LG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2015 - 11 S 109/14
Fundstelle
openJur 2016, 9882
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 15.08.2014 - 4 C 217/14 - abgeändert:

1. Die in der Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft ... in ... am 05.05.2014 unter TOP 10 gefassten Beschlüsse werden für ungültig erklärt.

2. Die Beklagten werden verurteilt, dem Einbau von Rauchwarnmeldern nach § 15 Abs. 7 der Landesbauordnung Baden-Württemberg zuzustimmen.

II. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)I.

Die Mitglieder der Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaft ... und ... in ... streiten über die Konsequenzen der gemäß der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO) seit 2015 geltenden Verpflichtung zur Ausstattung von Aufenthaltsräumen sowie Rettungswegen mit Rauchwarnmeldern. Die Miteigentümer haben mit jeweils großer Mehrheit in der Eigentümerversammlung am 05.05.2014 sowohl die Anmietung als auch den Kauf sowie die Wartung von Rauchmeldern für die Wohnungen abgelehnt und mehrheitlich beschlossen, für diesen Fall den Verwalter aus der Haftung zu entlassen mit der Folge, dass jeder Eigentümer selbst für seine Rauchmelder verantwortlich sei. Das Amtsgericht hat die mit dem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise auf Ungültigerklärung der gefassten Beschlüsse verbundene Klage auf Verurteilung der übrigen Wohnungseigentümer zur Beschlussfassung des Inhalts, dass spätestens zum 01.01.2015 der Einbau von Rauchwarnmeldern vorzunehmen sei, abgewiesen. Im Hinblick darauf, dass die Eigentümergemeinschaft auch Teileigentumseinheiten umfasse, deren Sondereigentümer nicht den einschlägigen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen unterlägen, habe sich die Eigentümermehrheit ermessensfehlerfrei im Rahmen der "gekorenen" Wahrnehmungsbefugnis gegen eine Übernahme der brandschutzrechtlichen Verpflichtungen durch den Verband entschieden. Hiergegen wenden sich die Kläger, die zuletzt geltend gemacht haben, dass aus § 15 Abs. 7 LBO eine verpflichtende "geborene" Wahrnehmungsbefugnis resultiere.II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Sie führt zur Ungültigkeitserklärung der gefassten Beschlüsse und zur Verurteilung der Beklagten, dem Einbau von Rauchwarnmeldern nach § 15 Abs. 7 LBO zuzustimmen.

1. Die unter TOP 10 in vier Unterpunkten gefassten Beschlüsse sind zwar nicht wegen eines Verstoßes gegen eine Rechtsvorschrift i.S. des § 24 Abs. 4 Satz 1 WEG nichtig, denn sie negieren nicht die den Eigentümern gemäß § 15 Abs. 7 Satz 3 LBO auferlegten Pflichten, sondern sie setzen diese nur unzutreffend um, indem sie deren Wahrnehmung den Eigentümern überlassen. Sie entsprechen damit jedoch nicht ordnungsgemäßer Verwaltung und sind deshalb für ungültig zu erklären (§§ 21 Abs. 3 und 4, 24 Abs. 4 Satz 2 WEG).a)

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.02.2013 - V ZR 238/11 (NJW 2013, 3092) ist geklärt, dass den Wohnungseigentümern die Beschlusskompetenz über den Einbau und die Wartung von Rauchwarnmeldern in Wohnungen jedenfalls dann zusteht, wenn - wie hier - das Landesrecht eine entsprechende eigentumsbezogene Pflicht vorsieht, unabhängig davon, ob sich die öffentlich-rechtliche Pflicht an die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer als Verband, an die Mitglieder der Gemeinschaft als Mitberechtigte an dem bebauten Grundstück oder an den einzelnen Wohnungseigentümer richtet (BGH a.a.O. Rn. 7, 8). Auch hindert die (umstrittene) sachenrechtliche Einordnung von Rauchwarnmeldern die Annahme einer Beschlusskompetenz nicht (BGH a.a.O. Rn. 14).b)

aa) Ob die Wohnungseigentümer berechtigt sind, die Ausstattung der Wohnungen mit Rauchwarnmeldern zur Angelegenheit der Gemeinschaft zu machen, oder ob sie darüber hinaus dazu verpflichtet sind, hängt von den maßgeblichen landesrechtlichen Bestimmungen ab. Verpflichten diese die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband zum Einbau von Rauchmeldern, folgt die Beschlusskompetenz aus § 10 Abs. 6 Satz 2 WEG, Richtet sich die Pflicht an die Gesamtheit der Wohnungseigentümer als Grundstückseigentümer, ist der Verband gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG, nach der die Gemeinschaft die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahrnimmt, ohne weiteres befugt, diese Pflicht zu erfüllen. Diese sogenannte geborene Wahrnehmungsberechtigung des Verbandes ist gegeben, wenn eine Verpflichtung, die im Außenverhältnis alle Wohnungseigentümer gleichermaßen trifft, nach der Interessenlage ein gemeinschaftliches Vorgehen erfordert. Dies ist bei der Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten der Fall, aber auch dann, wenn die Wohnungseigentümer aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften als Bruchteilseigentümer verpflichtet sind, das Grundstück oder das darauf befindliche Gebäude in einer bestimmten Weise auszustatten, sofern es dabei - was bei dem Einbau von Rauchwarnmeldern nicht der Fall ist - nicht zu einem unzulässigen Eingriff in das Sondereigentum kommt (BGH a.a.O. Rn. 9, 10). Ist demgegenüber Adressat der Einbauverpflichtung der einzelne Wohnungseigentümer, besteht eine geborene Wahrnehmungskompetenz der Gemeinschaft nur dann, wenn die Verpflichtung sämtliche Mitglieder betrifft. Ist dies nicht der Fall, sind die Wohnungseigentümer berechtigt, von ihrem Zugriffsermessen Gebrauch zu machen, das ihnen nach § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG zusteht (sogenannte gekorene Ausübungs- bzw. Wahrnehmungsbefugnis; BGH a.a.O. Rn. 11, 12).

bb) Die Eigentümermehrheit ist bei der Beschlussfassung zu Unrecht von einer gekorenen Ausübungsbefugnis ausgegangen und hat sich deshalb aufgrund fehlerhafter Erwägungen für berechtigt erachtet, sämtliche in Betracht kommende, den Verband treffende Möglichkeiten der Umsetzung der Brandschutzbestimmungen abzulehnen und ihre Beachtung - bei folgerichtiger Entlassung des Verwalters aus der Haftung - den Sondereigentümern zu überlassen.

§ 15 Abs. 7 LBO lautet: "Aufenthaltsräume, in denen bestimmungsgemäß Personen schlafen, sowie Rettungswege von solchen Aufenthaltsräumen in derselben Nutzungseinheit sind jeweils mit mindestens einem Rauchwarnmelder auszustatten. Die Rauchwarnmelder müssen so eingebaut oder angebracht werden, dass Brandrauch frühzeitig erkannt und gemeldet wird. Eigentümerinnen und Eigentümer bereits bestehender Gebäude sind verpflichtet, diese bis zum 31. Dezember 2014 entsprechend auszustatten. Die Sicherstellung der Betriebsbereitschaft obliegt den unmittelbaren Besitzern, es sei denn, der Eigentümer übernimmt die Verpflichtung selbst."

Die als Adressaten der Ausstattungsverpflichtung angesprochenen "Eigentümerinnen und Eigentümer bereits bestehender Gebäude" sind aber bei Bruchteilseigentum sämtliche Wohnungs- und Teileigentümer. Denn das Gebäude ist wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 BGB), welches deshalb allen Wohnungs- und Teileigentümern zu Bruchteilen gehört (§§ 1 Abs. 2 und 3, 2, 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 WEG, 1008 BGB). In Übereinstimmung mit der Auffassung des Amtsgerichts Heidelberg (Urteil vom 22.10.2014 - 45 C 52/14 -, Rn. 22 bis 28, juris) ist damit in Baden-Württemberg von einer sämtliche Bruchteilseigentümer verpflichtenden öffentlich-rechtlichen Bestimmung und damit einer geborenen Wahrnehmungsbefugnis, die auf der Passivseite zur Wahrnehmungsverpflichtung erstarkt (vgl. Timme/Dötsch WEG 2. Auflage § 10 Rn. 519; Bärmann/Klein WEG 12. Auflage § 10 Rn. 261), auszugehen. Dass von der einschlägigen Verpflichtung nur Aufenthaltsräume, in denen bestimmungsgemäß Personen schlafen, sowie Rettungswege von solchen Aufenthaltsräumen betroffen sind, lässt weder nach Wortlaut des Gesetzes noch nach seinem Sinn und Zweck den sicheren Schluss darauf zu, dass Adressat der Verpflichtung lediglich die Eigentümer der Wohnungen sein sollen. Wäre dies beabsichtigt gewesen, hätte es nahegelegen, dies durch entsprechende Formulierungen, wie sie in vergleichbaren Regelungen anderer Bundesländer Verwendung finden (vgl. die vom Amtsgericht Heidelberg a.a.O. Rn. 27 zitierten Bestimmungen) klarzustellen. Da die brandschutzrechtlichen Bestimmungen auch der Sicherheit des Gebäudes dienen, weshalb Rauchwarnmelder in Rechtsprechung und Schrifttum teilweise gemäß § 5 Abs. 2 WEG zwingend dem Gemeinschaftseigentum zugerechnet werden (vgl. zur streitigen sachenrechtlichen Zuordnung die Nachweise in BGH a.a.O. Rn. 5 und Rn. 16), besteht auch kein Anhalt für ein redaktionelles Versehen bei der Formulierung "Eigentümerinnen und Eigentümer bereits bestehender Gebäude".

Damit trifft die Ausstattungspflicht gemäß § 15 Abs. 7 Satz 3 LBO nicht anders wie die Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten (BGH NJW 2012, 1724 Rn, 12) die Gesamtheit der Wohnungs- und Teileigentümer mit der Folge, dass ihre Erfüllung jedenfalls in dem für die Beschlusskompetenz maßgeblichen Innenverhältnis nicht der einzelne Eigentümer, sondern der Verband sicherzustellen hat (BGH NJW 2012, 1724 Rn. 12; NJW 2013, 3092 Rn. 10; AG Heidelberg a.a.O. Rn. 28; Klein a.a.O. § 10 Rn. 261; Dötsch a.a.O. § 10 Rn. 523). Ob neben dem Verband die Eigentümer verpflichtet bleiben (so Dötsch a.a.O. § 10 Rn. 527; a.A.: Klein a.a.O. § 10 Rn. 258; offen gelassen von BGH NJW 2012, 1724 Rn. 12), ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Die uneingeschränkte Ablehnung der Gewährleistung der Ausstattung der betroffenen Räume mit Rauchwarnmeldern durch den Verband widerspricht seiner Wahrnehmungsverpflichtung und damit ordnungsgemäßer Verwaltung.c)

Gemäß § 21 Abs. 3 und 4 WEG können die Kläger von den Beklagten die Zustimmung zum Einbau von Rauchwarnmeldern nach § 15 Abs. 7 LBO verlangen.

Nach diesen Vorschriften kann jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen und damit ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Sind die Wohnungseigentümer nicht durch eine Vereinbarung oder einen Beschluss gebunden, so können sie unter mehreren geeigneten Maßnahmen nach billigem Ermessen auswählen. Ein Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme entsteht lediglich dann, wenn allein diese ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht (BGH NJW 2012, 1724 Rn. 4; Timme/Elzer § 21 Rn. 124). Wohnungseigentümer schulden damit untereinander eine der ordnungsmäßigen Verwaltung entsprechende Beschlussfassung (Elzer a.a.O. § 21 Rn. 125).

Es entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn die Eigentümer - wie beantragt - zunächst einen Grundlagenbeschluss über das "Ob" des Einbaus von Rauchwarnmeldern herbeiführen und ihre konkrete Ausgestaltung einer gesonderten Beschlussfassung vorbehalten. Der grundsätzlich gebotenen Vorbefassung der Eigentümerversammlung (statt vieler Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten-Vandenhouten WEG 11. Auflage § 21 Rn. 47), ohne die es für einen Verpflichtungsantrag am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt, bedarf es im Hinblick auf die Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung am 05.05.2014 nicht. Der Anspruch der Kläger richtet sich damit auf Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zum Einbau von Rauchwarnmeldern, wodurch gemäß § 894 ZPO aufgrund der Rechtskraft des Urteils der Beschluss als gefasst gilt (Vandenhouten a.a.O. § 21 Rn. 49).III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist im Hinblick auf § 62 Abs. 2 WEG entbehrlich.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die Frage der Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer für den Einbau landesrechtlich vorgeschriebener Rauchwarnmelder ist durch das Urteil des BGH vom 08.02.2013 - V ZR 238/11 - geklärt, die Auslegung des § 15 Abs. 7 LBO obliegt der Kammer und steht im Übrigen im Einklang mit der bisher dazu veröffentlichten Rechtsprechung (AG Heidelberg a.a.O.; vgl. auch AG Singen ZMR 2015, 416).