VG Karlsruhe, Urteil vom 27.01.2016 - 4 K 924/14
Fundstelle
openJur 2016, 9613
  • Rkr:

1. Ist eine Mauer einerseits als Stützmauer gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 a) StrG BW Teil des Straßenkörpers einer öffentlichen Straße und andererseits als Außenwand Bestandteil eines Gebäudes, das sich auf einem an die Straße angrenzenden Grundstück befindet, so finden auf diese die Vorschriften der Landesbauordnung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBO Anwendung. Rechtsgrundlage für eine Verfügung der Baurechtsbehörde, mit welcher der Grundstückseigentümer verpflichtet wird, die Standsicherheit der Mauer wieder herzustellen, ist daher § 47 Abs. 1 Satz 2 LBO in Verbindung mit § 13 Abs. 1 LBO.

2. Eine über der Grundstücksgrenze errichtete Mauer, die als gemeinsame Grenzanlage zugleich Bestandteil des Straßenkörpers einer öffentlichen Straße und eines auf einem angrenzenden Grundstück befindlichen Gebäudes ist, ist wesentlicher Bestandteil beider baulicher Anlagen im Sinne des § 94 Abs. 2 BGB. Sie steht - unabhängig davon, in welchem Umfang die Mauer Teil der angrenzenden Grundstücke ist - zu gleichen Teilen im Eigentum beider Grundstückseigentümer (im Anschluss an BGH, Urt. v. 30.04.1958 - V ZR 178/56 - BGHZ 27, 197).

Tenor

1. Nr. 2 des Bescheids des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 27.03.2013 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.02.2014 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine baurechtliche Anordnung des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis, mit der ihm aufgegeben wurde, eine Natursteinmauer abzustützen und ihre Standsicherheit wiederherzustellen.

Der Kläger ist Eigentümer des Anwesens ... in ... Das Grundstück wird in seiner Hanglage durch die Schlossstraße in westlicher Richtung und die Bergstraße in östlicher Richtung umgrenzt. Die Oberkante der Schlossstraße liegt auf der Höhe des Grundstücks des Klägers fünf bis sechs Meter über der Oberkante der Bergstraße. Dadurch weist das Wohnhaus des Klägers von der Schlossstraße aus gesehen ein Vollgeschoss mit darüber liegendem Dachgeschoss auf, während es von der Bergstraße betrachtet über drei Geschosse und das Dachgeschoss verfügt. Zwischen dem dreigeschossigen Haupthaus des Klägers und dem nördlichen Nachbargebäude befindet sich auf dem Grundstück des Klägers ein zweigeschossiger Anbau mit einem halbseitigen Dachgeschoss, der ehemals als Scheune genutzt wurde.

Bei der Ortsbesichtigung am 22.02.2013 wurde seitens des Landratsamtes Rhein-Neckar-Kreis festgestellt, dass die Außenwand des Anbaus im Untergeschoss Richtung Schlossstraße deutliche Ausbauchungen nach innen (Osten) aufweist und nicht mehr standsicher ist. Bei der streitgegenständlichen Mauer handelt es sich um eine aus Kalkstein gemauerte Natursteinmauer, die zum Einen den Anbau auf dem klägerischen Grundstück zum Hang hin abschließt und zum Anderen als Stützmauer für die Schlossstraße dient.

Am 30.10.2013 wurde die streitgegenständliche Mauer vom Vermessungsamt des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis eingemessen. Bei der Einmessung wurde festgestellt, dass sich die Vorderseite der Mauer auf dem Grundstück des Klägers befindet und von der Grundstücksgrenze zur Schlossstraße 0,90 m bis 1,10 m entfernt ist.

Der Kläger beauftragte den Tragwerkplaner Prof. Dr. Ing. ... mit der Begutachtung der Standsicherheit der streitgegenständlichen Mauer. Dieser führte in seinen Stellungnahmen vom 08.06.2012, 20.10.2012, 23.03.2013, 25.03.2014 und 30.06.2014 aus, aufgrund der durchgeführten Bohrungen stehe fest, dass es sich um ein zweischaliges Mauerwerk mit einer mittleren Stärke von etwa 1,20 m handele. Das Mauergefüge sei zum Teil erheblich gestört. Es komme zu großen Ausbauchungen und Ablösungen der Mauerschale vom Kern von mehr als 30 cm. Ein plötzliches Versagen sei bei starker Belastung durch Straßenverkehr auf der Schlossstraße mehr als wahrscheinlich. Eine Vernadelung des Mauerwerks mit Edelstahlnadeln sei zwingend erforderlich. Zudem werde eine Neuverfugung der Maueransichtsfläche erforderlich, da die Stabilisierung des Mauerkerns durch Verpressen und Verfüllen der Hohlräume mit geeignetem Mörtel bewerkstelligt werden müsse. Ursache für die Schäden sei Wasser, das infolge mangelhafter Entwässerung der Schlossstraße von dort aus in die Mauer eindringe und den Fugenmörtel ausspüle. Zudem seien dynamische Effekte durch den Straßenverkehr auf der Schlossstraße ursächlich. Im Pflasterbelag der Schlossstraße würden sich deutliche Risse zeigen. Die Schäden an der streitgegenständlichen Mauer müssten nach dem Jahr 1989 entstanden sein. Dies ergäbe sich aus der von der Gemeinde ... vor der Sanierung der Schlossstraße durchgeführten Beweissicherung. Auf den dabei gefertigten Lichtbildern weise der betreffende Mauerabschnitt ersichtlich keine Ausbauchung auf (Blatt 40 des Beweissicherungsgutachtens Nr. 40/89 des Sachverständigen Dipl.-Ing. ... vom 31.08.1989). Demgegenüber sei bei der Befunduntersuchung vom Juni 2000 auf dem Raumbuchblatt Nr. 12 vermerkt, dass das Mauerwerk durch „Bergschub nach innen gebaucht“ sei. Die Kosten für die vorgenannten Arbeiten würden sich bei einer Fläche von 25 m² auf etwa 17.000 € belaufen.

Im Auftrag der Gemeinde ... gab die ... GmbH, Beratende Geologen und Ingenieure, am 12.08.2013 eine ingenieurgeologische Stellungnahme zur Beurteilung der Schadensursache ab. Darin wurde ausgeschlossen, dass eine Verkehrsbelastung ursächlich für den Schaden sei, weil das Kopfsteinpflaster der Schlossstraße nicht beschädigt oder verformt sei. Es sei daher davon auszugehen, dass der Unterbau der Straße - Tragschicht - stabil und für die Beanspruchung durch Schwerlastverkehr ausreichend tragfähig sei. Setzungen im Untergrund bzw. in der Tragschicht müssten Schäden an der Oberfläche nach sich ziehen. Die Ausbauchung an der streitgegenständlichen Mauer befinde sich 3,5 bis 4 m unter der Straßenoberkante der Schlossstraße. Es sei anzunehmen, dass sich eine Verkehrsbelastung nicht bis in diese Tiefe auswirken könne. Auf den anlässlich der von der Gemeinde ... im Jahr 1989 durchgeführten Beweissicherung gefertigten Lichtbildern sei zu erkennen, dass direkt oberhalb der deformierten Hauswand ein Fallrohr der vorherigen Dachentwässerung in die Schlossstraße verlegt gewesen sei. Das damalige Verbundsteinpflaster habe entlang der Hauswand ausschließlich an dieser Stelle deutliche Verdrückungen und Auflockerungen aufgewiesen. Das Fallrohr bestehe mittlerweile an dieser Stelle nicht mehr. Während des Ortstermins seien keine Anzeichen für Schicht- oder Sickerwasser festgestellt worden, das aus der verformten Mauer austrete. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass jahreszeitlich bedingtes temporäres Schichtwasser eine stetige Auflockerung des Mauerwerks bewirkt habe. Von einer Erkundung des Straßenunterbaus der Schlossstraße mittels Bohrungen oder Aufgrabungen sei zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen, da ein Einstürzen des Anbaus infolge von Erschütterungen nicht auszuschließen wäre. Die Außenwand des Anbaus sei akut einsturzgefährdet.

Mit Bescheid vom 27.03.2013 ordnete das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis an, die Natursteinmauer im Bereich der Ausbauchung mit senkrechten Holzbalken oder Stahlstützen mit Verstrebungen aus gleichem Material abzustützen (Nr. 1 der Verfügung) und bis zum 30.06.2013 die Standsicherheit dieser Mauer wiederherzustellen (Nr. 2). Diese beiden Sanierungsmaßnahmen habe der Kläger jeweils unter Begleitung eines Baustatikers auszuführen und durch einen Baustatiker zu bestätigen (Nr. 4). Hinsichtlich der Aufforderung, die Natursteinmauer im Bereich der Ausbauchung abzustützen, ordnete das Landratsamt den Sofortvollzug an (Nr. 6).

Zur Begründung trug das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis vor: Gemäß § 47 Abs. 1 LBO habe die Baurechtsbehörde darauf zu achten, dass die baurechtlichen Vorschriften eingehalten würden. Die Stützmauer verstoße aufgrund ihrer fehlenden Standsicherheit gegen § 3 Abs. 1 LBO und § 13 Abs. 1 LBO. Die Baurechtsbehörde habe aufgrund der vorliegenden Gefahrenquelle dringend einzuschreiten. Angesichts des enormen Sicherheitsrisikos der Mauer für das Leben der Verkehrsteilnehmer im öffentlichen Straßenraum sei die Auflagenverfügung verhältnismäßig. Der Kläger sei als Grundstückseigentümer und somit Zustandsstörer auch der richtige Adressat für die getroffenen Verfügungen, da der Handlungsstörer nicht zweifelsfrei feststehe und der Kläger die Gefahr am schnellsten und effektivsten beseitigen könne. Der Bescheid wurde dem Kläger am 02.04.2013 zugestellt.

Gegen den Bescheid vom 27.03.2013 legte der Kläger am 30.04.2013 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor: Der Schaden an der Mauer sei durch seit Jahren zunehmenden Schwerlastverkehr auf der Schlossstraße, eine unterlassene Unterbindung des Schwerlastverkehrs durch die zuständige Behörde und durch Wasserdruck, der von Seiten der Schlossstraße auf die Mauer ausgeübt werde, verursacht worden. Das Wasser dringe u.a. über den schadhaften Kopfsteinbelag der Schlossstraße, der durch den Schwerlastverkehr gerissen sei, ein. Gleichzeitig sei das Entwässerungssystem der Schlossstraße unzureichend, und die Schlossstraße in Richtung seines Anwesens geneigt. Er habe diese Situation seit Jahren u.a. gegenüber der Gemeinde ... beanstandet, welche bislang untätig geblieben sei. Die in steiler Hanglage angelegte und bereits in einem Plan von 1796 verzeichnete Schlossstraße würde ohne die streitgegenständliche Mauer als Stütze nicht halten, woraus man schließen könne, dass die Mauer zeitgleich mit der Schlossstraße und bereits vor seinem Anwesen errichtet worden sei. Die Gemeinde ... sei als Handlungsstörer zwingend vorrangig in Anspruch zu nehmen. Ihn treffe keine Verantwortlichkeit. Er könne selbst keine sinnvollen Maßnahmen ausführen, da die Ursachen für den Schaden an der Mauer außerhalb seines Einflussbereichs lägen.

Mit Bescheid vom 22.04.2013 drohte das Landratsamt ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 EUR für den Fall an, dass der Kläger die Anordnung, die Mauer im Untergeschoss des Anbaus im Bereich der Ausbauchung abzustützen, nicht bis zum 05.05.2013 vollständig erfülle. Gegen die Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 22.04.2013 legte der Kläger am 03.05.2013 Widerspruch ein. Der Bescheid vom 27.03.2013 sei weder bestandskräftig noch sei rechtswirksam die sofortige Vollziehung angeordnet worden. Denn der Sofortvollzug sei willkürlich angeordnet worden.

Am 08.05.2013 teilte der Kläger mit, dass er Abstützungsmaßnahmen im Untergeschoss des Anbaus im Bereich der Ausbauchung unter Aufrechterhaltung seines Rechtsstandpunktes und nur zur Vermeidung von Zwangsgeldern ausgeführt habe. Dies wurde durch die Ortsbesichtigung am 10.06.2013 seitens des Landratsamts bestätigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2014 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe die Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück und trug zur Begründung vor: Aus den Gutachten des Prof. Dr. Ing. ..., der Ortsbesichtigung durch das Landratsamt am 22.02.2013 und aus dem Gutachten der ... GmbH ergebe sich eindeutig, dass die streitgegenständliche Mauer eine Ausbauchung aufweise und nicht mehr standsicher sei. Die Abstützung der Mauer von außen sei auf Dauer nicht ausreichend. Die Sanierungsmaßnahmen könnten auf § 47 Abs. 1 LBO gestützt werden. Es sei ermessensfehlerfrei, an Stelle der Gemeinde ... als angebliche Handlungsstörerin den Kläger als Zustandsstörer für die Sanierung der Mauer heranzuziehen, weil dieser am ehesten die Anordnungen des Landratsamts realisieren könne. Nach dem Gutachten des Vermessungsamts des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 30.10.2013 stehe die Mauer - wenn man eine Mauerstärke von 0,80 m zu Grunde lege - nahezu vollständig auf dem Grundstück des Klägers. Der Kläger sei Eigentümer der Mauer. Dem Kläger bleibe es unbenommen, von der Gemeinde ... als Straßenbaulastträger Vorkehrungen zu verlangen, dass Beschädigungen an der Mauer in Zukunft nicht mehr auftreten könnten. Zudem stehe nicht fest, dass die Gemeinde ... überhaupt Handlungsstörerin sei. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 28.02.2014 zugestellt.

Am 28.03.2014 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt er vor: Die Aussage der ... GmbH beruhe auf falschen Annahmen. Es handle sich um ein reines Parteigutachten. Die verformte Wand sei nicht die Erdgeschosswand des Anbaus, sondern Stützmauer der Schlossstraße, die wesentlich älter als sein Anwesen sei. Das Kopfsteinpflaster sei entgegen der Feststellung im Gutachten der ... GmbH wasserdurchlässig, verformt und weise zudem ein Gefälle zu seinem Anwesen auf. Unabhängig davon müssten Setzungen in der Tragschicht keine Schäden an der Oberfläche nach sich ziehen. Die Verkehrsbelastung der Schlossstraße sei nicht errechnet, sondern nur angenommen worden. Die Mauer stehe zum großen Teil unter der Schlossstraße, da die Mauerstärke 1,20 m und nicht nur 0,80 m betrage. Die Mauer stehe daher im Eigentum der Gemeinde ... Ohne die Mauer würde die Schlossstraße aufgrund ihrer Hanglage abrutschen. Die nun aufgetretenen Schäden seien auf die Arbeiten an der Schlossstraße im Jahr 1990 und den Schwerlastverkehr zurückzuführen. Denn aus dem Beweissicherungsgutachten vom 31.08.1989 ergebe sich, dass die Mauer zu diesem Zeitpunkt noch keine Schäden auf gewiesen habe und offensichtlich zuvor über mehrere hundert Jahre stabil gewesen sei. Nach alledem sei die Entscheidung des Landratssamts, ihn - den Kläger - als Zustandsstörer heranzuziehen, ermessensfehlerhaft.

Der Kläger beantragt,

Nr. 2 des Bescheids des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 27.03.2013 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24.02.2014 aufzuheben.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist das beklagte Land auf die angegriffenen Bescheide. Ergänzend trägt es vor, dass die Mauer entgegen der Aussage im Widerspruchsbescheid nicht nahezu vollständig, sondern nur überwiegend auf dem Grundstück des Klägers stehe, weil eine Mauerstärke von ca. 1,15 m anzunehmen sei und der Abstand zwischen der östlichen Außenseite der Mauer und der Grundstücksgrenze mindestens 0,90 m betrage. Der Kläger sei deshalb Zustandsstörer und seine Inanspruchnahme rechtmäßig.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die dem Gericht vorliegende Akte des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis (drei Hefte) und die Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Karlsruhe (ein Heft) verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Nr. 2 des Bescheids des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis und der Widerspruchsbescheid es Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

1.

Eingriffsgrundlage für die streitgegenständlichen Bescheide ist § 47 Abs. 1 LBO in Verbindung mit § 13 Abs. 1 LBO. Zwar ist die Natursteinmauer als Stützmauer Bestandteil einer öffentlichen Verkehrsanlage (a), jedoch ist sie auch Teil des klägerischen Wohnhauses und somit Bestandteil eines Gebäudes, sodass die Vorschriften der LBO gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 LBO auf die streitgegenständliche Mauer anzuwenden sind (b).

a)

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a StrG sind Stützmauern Teil des Straßenkörpers, wenn sie dem Schutz der Straße dienen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.01.1996 - 3 S 769/95 - NVwZ-RR 1996, 553; Lorenz / Will, Straßengesetz Baden-Württemberg, 2. Aufl. 2005, § 2 Rn. 39; Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, S. 277; Gerhardt, Straßengesetz für Baden-Württemberg, 2. Aufl. 1988, § 2 Rn. 8).

Der Wortlaut der Vorschrift enthält keine Einschränkung dahin, dass es für die Frage, ob eine Stützmauer zum Straßenkörper gehört, auf die Verhältnisse im Zeitpunkt ihrer Errichtung ankommt. Im Gegenteil spricht die Auflistung der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a StrG genannten Einrichtungen dafür, dass es allein auf einen funktionalen Zusammenhang ankommt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.01.1996, aaO).

Auch die Entstehungsgeschichte des Straßengesetzes und eine systematische Interpretation sprechen dagegen, § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a StrG dahingehend zu interpretieren, dass auf die Umstände bei Errichtung der Stützmauer abzustellen wäre. Der Schaffung des Straßengesetzes 1964 lag unter anderem maßgeblich die Intention zugrunde, Straßenbaulast und Grundeigentum in einer Hand zu vereinigen (vgl. Amtliche Begründung, LT-Drs. 3/3285, S. 6497 ff.) Zu diesem Zweck wurden in § 14 Abs. 2 und 3 StrG 1964 Erwerbspflichten an den der Straße dienenden Grundstücken normiert. Hinsichtlich Böschungen und Stützmauern wurde die Erwerbspflicht beschränkt. Dies geschah jedoch nicht in der Weise, dass es auf die Gründe für deren Errichtung ankommt, sondern darauf, ob die Böschung oder Stützmauer zugleich für die ordnungsgemäße Nutzung eines Grundstücks erforderlich ist (vgl. § 14 Abs. 5 Satz 2 StrG 1964). Maßgebend hierfür war die Erwägung, dass hier eine Erwerbspflicht die Baulastträger unter Umständen mit hohen Aufwendungen (für den Erwerb) belasten könnte und dies nicht sachgerecht sei. Auf die Aufwendungen für die Unterhaltung wurde insoweit gerade nicht abgestellt, diese Frage wurde durch § 61 StrG 1964 (= § 56 StrG 1987/1992) geregelt (vgl. Amtliche Begründung, aaO, S. 6499). Hinsichtlich der bereits im Zeitpunkt seines Inkrafttretens bestehenden Stützmauern enthält das Straßengesetz eine klare gesetzgeberische Entscheidung. Sind sie zum Schutz der Straße erforderlich, trifft den Straßenbaulastträger eine Erwerbs- und Unterhaltungspflicht, es sei denn, die Stützmauer ist auch für die ordnungsgemäße Benutzung des angrenzenden Grundstücks erforderlich. Für solche Stützmauern bleibt es, wenn sie nicht im Eigentum des Straßenbaulastträgers stehen, bei der Unterhaltungspflicht desjenigen, der bislang dazu verpflichtet war (§ 61 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 5 S. 2 StrG 1964 = § 56 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 5 S. 2 StrG 1987/1992).

Nach alledem sind nicht die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Errichtung der Stützmauer für die Frage ihrer Zugehörigkeit zum Straßenkörper von Bedeutung. Vielmehr ist maßgebend, ob die in Rede stehende Stützmauer Straßenzwecken dient. Dies ist im vorliegenden Rechtsstreit der Fall, da die streitgegenständliche Mauer ein Abrutschen des Straßengrunds der Schlossstraße auf das klägerische Grundstück verhindert. Dass die Stützmauer auch dem klägerischen Grundstück dient, da eine Bebauung desselben ohne die Stützmauer unmöglich wäre, ist für die Einordnung der Stützmauer als Bestandteil des Straßenkörpers unschädlich. Denn Stützmauern sind nur dann nicht zum Straßenkörper zu rechnen, wenn sie allein dem Angrenzergrundstück dienen (OVG Sachsen, Beschl. v. 28.11.2006, - 5 BS 185/06 - DVBl 2007, 709; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.01.1996, aaO; OVG Saarland, Beschl. v. 16.07.1993 - 2 W 27/93 - ZfSch 1994, 472; Lorenz / Will, aaO, § 2 Rn. 39).

b)

Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 LBO gelten die Vorschriften der LBO bei öffentlichen Verkehrsanlagen nur für Gebäude. Anders als bei dem Fall, der dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16.01.1996 (aaO) zu Grunde lag, ist hier die streitgegenständliche Natursteinmauer (auch) Bestandteil eines Gebäudes, sodass § 47 Abs. 1 LBO als Eingriffsgrundlage Anwendung findet. Gebäude sind gemäß § 2 Abs. 2 LBO selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Das Wohnhaus des Klägers erfüllt offensichtlich diese Anforderungen und die streitgegenständliche Mauer ist Bestandteil dieses Wohnhauses. Der diesbezügliche Einwand des Klägers, die Mauer sei nicht Bestandteil seines Hauses, da sie keine tragende Wand seines Haus sei und sein Haus statisch unabhängig lediglich vor der Mauer errichtet worden sei, greift nicht durch. Die Natursteinmauer dient dem Wohnhaus des Klägers - unabhängig von der Frage, ob sie eine tragende Wand dieses Hauses ist - funktional als westliche Außenwand. Ohne diese Mauer wäre das Anwesen des Klägers im Bereich des Anbaus zum Berg hin „offen“, sodass dort Fels und Erdreich zu Tage treten würden.

2.

Die angegriffene Verfügung erweist sich in materiell-rechtlicher Hinsicht als fehlerhaft. Zwar lagen die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Baurechtsbehörde gemäß § 47 Abs. 1 LBO vor, da die Natursteinmauer nicht mehr standsicher im Sinne des § 13 Abs. 1 LBO ist (a). Die alleinige Heranziehung des Klägers als Zustandsstörer war jedoch fehlerhaft (b).

a)

Gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 LBO hat das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis als Baurechtsbehörde darauf zu achten, dass die baurechtlichen Vorschriften sowie die anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Errichtung und den Abbruch von Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 LBO eingehalten und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen befolgt werden. Diese allgemeine Überwachungsaufgabe ist umfassend und dient der Wahrung grundsätzlich des gesamten Baurechts, das heißt aller öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die Anforderungen an Bauvorhaben enthalten. Eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist daher nicht erforderlich. Vielmehr genügt jeder Verstoß gegen das öffentliche Baurecht. Die Baurechtsbehörden müssen daher nicht nur die Einhaltung der Vorschriften des Bauordnungsrechts überwachen, sondern sie haben auch darauf zu achten, dass namentlich das Planungsrecht, Wasserrecht, Naturschutzrecht, Straßenrecht, Gewerberecht, Immissionsschutzrecht, Denkmalschutzrecht und das Luftverkehrsrecht gewährleistet bleiben. Sie können daher zum Anlass für Maßnahmen der Gefahrenabwehr auch die Verletzung aller dieser öffentlich-rechtlichen Vorschriften nehmen; die daneben bestehenden Zuständigkeiten der Fachbehörden bleiben uneingeschränkt erhalten (vgl. VGH Hessen, Beschl. v. 20.12.1999 - 4 TG 4637/98 - DÖV 2000, 339; Sauter, LBO, Stand: Juli 2015, § 47 Rn. 13).

Die Aufgabenzuweisungsnorm in § 47 Abs. 1 S. 1 LBO wird durch die Befugnisnorm des § 47 Abs. 1 S. 2 LBO ergänzt, die die Baurechtsbehörden ermächtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Soweit - wie hier - keine speziellere Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff der Baurechtsbehörde besteht, ermächtigt somit § 47 Abs. 1 S. 2 LBO als umfassende Befugnisnorm die Baurechtsbehörde, die zur Abwehr drohender Rechtsverletzungen und zur Beseitigung bereits eingetretener Störungen erforderlichen Verwaltungsakte zu erlassen (Sauter, aaO, § 47 Rn. 16).

Gemessen daran liegen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für ein Tätigwerden des Landratsamts als Baurechtsbehörde vor. Gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 LBO müssen bauliche Anlagen sowohl im Ganzen als auch in ihren einzelnen Teilen sowie für sich allein standsicher sein. Zur Standsicherheit gehört, dass bei einer baulichen Anlage von innen und von außen auftretende Kräfte aufgenommen und sicher in den Baugrund abgeleitet werden (Sauter, aaO, § 13 Rn. 3). Die streitgegenständliche Natursteinmauer erfüllt diese Anforderungen an die Standsicherheit nicht mehr. Denn nach den insoweit übereinstimmenden gutachterlichen Stellungnahmen der ... GmbH und von Prof. Dr. Ing. ... ist die streitgegenständliche Natursteinmauer akut einsturzgefährdet und mithin nicht in der Lage, die auf sie wirkenden Kräfte aufzunehmen und sicher abzuleiten.

b)

Die alleinige Heranziehung des Klägers als Zustandsstörer für die Wiederherstellung der Standsicherheit der streitgegenständlichen Natursteinmauer ist ermessensfehlerhaft. Denn die Gemeinde ... hätte als Miteigentümerin der Mauer jedenfalls auch in Anspruch genommen werden müssen.

Die LBO enthält - von Ausnahmen abgesehen (vgl. etwa § 58 Abs. 1 S. 6 und 7 LBO) - keine Bestimmungen darüber, an wen Maßnahmen der Baurechtsbehörden zu richten sind. Die Frage des richtigen Adressaten einer im Einzelfall erforderlichen Maßnahme nach § 47 Abs. 1 S. 2 LBO beantwortet sich daher nach den Vorschriften der §§ 6 und 7 PolG über die polizeiliche Haftung als Handlungs- und Zustandsstörer, die auch im Bereich des Baurechts gelten (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.04.1977 - III 1544/75 - ESVGH 28, 22; Sauter, aaO, § 47 Rn. 56).

Sind für eine Gefahr mehrere Verhaltensstörer (§ 6 Abs. 1 PolG) bzw. mehrere Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt als Zustandsstörer (§ 7 PolG) verantwortlich, so liegt es im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, wer tatsächlich zur Beseitigung der Gefahr herangezogen wird (vgl. etwa Belz/ Mussmann/ Kahlert/ Sander, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 8. Aufl. 2015, § 6 Rn. 21 und § 7 Rn. 14f). Dies gilt auch, wenn Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit zusammentreffen. Zwischen den §§ 6 und 7 PolG besteht kein Rangverhältnis in der Weise, dass der Verhaltensstörer stets vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen wäre. Insbesondere wenn Zweifel an der Verantwortlichkeit des - vermeintlichen - Verhaltensstörers bestehen, dieser nicht bekannt ist oder diesem die Gefahrenabwehr Schwierigkeiten bereitet, kann primär der Zustandsverantwortliche herangezogen werden (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.03.1995 - 8 S 525/95 - VBlBW 1995, 281; Belz/ Mussmann/ Kahlert/ Sander, aaO, § 7 Rn. 15).

aa)

Entgegen der Ansicht des Klägers wäre im vorliegenden Fall daher nicht die Gemeinde ... als Verhaltensstörerin vorrangig und allein in Anspruch zu nehmen gewesen. Denn ob die Gemeinde ... wie vom Kläger vorgetragen durch ihr Verhalten - möglicherweise fehlerhafte Entwässerung der Schlossstraße nach deren Sanierung sowie unterlassene Unterbindung des Schwerlastverkehrs - die Schäden an der Natursteinmauer verursacht hat, stand bei Erlass der streitgegenständlichen Bescheide nicht fest. Einerseits gelangt Prof. Dr. Ing. ... in seinen vom Kläger in Auftrag gegebenen Stellungnahmen zu dem Ergebnis, dass dynamische Effekte durch den Straßenverkehr auf der Schlossstraße und Wasser, das infolge mangelhafter Entwässerung von dort eindringe, für die Schäden an der Mauer ursächlich seien. Andererseits führt die von der Gemeinde ... beauftragte ... GmbH aus, dass die Tragschicht der Schlossstraße für die Belastungen durch Schwerlastverkehr ausreichend stabil sei und sich diese Belastungen nicht bis in der Tiefe auswirken könnten, in der die Schäden an der Mauer aufgetreten seien. Bei diesem Erkenntnisstand wäre die Frage, ob die Gemeinde ... aus den vom Kläger angeführten Gründen als Verhaltensstörerin anzusehen ist, nur durch weitere Ermittlungen zur Schadensursache zu klären gewesen, die die Einholung eines oder gar mehrerer weiterer Gutachten erfordert hätten und dementsprechend langwierig gewesen wären. Hierzu war das Landratsamt nicht verpflichtet. Denn Inhalt und Grenzen des Ermessens der Behörde bei der Störerauswahl werden durch den Gesichtspunkt der wirksamen und schnellen Gefahrenabwehr bestimmt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.1992 - 10 S 2707/91 - NVwZ 1993, 1014). Das Landratsamt musste danach im vorliegenden Fall wegen der Eilbedürftigkeit gefahrenabwehrender Maßnahmen nicht erst durch gezielte und langwierige Untersuchungen ermitteln, ob die Gemeinde ... durch ihr Verhalten die bestehende Gefahr herbeigeführt hat.

bb)

Die Entscheidung, den Kläger als Zustandsstörer allein in Anspruch zu nehmen, ist jedoch ermessensfehlerhaft. Zustandsstörer im Sinne des § 7 PolG ist der Eigentümer oder der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über eine Sache, durch deren Zustand eine Gefahr bzw. eine Störung verursacht wird.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Zugehörigkeit der streitgegenständlichen Natursteinmauer zum Straßenkörper der Schlossstraße. Insbesondere wird die Unterhaltungspflicht im vorliegendem Fall nicht durch § 56 Abs. 1 S. 1 StrG einem anderen als dem Eigentümer auferlegt. Gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 StrG sind Stützmauern, die zum Schutz der Straße und zugleich für die ordnungsgemäße Nutzung eines angrenzenden Grundstücks notwendig sind, soweit sie bei Inkrafttreten des Straßengesetzes am 01.07.1964 nicht im Eigentum des Trägers der Straßenbaulast stehen und dieser auch nicht zum Erwerb des Eigentums aufgrund von § 12 Abs. 5 StrG verpflichtet ist, weiterhin von demjenigen zu unterhalten, der auch zuvor zu ihrer Unterhaltung verpflichtet war.

Die streitgegenständliche Mauer bestand bereits bei Inkrafttreten des Straßengesetzes und dient zugleich dem Schutz der Schlossstraße als auch der Nutzung des klägerischen Grundstücks. Denn zum Einen ist sie Bestandteil des Wohnhauses des Klägers (s.o.) und zum Anderen verhindert sie ein Abrutschen des Geländes auf das klägerische Grundstück, wodurch die Schlossstraße geschützt und eine Bebauung des klägerischen Grundstücks überhaupt erst ermöglicht wird. Da die Stützmauer der Schlossstraße somit zugleich für die Nutzung des klägerischen Grundstücks und der Schlossstraße notwendig ist, trifft die Gemeinde ... als Trägerin der Straßenbaulast gemäß § 12 Abs. 5 S. 2 StrG keine Pflicht zum Erwerb des klägerischen Grundstücks, soweit es durch die Stützmauer bebaut ist. Mithin verbleibt es gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 StrG bei der Unterhaltungspflicht des Grundstückseigentümers.

cc)

Das Landratsamt ist bei der von ihm getroffenen Störerauswahl fehlerhaft davon ausgegangen, dass der Kläger ganz überwiegend Eigentümer der streitgegenständlichen Mauer sei, da diese sich zumindest größtenteils auf seinem Grundstück befinde. Denn der Kläger und die Gemeinde ... sind jeweils zur Hälfte Eigentümer der Mauer, soweit sie entlang der Grenze zwischen dem klägerischen Grundstück und dem Straßengrundstück der Schlossstraße verläuft. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Nach dem Ergebnis der von Prof. Dr. Ing. ... durchgeführten Bohrungen steht inzwischen unstreitig fest, dass die Natursteinmauer eine Dicke von ca. 1,20 m aufweist. Nach den Feststellungen des Vermessungsamts beträgt der Abstand der Außenseite der Mauer zur Grundstücksgrenze zwischen 0,90 und 1,10 m. Somit liegt die Stützmauer zwar überwiegend auf dem Grundstück des Klägers, aber auch auf dem Straßengrundstück der Schlossstraße.

Da die Natursteinmauer sowohl der Schlossstraße als auch dem klägerischen Wohnhaus dient (s.o.), stellt sie eine gemeinsame Grenzanlage beider Grundstücke dar. Gemäß Art. 181 Abs. 1 EGBGB sind zur Bestimmung der Eigentumsverhältnisse an einer solchen gemeinsamen Grenzanlage die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs heranzuziehen, auch wenn die Grenzanlage bereits vor dessen Inkrafttreten am 01.01.1900 errichtet worden ist (BGH, Urt. v. 30.04.1958 - V ZR 178/56 - BGHZ 27, 197; Staudinger, Josef Hönle/ Ulrich Hönle, 2012, EGBGB Art. 181 Rn. 4 f.). Durch die Errichtung des klägerischen Wohnhauses an der streitgegenständlichen Stützmauer der Schlossstraße wurde diese Mauer wesentlicher Bestandteil dieses Wohnhauses im Sinne des §§ 94 Abs. 2, 93 BGB. Zugleich ist sie jedoch auch wesentlicher Bestandteil des Straßenkörpers der Schlossstraße geblieben, sodass nach der durch den Anbau erfolgten Verbindung im Sinne des § 946 BGB die Mauer im hälftigen Miteigentum der beiden Grundstückseigentümer steht (vgl. zum Anbau an eine über die Grundstücksgrenze hinweg errichtete (Giebel-)Mauer: BGH, Urt. v. 19.11.1971 - V ZR 100/69 - BGHZ 57, 245; Urt. v. 30.04.1958, aaO; Palandt, Bassenge, § 921 Rn. 9).

Eine lotrechte Teilung des Eigentums an der Mauer entlang der Grundstücksgrenze hat nicht zu erfolgen. Denn das Gebot der Rechtseinheit zwischen den einzelnen Teilen eines Gebäudes (§ 94 Abs. 2 BGB) ist vorzugswürdig gegenüber dem Gebot der Rechtseinheit zwischen dem Grundstück und den darüber befindlichen Bauteilen (§ 94 Abs. 1 S. 1 BGB). Dies folgt daraus, dass dem Gesetz das Bestreben zu entnehmen ist, wirtschaftliche Einheiten zu erhalten. Während das klägerische Grundstück und das Straßengrundstück im hier in Betracht kommenden grundbuchrechtlichen Sinne keine von Natur aus bestehenden einheitlichen Sachen sind, stellen das Wohnhaus des Klägers und der Straßenkörper der Schlossstraße, deren Teil die Natursteinmauer jeweils ist, sinnlich wahrnehmbare wirtschaftliche Einheiten dar. Die streitgegenständliche Mauer ist wesentlicher Bestandteil beider Bauwerke und zwar in ihrer Gänze, nicht etwa nur jeweils der diesseits der Grenze liegende Teil. Die daraus zu ziehende Folgerung wäre, dass die Mauer von dem Eigentum an jedem der beiden Grundstücke mit umfasst würde. Da dies nicht möglich ist, entspricht es dem gemeinsamen Zweck der Mauer, dass das Eigentum an ihr jedem der beiden Grundstückseigentümer zu je einem Halb zusteht. Dies entspricht der gesetzgeberischen Wertung des § 922 S. 2 BGB, wonach die Unterhaltungskosten gemeinsamer Grenzanlagen von den Nachbarn zu gleichen Teilen zu tragen sind (BGH, Urt. v. 19.11.1971 aaO; Urt. v. 30.04.1958, aaO).

dd)

Da danach der Kläger und die Gemeinde ... als hälftige Miteigentümer der streitgegenständlichen Natursteinmauer beide gleichermaßen Zustandsstörer sind, ist es seitens des beklagten Landes ermessensfehlerhaft, allein den Kläger für die Wiederherstellung der Mauer heranzuziehen. Denn bei der Auswahl zwischen mehreren Störern muss sich die Behörde vorrangig von dem Zweck einer möglichst effektiven Gefahrenabwehr leiten lassen und deshalb den Störer in Anspruch nehmen, der die Gefahr voraussichtlich am schnellsten und wirkungsvollsten beseitigen kann (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.03.1995, aaO). Lässt sich dies bei allen Störern bejahen, so kann eine Rolle spielen, wer die letzte Ursache für die Gefahr gesetzt oder wer sie verschuldet hat. Zulässige Gesichtspunkte sind auch das Maß der Verursachung, die finanzielle Leistungsfähigkeit und evtl. zwischen den Störern bestehende bürgerlich-rechtliche Beziehungen (VGH Bad.-Württ, Urt. v. 08.02.1993 - 8 S 515/92 - VBlBW 1993, 298).

Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass der Kläger die Gefahr schneller und wirkungsvoller beseitigen könnte als die Gemeinde ... Auch wenn die schadhafte Stelle der Natursteinmauer nur von seinem Grundstück aus zugänglich ist, steht dies nicht einer effektiven Beseitigung durch die Gemeinde ... entgegen. Denn es ist nicht zu erwarten, dass der Kläger, der von sich aus die Gemeinde und das Landratsamt auf die Schäden an der Mauer aufmerksam gemacht und Maßnahmen zur Beseitigung eingefordert hat, der Gemeinde den Zutritt zu seinem Grundstück verweigern würde. Ein Verursacher für die Schäden an der Mauer steht gerade nicht fest (s.o.) und auch im Übrigen sind keine Gesichtspunkte, die für eine alleinige Inanspruchnahme des Klägers sprechen könnten, vorgetragen oder ersichtlich. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Leistungsfähigkeit ist nicht ersichtlich, dass allein der Kläger und nicht auch die Gemeinde ... in Anspruch zu nehmen ist. Mithin war die vom beklagten Land vorgenommene und von den Eigentumsverhältnissen abweichende Störerauswahl ermessenfehlerhaft.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Zulassung der Berufung folgt aus § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Beschluss

Der Streitwert wird in Abänderung der vorläufigen Streitwertfestsetzung vom 28.03.2014 gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 17.000,00 € festgesetzt.

Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.