LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.06.2016 - L 6 VG 5048/15
Fundstelle
openJur 2016, 9728
  • Rkr:

1. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens muss die Verwaltungsbehörde trotz schon einmal gestellten Überprüfungsantrags in eine erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage eintreten und Antragstellende bescheiden.

2. Angaben der Opfer von tätlichen Angriffen erscheinen in der Regel nicht glaubhaft, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Gedächtnisinhalte erst im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen erzeugt worden sind.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die Klägerin wurde 1973 als Einzelkind geboren. Während eines dreimonatigen stationären Aufenthaltes in der M.-B.-Klinik in K., einer Fachklinik für Psychosomatik und Ganzheitsmedizin, Anfang 1998 beschrieb sie die Beziehung zur Mutter seit jeher als höchst ambivalent und von Abhängigkeit geprägt. Diese habe ihr Zuneigung und körperliche Nähe vorenthalten. Ihr Vater habe in ihrem Erleben zwischen äußerster Freundlichkeit bis hin zur Bösartigkeit sehr geschwankt, vor allem wenn er unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Die Ehe der Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Das Familienleben sei wegen der von ihren Eltern betriebenen Gaststätten sehr chaotisch gewesen. Sie habe als Mädchen immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Sie sei für ihre Mutter ein offensichtlich ungewolltes Kind gewesen und wegen deren Ausbildungsabsichten bereits nach der Geburt zu Pflegefamilien gegeben worden, wogegen sie sich zwar laut, aber erfolglos gewehrt habe. Im Alter von zwei Jahren fand die Klägerin den Nachbarn tot im Garten. Ein Jahr später erlebte sie den Suizidversuch ihres alkoholabhängigen depressiven Vaters mit. Als sie elf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Zwei Jahre später ließen sie sich scheiden (Entlassungsbericht vom 5. Mai 1998). Die Klägerin heiratete 2004 einen Mann, zu dem sie bereits seit 1998 eine Beziehung unterhielt.

Nach dem Hauptschulabschluss im Jahre 1990 besuchte sie erfolgreich die einjährige Hauswirtschaftliche Schule in B.. Anschließend leistete sie ein zweiwöchiges Praktikum in der Krankenpflege im Städtischen Krankenhaus in S.. Die im Oktober 1991 begonnene Ausbildung zur Krankenpflegehelferin in Düsseldorf brach sie bereits zum Jahresende aus gesundheitlichen Gründen ab. Nach zwei stationären Klinikaufenthalten in der neurologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses S. von Ende Februar bis Mitte März 1992 und in der Psychotherapeutischen Klinik in Stuttgart von April bis September 1992 nahm sie eine Aushilfstätigkeit an, bevor sie im August 1993 einen einjährigen Grundbildungslehrgang für Jugendliche beim Berufsfortbildungswerk in Stuttgart belegte. Eine im September 1994 begonnene Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel brach sie wiederum aus gesundheitlichen Gründen ab. Ab Januar 1997 war sie ein Jahr L. als Bürohilfskraft bei einer Hausverwaltung tätig. Die im September 1998 begonnene Ausbildung zur Bürokauffrau im Berufsbildungswerk N. schloss sie, unterbrochen durch einen stationären Klinikaufenthalt in der Fachklinik am H. in Wald-M., Ende August 2003 ab. Ab Mitte Mai 2004 wurde sie sechs Wochen zur Call-Center-Agentin ausgebildet, was sie anschließend bis Anfang August 2004 im Rahmen eines Praktikums ausübte. In der Folgezeit war sie arbeitsuchend. Anfang September 2010 war sie in den Arbeitsbereich. der Werkstatt für Menschen mit Behinderung in N. aufgenommen worden. Die Deutsche Rentenversicherung Bund gewährt ihr, nach vorherigen Befristungen, seit 1. März 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (Bescheid vom 4. Dezember 2013).

Zwischenzeitlich war sie von März 1993 bis Dezember 1997 von dem Dipl.-Psych. U. betreut worden, anfangs im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige (§§ 27 ff. Kinder- und Jugendhilfegesetz - KJHG), später als Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (§§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz - BSHG). Während dieser Zeit lebte sie bis Juli 1994 in einer Wohngemeinschaft der Einrichtung „Therapeutische Wohngemeinschaften E.“ in P., anschließend mit einem Freund in S..

Bei ihr wurde der Grad der Behinderung mit 50 seit 17. September 2008 festgestellt (Bescheid des Landratsamtes Böblingen vom 25. März 2009). Dieser Feststellung lag die versorgungsärztliche Einschätzung von Dr. M.-T. vom 18. März 2009 zugrunde, wonach die Funktionsbeeinträchtigungen „Persönlichkeitsstörung, funktionelle Organbeschwerden, Fibromyalgiesyndrom“ mit einem Teil-GdB von 40 und „Bronchialasthma, Allergie, chronische Nebenhöhlenentzündung“ mit einem Teil-GdB von 20 bewertet wurden.

Während die Klägerin an einer Rehabilitationsmaßnahme teilnahm, erstattete sie am 20. Juli 1995 bei der Polizeidirektion B. Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs. Sie gab an, der Tierarzt Dr. M. (im Folgenden: M.), der möglicherweise K. mit Vornamen heiße, habe sie vor etwa sechzehn Jahren, möglicherweise auch 1978, sexuell missbraucht. Sie sei seit etwa zehn Jahren regelmäßig in psychotherapeutischer Behandlung. Bereits im Alter von sechs oder sieben Jahren habe sie psychotherapeutische Gespräche geführt, wobei es sich um eine Spieltherapie gehandelt habe. Durch die Psychotherapie in den vergangenen Jahren sei letztlich herausgekommen, dass ihre ganze seelische Verfassung zum größten Teil darauf basiere, dass sie im Alter von fünf Jahren von M. sexuell missbraucht worden sei. Als sie vier Jahre alt gewesen sei, seien ihre Eltern nach St. gezogen, wo diese im Stadtteil D. die Vereinsgaststätte des Hockey und Tennis Club St.er Kickers e. V. gepachtet hätten. M. sei dort Gast gewesen. Es sei schließlich zu dem Übergriff gekommen. Sie erstatte erst jetzt Anzeige, da sie erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutungen gehegt habe und eigentlich erst seit eineinhalb Jahren sicher wisse, dass sie sexuell missbraucht worden sei. Sie wohne derzeit zusammen mit einem Freund, U. L., in S.. Sie seien nicht intim befreundet, sondern hätten lediglich eine Wohngemeinschaft. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stellte das Verfahren mit Verfügung vom 13. September 1995 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung wegen Strafverfolgungsverjährung ein. Mit Schreiben vom 19. Juni 1997 teilte die Staatsanwaltschaft Stuttgart der Klägerin auf ihr erneutes Begehren, ein Ermittlungsverfahren gegen M. durchzuführen, mit, es liege kein Fall von § 78 b Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) vor. Diese Regelung sei am 30. Juni 1994 in Kraft getreten und erfasse nur Taten, deren Verfolgung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt gewesen seien. Die von der Klägerin angezeigten Taten hätten sich demgegenüber 1978 oder im Folgejahr ereignet, weshalb diese jedenfalls 1989 verjährt gewesen seien. Daran habe das im Jahre 1994 erlassene Gesetz nichts geändert.

Über einen stationären Aufenthalt vom 1. April bis 30. September 1992 berichtete der Ärztliche Direktor der Psychotherapeutischen Klinik in St., Dr. Sch., es seien eine schwere Adoleszentenkrise bei retardierter Persönlichkeitsentwicklung und vorwiegend depressiv-hysterisch-schizoiden Anteilen auf dem Boden einer Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden. Es bestehe ein Zustand nach Derealisationserscheinungen. Es seien multiple Körpersymptome wie Kreislaufbeschwerden, Schwindel, Kopfschmerzen, Herzrasen und Hautausschlag aufgetreten. Eine ambulante psychotherapeutische Behandlung von etwa sechzig Stunden habe in B. stattgefunden. Die Therapie sei wegen der begonnenen Ausbildung zur Krankenpflegerin in Düsseldorf nicht fortgesetzt worden. Diese Tätigkeit habe die Klägerin jedoch bereits während der Probezeit aus Krankheitsgründen abgebrochen. Sie sei wieder zu ihren Eltern zurückgekehrt. Bei der Aufnahme habe sie den Beginn ihrer Erkrankung in Zusammenhang mit panikartigen Angstanfällen während eines Jugendlagers im März 1991 gebracht. Einen Bekannten habe sie für einen Verfolger und Vergewaltiger gehalten und sei in starker Erregung schreiend in den Wald gelaufen. Nur mühsam habe sie ihr gleichfalls anwesender Freund wieder beruhigen können. Weil sie unter der großen Entfernung und den häufigen Trennungen von ihm gelitten habe, habe sie auf sein Zureden hin eine Lehrstelle in einem Krankenhaus in Düsseldorf angenommen. Entgegen ihren Hoffnungen sei es ihr dort noch wesentlich schlechter ergangen. Sie habe die Belastung im Pflegeberuf nicht ertragen können, sei häufig umgekippt oder habe wegen Kopf- und Bauchschmerzen des Öfteren fernbleiben müssen. Sie habe unter zunehmender Platzangst, Luftnot und Herzrasen sowie unter Ängsten und Selbstmordgedanken gelitten. Die erhoffte Hilfe von Seiten des fünf Jahre älteren, noch sehr muttergebundenen und durch angeborene Hüftluxation belasteten Freundes sei ausgeblieben. Er habe sich überfordert gefühlt. Die Beziehung sei schließlich gescheitert. Mit dem Ausbruch der Ängste im Jugendlager seien traumatische frühe Kindheitserfahrungen wiederbelebt worden. Die Klägerin habe vermutet, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden sei, ohne sich jedoch im Einzelnen an ein derartiges Erlebnis erinnern zu können. Jedenfalls sei sie als kleines Mädchen einem Mann gefolgt, habe sich in sein Gartenhaus mitnehmen lassen und sei erst Stunden später total zerstört von den Eltern in der Nähe des Hauses wiedergefunden worden. Sie habe sich außerdem immer von einer Hand bedroht gefühlt und noch weitere Angstbilder mit sich herumgetragen.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. berichtete in einem Attest vom 10. September 1993 zur Vorlage bei der Führerscheinstelle, aufgrund von psychischen Problemen komme es des Öfteren zu Ohnmachtsanfällen, welche die Klägerin als Kreislaufdysregulationen schildere. Wegen einer neurotischen Störung sei sie in psychologischer Behandlung. Sie neige zu konversionssymptomen und hyperventilationstetanischen Anfällen. Es lägen deutliche narzisstische Züge vor. Sie sei psychisch und physisch vermindert belastbar.

Im Gutachten des Dipl.-Psych. G. nach einer Untersuchung der Klägerin am 29. Mai 1996 zur Beurteilung ihrer beruflichen Eingliederung führte dieser aus, es existierten Ängste, Probleme mit Konfliktsituationen und eine herabgesetzte Kritikfähigkeit. Den Anforderungen einer Ausbildung auf dem freien Arbeitsmarkt sei sie im Augenblick nicht gewachsen. Sie bedürfe wegen der beschriebenen Probleme besonderer Hilfe.

Dr. D., Chefarzt der Kitzberg-Klinik in Bad M., einer Fachklinik für psychosomatische Medizin, berichtete über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 17. Juli bis 30. Oktober 1996, er habe eine Reifungskrise bei Verdacht auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung mit hysterischen Anteilen (ICD-10 F60.31) und eine Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0) diagnostiziert. Die Klägerin habe über multiple körperliche Beschwerden wie etwa Kopf-, Bauch- und Knochenschmerzen geklagt. Seit ihrem elften Lebensjahr habe sie psychogene Anfälle, auch werde sie sehr häufig ohnmächtig. Weiter leide sie unter starken, hauptsächlich nächtlichen Ängsten. Sie habe Albträume und Schlafschwierigkeiten. Bisweilen hege sie Selbstmordgedanken. Vor allem in Menschengruppen fühle sie sich äußerst unwohl und verunsichert. Nähe könne sie kaum aushalten, sehne sich aber andererseits danach. In Beziehungen habe sie die Tendenz, sich an andere zu klammern. Es falle ihr schwer, alleine in ihrer Wohnung zu sein. Sie habe bereits einen Selbstmordversuch hinter sich und verletze sich bisweilen selbst, indem sie mit dem Kopf gegen die Wand schlage. Die Klägerin habe alleine in einer vom Sozialamt geförderten Wohnung gelebt. Die Eltern hätten sich 1984 getrennt und zwei Jahre später scheiden lassen, als die Klägerin dreizehn Jahre alt gewesen sei. Ab diesem Zeitpunkt hätten die psychogenen Anfälle begonnen. Mit neunzehn Jahren sei sie eine symbiotische Partnerschaft zu einem elf Jahre älteren Mann eingegangen, von dem sie sich vor drei Monaten wegen seines Alkoholkonsums getrennt habe. Sie habe jedoch weiterhin Kontakt zu ihm. Mit acht Jahren sei sie erstmals psychotherapeutisch behandelt worden. Im Alter von neunzehn Jahren sei ein sechsmonatiger stationärer Therapieaufenthalt erfolgt, ein Jahr später ein achtwöchiger. Von 1993 bis zum Folgejahr habe sie sich in einer Einrichtung des betreuten Wohnens aufgehalten, sei dann mit ihrem gemeinsamen Freund in eine eigene Wohnung gezogen. Bei der Untersuchung auffällig gewesen sei, dass sie mehrmals erwähnt habe, sexuell missbraucht worden zu sein. Mit ihrem beharrlichen Willen und dem langen Redefluss erzeuge sie im Gegenüber das Gefühl von Ungeduld. Auffällig gewesen sei auch die Diskrepanz zwischen ihrer eigenen Schilderung ihrer Schwächen und Ängste sowie ihrer zielstrebigen Beharrlichkeit, hinter der eine große Energie stecke. Die Klägerin habe sich als eher feindselig und im Kontakt abweisend beschrieben, weshalb sie auch einsam sei. Psychische Probleme und Niedergeschlagenheit würden dadurch überspielt. Sie vermeide Konflikte, reagiere schnell verbittert oder enttäuscht und sei leicht kränkbar. Sie neige zu impulsiven Verhaltensausbrüchen und leide unter einer ausgeprägten Minderwertigkeitsproblematik. Weiter hätten sich Hinweise auf eine sehr geringe Bereitschaft zur Selbstöffnung bei jedoch intensivem Leidensdruck und massiven Angstgefühlen sowie großen Schwierigkeiten bei vernunftorientierter Steuerung von destruktiven Impulsen ergeben. Insgesamt hätten eindeutige Anhaltspunkte auf eine ausgeprägte frühe Störung vorgelegen. Zu Beginn der Behandlung habe die Klägerin hauptsächlich ihre Ängste, ihre soziale Inkompetenz und ihre „schlimme Vergangenheit“ benutzt, um in Kontakt zu treten. Nachvollziehbarerweise habe sie bald Ungeduld oder Ablehnung erfahren und habe sich missverstanden oder vernachlässigt gefühlt. In dieser Spirale habe sie zu Eskalationen in Form verbalen Ausagierens bei Konflikten, plötzlichem Umfallen oder Abtriften in ihre Phantasiewelt geneigt.

Dr. K., Chefarzt der M.-B.-Klinik, diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 27. Januar bis 24. April 1998 eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typus (ICD-10 F60.31) mit histrionischen und aggressiven Zügen. Als belastende Erlebnisse habe die Klägerin angeführt, im Alter von zwei Jahren den Nachbar tot im Garten gefunden zu haben. Ein Jahr später habe sie erlebt, wie sich ihr Vater das Leben habe nehmen wollen. Im Alter von fünf Jahren sei sie von einem ihr gut vertrauten Mann, einem Tierarzt, der ihr eine Katze geschenkt habe, im elterlichen Gaststättenbetrieb sexuell oral missbraucht worden. Da der Mann ihr gedroht habe, wenn sie über dieses Erlebnis anderen erzähle, werde die Katze ihm das berichten, habe sie in ihrer Verzweiflung versucht, diese zu ertränken, was allerdings misslungen sei. Die Klägerin habe als Kind im Verhältnis zu einem offenbar unberechenbaren, da mal gewalttätigen, mal sehr zugewandten Vater und in ambivalenter Abhängigkeit von einer sich oft verweigernden Mutter wenig emotionalen Halt für ihre Entwicklung erfahren. Ihre stark nach Unterstützung fordernde Eigenart und ihre große Verletzbarkeit sei den Eltern schon früh offenbar oft lästig geworden. Die Mutter habe, oft von Schuldgefühlen geplagt, sich dem Kind nur scheinbar zugewandt. Es habe sich bereits früh ein brüchiges Selbst ausgebildet, welches durch ängstigende Gewalterlebnisse und einen offenbar sehr frühen sexuellen Missbrauch durch einen bekannten älteren Mann traumatisiert worden sei. Der Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt zur Mutter sei bis zum heutigen Zeitpunkt nicht wirklich gelöst. In Beziehungen erfahre die Klägerin wegen ihres anklammernden und fordernden Verhaltens immer wieder ihr unverständliche Zurückweisungen, welche sie depressiv verarbeite.

Dr. T., Leitender Arzt der Fachklinik am H. in Wald-M., einer Klinik für Abhängigkeitserkrankungen sowie Psychosomatik und Psychotherapie, diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 2. Mai bis 22. Juli 2001 eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F62.0) mit posttraumatischer Belastungsstörung nach erneuter Traumatisierung (ICD-10 F43.1), Zwangsgedanken und-handlungen gemischt (ICD-10 F42.2) sowie eine Panikstörung (ICD-10 F41.0). Die Klägerin sei im Gespräch zugänglich und kooperativ sowie psychomotorisch unauffällig gewesen. Die Stimmung habe sich während der Aufnahmesituation adäquat gezeigt, verbunden mit einem leichten Misstrauen. Sie sei ausreichend schwingungsfähig gewesen. Der Antrieb habe sich in der Norm gehalten. Das Denken sei formal und inhaltlich geordnet, ferner seien keine wahnhaften Störungen zu eruieren gewesen. Ängste und Phobien hätten sich auf Mitmenschen bezogen. Zwänge seien zumindest als Zwangsgedanken wahrgenommen worden.

Dr. C., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Tagesklinik im Sch. in N., einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, berichtete Anfang Juli 2002, er gehe von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ aus (ICD-10 F60.31). Zudem habe die Klägerin über eine Traumatisierung berichtet, die sie in der Vorgesprächssituation nicht näher habe benennen wollen. Sie habe eine phobische und generalisiert angstvolle Symptomatik angeführt.

Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie K.-E. berichtete nach einer Untersuchung der Klägerin am 12. November 2002, diese leide an einer Persönlichkeitsstörung und Kopfschmerzen ungeklärter Ätiologie. Zudem bestehe der Verdacht auf Spannungskopfschmerzen. Bei der Klägerin handele es sich um eine Borderline-Persönlichkeit. Sie habe deshalb mehrere Traumatherapien und andere psychotherapeutische Klinikaufenthalte hinter sich. Sie nehme jedoch grundsätzlich keine Psychopharmaka ein, nur Baldrian und Johanniskraut. Sie lebe mit einem Partner zusammen. Wegen ihrer schweren Traumata sei das Zusammenleben jedoch nicht einfach. Der Kontakt mit ihr habe sich als äußerst schwierig gestaltet, da sie jegliche Behandlungsvorschläge vehement entwertet habe, gleichzeitig aber sehr fordernd aufgetreten sei. Nachdem sie versucht habe, ihr versuchsweise Amitriptylin, 25 mg zur Kopfschmerzprophylaxe aufzuschreiben, habe sie sehr unzufrieden die Praxis verlassen.

Nach dem Attest der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin J. vom 3. Dezember 2002 litt die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung mit ausgeprägter Angst, das Haus zu verlassen.

Prof. Dr. P., Ärztlicher Direktor des Psychotherapeutischen Zentrums Bad M., diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 9. Mai bis 27. Juni 2006 eine dissoziative Störung (Konversionsstörungen) gemischt (ICD-10 F44.7), Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), eine chronifizierte komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.31). Die Klägerin sei zusammen mit ihrem Ehemann erschienen, welcher bei dem ersten Teil der Anamnese anwesend gewesen sei. Die beiden hätten Händchen gehalten. Die Klägerin habe ein Missbrauchserlebnis mit fünf Jahren durch einen Tierarzt angegeben, ohne dass sie danach gefragt worden sei. Nach der Scheidung der Eltern habe die Klägerin erstmals psychogene Ohnmachtsanfälle gehabt. Diesbezüglich sei sie öfter in einem Krankenhaus gewesen. Eine Ursache für die Anfälle sei nirgends gefunden worden. Die psychogenen Krampfanfälle träten überwiegend in Stresssituationen auf. Die Klägerin habe mit monotoner Stimme berichtet. Es habe eine deutliche Aggravationstendenz bestanden. So habe sie etwa über Schmerzen am ganzen Körper berichtet, an die sie sich gewöhnt habe. Kleinste Beschwerden seien als Krankheit definiert worden. Während der Untersuchung habe mehrmals die Neigung zur Dissoziation bestanden, sie habe aber durch das Gespräch in Kontakt gehalten werden können. Die Kontaktaufnahme sei freundlich, der Affekt allerdings depressiv herabgedrückt gewesen. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt erhalten gewesen. Die Klägerin habe auffällig unkonkret über ihre Beschwerden berichtet und habe gewirkt, als ob sie deren Kenntnis eigentlich voraussetze. Die Psychomotorik sei leicht angespannt sowie der Antrieb, die Gestik und die Mimik ebenfalls leicht reduziert gewesen. Eine einfach strukturierte Auffassungsfähigkeit sei aufgefallen. Die Klägerin habe kurz andauernde psychotische Episoden beschrieben, in denen sie einen Mann mit einem Messer real vor sich gesehen habe, etwa dass dieser durch die Steckdose gekommen sei. Auch habe sie ein nicht existentes großes Spinnennetz wahrgenommen. Die Klägerin habe von zwei länger zurückliegenden Suizidversuchen mit fünf und fünfzehn Jahren berichtet, wobei aktuell keine Suizidalität bestanden habe. Sie sei mit fünf Jahren sexuell missbraucht worden, woraufhin sie begonnen habe, wieder einzunässen. Sie habe zudem unter Bauch- und Kopfschmerzen sowie Albträumen gelitten. Mit sechs Jahren sei sie zum ersten Mal in einer psychologischen Beratungsstelle gewesen. Zum Entlassungszeitpunkt habe weiterhin eine hohe Tendenz zur Verantwortungsabgabe und stark dysfunktionalen Interaktionsstrategien bestanden.

Über ein psychosomatisches Heilverfahren zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik am H. in Bad W. vom 22. Juli bis 2. September 2008 berichtete der Chefarzt der Abteilung Psychosomatik Dr. Sch., es seien eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1), eine Fibromyalgie (M79.70) und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) diagnostiziert worden. Der Vater der Klägerin sei alkoholabhängig gewesen. Die Klägerin habe sich bereits seit acht Jahren in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Sie habe über anhaltende Flashbacks bis zum achtzehnten Lebensjahr berichtet, nach einer Vergewaltigung im fünften Lebensjahr. Ihre Mutter habe damals indes gemeint, sie sei hysterisch und solle sich nicht so anstellen. Ihr zweiter Freund, von dem sie sich nach drei Jahren getrennt habe, sei Alkoholiker gewesen. Danach seien Panikzustände und zunehmend Ganzkörperschmerzen aufgetreten. Es sei ihre Rettung gewesen, dass sie mit ihrem jetzigen Ehemann im Jahre 1998 eine Partnerschaft eingegangen sei. Durch dessen Unterstützung habe sie ihren Aktionsradius deutlich erweitern können. In der Beziehung gebe es seit acht Jahren keine sexuellen Kontakte. Sie wohnten zur Miete im Haus ihrer Großmutter. Die Wohnumgebung stelle eine Retraumatisierung für sie dar. Denn im Hof des Hauses befinde sich eine Gastwirtschaft. Die Gäste, der Lärm und der Küchengeruch erinnerten sie an das dramatische Erlebnis in ihrer Kindheit. Die Klägerin sei in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen, wobei ihr wenig Verantwortung für das eigene Handeln übertragen worden sei. Es sei ein vorwiegend ängstlich-vermeidender Interaktionsstil zu finden gewesen, so dass die Klägerin wenig Möglichkeiten gehabt habe, Strategien zur Problembewältigung zu erlernen. Erschwerend habe sich als Organismusvariable eine vegetative Hyperreagibilität ausgewirkt. Die Persönlichkeitsstruktur sei vorrangig von dependenten und selbstunsicheren Charaktermerkmalen geprägt gewesen. Auslösende Bedingungen für die Symptomatik seien Konfrontationen mit angstauslösenden Situationen gewesen, wie etwa ein Fahrstuhl, das Alleinsein, soziale Situationen, der Verlust von Bezugspersonen oder die Konfrontation mit Krankheiten. Auf kognitiver Ebene seien vorrangig katastrophisierende Gedanken aufgetreten, welche auf emotionaler Ebene mit Angst verbunden gewesen seien. Weiterhin hätten Gefühle von Hilflosigkeit, Resignation, Selbstunsicherheit und Angst bestanden. Auf körperlicher Ebene sei es zu vegetativen Begleitsymptomen in Form von Schwindel, Herzrasen, Blutdruckanstieg, Atemnot, Schwitzen oder Zittern im Rahmen der sympathikotonen Reaktion gekommen. Die Verhaltensebene sei von einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten angstauslösender Situationen geprägt gewesen. Dies habe kurzfristig zu einer Symptomreduktion geführt, sei jedoch als negative und langfristige Konsequenz eine Generalisierung der Angst auf weitere Situationen gewesen. Bewältigungsstrategien seien häufige Arztbesuche bei körperlichen Beschwerden zur Absicherung, die Einnahme von Beruhigungsmitteln oder das Hinzuziehen von Begleitpersonen gewesen. Die Funktionalität der Symptomatik habe unter anderem darin bestanden, Sozialpartner an sich zu binden und das Alleinsein zu vermeiden.

Der Arzt für Anästhesiologie und spezielle Schmerztherapie Dr. B., bei dem sich die Klägerin ab Ende Februar 2008 in Behandlung befand, berichtete Anfang Mai 2008, schmerztherapeutisch habe eine ausgeprägte Fibromyalgie im Vordergrund gestanden. Es hätten schwerpunktmäßig Kopfschmerzen vorgelegen, daneben Syndrome in den Bereichen der Halswirbelsäule sowie der Schulter und im ganzen Arm, ferner eine Lumbalgie. Biographisch habe eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden.

Die Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. L.-K. teilte in ihrer Bescheinigung von Anfang August 2013 mit, die Klägerin habe sich von Dezember 2002 bis April 2008 und dann wieder ab Mai 2010 in ihrer psychotherapeutischen Behandlung befunden. Diagnostiziert worden seien eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) mit dissoziativen Krampfanfällen (ICD-10 F44.5), eine dissoziative Fugue (ICD-10 F44.1), dissoziative Lähmungen und Sensibilitätsstörungen von Extremitäten, ein Sprachverlust, eine rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F38.10) sowie eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.40). Differentialdiagnostisch habe ein Fibromyalgiesyndrom vorgelegen. Die zeitweise gestellte Borderline-Diagnose habe bei Testung in der Sprechstunde der Psychiatrischen Institutsambulanz des Universitätsklinikums T. Ende Mai 2013 nicht vollständig erhärtet werden können. Bei ihrer Untersuchung habe sich ebenfalls kein aktueller Hinweis auf eine solche Erkrankung gezeigt, so dass lediglich von einer Akzentuierung auszugehen gewesen sei (ICD-10 Z73.1). Im Vordergrund der Symptomatik habe demgegenüber eine Traumafolgestörung bestanden, welche auf Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend durch Vergewaltigung und weitere sexuelle Übergriffe, die fehlende Geborgenheit in der elterlichen Gastwirtschaft sowie dem Erleben von körperlicher Gewalt zurückzuführen sei. Dabei erscheine das Bindungsverhalten der Klägerin überwiegend von Abhängigkeit und Trennungsängsten bestimmt.

Prof. Dr. E., Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der A. Kliniken in B.-B. diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 22. Juni bis zum 9. Juli 2011 unter anderem ein Fibromyalgiesyndrom, eine vorbekannte posttraumatische Belastungsstörung, eine vorbekannte anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende Depression. Die Aufnahme der Klägerin sei wegen einer akuten Schmerzexacerbation trotz Ausschöpfens der ambulanten Therapiemaßnahmen erfolgt. Der Schwerpunkt der Behandlung habe auf der abgestuften medikamentösen Schmerztherapie gelegen sowie auch auf dem ganzen Spektrum der aktiven und passiven physikalischen Therapie und der psychologischen Schmerz- und Entspannungstherapie. Medikamentös habe mit Lyrica, beginnend mit 25 mg und später mit 50 mg zur Nacht, eine Verbesserung der neuropathischen Schmerzsymptomatik und des Nachtschlafes erreicht werden können. Bei einem akuten Schmerzschub könne die Klägerin bedarfsweise mit Ibuprofen, 400 mg entgegenwirken.

Nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin in der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie des Klinikums S.-B. vom 9. bis 11. März 2011 diagnostizierte der Chefarzt Prof. Dr. A. eine dissoziative Gangstörung bei einem Zustand nach wiederholter Traumatisierung und ein Fibromyalgiesyndrom.

Die Klägerin hatte erstmals am 13. November 2000 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG gestellt, der mit Bescheid vom 5. August 2002 abgelehnt wurde. Der Nachweis, dass sie Opfer einer Gewalttat geworden sei, habe nicht erbracht werden können. Das durch ihre Anzeige eingeleitete Strafverfahren sei wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Strafverfolgungsverjährung eingestellt worden. Durch das in Auftrag gegebene neurologisch-psychiatrische Fachgutachten vom 6. März 2001 sei bestätigt worden, dass die Klägerin an einer Borderline-Störung leide. Vom Weißen Ring e. V. erhielt sie Ende 2002 wegen der „durch die Straftat eingetretenen besonderen Lebenslage“ eine Beihilfe in Höhe von 1.500 EUR. Der Antrag der Klägerin, die Verwaltungsentscheidung im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen, wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. Juni 2011 abgelehnt. Die getroffene negative Feststellung sei aufgrund des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von März 2001 erfolgt. Danach habe der Nachweis des geltend gemachten schädigenden Ereignisses nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erbracht werden können. Zwischenzeitlich hatte die Klägerin Anfang März 2006 schriftlich festgehalten, dass sie mit fünf Jahren auf der Kegelbahn einer Gaststätte von einem Gast sexuell missbraucht worden sei, welcher ihr eine Katze geschenkt habe und das als Gegenleistung erwartet habe. Sie habe versucht, das Tier in der Badewanne zu ertränken. Vermutlich sei das nicht das einzige Erlebnis dieser Art gewesen. Sie habe oft Bauchschmerzen gehabt und wieder angefangen einzunässen.

Unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgericht (BSG) vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) stellte die Klägerin am 17. Juni 2013 sinngemäß erneut einen Überprüfungsantrag in Bezug auf die Gewährung einer Beschädigtenrente. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung könnten Versorgungsleistungen beansprucht werden, selbst wenn kein Tatzeuge vorhanden sei. Sie gab an, als Kind im Stuttgarter Stadtteil D. zweimal sexuell missbraucht worden zu sein. Ein Tierarzt habe sie auf der Kegelbahn der von ihren Eltern betriebenen Gaststätte zum Oralverkehr gezwungen und ihr als Gegenleistung ein Kätzchen geschenkt. Er habe gesagt, wenn sie etwas äußere, höre diese es, worüber sie ihm berichte. Daher habe sie das Tier vermutlich ertränken wollen. Ein zweiter Missbrauch sei in einer Schrebergartensiedlung in der Nähe ihres Elternhauses erfolgt. Sie sei von einem Mann mit Hund angesprochen und gefragt worden, ob sie sehen möchte, wo dieser schlafe. Sie sei mit ihm gegangen. Sie wisse jedoch nur noch, in einem Gartenhäuschen etwas getrunken zu haben. Sie könne sich indes an nichts mehr erinnern. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien ihr so genannte. „K.-o.-Tropfen“ verabreicht worden, wodurch sie das Bewusstsein verloren habe. Vermutlich sei es zu einem Ritus gekommen, denn sie habe immer Erinnerungen an drei schwarze Kapuzenmenschen. Sie habe weitere einschneidende Erlebnisse in ihrer Kindheit erfahren. Die sexuellen Übergriffe seien jedoch die schlimmsten gewesen. Der ganze Alltag richte sich nach den Traumata aus. In der Küche habe sie weder Messer noch Scheren mit schwarzen Griffen. An manchen Tagen könne sie nicht zum Frisör gehen, weil sie Panik vor einer Schere habe. Sie könne nicht im Erdgeschoss wohnen. Wegen der oralen Vergewaltigung nutze sie eine elektronische Zahnbürste, was für sie stressfreier sei. Zahnarztbesuche seien blanker Horror und hätten früher nicht selten mit einem dissoziativen Krampfanfall geendet. Selbst eine Banane könne sie nicht normal essen. Sie könne weder arbeiten gehen noch alleine Bus oder S-Bahn fahren. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 18. Juli 2013 abgelehnt, der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2013 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 23. Dezember 2013 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, welches verschiedene, sie behandelnde Ärztinnen und Ärzte als sachverständige Zeugen befragt hat.

Dr. L.-K. hat im April 2014 im Wesentlichen den Inhalt ihrer Bescheinigung von Anfang August 2013 wiedergegeben und ergänzend ausgeführt, die depressiven Episoden, welche zum Teil Tage bis unter zwei Wochen, manchmal auch Monate anhielten, hätten eine teils mittelgradige, teils schwere Ausprägung mit Suizidgedanken, also bis hin zur Lebensmüdigkeit. Der Klägerin werde ein Antidepressivum in Form von Doxepin, 75 mg abends verabreicht. Bei den gemischten dissoziativen Zuständen handele es sich um eine dissoziative Fugue (ICD-10 F44.1), wobei sich die Klägerin in einem kindlich-ängstlichen Ich-Zustand befinde, und um dissoziative Krampfanfälle (ICD-10 F44.5), nach Fremdanamnese zum Teil mit Somnolenz. Ein beginnendes Krampfen habe sie in Verbindung mit traumatischen Erinnerungen an einen Schrebergarten beobachtet. Anamnestisch habe zeitweise die Stimme in Erregungszuständen versagt, in denen die Klägerin getriggert gewesen sei. Zudem seien Taubheits- und Lähmungserscheinungen in den Extremitäten aufgetreten. Diese dissoziativen Zustände in Verbindung mit Flashbacks seien als Traumafolgezustände zu werten und ergänzten die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung. Bei der Überwindung agoraphobischer Ängste unterstütze sie ihr Ehemann, auch der Hund helfe ihr. Alleinsein in der Wohnung über viele Stunden führe wiederholt zu Angst- und Panikzuständen.

Von Dr. L.-K. ist unter anderem der Bericht des Oberarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit Poliklinik des Universitätsklinikums T., Prof. Dr. E., vom 29. Mai 2013 über ambulante Vorstellungen der Klägerin am 24. Mai und „angeblich“ 3. Juni 2013 vorgelegt worden, wonach eine Akzentuierung von Persönlichkeitszügen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (ICD-10 Z73.1) sowie der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Zwangsstörung diagnostiziert worden seien. Eine inhaltliche Denkstörung in Form von Verfolgungsideen sei gegeben gewesen. Ein Anhalt für Halluzinationen habe nicht bestanden. Es hätten jedoch andere Wahrnehmungsstörungen in Form von dissoziativen Anfällen vorgelegen. Zudem seien Ich-Störungen in Form von Depersonalisations- und Derealisationserleben unter Belastung gegeben gewesen. Zwänge in Form von Kontaminierungs- und Kathastrophisierungsängsten sowie Wasch- und Kontrollzwänge seien erkannt worden. Die Stimmung sei leicht gedrückt sowie die Klägerin im Antrieb etwas unruhig und im Gespräch teilweise schwer zu begrenzen gewesen. Ein Anhalt für eine Selbst- oder Fremdgefährdung habe sich nicht gefunden. Im Ergebnis hätten aktuell keine ausreichenden Hinweise auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vorgelegen, so dass lediglich von einer Akzentuierung auszugehen gewesen sei.

Die Frauenärztin Dr. Dipl.-Psych. V. hat im Juli 2014 kundgetan, bei der Klägerin erstmals Mitte Oktober 2006 eine gynäkologische Vorsorgeuntersuchung durchgeführt zu haben. Zuletzt sei sie Anfang September 2010 zu einem Gesprächstermin in Begleitung ihres Ehemannes mit dem Wunsch nach stationärer Einweisung wegen einer Psychose in ihrer Praxis gewesen. Es habe unter anderem ein Zustand nach einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dissoziativen Zuständen mit Erstdiagnose im Jahre 2006 bestanden. Es habe sich um eine schwergradige posttraumatische Belastungsstörung mit Panikattacken und schwergradigen psychosomatischen Beschwerden gehandelt.

Die Ärztin für Psychotherapeutische Medizin J. hat im April 2014 mitgeteilt, dass die Klägerin nicht in ihrer psychologischen Behandlung gewesen sei. Die Dipl.-Psych. O. hat die Anfrage mit dem Vermerk zurückgeschickt, dass ihr diese unbekannt sei. Die Dipl.-Psych. E. hat Ende Juni 2014 mitgeteilt, keine Unterlagen über sie nach dem Jahre 2000 mehr gefunden zu haben.

In nichtöffentlichen Sitzungen am 16. April, 14. Juli und 13. August 2015 sind die Klägerin gehört sowie M. und ihre leiblichen Eltern H. H. und H. L. als Zeugin und Zeugen befragt worden.

Die Klägerin hat im April 2015 berichtet, sie habe damals auf der Kegelbahn allein gespielt. Sie sei auf die Toilette gegangen. Nach der Rückkehr von dort sei ihr aufgefallen, dass der Kühlschrank offen gestanden sei. Schließlich sei die Tür zugegangen und M. sei vor ihr gestanden. Sie habe ihn gekannt, da er ihr bereits zuvor eine schwarzweiße Katze geschenkt habe. Er habe dann scheinbar eine Art Gegenleistung von ihr gewollt, was sie jedoch nicht mehr genau wisse. Es sei zum Missbrauch gekommen. Er habe gesagt, die Katze sehe und höre alles, wenn sie etwas erzähle. Diese berichte ihm davon. Dann passiere etwas Schlimmes. Was genau, wisse sie nicht mehr. An den Namen von M. könne sie sich erst jetzt wieder erinnern. lange sei er ihr nicht bekannt gewesen. Sie sehe nur eine schwarze Gestalt mit Vollbart und Brille vor sich. Ihr Vater habe spontan geäußert, M. habe ausgesehen wie der Räuber Hotzenplotz. Damit erkläre sich nun für sie, weshalb sie sich als Kind vor dieser Figur immer geekelt habe. M. sei Tierarzt gewesen. Sie habe bereits mit zehn Jahren Albträume gehabt. Irgendwie habe sich alles wie ein Puzzle zusammengefügt. Sie habe angefangen zu malen, das sei ihr einziges Sprachrohr gewesen. Ihr sei ja ein Schweigegelübde eingehämmert worden. Später als Jugendliche habe sie eine Katze gehabt, da habe sich das Ganze fortgesetzt. Sie könne sich an einen Vorfall erinnern, bei dem sie das Gefühl gehabt habe, diese beobachte sie. Sie sei auf dem Fensterbrett gegessen. Schließlich habe sie einen Schrei losgelassen, bis ihr klar geworden sei, dass es sich um ihr eigenes Tier gehandelt habe. Sie wolle klarstellen, dass sie bereits vor dem zehnten Lebensjahr häufiger unter Albträumen gelitten habe. Ab diesem Zeitpunkt habe sie jedoch einen ganz prägnanten gehabt. Sie habe ein erigiertes Glied mit einem Kondom angefasst. Bereits als Kind sei sie in einer Spieltherapie gewesen. Allerdings sei nichts aus ihr herausgebracht worden. Wahrscheinlich sei das Schweigegelübde so stark in ihr verankert gewesen, dass es nicht funktioniert habe. Sie habe immer Albträume mit Hunden, Blut und Schlangen gehabt, was noch anhalte. Sie träume auch davon, am Hals gewürgt zu werden. Dies komme wohl daher, dass M. sie damals an dieser Stelle gepackt habe. Mittlerweile wisse sie, dass es einen Griff gebe, welcher verhindere, dass zugebissen werden könne. M. habe als Tierarzt sicherlich Kenntnis von dieser Technik gehabt. Dies erkläre ihre Kopf-, Hals- und Genickschmerzen. Zu dem Vorfall im Schrebergarten könne sie nur sagen, dass sie mit einem Mann mitgegangen sei, um dessen Hunde anzusehen. Er habe ihr zeigen wollen, wo diese schlafen. Sie habe ihr blaues Fahrrad dabei gehabt. Sie wisse noch, dass sie an einem Tisch gesessen sei und etwas getrunken habe. Dann sei alles weg. Ihre Therapeutin habe gesagt, wegen der krampfhaften Anfälle müsse etwas Extremes passiert sein, was über einen normalen Missbrauch hinausgegangen sei. Sie könne nicht mehr sagen, welcher Vorfall sich zuerst ereignet habe. Beide ereigneten sich jedoch als sie im Stuttgarter Stadtteil D. gewohnt hätten. Das sei wohl in der Zeit von 1977/78 bis 1981 gewesen. Sicher sei sie sich aber auch hier nicht. Jedenfalls hätten sich dort die Vorkommnisse ereignet. Sie könne sich nicht mehr an den Zeitpunkt oder die Jahreszeit erinnern, als sie auf der Kegelbahn missbraucht worden sei. Sie sei etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen. Der Täter müsse K. geheißen haben. Sicher sei sie sich jedoch nicht. Er sei jedenfalls Clubmitglied gewesen. Vor etwa zwanzig Jahren sei sie zusammen mit ihrem Therapeuten nochmals am Ort des Geschehens im Vereinsheim gewesen. Die Kegelbahn habe indes nicht mehr existiert, da ein Umbau vorgenommen worden sei. Sie habe die Kegelbahn immer wieder gezeichnet. Als ihre Mutter ein Bild gesehen habe, habe sie spontan gesagt, genau so habe es damals ausgesehen. Später sei sie nochmal mit ihrem Ehemann in Stuttgart-D. gewesen. An die Person des Täters könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie wisse nur noch, dass er große, riesige Hände gehabt habe. Er müsse wohl zwischen dreißig und vierzig Jahre alt gewesen sein. Dies wisse sie aber nicht mehr genau. M. habe sie auf einen Tisch gesetzt und festgehalten. Er habe sie dann oral missbraucht. Ihr Kopf habe gegen seine Rippen geschlagen. Er sei höchstwahrscheinlich zum Samenerguss gekommen, daran erinnern könne sie sich hingegen nicht. Sie habe heute noch massive Probleme, eine Banane zu essen oder sich die Zähne zu putzen. Sie habe mittlerweile herausgefunden, dass es mit einer elektrischen Zahnbürste einfacher sei, da sie diese nicht in den Mund hinein- und wieder herausführen müsse, sondern kreisende Bewegungen vornehmen könne. Sie befinde sich noch immer in einer EMDR-Therapie. Sie habe etwa mit siebzehn oder achtzehn Jahren realisiert, dass in Richtung eines Missbrauches etwas gewesen sein müsse. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Damals habe sie festgestellt, dass mit ihr etwas nicht stimme. Sie habe das schon einmal erlebt und habe gedacht, dass könne ja nicht sein, sie habe noch gar keinen Freund gehabt. Zu den von ihr gemalten und im Termin vorgelegten Bildern hat sie ausgeführt, diese seien teilweise in der Therapie entstanden. Es sei Teil davon gewesen, die gemalten Erinnerungen in einen Tresor wegzustecken, wo sie auch aufbewahrt würden. Zu dem Geschehen im Schrebergarten habe sie einzig von ihr nachträglich gemalte Bilder, welche schwarze Kapuzenmänner mit weißen Augen zeigten. Sie könne sich nur noch daran erinnern, dass da ein oder zwei Hunde gewesen seien. Nach ihrer Erinnerung habe dort eine Frau gestanden. Dann sei ein Mann anwesend gewesen, der sich als Frau verkleidet habe. Sie wisse aber nicht mehr mit letzter Sicherheit, ob es sich dabei um den Missbrauch im Schrebergartenhäuschen handele.

Der Zeuge M. hat im Juli 2015 ausgesagt, er sei aktiver Hockeyspieler in Stuttgart-D. gewesen. Er sei auch als Vizepräsident im Vorstand gewesen. Ob dies im Jahre 1978 oder 1979 gewesen sei, könne er nicht mehr sagen. Zu seiner aktiven Zeit habe er ein- bis zweimal in der Woche trainiert und am Wochenende gespielt. Er habe sich auch in der Vereinsgaststätte aufgehalten. In seiner Vorstandsfunktion sei er für den Bereich Sport zuständig gewesen, nicht Wirtschaft. Er habe daher auch nicht die Pachtverträge mit den jeweiligen Betreibenden der Gaststätte geschlossen. An die Pächter könne er sich nicht mehr erinnern, diese hätten damals schnell gewechselt. Er könne sich auch nicht an ein Kind von Pächtern erinnern. Er würde einem Kind nie eine Katze schenken. Das sei das Allerschlimmste, was getan werden könne. Insbesondere als Tierarzt gehe das nicht. Dies sei ein ethisches Problem. Tiere sollten nicht verschenkt werden. Zu den ihm entgegengehaltenen Vorwürfen könne er nichts sagen. Der Name der Klägerin sei ihm unbekannt. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob zu der Vereinsgaststätte eine Kegelbahn gehört habe. Möglich sei es, er habe jedenfalls nie gekegelt. In der damaligen Zeit habe er sicher einen Bart getragen. Er sei damals knallig schwarz und dunkel gewesen. Wenn er einen getragen habe, dann stets einen Vollbart. Er habe etwa schulterlange Haare gehabt. Eine Brille habe er eigentlich schon immer getragen, auch als Kind. Denn er habe sehr schlechte Augen.

Die Zeugin H. hat im August 2015 geäußert, sie seien ungefähr von September 1978 bis September 1981 in Stuttgart-D. gewesen. Die Klägerin sei schon anhänglich gewesen, bevor sie dorthin gezogen seien. Sie sei mit etwa siebzehn Jahren für ein halbes Jahr in der S. Klinik in St. gewesen, wo sie therapeutisch behandelt worden sei. Nach der Vermutung der Therapeuten habe es nahegelegen, dass sie missbraucht worden sei. Sie gehe davon aus, dass es der Klägerin zu dieser Zeit bewusst geworden sei. Während der Zeit in Stuttgart-D. sei sie noch anhänglicher und ängstlicher geworden. Diese habe von M. eine Katze geschenkt bekommen. Sie könne sich jedoch nicht daran erinnern, bei der Übergabe des Tieres dabei gewesen zu sein. Es könne auch sein, dass die Katze zugelaufen sei und die Klägerin M. nur gefragt habe, ob das Tier gut oder gesund sei. Jedenfalls habe sie über die Katze einen Bezug zu M. hergestellt. An einen Missbrauchsvorfall in einem Schrebergartenhäuschen könne sie sich nicht genau erinnern. Die Klägerin sei zwar einmal für ein paar Stunden verschwunden gewesen. Sie könne allerdings nichts dazu sagen, was passiert sei.

Der Zeuge L. hat im August 2015 kundgetan, M. habe sich als Gast häufiger in der Vereinsgaststätte aufgehalten. Er sei Mitglied der Hockeymannschaft gewesen. Er erinnere sich daran, dass irgendwann bei der Klägerin Bauchschmerzen aufgetreten seien, insbesondere am Wochenende. Er denke, dass es im Zusammenhang mit einem Urlaub im Bayerischen Wald gewesen sei. Entweder dort oder kurz danach hätten die Auffälligkeiten angefangen. Er könne sich auch an eine schwarze Katze erinnern. Sie sei von M. gewesen. Diese hätten sie damals nur ein paar Wochen gehabt. Die Katze sei nicht zugelaufen. Er gehe sehr stark davon aus, dass sie ein Geschenk gewesen sei. M. habe auch Tiere zur Betreuung gehabt, weshalb er annehme, dass sie von ihm gewesen sei. M. habe die Klägerin auf jeden Fall gekannt. Beide hätten sich insbesondere am Wochenende gesehen. Er könne sich nicht daran erinnern, dass diese ihm speziell aus dem Weg gegangen sei oder sich ihm zugewandt habe. Er sei jedoch als Koch in der Küche tätig gewesen und habe nur wenig davon mitbekommen, was sich in der Vereinsgaststätte abgespielt habe. Wann die Katze abgegeben oder wohin diese gebracht worden sei, könne er nicht sagen. An einen Missbrauch in einem Schrebergartenhäuschen habe er keine Erinnerung.

Im Termin im April 2015 hat das SG darauf hingewiesen, dass die Feststellungsklage vorliegend die richtige Klageart sein dürfte und der Streitgegenstand darauf zu begrenzen sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. In der Niederschrift über den Termin am 14. Juli 2015, bei dem die Klägerin nicht anwesend gewesen ist, sondern von einem ihrer Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist, ist aufgeführt: „Die Klägerin beantragt sodann, es wird festgestellt, dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Alter von fünf bis sechs Jahren auf dem Gelände des HTC Stuttgarter Kickers gewesen ist.“ und „laut diktiert und genehmigt“. Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 2. August 2015 ist vorgetragen worden, trotz des gerichtlichen Hinweises im Erörterungstermin am 16. April 2015 halte sie unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 16. Dezember 2014 (Az. B 9 V 1/13 R) am kombinierten Feststellungs- und Leistungsantrag fest.

In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 hat die Klägerin schließlich beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung und unter Abänderung des Bescheides vom 5. August 2002 den Beklagten zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem OEG ab 13. November 2000 zu gewähren. Das SG hat die Klage durch Urteil mit der Begründung abgewiesen, selbst unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßstabes der Glaubhaftmachung sei es nicht gut möglich, dass die Klägerin 1978 oder im Folgejahr Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden sei, insbesondere in Bezug auf den vorgetragenen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. Angesichts der detaillierten Schilderung des vermeintlichen sexuellen Missbrauches durch die Klägerin seit Beginn des Verwaltungsverfahrens und im gerichtlichen Verfahren sei es nicht nachvollziehbar, weshalb diese angesichts ihrer vielfältigen ambulanten und stationären psychotherapeutischen Gespräche und Behandlungen in der Zeit seit 1979 bis zu ihrer Erkenntnis im Jahre 1994, sexuell missbraucht worden zu sein, niemals eine sexuelle oder sonstige Gewalttätigkeit auch nur angedeutet habe. Die ersten Schilderungen von Übergriffen seien erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie erfolgt und daher mit Vorsicht zu betrachten. Die Aussage der Klägerin sei erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie sich wegen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen bereits in Therapie befunden habe. Es sei daher nicht auszuschließen, dass etwa im Zusammenhang mit den therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden seien. Die Klägerin habe erstmals im Alter von sechs oder sieben Jahren psychotherapeutische Gespräche geführt. Seit etwa dem elften Lebensjahr habe sie sich in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Sie habe im Rahmen der Anzeigenerstattung im Jahre 1995 angegeben, erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutung gehegt zu haben. Erst etwa eineinhalb Jahren zuvor sei sie sicher gewesen, von M. sexuell missbraucht worden zu sein. Nach dem Klinikaufenthalt in St. mit etwa siebzehn Jahren habe sie an ihre Eltern vermehrt Fragen zu den Gästen in Stuttgart-D. gerichtet. Ob es sich um ihre eigene Erinnerung gehandelt habe, sei jedoch fraglich. Darüber hinaus habe sie im Laufe ihres Lebens trotz der immer weiter zurückliegenden Ereignisse neue Episoden wie etwa den Vorfall im Schrebergartenhaus oder den Namen des vermeintlichen Täters geschildert. Nach ihrer eigenen Aussage habe sich alles nach und nach wie ein Puzzle zusammengesetzt. Als besonders problematisch seien jedoch solch vermeintlich wiederentdeckten Aussagen etwa dann zu betrachten, wenn mit oder ohne therapeutische Unterstützung explizite Bemühungen vorgenommen worden seien, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern, wenn Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden seien, wenn im Laufe der Zeit immer mehr Erlebnisse berichtet würden oder wenn die berichteten Erlebnisse bizarre oder extreme Erfahrungen beinhalteten. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Erinnerungen der Klägerin nicht in den Therapien erzeugt oder verändert worden seien. Bereits bei der nervenärztlichen Begutachtung im Jahre 2006 habe die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie E. beschrieben, es habe der Eindruck bestanden, die Klägerin wisse aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung mit Psychotherapeuten genau, welche Argumente sie bei Untersuchungen vorbringen müsse. Auch die Aussagen der gehörten Zeugen hätten die Kammer nicht von der guten Möglichkeit des Tatgeschehens überzeugen können. Die Zeugin H. und der Zeuge L. hätten sich trotz des geschilderten Vorfalles in der Badewanne nicht daran erinnern können, was mit der Katze geschehen sei. Diese hätten im Wesentlichen lediglich die Erinnerungen der Klägerin bestätigt, welche sie über Jahre wiederholt von ihr berichtet bekommen hätten. Zwar gehe die Kammer davon aus, dass die Klägerin selbst von dem von ihr geschilderten Tatgeschehen auf der Kegelbahn überzeugt sei. Diese habe allerdings im Laufe ihres Lebens eine Vielzahl von Schicksalsschlägen erleiden müssen. Sie sei trotz heftiger Gegenwehr zeitweise durch eine Pflegefamilie betreut worden. Die Ehe ihrer Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Als sie etwa elf Jahre alt gewesen sei, hätten diese sich getrennt und zwei Jahre später schließlich scheiden lassen. Als Kind habe die Klägerin immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Die ersten psychogenen Ohnmachtsanfälle seien nach der Scheidung der Eltern erfolgt. Zudem habe sie im Alter von zwei Jahren den Nachbarn tot im Garten gefunden. Ein Jahr später habe ihr Vater einen Suizidversuch unternommen, bei dem sie ihn aufgefunden habe. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass der geschilderte Missbrauch für die Klägerin lediglich eine Erklärung für ihre gesundheitlichen, insbesondere psychischen Leiden darstelle. Zur Überzeugung der Kammer spreche daher nach der Gesamtwürdigung aller Umstände nicht besonders viel für den von der Klägerin behaupteten Vorgang. Hinsichtlich eines etwaigen Missbrauches in einem Schrebergartenhaus sei der abgesenkte Beweismaßstab der Glaubhaftmachung bereits nicht anwendbar. Dieser erfordere zumindest, dass die Betroffenen Bekundungen aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machten. Die Klägerin habe indes angegeben, sie könne sich nur teilweise an den Übergriff erinnern. Sie wisse lediglich noch, einen Mann zu einem Schrebergartenhäuschen begleitet zu haben, welcher einen Hund mitgeführt habe. Dort habe sie etwas getrunken und anschließend einen Blackout gehabt. Sie wisse nur noch, wie sie von ihren Eltern gefunden und mit nach Hause genommen worden sei. Ein tätlicher Angriff müsse vorgefallen sein, da sie Bilder aus ihrer Erinnerung male, die durch jahrelange Therapie mittlerweile ans Licht gekommen seien. An einen eigentlichen Übergriff könne sie sich jedoch nicht erinnern. Auch die gehörten Zeugen hätten insoweit nichts zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können. Zu weiteren, über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden medizinischen Ermittlungen habe kein Anlass bestanden. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat sei nicht möglich, sondern beinhalte einen Zirkelschluss. Auch gäben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen brauchbaren Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen sei nicht erforderlich. Eine solche aussagepsychologische Begutachtung komme nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehle. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Weder weise die Aussageperson Besonderheiten auf, noch sei der Sachverhalt besonders gelagert. Es handele sich um eine durchaus typische Fallgestaltung für das Recht der Opferentschädigung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung sei gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden seien, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden seien. Zu berücksichtigen sei, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterlägen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt seien. Dies sei bei der Klägerin auch aufgrund des persönlichen Eindruckes der Kammer der Fall. Nach alledem sei der Nachweis für das Vorliegen eines Angriffes nicht erbracht.

Gegen die den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 5. November 2015 zugestellte Entscheidung hat diese am Montag, 7. Dezember 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 4. April 2016 ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt worden, dass nicht beabsichtigt ist, von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen, insbesondere ein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben einzuholen. Weiter sind sie darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit am 23. Juni 2016 mündlich zu verhandeln. Nachdem ihnen die Ladung am 25. April 2016 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 3. Mai 2016 beantragt, Dr. H. im Rahmen von § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gutachtlich zu hören.

Die in der mündlichen Verhandlung anwesende Klägerin trägt im Wesentlichen vor, das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie den sexuellen Missbrauch im Kindesalter nicht glaubhaft gemacht habe. Es habe maßgeblich darauf abgestellt, dass ihre ersten Schilderungen der sexuellen Übergriffe erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie erfolgt und daher mit Vorsicht zu betrachten seien. Der Umstand, dass sie erst mit siebzehn oder achtzehn Jahren davon gesprochen habe, könne ihr jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Dies sei vielmehr normal. Kinder, die Missbrauchserfahrungen machten, verarbeiteten diese in der Regel so, dass sie verdrängt und nicht ausgesprochen würden. Nur so sei ein Schutz möglich. Vor diesem Hintergrund sei auch die Verjährungsregelung für die Straftatbestände im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen geändert worden. Die Verjährung beginne erst mit der Volljährigkeit des Opfers. Das SG hätte daher nicht auf das Alter oder die Zeitdauer zwischen dem sexuellen Missbrauch und ihrer erstmaligen Äußerung dazu abstellen dürfen. Vielmehr sei zu bewerten, ob ihre Aussagen in sich stimmig und nach mehrmaligen Wiederholungen gleichbleibend seien. Sie habe im Verlaufe ihrer Behandlungen und den Schilderungen über den sexuellen Missbrauch nichts weggelassen oder hinzuerfunden. Ferner habe sie sich nicht in Widersprüche verwickelt. Ihre Aussagen seien auch durch die Angaben ihrer Eltern gestützt worden, die hierzu passten. Selbst die Angaben des Zeugen M. stimmten mit ihrem Vortrag überein. Lediglich die Tat bestreite dieser vollumfänglich. Dessen Äußerungen seien insoweit indes nicht glaubhaft. Angeblich erinnere er sich nicht an eine Kegelbahn, obwohl er in dem Verein jahrelang regelmäßig ein- und ausgegangen und dort im Vereinsvorstand tätig gewesen sei. Dass er nie gekegelt habe, sei eine Lüge. Ihr Vater habe ihr gegenüber ausdrücklich bestätigt, dass er sich daran erinnern könne, der Zeuge M. habe in der Vereinsgaststätte diese Freizeittätigkeit ausgeübt. Der Antrag nach § 109 SGG sei im Übrigen rechtzeitig gestellt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2015 und den Bescheid vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 5. August 2002 zurückzunehmen und ihr Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren,

hilfsweise Dr. F. H., T. 21, 10559 B. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz gutachtlich dazu zu hören, dass ihre Angaben zum sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. glaubhaft sind.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er trägt im Wesentlichen vor, ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei von der Klägerin weiterhin nicht glaubhaft gemacht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (3 Bände) verwiesen.

Gründe

Die am Montag, 7. Dezember 2015 eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 5. November 2015 zugestellte Urteil des SG ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 3 SGG) erfolgt sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die angefochtene Entscheidung des SG vom 27. Oktober 2015, soweit damit die in der dortigen mündlichen Verhandlung als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m. w. N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 5. August 2002 und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG verfolgt hat, abgewiesen worden ist.

Die Berufung der Klägerin ist nicht bereits wegen der Unzulässigkeit der Klage unbegründet. Die Klägerin konnte diese zwar neben der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht zulässigerweise auf die isolierte Feststellung beschränken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist, wie sie es in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 beim SG ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) vornahm. Ein solches Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gestützt werden, da nur eine isolierte Feststellung von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruches nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21, Rz. 10 ff.). In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 erfolgte indes die bereits mit Schriftsatz vom 2. August 2015 angekündigte und wegen § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG mögliche Erweiterung der Hauptsache (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 99 Rz. 4), weshalb die Klägerin im Übrigen durch die ablehnende Entscheidung des SG insoweit auch beschwert ist (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 143 Rz. 6). Die Anfechtungsklage ist zudem bis zuletzt durchgängig aufrechterhalten worden, weshalb die mit Bescheid vom 18. Juli 2013 getroffene negative Regelung nicht bestandskräftig geworden und die Klägerin klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist.

Soweit die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage die Beseitigung des ablehnenden Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verwaltungsentscheidung vom 5. August 2002 und die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG begehrt, ist die Berufung indes wegen der Unbegründetheit der Klage nicht begründet. Denn mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ist die negative Feststellung im Bescheid vom 5. August 2002 nicht rechtswidrig und folglich auch nicht zurückzunehmen gewesen. Eine Regelung wurde darin, gestützt auf die Anzeige der Klägerin bei der Polizeidirektion B., allerdings nur in Anknüpfung an einen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff getroffen. Das von der Klägerin angeführte mögliche Geschehen in einem Schrebergarten im Stuttgarter Stadtteil D. hat dieser Verwaltungsentscheidung nicht zugrunde gelegen, weshalb die Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Bezug darauf nicht Gegenstand einer materiell-rechtlichen Prüfung in diesem Berufungsverfahren sein kann.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 ). Auch wenn Betroffene, wie die Klägerin, schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und Antragstellende bescheiden (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -, BSGE 97, 54 ). Dem ist der Beklagte hinreichend nachgekommen. Die Klägerin hat den weiteren Überprüfungsantrag insbesondere unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) gestellt.

Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der Beklagte hat bei Erlass seines Ausgangsbescheides vom 5. August 2002 über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG aufgrund des von der Klägerin angeführten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Dass der Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legte, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Sie meint im Kern nur, der Beklagte habe es aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung unterlassen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Ihre Ansicht trifft indes nicht zu.

Für einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, BSGE 113, 205 ):

Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176 StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 -, BSGE 77, 7, und - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 ). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).

Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen des behaupteten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. Nicht erwiesen ist, dass es einen solchen tätlichen Angriff gegeben hat. Es besteht nach den umfassenden Ermittlungen des SG noch nicht einmal die gute Möglichkeit einer derartigen Einwirkung.

Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden der Antragstellenden oder ihrer Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, BSGE 65, 123 ). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Eine solche, vom Anwendungsbereich des § 15 Satz 1 KOVVfG erfasste Konstellation liegt vor, da M. als für die Tatbegehung von der Klägerin benannte Person den Tathergang bei der Vernehmung durch das SG in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 bestritten hat. Für den behaupteten schädigenden Vorgang sind auch sonst keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden, die Eltern haben die angeschuldigte Tat nur von der Klägerin erfahren.

Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass der Zeuge M. die Klägerin, wie sie behauptet, Ende der 1970er Jahre auf der Kegelbahn der Vereinsgaststätte des Hockey und Tennis Club Stuttgarter Kickers e. V. sexuell missbrauchte und dieser, um sich der wegen der Verfolgungsverjährung (§ 78 StGB) zwar nicht strafrechtlichen, aber doch moralischen Verantwortung für eine begangene Straftat zu entziehen, bei der Vernehmung durch das SG Erinnerungslücken angeführt hat, ohne dass solche wirklich bestanden haben. Mehr als bloß möglich erscheint dies jedoch nicht. Zur Begründung nimmt der Senat auf die überzeugenden ausführlichen und die jüngere Entscheidung des Senats vom 21. April 2015 (L 6 VG 2096/13, juris) hinreichend beachtenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil vom 27. Oktober 2015 Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Senat ihren Angaben nicht deshalb kein größeres Gewicht beigemessen hat, weil sie die Umstände des sexuellen Missbrauches nicht vor dem 18. Lebensjahr angeführt hat, sondern dass nicht auszuschließen gewesen ist, dass bei ihr Gedächtnisinhalte erst im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen erzeugt worden sind, die bei ihr in diesem Alter erfolgten.

Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen (§ 103 SGG) war unabhängig davon, ob die Klägerin überhaupt über die erforderliche Aussagetüchtigkeit verfügt, nicht erforderlich. Der Senat konnte, nachdem das SG die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren anhörte und sie im Übrigen in der mündlichen Verhandlung beim LSG anwesend war, entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich einem Tatgericht anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, welche eine Richterin oder ein Richter normalerweise nicht haben (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Rz. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im Opferentschädigungsrecht eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 -, juris, Rz. 83). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats ausweislich der vorliegenden Entlassungsberichte über mehrere mehrwöchige und sogar mehrmonatige stationäre Klinikaufenthalte gegeben.

Dem hilfsweisen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bei Dr. H. nach § 109 SGG war nicht stattzugeben. Das Gericht kann ein solches Gesuch gemäß § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Eine Verzögerung in diesem Sinne tritt ein, wenn sich wegen der Beweisaufnahme nach § 109 SGG der durch eine erfolgte oder bevorstehende Terminierung bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung verschieben würde (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 11). Dies wäre vorliegend der Fall gewesen, denn der Antrag wurde erst gestellt, nachdem die mündliche Verhandlung am 23. Juni 2016 anberaumt wurde. Zudem handelte die Klägerin, welcher das Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist, aus grober Nachlässigkeit. Diese liegt beim Verabsäumen jeglicher prozessualer Sorgfalt vor (BSG, Urteil vom 10. Juni 1958 - 9 RV 836/55 -, BSGE 7, 218). Daher müssen Beteiligte den Antrag spätestens innerhalb einer angemessenen Frist stellen, wenn sie erkennen müssen, dass das Gericht keine - weiteren - Erhebungen von Amts wegen durchführt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2015 - L 13 SB 348/11 -, juris, Rz. 32; Keller, a. a. O.). Dies hat die Klägerin versäumt. Das Gesuch ist am 3. Mai 2016 und damit erst mehr als eine Woche nach der am 25. April 2016 erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung angebracht und damit offensichtlich überhaupt erst durch diese veranlasst worden, obwohl der Berichterstatter mit Schreiben vom 4. April 2016 der Klägerin mitgeteilt hat, dass in diesem Verfahren keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchgeführt werden, insbesondere kein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben eingeholt wird.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.