Lage. Die Eignung der Beteiligten zu 2) als Betreuerin für die Rechtsverhältnisse in Deutschland wird ersichtlich nicht durch zwei Vorfälle in der Mitte des Jahres 2001 berührt, bei denen sie sich in den Vereinigten Staaten ggf. inkorrekt verhalten haben mag.

Das Amtsgericht hat in dem Aufgabenkreis Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen gegenüber Herrn M die Beteiligte zu 3) als alleinige Betreuerin mit der Begründung bestellt, es müsse befürchtet werden, die Beteiligte zu 2) werde den Kontakt der Betroffenen zu Herrn M abbrechen. Trotz des weitgefassten Wortlauts des Aufgabenbereiches hat das Amtsgericht also sachlich nur eine Regelung für den persönlichen Umgang der Betroffenen mit Herrn M treffen wollen. Ob eine Betreuerbestellung mit diesem Aufgabenkreis nach dem gegenwärtigen Sachstand überhaupt im Sinne des § 1896 Abs. 2 BGB erforderlich ist, kann der Senat aufgrund des beschränkten Beschwerdegegenstandes nicht nachprüfen. Jedenfalls hat die Befürchtung des Amtsgerichts, die Beteiligte zu 2) werde die persönlichen Kontakte der Betroffenen zu Herrn M unterbrechen, keine hinreichende tatsächliche Grundlage. Es bestehen zwar erhebliche Spannungen im Verhältnis der Beteiligten zu 2) zu Herrn M. Die Beteiligte zu 2) hat jedoch nicht zu erkennen gegeben, dass Herr M ihrer Auffassung nach die Betroffene nicht mehr solle besuchen dürfen. Vielmehr hat die Beteiligte zu 2) mehrfach erklärt, dass sie gegen den persönlichen Kontakt der Betroffenen mit Herrn M nichts einzuwenden habe. Unterschiedliche Auffassungen bestehen lediglich darüber, ob Herr M die Kosten für künftige Flugreisen nach Deutschland aus dem Vermögen der Betroffenen erstattet erhält. Diese letzte Frage ist indessen für die deutschen Rechtsverhältnisse nicht regelungsbedürftig, weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Da somit keine greifbaren Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beteiligte zu 2) den Interessen der Betroffenen zuwider deren Kontakt mit Herrn M abbrechen wird, und die Betreuung im übrigen unter der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts zu führen ist (§§ 1908 i Abs. 1 S. 1, 1837 Abs. 2 BGB), hat der Senat die Beteiligte zu 2) auch für diesen Aufgabenkreis als Betreuerin bestellt.