OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.08.2016 - 2 Ws 254/16
Fundstelle
openJur 2016, 9794
  • Rkr:

Weist der nach § 63 StGB Untergebrachte ohne Medikation kaum Auffälligkeiten auf und können die Behandler angesichts dessen Verweigerungshaltung weder zum Fortbestand der Erkrankung noch zur Prognose fundierte Bewertungen vornehmen, gebietet der Grundsatz der bestmöglichen Sachaufklärung regelmäßig die Einholung eines externen Gutachtens.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts – Strafvollstreckungskammer – Heidelberg vom 4. Juli 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heidelberg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der im Übrigen strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Verurteilte ist seit dem 12.06.2014 auf Grund des an diesem Tag rechtskräftig gewordenen Urteils des Landgerichts H vom 04.06.2014 – 1 KLs 100 Js 14352/13 – in einem psychiatrischen Krankenhaus, nämlich im Psychiatrischen Zentrum X in Y, untergebracht. Dort hatte er sich zuvor seit dem 03.09.2013 aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Y vom 05.09.2013 – XIV 192/13 L – nach dem UBG sowie seit dem 10.09.2013 aufgrund eines Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts H vom 09.09.2013 – 115 Gs 969/13 – nach § 126a StPO befunden. Anlass für die Unterbringung war ausweislich des vorgenannten Urteils des Landgerichts H ein am 03.09.2013 begangenes Vergehen nach dem Waffengesetz, nämlich das Herstellen und der Besitz eines tragbaren Gegenstands, bei dem ein leicht entflammbarer Stoff so verteilt und entzündet wird, dass schlagartig ein Brand entstehen kann, oder in dem unter Verwendung explosionsgefährlicher oder explosionsfähiger Stoffe eine Explosion ausgelöst werden kann, gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nummer 1.3.4 WaffG. Der Verurteilte hatte im Eingangsbereich seiner Wohnung sechs mit Benzin gefüllte Glasflaschen sowie vier mit Benzin getränkte Stofflappen, die als Lunte dienen sollten, als Verteidigungsmittel bereitgestellt. Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils konnte der Verurteilte bei der Tat in Folge einer unterdessen chronifizierten wahnhaften Störung das Unrecht seines Tuns möglicherweise nicht erkennen; jedenfalls war seine Fähigkeit, entsprechend einer solchen Einsicht zu handeln, durch seine Erkrankung aufgehoben.

Mit Beschluss vom 08.06.2015 ordnete das Landgericht Heidelberg die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten an. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde verwarf der Senat mit Beschluss vom 04.09.2015 – 2 Ws 283/15 – als unbegründet.

Mit Schriftsatz vom 25.01.2016 beantragte die Verteidigerin des Verurteilten, die Fortdauer der Unterbringung erneut zu prüfen. Das Psychiatrische Zentrum X nahm zu diesem Antrag am 08.04.2016 Stellung und hielt die weitere Unterbringung des Verurteilten im Maßregelvollzug aus medizinisch-psychiatrischer Sicht für indiziert. Am 24.06.2016 hörte die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten mündlich an, wobei auch der ihn im Psychiatrischen Zentrum X behandelnde Arzt, Herr Z, ergänzend Stellung nahm.

Mit Beschluss vom 04.07.2016 ordnete das Landgericht Heidelberg erneut die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Gegen diesen Beschluss, der der Verteidigerin des Verurteilten am 13.07.2016 zugestellt wurde, hat diese mit am 15.07.2016 eingegangenem Schreiben vom 14.07.2016 sofortige Beschwerde erhoben und dieses Rechtsmittel mit Telefax vom 08.08.2016 näher begründet.II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die sofortige Beschwerde ist zudem – jedenfalls vorläufig – begründet.

Auf der Grundlage der bisher erfolgten Sachaufklärung kann der Senat nicht beurteilen, ob die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 i. V.m. § 63 StGB (in der am 01.08.2016 in Kraft getretenen Fassung vom 08.07.2016) für erledigt zu erklären oder ihre weitere Vollstreckung gemäß § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB (in der Fassung vom 08.07.2016) zur Bewährung auszusetzen ist. Soweit die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung (lediglich) auf der Grundlage der Stellungnahme des Psychiatrischen Zentrums X vom 08.04.2016 sowie der Angaben des Verurteilten sowie seines behandelnden Arztes im Anhörungstermin am 24.06.2016 getroffen hat, genügt dies nicht dem Verfassungsgebot bestmöglicher Sachaufklärung bei einer Fortdauerentscheidung nach §§ 67d, 67e StGB.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der Senat anschließt, besteht bei Prognoseentscheidungen im Straf- und Maßregelvollzug, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist; denn die Umstände, die diese bestimmen, sind für den Richter oft schwer erkennbar. Daraus folgt zwar noch nicht, dass bei jeder nach § 67e Abs. 2 StGB vorzunehmenden Überprüfung der Unterbringung von Verfassungswegen zwingend ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen wäre. Nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung muss der gleiche Aufwand veranlasst sein. Bestehen keine zwingenden gesetzlichen Vorgaben, hängt es von dem sich nach den Umständen des einzelnen Falles bestimmenden pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts ab, in welcher Weise es die Aussetzungsreife prüft. Immer ist allerdings eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit für die Entscheidungsfindung zu gewährleisten. Insoweit kann es – insbesondere bei einer länger zurückliegenden externen Begutachtung des Untergebrachten – geboten sein, einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen. Auch kann es – namentlich bei einer langdauernden Unterbringung – angezeigt sein, die Begutachtung von einem bisher nicht mit dem Untergebrachten befassten externen Sachverständigen vornehmen zu lassen (zusammenfassend BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 2 BvR 2632/13; Beschluss vom 22.01.2015, 2 BvR 2049/13, 2 BvR 2445/14).

Diese Grundsätze werden durch die gemäß § 13 EGStPO auf bereits anhängige Vollstreckungsverfahren erst ab dem 01.02.2017 anwendbare Neuregelung des § 463 Abs. 4 Satz 3 und 4 StPO sowie die insoweit erst ab dem 01.08.2018 anwendbare Neuregelung des § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO (jeweils in der Fassung vom 08.07.2016) nur insoweit berührt, als hierdurch die regelmäßig einzuhaltende Frist, nach deren Ablauf ein externes Sachverständigengutachten einzuholen ist, von fünf Jahren auf drei Jahre bzw. – bei einer Unterbringungsdauer von mehr als sechs Jahren – auf zwei Jahre verkürzt wird und Vorgaben zum Wechsel externer Sachverständiger bei aufeinanderfolgenden Gutachten eingeführt werden (vgl. BT-Drucksache 18/7244, Seite 37 ff.). Trotz dieser Regelungen kann es auch weiterhin im Einzelfall geboten sein, bei speziellen Fragestellungen oder Zweifeln an der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung auch vor Ablauf der gesetzlichen (Maximal-)Fristen ein externes Sachverständigengutachten einzuholen (BT-Drucksache, 18/7244, Seite 38).

2. Der angefochtene Beschluss wird diesem Grundsatz bestmöglicher Sachaufklärung nicht gerecht.

a. Soweit sich der Beschluss auf die schriftliche Stellungnahme des Psychiatrischen Zentrums X vom 08.04.2016 stützt, wonach „aufgrund der Verhaltensbeobachtung“ und der „gelegentlichen Äußerungen“ des Verurteilten, obwohl sich dieser im stationären Alltag im Wesentlichen unauffällig zeige, von einem Fortbestehen des Wahnes ausgegangen werden müsse, wäre die Strafvollstreckungskammer gehalten gewesen, auf eine Konkretisierung der lediglich pauschal mitgeteilten tatsächlichen Grundlagen dieser Einschätzung der Maßregelvollzugseinrichtung hinzuwirken. Aus dieser schriftlichen Stellungnahme sowie den ergänzenden Ausführungen des behandelnden Arztes im Rahmen der Anhörung des Verurteilten am 24.06.2016 ergibt sich insoweit – abgesehen von einer (dem Senat wenig spezifisch erscheinenden) Weigerung des Verurteilten, ein „Fahndungsfoto“ anfertigen zu lassen – ausschließlich, dass der Verurteilte hinsichtlich therapeutischer Maßnahmen eine weitgehende Weigerungshaltung einnimmt, im Übrigen aber – ohne Einfluss jedweder Medikation – in die Patientengemeinschaft gut integriert ist, dort soziale Verantwortung übernimmt und sich nur in situativ nachvollziehbaren Situationen „aufgeregt“ zeigt. Vor diesem Hintergrund liegt die Folgerung einer fortbestehenden wahnhaften Störung bei dem Verurteilten durch die Maßregelvollzugseinrichtung keineswegs auf der Hand und ist ohne genaue Mitteilung der sie stützenden tatsächlichen Grundlagen, das heißt der konkret in Bezug genommenen Äußerungen und Verhaltensweisen, gerichtlich nicht in der erforderlichen Weise überprüfbar.

b. Bei der gegebenen Sachlage wäre es zudem geboten gewesen, trotz des Vorliegens eines vom 20.02.2014 datierenden Sachverständigengutachtens aus dem Erkenntnisverfahren erneut ein Gutachten eines externen, mit dem Verurteilten bisher nicht befassten psychiatrischen Sachverständigen einzuholen.

Der Verurteilte hat sich im Maßregelvollzug im zurückliegenden Jahr – abgesehen von seiner weitgehenden Weigerung, an therapeutischen Maßnahmen teilzunehmen – auch ohne Einfluss von Psychopharmaka unauffällig verhalten. Angesichts seiner Weigerungshaltung vermochte die Maßregelvollzugseinrichtung – insbesondere der behandelnde Arzt im Anhörungstermin am 24.06.2016 – zum Fortbestand der Erkrankung und der Gefährlichkeit des Verurteilten keine verbindlichen Angaben zu machen, sondern kann diese auf der Grundlage nicht näher mitgeteilter Beobachtungen (siehe oben a.) sowie des Fehlens gegenteiliger Anhaltspunkte lediglich vermuten. Hinzu kommt, dass sich die Anlasstat vom 03.09.2013 der Sache nach als „bloße“ Vorbereitung einer gemeingefährlichen Gewalttat darstellt und die Voraussetzungen des § 63 Satz 1 StGB (in der Fassung vom 08.07.2016) nicht erfüllt. Eine Fortdauer der Unterbringung ist daher gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB i. V. m. § 63 Satz 2 StGB (in der Fassung vom 08.07.2016) nur unter der Voraussetzung zulässig, dass besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass von dem Verurteilten in Folge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Sachen angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der Fassung vom 08.07.2016). Zudem war der Verurteilte vor dem 03.09.2013 strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, obwohl seine wahnhafte Störung ausweislich der Feststellungen des Urteils des Landgerichts H vom 04.06.2014 bereits zwischen 2006 und 2008 ausgebrochen war.

Bei dieser Sach- und Rechtslage bedarf der Fortbestand sowohl der wahnhaften Störung des Betroffenen als auch seiner Gefährlichkeit im Sinne von § 63 Satz 2 StGB nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der weiteren, nämlich bestmöglichen Aufklärung. In der vorliegenden Konstellation erscheint es keineswegs ausgeschlossen, dass ein externer, bisher mit dem Verurteilten nicht befasster Sachverständiger erheblich zur Sachaufklärung beitragen könnte. Es ist insbesondere nicht fernliegend, dass der Verurteilte an der Exploration durch einen anstaltsfremden, auch im Erkenntnisverfahren mit ihm nicht vorbefassten Sachverständigen mitwirken und diesem und in der Folge auch der Strafvollstreckungskammer fundierte Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand und der Gefährlichkeit des Verurteilten ermöglichen würde. Eine solche Mitwirkung ist dem Verurteilten nicht zuletzt deshalb zu raten, weil nach einer bestmöglichen Sachaufklärung verbleibende Zweifel an dem Fortbestand des bei der Anlasstat bestehenden Defektzustands oder der daraus resultierenden Gefährlichkeit des Verurteilten jedenfalls bei der Prüfung, ob die Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt zu erklären ist, zu Lasten des Verurteilten gingen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 29.06.2015, 1 Ws 133/15; Veh, in: MK-StGB, 2. Auflage 2012, § 67d Rdn. 28).

3. Wegen der damit erforderlichen weiteren Sachverhaltsaufklärung, zu deren Ergebnis der Verurteilte auch erneut anzuhören sein wird, war die Sache abweichend vom Grundsatz des § 309 Abs. 2 StPO an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (vgl. Senat, Beschluss vom 16.03.2016, 2 Ws 74/16; OLG Nürnberg, NStZ-RR 2014, 122, 123).

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass eine (erneute) Feststellung der Strafvollstreckungskammer, wonach mit „der Begehung weiterer erheblicher Delikte – ähnlich dem Ursprungsdelikt“ zu rechnen wäre, eine Fortdauer der Unterbringung – jedenfalls nach dem am 01.08.2016 erfolgten Inkrafttreten des § 63 StGB in der Fassung vom 08.07.2016 – nicht rechtfertigen könnte. Insoweit wäre vielmehr die Fortdauer der Prognose aus dem Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 04.06.2014 erforderlich, dass der Verurteilte Waffen nicht nur – wie bei der Anlasstat – herstellen, sondern diese in gegebenenfalls sogar gemeingefährlicher Weise auch zum Einsatz bringen würde. Auch zu dieser Frage wird sich der (externe) Sachverständige zu äußern haben.

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