1. Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung des § 74 SGB XII sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehegatten zu berücksichtigen.
2. Zur Anwendung des § 44 SGB X auf den Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII bei bestandskräftig gewordenem Ablehnungsbescheid.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. April 2013 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren über die Übernahme der Kosten für die Bestattung der am 22. Juni 2011 in B. verstorbenen L. M. (i.F. L.M.).
Die 1959 geborene Klägerin ist die Tochter der L.M (geb. 1929), die verwitwet gewesen war. L.M. hatte sechs Kinder, die beiden nichtehelich geborenen Töchter H. G. (geb. 1954; i.F. H.G.) und B. K. (geb. 1956; i.F. B.K.) sowie die Klägerin und die weiteren ehelich geborenen Kinder K. R. (geb. 1961; i.F. K.R.), S. R. (geb. 1963; i.F. S.R.) und P. R. (geb. 1971; i.F. P.R.). Eine letztwillige Verfügung hatte L.M. nicht hinterlassen. Die Klägerin und ihre Tochter N. D. (geb. 1984) schlugen die Erbschaft am 11. Juli 2011 aus, ebenso wie nachfolgend ihre beiden anderen Kinder B. B. (geb. 1982) und M. B. (geb. 1983). Auch die Schwestern der Klägerin, H.G., B.K. und S.R., schlugen die Erbschaft aus. Ausweislich des Beschlusses des Notariats –Nachlassgericht - B. vom 27. März 2012 ergab die vorläufige Erbermittlung nach weiteren Ausschlagungen, dass K.R. und P.R. Erben mit einem Erbteil von je zur Hälfte geworden waren. K.R. lebt in einem Wohnhaus der Lebenshilfe in E. und arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen; beides wird durch Eingliederungshilfe seitens des Landkreises L. finanziert. P.R., wohnhaft in L. (Württ.), war dem Vorbringen der Klägerin zufolge - ebenso wie S.R. - wegen Verwahrlosung bereits im Kindesalter in Heimen untergebracht gewesen.
L.M. war im Juli 2008 aus T.-N. nach B. in das im Alleineigentum des Ehemanns der Klägerin stehende Hausanwesen im Ortsteil S. gezogen. L.M. war zuletzt schwerpflegebedürftig gewesen und erhielt von der Pflegekasse ein monatliches Pflegegeld nach der Pflegestufe II in Höhe von 430,00 Euro; aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezog sie zwei Renten (Altersrente und Hinterbliebenenrente) in Höhe von zuletzt monatlich insgesamt 470,28 Euro; über eine Lebens- oder Sterbegeldversicherung verfügte sie den Angaben der Klägerin zufolge nicht. Das bei der Volksbank B. geführte Girokonto der L.M. wies am 15. Juni 2011 einen Habensaldo von 16,79 Euro, am 4. Juli 2011 bei Kontoauflösung von 6,91 Euro auf. Die Klägerin war bis zum Tod ihrer Mutter nicht berufstätig; erst zum 25. Juli 2011 nahm sie eine bis zum 13. April 2012 befristete Putzstelle in einer sozialen Einrichtung auf (monatlicher Verdienst 217,32 Euro). Ab 16. April 2012 war die Klägerin in einer Seniorenwohnanlage in B.-F. als Pflegehilfskraft teilzeitbeschäftigt (50 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden); die Vergütung erfolgte nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (Bereich Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände), wobei sich der Nettoverdienst ausweislich der von der Klägerin im Verwaltungs- und Berufungsverfahren vorgelegten Gehaltsabrechnungen im Jahr 2012 zwischen 801,84 Euro (Juni), 847,05 Euro (Juli) und 845,15 Euro (August) bewegte sowie im Jahr 2013 zwischen 764,72 Euro (Juni), 829,73 Euro (Juli) und 901,49 Euro (August). Der Ehemann der Klägerin, F. S. (i.F. F.Sch.), der seit März 1990 bei einem Bauunternehmen in B.-W. beschäftigt war, war nach deren Angaben von September 2010 bis Mitte Mai 2012 arbeitsunfähig erkrankt und bezog ab 15. Dezember 2010 von der Krankenkasse ein Krankengeld von täglich 47,63 Euro; für den Monat Juli 2013 erzielte er (bei einem Stundenlohn von 13,10 Euro und 176,50 Arbeitsstunden) einen Nettolohn von 1.909,17 Euro (einschl. Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld). F. Sch. hatte im Jahr 1999 von seinem Bruder im Wege der Erbauseinandersetzung den Grundbesitz auf der Gemarkung S. (Gebäude- und Freifläche insgesamt 176 qm) zu seinem Alleineigentum übernommen und dem weichenden Miterben einen Gleichstellungsbetrag von 67.625,00 Euro bezahlt; finanziert wurde der Grundstückserwerb über eine Bausparsofortfinanzierung (monatliche Ansparraten 183,33 Euro, Vorfinanzierungszinsen 144,82 Euro).
Die Klägerin veranlasste die Bestattung der L.M. Für die am 27. Juni 2011 im Krematorium in A. (i.F. A.) erfolgte Einäscherung entstanden Gebühren in Höhe von 480,33 Euro (Bescheid der Stadt A. vom 27. Juli 2011). Die Urnenbeisetzung im Erdgrab in B. (i.F. B.) fand am 1. Juli 2011 statt; die Stadt B. erhob gegenüber der Klägerin insoweit eine Gebührenforderung in Höhe von 990,00 Euro (Bescheid vom 1. August 2011). Bereits zuvor hatte das Bestattungsinstitut W. (i.F. W.) gegenüber der Klägerin eine Forderung in Höhe von insgesamt 1.275,50 Euro (hiervon 1.258,50 Euro für eigene Leistungen, 17,00 Euro verauslagte Gebühren für die Ausstellung von Sterbeurkunden und Genehmigung der Feuerbestattung) erhoben (Rechnung vom 4. Juli 2011). Am 24. Juni 2011 wandte sich die Klägerin wegen der Bestattungskosten an den Beklagten. Zu diesem Antrag gab sie an, zu allen ihren Geschwistern keinen Kontakt zu haben; diese seien lediglich bei der Beerdigung dabei gewesen, hätten sich jedoch an der Bezahlung der Kosten nicht beteiligt und hieran auch kein Interesse. Der Beklagte holte die Auskunft des Notariats B. vom 2. November 2011 ein, das seinerzeit nach Aktenlage noch von sechs Erben (den fünf Geschwistern der Klägerin sowie deren Sohn) ausging. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 7. November 2011 lehnte der Beklagte die Übernahme der Bestattungskosten für L.M. ab, weil zur Besorgung der Bestattung die Geschwister der Klägerin verpflichtet gewesen seien.
In der Folgezeit erhielt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vom Notariat B. die Auskunft (dortiges Schreiben vom 18. Januar 2012), außer B.K., K.R. und P.R. hätten alle übrigen Kinder und Abkömmlinge die Erbschaft ausgeschlagen. Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2012 wandte sich der Klägerbevollmächtigte an K.R., für den in der Folgezeit auf Initiative der Lebenshilfe im Oktober 2012 eine gesetzliche Betreuung angeordnet wurde. Die Betreuerin lehnte mit Schreiben vom 7. November 2012 die Tragung der Beerdigungskosten ab, weil K.R. selbst Sozialleistungen beziehe und ein Nachlass nicht vorhanden sei. Über den zuvor von der Lebenshilfe veranlassten, beim Landkreis L. am 31. Januar 2012 eingegangenen und am 13. Februar 2012 an den Beklagten weitergeleiteten Antrag des K.R. auf Übernahme der Bestattungskosten ist nach Aktenlage noch nicht entschieden. P.K. ließ die Klägerin auf das Anwaltsschreiben vom 23. Januar 2012 Anfang Februar 2012 via Internet wissen, dass er zu einer Übernahme von Bestattungskosten nicht bereit sei, nachdem sich L.M. 35 Jahre nicht um ihn gekümmert und bereits mit fünf Jahren in ein Heim abgeschoben habe. Die vom Klägerbevollmächtigten gleichfalls angeschriebene B.K. teilte diesem mit Schreiben vom 2. Mai 2012 mit, sie habe erst durch eine Mitteilung des Nachlassgerichts vom 19. Dezember 2011 vom Tod der L.M. und dem Anfall einer Erbschaft erfahren und darauf am 27. Januar 2012 (Eingang beim Nachlassgericht am 30. Januar 2012) die Erbschaft ausgeschlagen.
Zwischenzeitlich waren die Bestattungsgebühren der Stadt A. einschließlich von Säumniszuschlägen und Mahngebühren auf 500,33 Euro angewachsen (Mahnschreiben vom 14. Dezember 2011). Mit Schreiben vom 30. April 2012 gewährte die Stadt A. der Klägerin bezüglich der Bestattungsgebühren eine Ratenzahlung (monatliche Raten zu 50,00 Euro), beginnend ab dem 1. Juli 2012. Ratenzahlungen in Höhe von jeweils 50,00 Euro leistete die Klägerin am 16. Juli, 15. August und 14. September 2012 sowie 14. Februar 2013 und ferner in Höhe einer Rate von 100,00 Euro am 15. November 2012 (insgesamt 300,00 Euro). Von Seiten des Bestattungsinstituts W. erfolgte eine Mahnung mit Schreiben vom 5. März 2012, wobei sich die Forderungssumme unter Einschluss einer Mahngebühr (10,00 Euro) nunmehr auf 1.285,50 Euro belief; auch das Bestattungsinstitut bot eine Ratenzahlung an, sofern die „Sterbegeldhilfe“ abgelehnt werde. Die Stadt B. mahnte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Juli 2012 (Gesamtforderung nunmehr 1.099,45 Euro einschließlich von Säumniszuschlägen und Mahngebühr), erklärte sich jedoch mit Schreiben vom 23. August 2012 bereit, die Entscheidung des Beklagten abzuwarten.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 14. August 2012 (Eingang beim Beklagten am 16. August 2012) beantragte die Klägerin die Rücknahme des Bescheids vom 7. November 2011 über die Bestimmung des § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Zur Begründung verwies sie darauf, dass allenfalls die Geschwister K.R. und P.R. die Erbschaft nicht ausgeschlagen hätten, wobei Letztgenannter eine Beteiligung an den Beerdigungskosten unter Hinweis auf die von ihm vorgetragene unwürdige Behandlung durch seine Mutter kategorisch ablehne und ohnehin beide Erben mangels vorhandenen Nachlassvermögens die Haftung „problemlos“ durch einen Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens beschränken könnten. Ihr sei als Tochter, die mit der Mutter unter einem Dach gelebt habe, überhaupt nichts anderes übrig geblieben, als die Beerdigung zu veranlassen, sodass sie für die Kosten persönlich hafte.
Durch Bescheid vom 30. Oktober 2012 lehnte der Beklagten den Überprüfungsantrag ab, weil die Klägerin auf Grund Ausschlagung der Erbschaft aus dem Kreis der zur Tragung der Bestattungskosten Verpflichteten ausgeschieden sei. Vorliegend sei der Nachweis nicht geführt, dass die Erben nicht in der Lage seien, die Bestattungskosten zu tragen. Der Widerspruch der Klägerin, mit dem sie ergänzend noch geltend machte, zur Totenfürsorge verpflichtet gewesen zu sein, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2012 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei verpflichtet, sich wegen des Ausgleichs der Bestattungskosten zunächst an die gesetzlichen Erben zu wenden; sie habe sich, sofern diese nicht leistungspflichtig seien, an die gleichrangig zur Tragung der Bestattungskosten verpflichteten Geschwister zu halten. Bei § 74 SGB XII handele es sich um einen sozialhilferechtlichen Anspruch eigener Art. Deshalb habe derjenige, der die Übernahme der Bestattungskosten beantrage, nicht nur „bereite Mittel“ einzusetzen, sondern auch etwaige aus Anlass des Todes entstandene Ansprüche durchzusetzen, wozu auch Ansprüche auf Kostenersatz gegen vorrangig oder gleichrangig Verpflichtete gehörten. Den Nachweis, dass von diesen Verpflichteten ein Ersatz ihrer Aufwendungen nicht zu holen sei, habe die Klägerin jedoch nicht erbracht.
Deswegen hat die Klägerin am 14. Januar 2013 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Unter Wiederholung ihres Vorbringens im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren hat sie noch vorgebracht, sie habe ihre pflegebedürftige Mutter am 4. Juli 2008 in die eheliche Wohnung aufgenommen und dort versorgt und gepflegt; zu allen näheren Verwandten habe keinerlei Kontakt mehr bestanden, insbesondere nicht zu ihren Geschwistern. P.R. habe es trotz ihrer Bitten abgelehnt, an der Beerdigung der Mutter teilzunehmen. Zu S.R. habe nie eine Verbindung bestanden. H.G., die ihres Wissens in geordneten Verhältnissen lebe, habe den Kontakt einschlafen lassen, nachdem L.M. im Jahr 2008 zu ihr übergesiedelt sei; diese Schwester habe auf Fragen nach einer Kostentragung schließlich mit dem Abbruch der Beziehungen reagiert. Sie - die Klägerin - sei die einzige nahe Bezugsperson der L.M. gewesen; sie sei nach den Grundsätzen der Totenfürsorgepflicht sowie auf Grund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung gehalten gewesen, die Bestattung zu veranlassen. Eine Unterhaltspflicht ihrerseits gegenüber der L.M. habe nicht bestanden, weil deren Lebensbedarf mit dem Einkommen in Gestalt der Renten und des Pflegegeldes „gerade so“ gesichert gewesen sei. Aus ihrer Aushilfstätigkeit mit Putztätigkeit habe sie die erste Zahlung erst im September 2011 erhalten. Ihr Ehemann habe seinen Unterhalt dadurch geleistet, dass er für ihren täglichen Bedarf (Wohnung, Verpflegung, Kleidung) gesorgt habe; zu darüber hinausgehenden Leistungen sei er nicht in der Lage gewesen. Bis Mai 2012 habe ihr Ehemann zudem lediglich Krankengeld erhalten; hiervon seien die monatlichen Darlehenslasten für das Hausgrundstück (382,00 Euro), sämtliche Haushaltskosten (Heizung, Strom, Gebäudeinstandhaltung, Grundsteuer, Hausversicherungen), also weitere 500,00 Euro, abgegangen, sodass für einen eventuellen finanziellen Unterhaltsanspruch nichts übriggeblieben sei. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Mit Urteil vom 23. April 2013 hat das SG den Beklagten unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, die „Kosten der Bestattung von L. M. zu 2/3 dem Grunde nach zu übernehmen“ und im Übrigen die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei trotz Ausschlagung des Erbes gemäß § 1615 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verpflichtet gewesen, die Beerdigungskosten nach dem Tod ihrer Mutter zu tragen; deren Lebensunterhaltssicherung sei nur durch die Aufnahme in den Haushalt der Klägerin und damit über eine teilweise Unterhaltsgewährung möglich gewesen. Verpflichtete im Sinne des § 74 SGB XII seien daneben B.K. und H.G. gewesen; hingegen könne für die Geschwister P.R., S.R. und K.R. keine derartige Verpflichtung angenommen werden. Bei den zuerst Genannten stehe dem entgegen, dass sie noch zur Kinderzeit auch auf Grund des Verhaltens der L.M. in einem Heim hätten untergebracht werden müssen (§ 1611 BGB), während beim Letztgenannten feststehe, dass er angesichts des Bezugs von Eingliederungshilfe nicht leistungsfähig gewesen sei (§ 1603 BGB). Der Klägerin sei es jedoch bei Vorhandensein von insgesamt drei Verpflichteten allein zumutbar, die Kosten der Bestattung in Höhe ihres Anteils von einem Drittel zu tragen. Zwar sei die Einkommensgrenze des § 85 Abs. 1 SGB XII überschritten; § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB XII knüpfe den Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze indes - wie § 74 SGB XII - ebenfalls an den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe könne es der Klägerin lediglich zugemutet werden, ein Drittel der Bestattungskosten (961,76 Euro) selbst zu tragen, wobei auch zu bedenken sei, dass es ihr noch vor Ergehen des Bescheids vom 7. November 2011 gelungen sei, eine geringfügige Aushilfstätigkeit zu finden. Auf einen Ausgleichsanspruch gegen ihre Schwestern B.K. und H.G. könne die Klägerin dagegen nicht zumutbar verwiesen werden. Das Urteil ist dem Beklagten am 31. Mai 2013, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 3. Juni 2013 zugestellt worden.
Der Beklagte hat gegen das Urteil des SG am 13. Juni 2013, die Klägerin am 24. Juni 2013 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Zur Begründung seiner Berufung hat der Beklagte ausgeführt, zwar sei K.R. nicht leistungsfähig, jedoch sei auch P.R. Erbe geworden. Die von diesem vorgetragene unwürdige Behandlung durch seine Mutter reiche als Nachweis nicht aus, dass ihm die Übernahme der Bestattungskosten unzumutbar wäre; ob die Voraussetzungen des § 1611 BGB vorlägen, sei nicht erwiesen, wobei vom SG außerdem nicht geprüft worden sei, ob dieser sich als Erbe überhaupt auf die genannte Vorschrift berufen könne. Darüber hinaus sei die Klägerin neben ihren drei Geschwistern gleichrangig zum Unterhalt verpflichtet gewesen (§§ 1601 ff. BGB). Sofern sie allein für die Bestattungskosten aufgekommen sei, müsse sie sich von ihren Geschwistern deren entsprechenden Anteil im Innenverhältnis erstatten lassen. Ihr sei eine streitige Auseinandersetzung mit den gleichrangigen Geschwistern zumutbar, da diese nur anteilsmäßig hafteten, sowie auch vor dem Hintergrund, dass jedes Geschwisterteil im Fall der Leistungsunfähigkeit die Übernahme der Kosten beim Sozialamt beantragen könne. Es könne nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers sein, Ansprüche der Klägerin aus dem Gesamtschuldverhältnis auf sich überzuleiten, zumal diese in der Lage sei, jedenfalls ein Drittel der Bestattungskosten selbst zu tragen. Bei Prüfung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin sei im Rahmen des § 74 SGB XII auch das Einkommen von deren Ehemann maßgeblich.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. April 2013 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, ferner, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. April 2013 abzuändern und den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 30. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Dezember 2012 zu verurteilen, unter vollständiger Rücknahme des Bescheids vom 7. November 2011 die Kosten für die Bestattung der L. M. in vollem Umfang zu übernehmen, ferner, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgebracht, sie sei unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig gewesen, weil sie erst zum 25. Juli 2011 eine Aushilfsstelle gefunden habe, aus der sie zudem monatlich weniger als 300,00 Euro Lohn erzielt habe. Die damaligen Einkünfte ihres Ehemanns könnten ihr nicht zugerechnet werden. Rechtsstreite gegen die Erben zu führen, sei ihr nicht zuzumuten. P.R. habe mit seiner Antwort auf das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 23. Januar 2012 den Verwirkungseinwand nach § 1611 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB erhoben. Ferner erscheine der Verweis auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit den möglicherweise unterhaltsrechtlich eintrittspflichtigen Schwestern (B.K. und H.G.) nicht zumutbar. Auch diese seien von ihrer Mutter vernachlässigt worden; ein Heimaufenthalt sei ihnen nur erspart geblieben, weil sie von ihren Großeltern aufgenommen und großgezogen worden seien.
Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.
Die Berufung des Beklagten hat Erfolg, nicht dagegen die Berufung der Klägerin.
Die Berufungen von Klägerin und Beklagtem sind zulässig. Sie sind gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsausschlussgründe des § 144 Abs. 1 SGG jeweils nicht entgegenstehen. Allein die Berufung des Beklagten ist jedoch begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Bestattung der L.M. durch den Beklagten.
Ihr Begehren verfolgt die Klägerin zu Recht im Wege der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4, § 56 SGG; vgl. hierzu Bundessozialgericht SozR 3-1300 § 44 Nr. 8; BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 20 ). Dass sie nur ein Grundurteil (§ 130 Abs. 1 SGG) erstrebt, ist bei dem auf eine Geldleistung gerichteten Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII zulässig (vgl. BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 71 Nr. 1 ). Der beklagte Landkreis ist richtiger Gegner des Verfahrens; denn er ist der für die Gewährung der begehrten Leistung sachlich und örtlich zuständige Sozialhilfeträger (§ 97 Abs. 1, § 98 Abs. 3 Alt. 2 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1, § 2 des Gesetzes zur Ausführung des SGB XII vom 1. Juli 2004 ).
Verfahrensrechtliche Grundlage für das Überprüfungsbegehren der Klägerin ist die Bestimmung des § 44 SGB X. Hiernach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Diese Bestimmung ist nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. nur BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 20; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 8 SO 24/14 R - ; ferner für den Bereich des Asylbewerberleistungsrechts BSG SozR 4-1300 § 44 Nr. 22; SozR 4-3520 § 3 Nr. 3) zur rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen auch im Sozialhilferecht grundsätzlich anwendbar. Die die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X modifizierende Regelung in § 116a SGB XII (in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes vom 24. März 2011 ; vgl. dazu etwa BSGE 114, 20 = SozR 4-3520 § 9 Nr. 4) ist vorliegend gewahrt, denn die Klägerin hat ihren Überprüfungsantrag bereits im August 2012, also innerhalb der auf die Zeit ab dem 1. Januar 2011 zurückzurechnenden Einjahresfrist des § 116a SGB XII gestellt.
Indessen ist nach der vorgenannten höchstrichterlichen Rechtsprechung, welcher der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt (vgl. nur Senatsurteil vom 21. Juli 2011 - L 7 AY 879/11 - ), für einen Anspruch auf rückwirkende Erbringung von Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens - entgegen der Judikatur zu § 44 SGB X in anderen Sozialleistungsbereichen (vgl. etwa BSGE 57, 209, 210 = SozR 1300 § 44 Nr. 13; BSGE 90, 136, 138 = SozR 3-2600 § 300 Nr. 18) - allein nicht ausreichend, dass bei Erlass bestandskräftig gewordener Verwaltungsakte Leistungen zu Unrecht vorenthalten worden sind. Vielmehr ist unter Beachtung des § 44 Abs. 4 SGB X ("nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs") den Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, dass die Leistungen der Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dienen und deshalb für zurückliegende Zeiten lediglich dann zu erbringen sind, wenn die Leistungen ihren Zweck noch erfüllen können (vgl. hierzu und nachfolgend grundlegend BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 20). Maßgebender Zeitpunkt für die zu treffende Entscheidung ist dabei die letzte Tatsacheninstanz, nicht der Zeitpunkt der Einleitung des Überprüfungsverfahrens.
Der Vorrang des effektiven Rechtsschutzes muss nach allem bei Anwendung der Zugunstenregelung des § 44 SGB X, die der materiellen Gerechtigkeit dient (vgl. hierzu auch BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 21), im Sozialhilferecht regelmäßig zurücktreten. Das Gebot der materiellen Gerechtigkeit verlangt unter den genannten sozialhilferechtlichen Aspekten gerade nicht, dem (ggf. früher einmal) Hilfebedürftigen eine Leistung zu gewähren, der er nicht (mehr) bedarf. Das BSG hat hierzu zwei Fallkonstellationen unterschieden, nämlich (1.) den Wegfall des Bedarfes und (2.) der Bedürftigkeit. Die erste Fallgruppe betrifft etwa Leistungsablehnungen für Bedarfe, die nicht angefallen sind (z.B. Nichtteilnahme an Klassenfahrten, Verzicht auf kostenaufwändige Ernährung). Die zweite Fallgruppe verlangt, dass die Hilfebedürftigkeit durchgehend fortbesteht, also nicht temporär oder auf Dauer entfallen ist. Das bedeutet mit Blick auf die Bestimmung des § 74 SGB XII, die im Recht der Sozialhilfe eine Sonderstellung einnimmt (vgl. hierzu nachstehend), dass im Zugunstenverfahren zunächst zu prüfen ist, ob der Bedarf (hier in Form der Schulden gegenüber dem Bestattungsunternehmen, dem Friedhofsamt u.dgl.) überhaupt noch besteht oder aber bereits gedeckt ist (vgl. hierzu auch BSG, Beschluss vom 8. Oktober 2010 - B 8 SO 49/10 B - ); darüber hinaus ist das in der Bestimmung vorgesehene besondere Kriterium der Zumutbarkeit zu beachten, das, was die insoweit ebenfalls zu beachtenden wirtschaftlichen Verhältnisse betrifft, eine entsprechende Bedürftigkeit der anspruchsstellenden Person durchgehend bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz voraussetzt. Einen Grundsatz dahin, dass der Antragsteller im Zugunstenverfahren stets so zu stellen sei, als wäre von vornherein rechtmäßig entschieden worden, gibt es nicht (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 a.a.O. ).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Maßstäbe vermag die Klägerin im vorliegenden Zugunstenverfahren solche Kosten schon nicht über den von ihr geltend gemachten Anspruch nach § 74 SGB XII vom Beklagten einzufordern, die sie bereits selbst verauslagt hat; dies sind hier die bislang erbrachten Ratenzahlungen auf die Forderung der Stadt Albstadt (insgesamt 300,00 Euro). Aber auch sonst kann die Klägerin mit Ihrem Begehren auf Übernahme der Kosten für die Bestattung ihrer Mutter L.M. unter Rücknahme des Bescheids vom 7. November 2011 nicht durchdringen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Die Bestimmung des § 74 SGB XII regelt, dass die erforderlichen Kosten einer Bestattung vom Sozialhilfeträger übernommen werden, sofern den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Die Vorschrift nimmt - wie bereits oben ausgeführt - im Recht der Sozialhilfe eine Sonderstellung ein. Den sozialhilferechtlichen Bedarf im Sinne des § 74 SGB XII stellt nicht die Bestattung als solche oder deren Durchführung dar; vielmehr dient die Regelung der Vermeidung einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten durch die Kosten der Beerdigung (vgl. BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 ; ferner zur Vorgängerregelung in § 15 des Bundessozialhilfegesetzes Bundesverwaltungsgericht BVerwGE 105, 51). Auf Grund der gegenüber den üblichen sozialhilferechtlichen Bedarfssituationen abweichenden Normstruktur sind deshalb in mehrfacher Hinsicht Besonderheiten zu beachten. Dies gilt nicht nur für den hier nicht anzuwendenden Kenntnisnahmegrundsatz (§ 18 SGB XII), sondern auch für die Bedürftigkeitsprüfung des § 19 Abs. 3 i.V.m. § 74 SGB XII (siehe hierzu nachfolgend).
Die Verpflichtung, die Kosten einer Beerdigung zu tragen, wird in § 74 SGB XII nicht näher umschrieben oder definiert, sondern als anderweitig begründet vorausgesetzt (vgl. BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 ). Die Vorschrift beinhaltet im rechtlichen Ansatz nicht eine sozialhilferechtliche Unterstützung des Verstorbenen, sondern des Kostenpflichtigen; die Notwendigkeit eingegangener Kostenverpflichtungen als Voraussetzung des sozialhilferechtlichen Bedarfs ist daher von dessen Person her zu bestimmen (vgl. schon BVerwGE 116, 287, 290; BVerwG Buchholz 436.0 § 15 BSHG Nr. 5). Für die Annahme einer solchen Pflicht bedarf es mithin eines besonderen zivil- oder öffentlich-rechtlichen Status; dieser ist zu unterscheiden von dem Totensorgerecht, einer in familienrechtlichen Beziehungen begründeten, näheren Verwandten zustehenden Rechtsposition (BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 2 ; ferner Greiser in jurisPK-SGB XII, § 74 Rdnrn. 49 ff. ). Der erforderliche besondere Status kann etwa aus den Bestimmungen des Erbrechts (§ 1968 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ) oder des Unterhaltsrechts (z.B. § 1615 Abs. 2 BGB), aber auch aus landesrechtlichen Regelungen über die Bestattungspflicht herrühren (vgl. BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 ; BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 2 ); dagegen genügt die bloß werkvertragliche Vereinbarung mit einem den Bestattungsvorgang durchführenden Unternehmer nicht. Nicht ausreichend ist ferner, dass der Bestattungsberechtigte aus sittlicher Verpflichtung oder sonst „freiwillig“ gehandelt hat und in diesem Rahmen Kostenverpflichtungen eingegangen ist (vgl. BVerwG Buchholz 436.0 § 15 BSHG Nr. 5; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII § 74 Rdnr. 6 ; H. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Auflage, § 74 Rdnr. 7; Berlit in LPK-SGB XII, 10. Auflage, § 74 Rdnr. 3). Zu beachten ist außerdem, dass „Verpflichteter“ im Sinne des § 74 SGB XII nur ist, wer der Kostenlast von vornherein nicht ausweichen kann, weil sie ihn - als letztlich Verpflichteten - rechtlich notwendig trifft (BVerwGE 101, 50, 53; BVerwG Buchholz 436.0 § 15 BSHG Nr. 5; Senatsurteile vom 25. März 2010 - L 7 SO 4476/08 - und vom 25. April 2013 - L 7 SO 5656/11 - ; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. März 2010 - L 15 SO 305/08 - ).
Die Bestimmung des § 74 SGB XII verlangt darüber hinaus als eigenständige Leistungsvoraussetzung eine Unzumutbarkeit der Kostentragung, welche die Bedürftigkeitsprüfung nach § 19 Abs. 3 SGB XII überlagert (BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 ; BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 2 ; ferner BVerwG Buchholz 436.0 § 15 BSGH Nr. 2). Der Begriff der Zumutbarkeit ist hierbei nach den Umständen des Einzelfalls auszulegen, wobei die Anforderungen an die Zumutbarkeit in der Regel umso geringer sind, je enger das Verwandtschaftsverhältnis oder die rechtliche Beziehung war (BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 ). Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bestattungspflichtigen zu beachten; insoweit dienen die Bedürftigkeitskriterien der §§ 85 bis 91 SGB XII als Orientierungspunkte für die Beurteilung der Zumutbarkeit (BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 2 ). Daher ist eine Bedürftigkeit im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. des SGB XII bezogen auf lebensunterhaltssichernde Leistungen ein wesentliches Kriterium der Zumutbarkeit im Sinne des § 74 SGB XII. Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld II oder von Leistungen für den Lebensunterhalt vor, ist deshalb regelmäßig von Unzumutbarkeit auszugehen (BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 ; BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 2 ). Die Bedürftigkeit muss jedoch bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der entsprechenden Schuldverpflichtungen vorliegen und grundsätzlich noch zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung fortbestehen (BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 ; BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 2 ; Greiser in jurisPK-SGB XII, a.a.O., Rdnr. 64). Im Zugunstenverfahren ist allerdings - wie oben bereits ausgeführt - die Besonderheit zu beachten, dass die Bedürftigkeit durchgehend bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz fortbestanden haben muss, mithin Zumutbarkeitsgesichtspunkte bis dahin zu keinem Zeitpunkt einer Leistungsgewährung entgegengestanden haben dürfen. Zuvörderst ist allerdings zu prüfen, ob die anspruchsstellende Person überhaupt im Sinne des § 74 SGB XII zur Bestattung verpflichtet war.
„Verpflichtete“ im Sinne des § 74 SGB XII konnte die Klägerin nach § 1968 BGB indessen nicht sein; denn sie hat - wie ihre drei Schwestern und ihre drei Kinder - die Erbschaft ausgeschlagen, sodass der Anfall der Erbschaft nach § 1953 Abs. 1 BGB als nicht erfolgt gilt. Die Ausschlagung wirkt auf den Erbfall, und zwar ex tunc, zurück; somit ist die Klägerin durch die Regelung des § 1968 BGB nicht belastet gewesen (vgl. BSGE104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 ; BVerwGE 114, 57, 58). Gegenüber der sich aus § 1968 BGB ergebenden Verpflichtung zur Tragung der Bestattungskosten sind im Übrigen sowohl die sich aus Familienrecht als auch aus öffentlich-rechtlicher Kostenlast ergebenden Pflichten subsidiär (soweit ersichtlich, einhellige Meinung; vgl. nur Greiser in jurisPK-SGB XII, a.a.O., Rdnr. 33; H. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, a.a.O., Rdnr. 5; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage, § 74 Rdnr. 13; Schlette in Hauck/Noftz, a.a.O., Rdnr. 4; Gotzen, ZfF 2012, 241, 242). Vorliegend sind indes mit den Brüdern der Klägerin - K.H. und P.R. - Erben vorhanden, die - soweit ersichtlich - die Erbschaft weder innerhalb der Frist des § 1944 BGB (für K.H. ggf. dessen Betreuerin) ausgeschlagen haben noch innerhalb der Fristen des § 1981 Abs. 2 Satz 2 BGB und des § 319 der Insolvenzordnung die Nachlassverwaltung oder die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens beantragt haben. Sonach ist die Klägerin nicht vorrangig Verpflichtete, wie es § 74 SGB XII indes voraussetzt. Auf das Urteil des BSG vom 29. September 2009 (BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr. 1) vermag sie sich insoweit schon deswegen nicht zu berufen, weil der dort entschiedene Sachverhalt gerade eine vorrangig Verpflichtete betraf, die im Rahmen der Zumutbarkeit der Kostentragung vom Sozialhilfeträger auf denkbare, im Ergebnis jedoch zweifelhafte Ausgleichsansprüche verwiesen worden war. Allerdings hat die Klägerin als Totenfürsorgeberechtigte (vgl. hierzu zuletzt Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Dezember 2011 - IV ZR 132/11 - ) grundsätzlich einen Ersatzanspruch nach § 1968 BGB gegenüber den Erben; sollte diesen wiederum die Tragung der Bestattungskosten nicht zumutbar sein, hätten sie selbst einen Anspruch nach § 74 SGB XII, der sich wegen § 98 Abs. 3 SGB XII wiederum gegen den im vorliegenden Verfahren beklagten Sozialhilfeträger richten würde. Einen solchen Antrag hat K.R. - wenngleich bislang lediglich formlos über die Lebenshilfe - auch bereits im Januar 2012 gestellt.
Aber selbst wenn der - vom Senat nicht geteilten - Auffassung zu folgen wäre, dass der Vorrang des Erben nach § 1968 BGB bereits dann nicht zum Tragen kommt, wenn dieser Anspruch wirtschaftlich wertlos ist und insoweit bereits die bloße Möglichkeit ausreichen würde, die Haftung gemäß den §§ 1975 ff. BGB auf den Nachlass zu beschränken (so Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. März 2000 - 22 A 3975/99 - ; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10. Januar 2005 - 12 A 11605/04 - ; ferner Brudermüller in Palandt, BGB, 75. Auflage, § 1615 Rdnr. 2; Born in Münchener Kommentar, BGB, 6. Auflage, § 1615 Rdnr. 7 ; zum Fiskus als Erben ferner BSGE 104, 219 = SozR 4-1300 § 74 Nr. 1 in einem obiter dictum), könnte die Klägerin hieraus vorliegend einen Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII noch nicht herleiten. Denn dann wäre zunächst zu prüfen, ob L.M. bereits vor ihrem Tod Unterhaltsansprüche gegen ihre Kinder gehabt hätte, die diese zur Tragung der Beerdigungskosten gemäß der Ausnahmeregelung in § 1615 Abs. 2 BGB verpflichtet hätten. Eine grundsätzliche Verpflichtung Verwandter in gerader Linie, einander Unterhalt zu gewähren (§ 1601 BGB), genügt insoweit nicht; vielmehr setzt auch § 1615 Abs. 2 BGB einerseits eine unterhaltsrechtliche Bedürftigkeit auf Seiten des Verstorbenen (§ 1602 BGB), andererseits eine eigene Leistungsfähigkeit des Verpflichteten voraus (BSGE 104, 219 = SozR 4-1300 § 74 Nr. 1 ). Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Verpflichtete zur Tragung der Bestattungskosten insoweit verpflichtet, als er ohne Gefährdung seines eigenen Unterhalts dazu imstande ist (Helmut Engler in Staudinger, Neubearbeitung 2000, BGB, § 1615 Rdnr. 15). Vorliegend hat die Klägerin geltend gemacht, dass auf Seiten der L.M. bereits keine Unterhaltsberechtigung bestanden hat und sie zudem selbst unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig gewesen sei. Wäre das der Fall, wäre sie auch unter dem Gesichtspunkt des § 1615 Abs. 2 BGB nicht „Verpflichtete“ im Sinne des § 74 SGB XII gewesen. Bei fehlender Unterhaltsbedürftigkeit der L.M. gälte dies auch für ihre Geschwister, sodass eine Bestattungspflicht der Klägerin allenfalls aus Öffentlichem Recht, und zwar gleichrangig mit ihren Geschwistern, in Betracht kommen würde (vgl. hierzu § 31 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 des Bestattungsgesetzes Baden-Württemberg ).
All das kann vorliegend indessen dahinstehen. Denn der Klägerin ist die Tragung der Bestattungskosten im vorliegenden Zugunstenverfahren aus sozialhilferechtlicher Sicht in jedem Fall zumutbar. Dabei kann sich die Zumutbarkeitsprüfung im Sinne des § 74 SGB XII hier auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin beschränken, weil sonstige Umstände für eine Unzumutbarkeit nicht ersichtlich und im Übrigen von dieser auch nicht geltend gemacht sind. Zu rekurrieren ist damit vorrangig auf die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII (vgl. BSGE 104, 219 = SozR 4-1300 § 74 Nr. 1