OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2016 - 9 U 98/14
Fundstelle
openJur 2016, 9913
  • Rkr:

1. Ein Leistungsausschluss in der Unfallversicherung wegen einer vorsätzlichen Straftat setzt voraus, dass nicht nur das äußere Geschehen der Straftat, sondern auch der strafrechtliche Vorsatz des Versicherungsnehmers nachgewiesen ist. Bleibt unklar, warum der Versicherungsnehmer nachts in ein fremdes Gebäude eingedrungen ist, hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, ob ein Vorsatz hinsichtlich eines versuchten Einbruchsdiebstahls oder hinsichtlich eines Hausfriedensbruchs festgestellt werden kann.

2. Bei einem nächtlichen Treppensturz in alkoholisiertem Zustand kommt ein Leistungsausschluss gemäß Ziff. 5.1.1 AUB 2010 (Unfall durch alkoholbedingte Bewusstseinsstörung) in Betracht. Eine Blutalkoholkonzentration von 1,0 Promille reicht nicht ohne weiteres für eine Schlussfolgerung aus, dass die Alkoholisierung für den Unfall ursächlich war. (Hier: Sturz auf einer dem Versicherungsnehmer unbekannten Kellertreppe bei völliger Dunkelheit.)

Hinweis: Die Berufung wurde von der Beklagten nach dem Beschluss des Senats zurückgenommen.

Tenor

Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 17.07.2014. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

Gründe

I.

Der Kläger hat bei der Beklagten eine Invaliditäts-Zusatzversorgung für die Zeit ab dem 01.11.2001 abgeschlossen (vgl. den Versicherungsschein, Anlage K1 nebst den Allgemeinen Bedingungen der A. Gesellschaften für die Unfallrente - im Folgenden abgekürzt: AUB A. -, Anlage K 2). Nach den vertraglichen Vereinbarungen sollte der Kläger bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % eine lebenslange Rente von monatlich 500,00 EUR erhalten. Nach einem Unfall vom 04.03.2011 verlangt der Kläger die Zahlung dieser Rente ab März 2011.

Am Abend des 03.03.2011 hielt sich der in G. lebende Kläger in der dortigen K. bei einer Faschingsveranstaltung des Turnvereins auf. Er nahm im Laufe des Abends alkoholische Getränke in unbekannter Menge zu sich. Im Laufe der Nacht verließ der Kläger die Veranstaltung; der genaue Zeitpunkt ist unbekannt.

Am Morgen des 04.03.2011 stellte der Inhaber eines in der Nähe befindlichen BMW-Autohauses, P. S., fest, dass die Scheibe eines Rolltores an der Seite des Firmengebäudes eingeschlagen war. Er untersuchte daraufhin die Räumlichkeiten des Gebäudes auf weitere Einbruchspuren und -folgen. Nach dem Öffnen einer Kellertür stellte P. S. fest, dass am unteren Ende der Kellertreppe der Kläger lag. Dieser war die Kellertreppe hinuntergestürzt und hatte schwerste Kopfverletzungen erlitten. Nachträgliche Ermittlungen ergaben, dass der Sturz des Klägers zwischen 00:30 und 07:30 Uhr erfolgt sein musste. Während der Nacht war der Strom im Autohaus abgeschaltet, so dass es im Bereich des Zugangs zum Keller und im Bereich der Kellertreppe dunkel war. Eine um 10:34 Uhr im Krankenhaus beim Kläger entnommene Blutprobe ergab zu diesem Zeitpunkt einen Ethanolgehalt des Blutes von 0,66 Promille. Daraus ergab sich nach einem im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingeholten rechtsmedizinischen Gutachten - im Zivilprozess unstreitig - ein Blutalkoholgehalt des Klägers zum Zeitpunkt seines Treppensturzes (zwischen 00:30 und 07:30 Uhr) von mindestens 1,0 Promille und höchstens 2,9 Promille. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei auf Grund der bestehenden Unfallversicherung verpflichtet, eine lebenslängliche Rente von 500,00 EUR /Monat zu zahlen. Nach dem Unfall habe sich eine dauerhafte Invalidität von mehr als 50 % ergeben.

Die Beklagte hat geltend gemacht, ein Versicherungsschutz sei für den streitgegenständlichen Unfall ausgeschlossen. Sie hat sich zum einen auf Ziff. 5.1.2 der AUB A. berufen. Der Unfall sei dem Kläger dadurch zugestoßen, dass er vorsätzlich eine Straftat ausgeführt habe (versuchter Einbruchsdiebstahl im Autohaus des P. S.). Zum anderen sei der Treppensturz nur durch die Alkoholisierung des Klägers erklärbar. Die Beklagte könne sich daher auch auf die Ausschlussklausel gemäß Ziff. 5.1.1 der AUB A. berufen (Unfall durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen).

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß wie folgt verurteilt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.500,00 EUR zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 500,00 EUR seit dem 01.03.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.04.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.05.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.06.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.07.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.08.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.09.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.10.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.11.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.12.2011, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.01.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.02.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.03.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.04.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.05.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.06.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.07.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.08.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.09.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.10.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.11.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.12.2012, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.01.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.02.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.03.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.04.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.05.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.06.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.07.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.08.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.09.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.10.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.11.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.12.2013, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.01.2014, aus weiteren 500,00 EUR dem 01.02.2014, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.03.2014, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.04.2014, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.05.2014, aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.06.2014 und aus weiteren 500,00 EUR seit dem 01.07.2014.

2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, ab August 2014 an den Kläger eine lebenslange Monatsrente in Höhe von 500,00 EUR monatlich im Voraus zu bezahlen, längstens bis zum sechsten Monat nach dem Tod des Klägers oder bis zu dem Monat, in dem eine Neubemessung der auf dem Unfall vom 04.03.2011 in Gengenbach zurückzuführenden Invalidität ergeben hat, dass der unfallbedingte Invaliditätsgrad unter 50 % liegt.

Das Landgericht hat ausgeführt, nach dem erstinstanzlich eingeholten medizinischen Gutachten stehe fest, dass bei dem Kläger eine Invalidität von mehr als 50 % im Sinne der AUB A. vorliege. Da die Beklagte den Kläger nicht auf die Folgen eines eventuellen Fristversäumnisses hingewiesen habe, könne sie sich gemäß § 186 VVG nicht darauf berufen, dass die Invalidität nicht rechtzeitig von einem Arzt festgestellt worden sei. Eine vorsätzliche Straftat des Klägers, die dem Anspruch entgegenstehen könnte, sei nicht nachgewiesen. Denn zu Gunsten des Klägers sei - wie im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Kläger - von einer Alkoholkonzentration beim Treppensturz von 2,9 Promille auszugehen, woraus eine Schuldunfähigkeit abzuleiten sei. Im Übrigen fehle es an einem adäquaten Kausalzusammenhang zwischen einem - möglichen - versuchten Einbruchsdiebstahl des Klägers und dem Treppensturz; denn ein Treppensturz gehöre nicht zu den eigentümlichen Gefahren eines Einbruchdiebstahls. Auch auf eine Bewusstseinsstörung auf Grund der Alkoholisierung des Klägers könne sich die Beklagte nicht berufen. Denn es sei nicht bewiesen, dass die Alkoholisierung ursächlich für den Sturz gewesen sei. Ein Treppensturz bei völliger Dunkelheit könne auch einem nicht alkoholisierten Versicherungsnehmer in gleicher Weise passieren.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie ist der Auffassung, auf die Frage der Schuldunfähigkeit komme es für den Ausschluss des Versicherungsschutzes nicht an. Denn es sei - wahlweise - entweder von einer vorsätzlichen Straftat des Klägers (Hausfriedensbruch durch widerrechtliches Eindringen in das Autohaus) auszugehen oder bei einer angenommenen Blutalkoholkonzentration von 2,9 Promille von einem durch eine Bewusstseinsstörung verursachten Unfall. Welche der beiden Alternativen zutreffend sei, könne letztlich dahinstehen. Denn es stehe fest, dass eine dritte Möglichkeit - Verursachung des Unfalls weder durch eine vorsätzliche Straftat noch durch eine Bewusstseinsstörung - ausscheide. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei sowohl im Fall einer vorsätzlichen Straftat (Hausfriedensbruch) als auch im Fall einer Bewusstseinsstörung (Alkoholgehalt von 2,9 Promille) davon auszugehen, dass die jeweiligen für die Ausschlussklausel maßgeblichen Umstände für den Sturz zumindest mitursächlich gewesen seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 17.07.2014 - 3 O 94/13 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts. Er ergänzt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.II.

Die zulässige Berufung der Beklagten dürfte voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben. Eine Entscheidung des Senats nach mündlicher Verhandlung erscheint auch im Hinblick auf die Gesichtspunkte gemäß § 522 Abs. 2 Ziff. 2, 3, 4 ZPO nicht erforderlich. Nach vorläufiger Auffassung des Senats hat das Landgericht zu Recht der Klage stattgegeben. Die vertraglich vereinbarten Voraussetzungen für eine lebenslängliche Invaliditätsrente liegen vor.

1. Nach dem vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten steht fest, dass der Kläger mit einem Grad von mehr als 50 % invalide im Sinne der vereinbarten AUB A. ist. Die Invalidität beruht auf dem Unfall vom 04.03.2011. Die Feststellungen zur Invalidität werden von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht mehr angegriffen. Auch die formellen Voraussetzungen für die Leistungspflicht der Beklagten liegen vor; da ein Hinweis der Beklagten an den Kläger auf einzuhaltende Fristen unterblieben ist, kann sich die Beklagte auf ein Fristversäumnis gemäß § 186 Satz 2 VVG nicht berufen. Die monatliche Rente beträgt ausweislich des Versicherungsscheins 500,00 EUR. Gemäß Ziff. 3.1 AUB A. ist die Rente ab dem 01.03.2011 zu zahlen.

2. Der Versicherungsschutz ist nicht gemäß Ziff. 5.1.2 AUB A. ausgeschlossen. Der Unfall wurde nicht durch eine vorsätzliche Straftat des Klägers verursacht.

a) Die Beweislast für das Vorliegen eines Ausschlusstatbestands obliegt der Beklagten. Bei einer möglichen vorsätzlichen Straftat gilt dies sowohl für den objektiven Tatbestand des Strafgesetzes als auch für den Vorsatz. Der Nachweis einer vorsätzlichen Straftat ist von der Beklagten nicht geführt.

b) Es ist davon auszugehen, dass bei dem Kläger zu dem Zeitpunkt, als er das Gebäude des Autohauses betrat und zum Zeitpunkt seines Treppensturzes eine Alkoholisierung von mindestens 1,0 Promille vorlag. Ob der Kläger wegen einer höheren Alkoholisierung schuldunfähig war, kann dahinstehen. Eine vorsätzliche Straftat ist auch dann nicht nachgewiesen, wenn man - insoweit zu Gunsten der Beklagten - von einer Alkoholisierung des Klägers in Höhe von nicht mehr als 1,0 Promille ausgeht.

c) Es ist unbekannt, ob der Kläger in der fraglichen Nacht die Scheibe des Rolltores selbst eingeschlagen hat, oder ob er das Gebäude des Autohauses betreten hat, nachdem die Scheibe bereits vorher von einer dritten Person eingeschlagen war. Es ist außerdem nicht bekannt, aus welchem Grund der Kläger sich in das Autohaus begeben hat. Er selbst kann sich - auf Grund einer retrograden Amnesie - an das Geschehen nicht mehr erinnern. Zu Gunsten des Klägers ist im Rahmen der verschiedenen in Betracht kommenden Möglichkeiten von der für ihn günstigsten Variante auszugehen.

Es ist - wie vom Kläger ausdrücklich geltend gemacht - möglich, dass er das Autohaus nicht betreten hat, um eine Straftat zu begehen, sondern dass er vielmehr die eingeschlagene Scheibe des Gebäudes bemerkte und anschließend das Innere des Gebäudes betrat, um dort wegen eines möglichen Einbruchs „nach dem Rechten zu sehen, um zu prüfen, ob „alles in Ordnung“ ist.

In dieser Sachverhaltsvariante kommt eine vorsätzliche Straftat des Klägers nicht in Betracht. Die Voraussetzungen eines vorsätzlichen Hausfriedensbruchs liegen nicht vor. Wenn der Kläger das Gebäude betreten hat, um bei einem Einbruchsverdacht „nach dem Rechten“ zu sehen, handelte er - aus seiner Sicht - im Interesse des Besitzers P. S.. In einem derartigen Fall ist davon auszugehen, dass der Kläger entweder nicht gegen den Willen des Berechtigten handelte, in dessen Interesse eine Überprüfung des Einbruchsverdachts möglicherweise war, oder dass es zumindest am erforderlichen Vorsatz des Klägers fehlte. Denn wenn er aus seiner Sicht im Interesse des Eigentümers handelte, fehlt es mindestens an einem Bewusstsein, das Gebäude gegen den Willen des Berechtigten zu betreten. Damit scheidet eine Strafbarkeit des Klägers nach § 123 StGB (Hausfriedensbruch) aus. (Vgl. zum erforderlichen Vorsatz im Rahmen von § 123 StGB Fischer, StGB, 62. Auflage 2015, § 123 StGB, RdNr. 16, 41.).

d) Es gibt keine Indizien und Beweismittel, die zum Nachweis einer vorsätzlichen Straftat (versuchter Einbruchsdiebstahl) ausreichen würden.

aa) Aus den polizeilichen Ermittlungen ergibt sich, dass auch die Polizei nicht klären konnte, weshalb der Kläger das Autohaus betreten hat. Im Gebäude wurden keine Spuren vorgefunden, wie zum Beispiel aufgebrochene Behältnisse, aus denen sich eine Diebstahlsabsicht ergeben würde. Der am … 1974 geborene Kläger ist vor dem fraglichen Geschehen nie wegen eines Diebstahls oder eines Diebstahlsverdachts polizeilich in Erscheinung getreten. Auch die persönlichen Umstände sprechen eher gegen einen Diebstahlsversuch. Der Kläger kannte den Geschädigten P. S., bei dem er früher für eine gewisse Zeit selbst gearbeitet hatte. Zwischen der Familie des Geschädigten und der Familie der Ehefrau des Klägers gibt es in G. bekanntschaftliche Kontakte (wechselseitige Kundenbeziehungen). Die polizeilichen Ermittlungen führten zwar nicht zu der Feststellung, dass eine weitere Person in derselben Nacht in das Autohaus eingedrungen sein muss. Andererseits hat sich aus den Ermittlungen jedoch auch nicht ergeben, dass ein versuchter Einbruch durch eine andere Person ausgeschlossen wäre, sei es, dass diese Person in das Autohaus eingedrungen ist, oder sei es, dass diese Person - vom Kläger gestört - den Einbruchsversuch abgebrochen hat.

bb) Weitere Beweismittel, die zum Nachweis eines versuchten Einbruchsdiebstahls des Klägers führen könnten, sind nicht vorhanden. Die Polizei hat zwar im Gebäude des Autohauses verschiedene Spuren sichergestellt, die eventuell Rückschlüsse auf eine bestimmte Person zulassen könnten. Die Spuren wurden jedoch nicht untersucht. Nach dem entsprechenden Vermerk in der Ermittlungsakte ist eine nachträgliche Untersuchung dieser Spuren inzwischen nicht mehr möglich, da die sichergestellten Asservate nach sechs Monaten vernichtet wurden. Wegen der bestehenden Unklarheiten hat die Staatsanwaltschaft zwar das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen möglicher Schuldunfähigkeit eingestellt, gleichzeitig dabei jedoch darauf hingewiesen, dass das „Motiv“ des Klägers für sein Handeln in der fraglichen Nacht offen sei.

cc) Es kommt nicht darauf an, ob und inwieweit ein mögliches Handeln des Klägers - aus seiner Sicht im Sinne des Geschädigten P. S. - sinnvoll und vernünftig war. Auch dann, wenn es in der gegebenen Situation - die entsprechende Sachverhaltsvariante zu Gunsten des Klägers unterstellt - vernünftiger gewesen wäre, die Polizei anzurufen, ändert dies nichts. Auch wenn die Vorstellung des Klägers, im Interesse des Geschädigten im Autohaus „nach dem Rechten“ zu sehenunvernünftig war, lässt eine solche Vorstellung den Vorsatz hinsichtlich eines entgegenstehenden Willens des Berechtigten entfallen. Es spielt daher auch keine Rolle, ob und inwieweit die Alkoholisierung des Klägers dazu beigetragen haben mag, dass er sich bei der Überprüfung eines möglichen Einbruchs „zu viel zugetraut hat“.

3.Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass der Unfall durch eine Bewusstseinsstörung verursacht worden wäre (vgl. Ziff. 5.1.1 AUB A.). Auch insoweit ist der erforderliche Nachweis der Beklagten nicht gelungen.

a) Für die Frage einer möglichen Bewusstseinsstörung im Sinne der Versicherungsbedingungen ist zu Gunsten des Klägers von einem Alkoholspiegel zur fraglichen Zeit von lediglich 1,0 Promille auszugehen (siehe oben).

b)Bei einem Blutalkoholgehalt von nicht mehr als 1,0 Promille lässt sich nicht feststellen, dass der Treppensturz durch die Alkoholisierung verursacht oder mitverursacht worden ist.

aa) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Sturz eines Menschen (über eine Treppe, über ein Balkongeländer oder durch ein geöffnetes Fenster) im Einzelfall durch eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung im Sinne der AUB A. mitverursacht sein kann. Dabei kommt es jeweils zum einen auf den Grad der Alkoholisierung an und zum anderen auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. (Vgl. z.B. OLG Koblenz, RuS 1992, 179; OLG Koblenz, RuS 2000, 304; KG Berlin, NJW-RR 2003, 976; OLG Rostock, Urteil vom 22.11.2004 - 6 U 219/03 -, zitiert nach juris, OLG Celle, VersR 2009, 1215; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 29. Auflage 2015, Ziff. 5 AUB 2010, RdNr. 11.)

bb) Es ist denkbar, dass der Treppensturz des Klägers durch eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung im Sinne der Versicherungsbedingungen mitverursacht wurde. Auf Grund der vorliegenden Umstände ist jedoch ein Nachweis nicht möglich. Die indizielle Bedeutung der Alkoholisierung ist relativ gering, da lediglich von einer Blutalkoholkonzentration von 1,0 Promille ausgegangen werden kann. Bei einem Treppensturz ist eine solche Alkoholisierung zum Nachweis für die Ursächlichkeit einer Bewusstseinsstörung im Sinne der Versicherungsbedingungen in der Regel nicht ausreichend, sofern keine anderen Umstände hinzutreten, die einen solchen Rückschluss erlauben. (Vgl. zu ähnlichen Fällen OLG Koblenz, RuS 1992, 179; OLG Rostock, Urteil vom 22.12.2004 - 6 U 219/03 -, zitiert nach juris; ebenso bei gleichartigen Versicherungsbedingungen in Österreich OGH Wien, VersR 1996, 739.)

Es ist unbekannt, wie sich der Kläger vor dem Treppensturz verhalten hat. Es fehlt eine Beobachtung von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen, die einen Rückschluss zu Lasten des Klägers zulassen könnten. Außerdem fehlen Feststellungen zu einer Alkoholgewöhnung des Klägers. Der Senat kann daher nicht feststellen, inwieweit der Kläger bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,0 Promille voraussichtlich in der Lage war, sich auf einer Treppe mit oder ohne Beleuchtung sicher zu bewegen.

Im Wege eines Anscheinsbeweises wird bei einer Alkoholisierung eine für den Unfall ursächliche Bewusstseinsstörung dann angenommen, wenn davon auszugehen ist, dass ein Nüchterner die betreffende Situation ohne Schwierigkeiten gemeistert hätte (vgl. beispielsweise OLG Celle, Urteil vom 12.03.2009 - 8 U 177/08 -, RdNr. 47, zitiert nach juris). Bei dieser Frage ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er sich in einem für ihn unbekannten Gebäude bei völliger Dunkelheit bewegt hat.

Dabei handelt es sich um eine auch für einen Nüchternen gefährliche und nicht ohne Weiteres beherrschbare Situation. Auch ein nüchterner Mensch kann in dieser Situation die räumliche Orientierung verlieren und über eine für ihn nicht erkennbare Kellertreppe stürzen. Damit scheidet der Nachweis einer unfallursächlichen Bewusstseinsstörung aus.

4. Es steht nach alledem fest, dass zu Gunsten des Klägers von einer in Betracht kommenden Sachverhaltsvariante auszugehen ist, in der weder die Voraussetzungen von Ziff. 5.1.2 AUB A. (vorsätzliche Straftat) noch von Ziff. 5.1.1 AUB A. (unfallursächliche Bewusstseinsstörung) vorliegen. Auf die Frage, ob zwischen den beiden von der Beklagten geltend gemachten Ausschlusstatbeständen bei Unklarheiten eine versicherungsrechtliche Wahlfeststellung in Betracht kommen kann, kommt es mithin aus tatsächlichen Gründen nicht an (vgl. zur Frage der Wahlfeststellung zwischen verschiedenen Ausschlusstatbeständen in der Unfallversicherung beispielsweise OLG Stuttgart, OLGR 1998, 393).