LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.07.2016 - 9 Sa 16/16
Fundstelle
openJur 2016, 9967
  • Rkr:

1. Scheidet der Arbeitnehmer wegen des Bezugs einer vorgezogenen Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 38 SGB VI im ersten Halbjahr aus dem Arbeitsverhältnis aus, hat er nach § 12 Abs. 1 Z.5 S. 2 MTV Chemie idF. v. 15.5.2000 keinen Anspruch auf den vollen Jahresurlaub, sonders es bleibt bei einem Teilurlaubsanspruch.

2. § 12 Abs. 1 Z.5 S. 2 MTV Chemie idF. v. 15.5.2000 setzt das Ausscheiden wegen des Bezugs der Regelaltersrente voraus.

3. Bei einer vorgezogenen Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 38 SGB VI handelt es sich nicht um eine Regelaltersrente.

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg, Kammern Offenburg vom 28.01.2016 , 15 Ca 117/15 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung restlicher Urlaubsabgeltung.

Der Kläger war bei der Beklagten vom 26.7.1993 bis zum 30.4.2015 beschäftigt. Seit dem 1.5.2015 bezieht er auf seinen Antrag vom 29.1.2015 hin Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers richtet sich nach dem Haustarifvertrag der Beklagten, nach diesem findet der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie (MTV) statisch in der Fassung vom 15.5.2000 Anwendung.

§ 12 Abs. 1 Z. 5 MTV lautet:

"Im Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer für jeden angefangenen Beschäftigungsmonat im Unternehmen Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs. Scheidet der Arbeitnehmer wegen Erreichung der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen Erwerbsunfähigkeit aus, so erhält er den vollen Jahresurlaub, es sei denn, dass das Arbeitsverhältnis im Eintrittsjahr endet. Der Anspruch entfällt, wenn der Arbeitnehmer vor seinem Ausscheiden mindestens zwölf Monate lang nicht gearbeitet hat."

Den zeitanteiligen Urlaubsanspruch bis zum 30.4.2015 hat der Kläger erhalten. Mit Schreiben vom 3.6.2015 machte er seinen Anspruch auf restliche Urlaubsabgeltung geltend.

Zur Begründung hat er vorgetragen, ihm stehe für das Jahr 2015 nicht lediglich zehn Urlaubstage, sondern der volle Urlaubsanspruch von insgesamt 30 Tagen zu. Auch bei Erreichen der Altersgrenze für besonders langjährig Versicherte handele es sich um eine gesetzlich geregelte Altersgrenze im Sinne der tarifvertraglichen Regelung.

Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 2.607,00 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.6.2015 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung vorgetragen, der Kläger sei nicht wegen Erreichung der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, so dass er nur einen Teilurlaubsanspruch für das Jahr 2015 habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch das angegriffene Urteil vom 28.1.2016 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei nicht wegen Erreichung der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Durch die Verwendung des Begriffes „Erreichung der Altersgrenze“ hätten die Tarifvertragsparteien bewusst lediglich die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung beschrieben, nicht jedoch die Möglichkeit der Inanspruchnahme sonstiger vorgezogener Altersrenten. Auch die Rente für besonders langjährig Versicherte sei keine Rente wegen des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 4.2.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2.3.2016 fristgemäß Berufung eingelegt und diese innerhalb der aufgrund eines fristgerechten Verlängerungsantrags vom 29.3.2016 bis zum 4.5.2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist fristgerecht am 4. Mai 2016 begründet.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes seien die tarifvertraglichen Voraussetzungen nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 MTV in der Person des Klägers gegeben. Mit dem Begriff "Erreichung der Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung" sei nicht nur das Erreichen der Regelaltersgrenze, sondern auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Rente für besonders langjährig Versicherte gemeint. Auch der Vergleich mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.10.2000 gehe fehl, denn diese besondere Altersrente habe es zum Zeitpunkt der zitierten Entscheidung überhaupt noch nicht gegeben, vielmehr habe hier eine Fallgestaltung zugrunde gelegen, nach der eine Rente vorzeitig mit Abschlägen in Anspruch genommen worden sei. Die vom Kläger in Anspruch genommene Rente für besonders langjährig Versicherte könne jedoch nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, auch nicht mit Abschlägen. Bei dieser Rente handelt es sich ebenfalls um eine Regelaltersrente, da sie einheitlich allen Versicherten zu gewähren sei, die das 63. Lebensjahr vollendet haben. Es gebe keine nachvollziehbaren Grund dafür, warum der Kläger, nur weil er infolge einer unvorhersehbaren Gesetzesänderung „frühzeitig“ eine ungekürzte Altersrente beziehen könne nun schlechter behandelt werden solle als die anderen Mitarbeiter, die bei Erreichen der Regelaltersgrenze eine ungekürzte Abgeltung des Urlaubs beanspruchen könnten. Zudem habe das Bundesarbeitsgericht dort darauf abgestellt, dass der Begriff Erreichung der Altersgrenze in einer weiteren Tarifnorm ausdrücklich erläutert sei und sich daraus das dort zu Grunde gelegte Verständnis ergebe. Wäre den Tarifvertragsparteien die neue Altersgrenze von 63 Jahren zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages bekannt gewesen, hätten sie auch diese in den Tatbestand des § 12 Nr. 5, der einen vollen Urlaubsanspruch begründet, einbezogen. Die abschlagsfreie Rente mit 63 sei auch unter das Tatbestandsmerkmal "Erreichen der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung“ zu subsumieren. Durch eine Sonderregelung in § 236 Buchst. b SGB VI solle die mit dem Rentenversicherungsaltersgrenzenanpassungsgesetz eingeführte Altersrente für besonders langjährig Versicherte ausgeweitet werden. Besonders langjährig Versicherte können nach dem Vorhaben des Gesetzgebers eine abschlagsfreie Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres beziehen. Das Erreichen der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung umfasse daher sowohl die Regelaltersrente als auch die Altersrente für langjährig und besonders langjährig Versicherte im Sinne von § 33 Abs. 2, § 38 bzw. § 236. b SGB VI. Dem Kläger stehe daher ein Urlaubsabgeltungsanspruch für weitere 20 Tage zu.

Der Kläger beantragt daher:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg – Kammern Offenburg vom 28.1.2016, Az. 15 Ca 117/15 wird wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 2.607,00 brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB hieraus seit dem 23.6.2016 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt zur Begründung vor, das Arbeitsgericht habe richtig entschieden. Da der Kläger in der ersten Jahreshälfte aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei, habe er nur Anspruch auf den anteiligen Urlaub. § 12 Abs. 1 Z. 5 S. 2 MTV sei als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, dass im Tarifwerk keine zwingende Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze vorgesehen sei, denn andernfalls könne § 12 Abs. 1 Z. 5 S. 2 überhaupt niemals zur Anwendung gelangen, weil der Arbeitnehmer dann aufgrund des Tarifvertrages niemals allein wegen Erreichung der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung ausscheidet, sondern nach § 11 MTV stets eine beendende Rechtshandlung erforderlich ist. § 12 Abs. 1 Nr. 5 S. 2 MTV sei daher nicht die Kompensation einer im vorliegenden Fall nicht existenten tariflichen Bestimmung zur zwingenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze. Die Regelung knüpfe vielmehr an § 41 SGB VI an. Sowohl im Falle der Erwerbsunfähigkeit, also im Falle der Erreichung der Regelaltersgrenze zum ungekürzten Bezug von Altersrente, bestehe zumindest die Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer entgegen seiner eigentlichen Planung und damit gegen seinen Willen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden muss, wie es § 41 SGB VI zulässt. Im Übrigen sei nicht nachvollziehbar, warum der Kläger, der sich aus nachvollziehbaren Gründen freiwillig für den Rentenbezug nach Erreichen des 63. Lebensjahres und damit das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis entschieden habe hinsichtlich des Urlaubs besser behandelt werden solle als ein vergleichbarer Arbeitnehmer, der nach identischer Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten und identischem Alter dieselbe Entscheidung treffe, allerdings hinsichtlich des Rentenbezuges Abschläge hinzunehmen habe. Tragendes Unterscheidungskriterium sei deshalb nicht der gekürzte oder ungekürzte Rentenbezug, sondern vielmehr die auf Arbeitnehmerseite feststehende Freiwilligkeit bezüglich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG an sich statthafte Berufung ist unter Beachtung der Vorschriften der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet und war daher zurückzuweisen. Das Arbeitsgericht hat die Klage zurecht mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Der vom Arbeitsgericht aufgestellte Rechtssatz „Einzahl ist immer noch Einzahl“ hält der Überprüfung durch das Berufungsgericht stand. Und auch sonst wird zunächst auf die zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat insbesondere auch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.11.2000, 9 AZR 654/99 auf den vorliegenden Sachverhalt mit zutreffendem Ergebnis angewandt. Der Vortrag des Klägers in der Berufung führt zu keinem anderen Ergebnis. Im Einzelnen:

1. Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf den Erholungsurlaub für das Kalenderjahr 2015 vollständig erfüllt. Der Kläger hat keinen darüber hinausgehenden Urlaubsanspruch, so dass er nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch keine Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG für den wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährten Urlaub hat.

Da der Kläger in der ersten Jahreshälfte zum 30.4.2015 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, hat er nach § 12 Abs. 1 Z. 5 S. 1 MTV entsprechend § 5 Abs. 1. c BUrlG lediglich einen Teilurlaubsanspruch. Dass die tarifvertragliche Regelung für ein im Falle eines Ausscheidens in der zweiten Jahreshälfte gegen § 13 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 BUrlG verstößt, soweit der gesetzliche Mindesturlaub möglicherweise unterschritten wird, spielt hier keine Rolle, da der Kläger in der ersten Jahreshälfte ausgeschieden ist. Die Vorschrift ist auch nicht unwirksam, da sie gegebenenfalls einschränkend auszulegen ist.

2. Die Ausnahmeregelung des §§ 12 Abs. 1 Z. 5 S. 2 MTV, die dem Kläger einen Anspruch auf den gesamten Jahresurlaub trotz Ausscheiden in der ersten Jahreshälfte gibt, ist tatbestandlich nicht erfüllt. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass der Kläger nicht „wegen Erreichung der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung“ ausgeschieden ist.

Die tarifvertragliche Regelung ist dahingehend auszulegen, dass mit „Erreichung der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung die Regelaltersgrenze des § 35 SGB VI gemeint ist.

a) Da der Haustarifvertrag der Beklagten den Manteltarifvertrag der chemischen Industrie in Bezug nimmt, ist die Auslegung dieses Manteltarifvertrages auf der Grundlage des Tarifwerkes der chemischen Industrie und dem Verständnis, das die dortigen Tarifvertragsparteien im Manteltarifvertrag seinerzeit zugrunde gelegt haben vorzunehmen.

b) Der Wortlaut der Regelung, die unter Verwendung des Singulars von „der“ Altersgrenze und nicht von „einer“ Altersgrenze spricht, ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Tarifvertragsparteien bei denen als bekannt vorausgesetzt werden darf, dass es im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages verschiedene Altersgrenzen gibt, die die Möglichkeit eröffnen, die unterschiedlichen Arten der Altersrente in Anspruch zu nehmen, hiermit lediglich die Altersgrenze in Bezug auf die Regelaltersrente gemeint haben.

§ 35 SGB VI in der zum Zeitpunkt des Abschlusses des MTV geltenden Fassung vom 18.12.1989 lautet: "Versicherte haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie 1. das 65. Lebensjahr vollendet und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben." Diese Vorschrift kennt zwar noch nicht den Begriff der Regelaltersgrenze, die erst im Jahre 2007 eingeführt worden ist. Allerdings enthält die Vorschrift in der seinerzeit geltenden Fassung gleichwohl unter Z. 1 gesetzlich geregelt eine Altersgrenze für den Bezug der Regelaltersrente. Daneben gab es bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages weitere Altersgrenzen, die erfüllt sein mussten, um vorgezogene Altersrenten in Anspruch zu nehmen, beispielsweise die vorgezogene Altersrente für langjährig Versicherte nach § 36 SGB VI in der Fassung vom 16.12.1997 und daneben noch die Altersrente für schwer behinderte Menschen (§ 37 SGB VI). Jede vorgezogene Altersrente benennt auch Altersgrenzen als Voraussetzung für ihren Bezug. Es gibt also nicht nur eine, sondern mehrere Altersgrenzen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Hätten die Tarifvertragsparteien hier sämtliche Arten der verschiedenen Altersgrenzen im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung erfassen wollen, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die tarifliche Regelung so zu formulieren, dass nicht auf eine Altersgrenze, sondern auf den Bezug einer Altersrente abgestellt wird.

c) Für dieses Verständnis spricht zunächst auch, dass im Manteltarifvertrag vom 1.7.2005 der chemischen Industrie die Vorschrift dahingehend geändert wurde, dass sie nunmehr lautet: "Im Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer für jeden angefangenen Beschäftigungsmonat im Unternehmen Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs. Scheidet der Arbeitnehmer wegen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung aus, so erhält er den vollen Jahresurlaubsanspruch...". Eine derartige Änderung des Tarifvertrages wäre nicht erforderlich gewesen, wenn es dem Willen der Tarifvertragsparteien entsprochen hätte, dass sämtliche Altersgrenzen und damit die Inanspruchnahme irgendeiner Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung schon dazu geführt hätten, dass der ausscheidende Arbeitnehmer einen ungekürzten Jahresurlaubsanspruch hat.

d) Die Tarifvertragsparteien haben mit der streitigen Regelung die Altersgrenze für den Bezug der Regelaltersrente gemeint. Dieses Verständnis der Tarifvertragsparteien ergibt sich aus dem Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge vom 18. September 2001. Dessen § 5 Z. 4 lautet:

„Berechtigte, die mit oder nach Erreichen der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung, wegen Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit aus dem Betrieb ausscheiden, erhalten die ungekürzte Jahresleistung, wenn sie im Austrittsjahr dem Betrieb länger als drei Monate angehört haben.

Bei Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes oder der flexiblen Altersgrenze besteht Anspruch auf die ungekürzte Jahresleistung, wenn der Berechtigte dem Betrieb bei Ausscheiden acht Jahre und im laufenden Kalenderjahr länger als drei Monate angehört hat.“

Diese Norm zeigt, dass die Tarifvertragsparteien genau zwischen der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung als Grundlage des Bezugs der Regelaltersrente und sonstigen vorgezogenen Altersruhegelder oder flexiblen Altersgrenzen unterschieden haben.

Da innerhalb ein und desselben Tarifwerkes ein bestimmter Rechtsbegriff einheitlich auszulegen ist, ist bereits aufgrund dieses Umstandes zwingend davon auszugehen, dass § 12 Abs. 1 Z. 5 S. 2 MTV die Altersgrenze für den Bezug einer Regelaltersrente der gesetzlichen Rentenversicherung meint.

e) Aus diesem Grunde gehen auch die Bedenken des Klägers gegen eine Übertragung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.11.2000 (9 AZR 654/99) auf den vorliegenden Sachverhalt fehl. Zutreffend ist zwar, dass in dem dortigen Tarifwerk entgegen dem Tarifwerk der Chemieindustrie in der im Jahr 2000 geltenden Fassung keine zwingende Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Altersgrenze enthalten war.

Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass die Vorschrift bei diesem Verständnis sinnentleert wäre. Ebenso ist die Argumentation der Beklagten zutreffend, dass § 12 Abs. 1 Nr. 5 S. 2 MTV nach seinem Zweck nicht die Kompensation einer zwangsweisen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze dient, weil es eine solche Grenze im vorliegenden Tarifvertrag nicht gibt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine resolutive Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch tarifvertragliche Regelung bei Erreichen der Regelaltersgrenze jedoch auch nicht Voraussetzung für die Sinnhaftigkeit einer solchen Vorschrift. Ihr Zweck, die Arbeitnehmer zu privilegieren, die (erst) mit Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden kann auch darin bestehen, die Arbeitnehmer zu honorieren, die gewissermaßen bis zum Schluss durchgehalten haben und nicht das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet haben, um in den Genuss einer vorgezogenen Altersrente zu gelangen.

f) Zutreffend weist die Beklagte auch darauf hin, dass die vom Kläger reklamierte Ungleichbehandlung zwischen dem Arbeitnehmer, der mit Erreichen der Regelaltersgrenze ausscheidet und dem Arbeitnehmer, der die vorgezogene Altersrente ohne Abschläge für besonders langjährig Versicherte in Anspruch nimmt nicht zielführend ist. Der Arbeitnehmer, der eine abschlagsfreie vorgezogene Altersrente in Anspruch nimmt, würde dann trotz der schon erfolgten Privilegierung eine abschlagsfreien Rente gegenüber demjenigen, der eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nimmt nochmals dadurch bevorzugt, dass ihm auch noch ein ungekürzter Urlaubsanspruch zusteht. Zwar können sich die Tarifvertragsparteien mangels Kenntnis der vorgezogenen Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Abschläge hierüber noch keine Gedanken gemacht haben, allerdings gebietet es die Auslegung von Tarifverträgen, dass ein in der Systematik des Tarifvertrages nachvollziehbares und auch ein gerechtes Ergebnis gefunden wird.

g) Zuletzt geht auch die Argumentation des Klägers fehl, bei der vorgezogenen Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 38 SGB VI handele es sich ebenfalls um eine Regelaltersrente. Das ist nicht zutreffend, denn der Begriff der Regelaltersrente ist rentenversicherungsrechtlich definiert in § 35 SGB VI und knüpft an die Erfüllung der Regelaltersgrenze mit Vollendung des 67. Lebensjahres an. Hingegen ist auch die Altersrente für besonders langjährig Versicherte eine vorgezogene Altersrente. Die steht der auch zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Tarifvertrages bereits bekannten vorgezogenen Altersrente nach § 36 SGB VI in der Fassung vom 16.12.1997 gleich. Hätten die Tarifvertragsparteien die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen einer Inanspruchnahme jedweder Altersrente als Erfüllung des Tatbestandes des § 12 Abs. 1 Nr. 5 S. 2 MTV angesehen, hätten sie nicht in Bezug auf die Altersgrenze den Singular verwandt.

Aus diesen Gründen hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen weiteren Urlaubsanspruch, der nach Ende des Arbeitsverhältnisses abzugelten wäre.

Die Berufung des Klägers war daher erfolglos und zurückzuweisen.

III.

Nach § 97 Abs. 1 ZPO hat der Kläger die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen. Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht, da die auszulegende tarifvertragliche Vorschrift im Jahr 2005 abgeändert wurde.