VG Braunschweig, Urteil vom 16.09.2016 - 5 A 344/15
Fundstelle
openJur 2016, 9308
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 21.10.2014 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien im Rahmen eines sogenannten Dublin-III-Verfahrens.

Der Kläger ist nach eigenen Angaben somalischer Staatsangehöriger. Am 19.08.2014 stellte er gegenüber der Beklagten einen unbeschränkten Asylantrag.

In seiner Anhörung am selben Tage zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates für die Durchführung des Asylverfahrens gab er gegenüber der Beklagten an, er habe sein Heimatland Somalia im Januar 2013 verlassen. Er sei dann mit dem PKW nach Libyen gefahren, wo er sich 5 Monate aufgehalten habe. Von dort aus sei er mit dem Boot weiter nach Italien gefahren. Dort habe er sich ein Jahr und einen Monat aufgehalten. Von dort sei er mit dem Reisebus über ihm unbekannte Länder nach Deutschland gefahren, wo er am 10.08.2014 eingereist sei.

Eine Abfrage ergab für den Kläger einen EURODAC-Treffer für Italien. Die Beklagte richtete daher unter dem 22.09.2014 ein Übernahmeersuchen an Italien, auf das die zuständige italienische Behörde in der Folgezeit nicht reagierte.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21.10.2014 - zugestellt am 23.10.2014 - lehnte die Beklagte den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnet die Abschiebung des Klägers nach Italien an (Nr. 2). Sie begründete dies im Wesentlichen wie folgt: Der Asylantrag des Klägers sei unzulässig, da Italien aufgrund eines dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 18 Absatz 1 Buchstabe b bzw. Art. 25 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung auszuüben, seien nicht ersichtlich. Das italienische Asylverfahren sowie die Aufnahmebedingungen, unter anderem für Dublin-Rückkehrer,  seien ohne systemische Mängel. Auch wäre der Kläger für den Fall seiner Rückkehr nach Italien keiner ernsthaften und durch Tatsachen begründeten Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta der Europäischen Union ausgesetzt. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34 Absatz 1 Satz 1 (des damals noch geltenden) AsylVfG. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid (Blatt 51 ff. der Beiakte A) verwiesen.

Am 29.10.2014 hat der Kläger Klage erhoben. Dem ebenfalls gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das erkennende Gericht (B. v. 07.10.2014 - 7 B 463/14) entsprochen. Er begründet die Klage im Wesentlichen damit, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Italien weder eine Unterkunft noch der Zugang zum Asylverfahren gewährt werde. Es bestünden systembedingte Mängel im Rahmen des italienischen Asylverfahrens.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 21.10.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland im Wege des Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-III-Verordnung durchzuführen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und nimmt auf den angefochtenen Bescheid Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht entscheidet durch die Einzelrichterin, der die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG mit Beschluss vom 08.12.2014 übertragen hat, und im erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die Klage ist zulässig, soweit der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass gegen eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der die Durchführung eines Asylverfahrens nach Maßgabe von § 27a AsylVfG a.F. abgelehnt wird, die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. z. B. OVG NRW, Beschl. v. 18.02.2015 - 11 A 2639/14.A -, juris; Urt. v. 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 02.02.2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschl. v. 06.11.2014 - 13 LA 66/14 -, juris; OVG Saar-land, Beschl. v. 12.09.2014 - 2 A 191/14 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 02.10.2013 - 3 L 643/12 -, juris).

Die Klage ist hingegen unzulässig, soweit der Kläger darüber hinaus die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Insoweit mangelt es an einem hinreichenden Rechtsschutzbedürfnis. Denn bereits die Anfechtungsklage bietet den erforderlichen, aber auch ausreichenden Rechtsschutz, sodass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf (vgl. z. B. OVG NRW, Urt. v. 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris; VGH Ba-den-Württemberg, Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; VG Düsseldorf, Urt. v. 10.02.2014 - 25 K 8830/13.A -, juris; VG Hannover, Urt. v. 26.03.2015 - 10 A 1060/15 -, juris). Die Beklagte ist von Amts wegen verpflichtet, den Asylantrag des Klägers inhaltlich zu prüfen, wenn ihre Entscheidung, nach den europäischen Regelungen der Dublin-III-VO sei ein anderer Staat für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig und der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag sei deswegen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG unzulässig, durch ein Urteil als falsch erkannt und aufgehoben worden ist.

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21.10.2014 ist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht nach § 27a AsylVfG - jetzt § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG die Abschiebung des Klägers nach Italien zu Unrecht angeordnet.

Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-Verordnung) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll.

Diese Voraussetzungen liegen nicht (mehr) vor. Zwar ist die Beklagte aufgrund von Art. 22 Abs. 1 und Abs. 7 der Dublin-III-VO zunächst zutreffend von einer Zuständigkeit Italiens ausgegangen, weil der Kläger aus einem Drittstaat kommend die italienische Grenze überschritten hat und die italienischen Behörden nicht fristgerecht auf das Aufnahmeersuchen der Beklagten reagiert haben.

Die Beklagte kann sich auf eine Zuständigkeit Italiens jedoch nicht berufen, weil der unter Nummer 2. des angefochtenen Bescheides angeordneten Abschiebung des Klägers nach Italien für einen nicht absehbaren Zeitraum Hindernisse entgegenstehen und die Beklagte daher entweder – soweit noch möglich – Aufnahmeersuchen an andere infrage kommende Mitgliedsstaaten richten oder das Verfahren in eigener Zuständigkeit führen muss, Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO. Der Bescheid des Bundesamtes vom 21.10.2014, der zu Unrecht von einer Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens ausgeht und die Abschiebung nach Italien anordnet, erweist sich daher insgesamt als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebung gemäß § 34 a Abs. 1 AsylG liegen nicht vor, weil nicht feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Denn zur Überzeugung der erkennenden Einzelrichterin ist eine Überstellung nach Italien gegenwärtig unzulässig, weil es im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller dort systemische Schwachstellen aufweisen, die im Falle der Rückführung eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich brächten, und die Beklagte die angefochtene Abschiebungsanordnung getroffen hat, ohne vorher eine – substantiierte – Zusicherung der italienischen Behörden einzuholen, eine solche Behandlung des Klägers wirksam auszuschließen.

Nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Zuständigkeitsprüfung nach den Kriterien der Dublin-III-VO fort, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Kann keine Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21.12.2011 – Rs. C-411/10 u. a. –, Rn. 81 ff., juris), die dieser Regelung zugrunde liegt, obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich ihrer nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den im Sinne der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH – a. a. O –, Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14.11.2013 – Rs. C-4/11, Puid –, NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bei der Beurteilung derartiger systemischer Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens (‚systemic failure‘) abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2.4.2013 – Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. – ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4.6.2013 – Nr. 6198/12, Daytbegova u. a. – Rn. 66; vom 18.6.2013 – Nr. 53852/11, Halimi – ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27.8.2013 – Nr. 40524/10, Mohammed Hassan – Rn. 176 und vom 10.9.2013 – Nr. 2314/10, Hussein Diirshi – Rn. 138).

Zu solchen systemischen Mängeln hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass sie entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft von diesen Mängeln betroffen sind, oder aber die Mängel sich als tatsächliche Umstände darstellen, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (U. v. 25.06.2015 – 11 LB 248/14 –, juris Rn. 42 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK ist eine Behandlung dann unmenschlich, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht (Nds. OVG, a.a.O. Rn. 43 m.w.N.). Als erniedrigend ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung bzw. Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von den Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (Nds. OVG, a.a.O. Rn. 43 m.w.N.). Nach dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht ist die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK dahingehend auszulegen, dass aufgrund bindender rechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, - Aufnahmerichtlinie - die Mitgliedstaaten die Pflicht haben, mittellose Asylsuchende mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung zu versorgen (Nds. OVG, a.a.O. Rn. 44 m.w.N.). Dabei erlauben die Regelungen aus der Aufnahmerichtlinie in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b ALR). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse") gewährleistet bleiben, Art. 18 Abs. 9 Satz 2 ALR n.F. (Nds. OVG, a.a.O. Rn. 44 unter Hinweis auf OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 127).

Die Annahme systemischer Mängel setzt somit voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (Nds. OVG, a.a.O. Rn. 45 unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 19.3.2014 -  BVerwG 10 B 6.14 -, juris, Rn. 9).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs und nach Auswertung aktueller Erkenntnismittel steht zur Überzeugung der erkennenden Einzelrichterin fest, dass dem Kläger bei einer Überstellung nach Italien aufgrund der dort bestehenden systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen für sogenannte Dublin-Rückkehrer die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der GR-Charta bzw. der EMRK droht.

In tatsächlicher Hinsicht geht die erkennende Einzelrichterin übereinstimmend mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von erheblichen Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer in Italien bestehen und nicht auszuschließen ist, dass eine erhebliche Zahl rücküberstellter Asylsuchender ohne Unterkunft bleibt oder in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder sogar in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 –, juris; EGMR, Urteil vom 4.11.2014 – a. a. O. –, Rn. 106 ff.).

Die Feststellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dessen Urteil vom 4. November 2014 – a. a. O. –, dass die Ausgestaltung der Aufnahmebedingungen in Italien „für sich genommen kein Hindernis für sämtliche Abschiebungen von Asylsuchenden in dieses Land darstelle“, ist angesichts der zugleich getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht dahingehend zu verstehen, dass dort keine systemischen Mängel im Sinne defizitärer Strukturen vorlägen, sondern dass im Gegenteil dem Grunde nach systemische Mängel bestehen, die auch geeignet sind, bei unbeeinflussten Geschehensablauf zu einer Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK zu führen. Denn der EGMR erachtet eine Überstellung (nur dann) als möglich, wenn eine Rechtsverletzung aufgrund dieser systemischen Mängel durch eine individuelle Garantieerklärung der italienischen Behörden ausgeschlossen ist. Die Garantieerklärung ist gerade die Einzelfallreaktion auf das systemische Defizit, das zwar ein Indikator, aber – wie vorstehend ausgeführt – keine hinreichende Bedingung für eine drohende Rechtsverletzung ist (so auch VG Hannover, U. v. 24.02.2016 - 10 A 5852/15 -, n.v., entgegen Nds. OVG - a.a.O. -, juris Rn. 56).

Der EGMR hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass Asylsuchende als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen Bevölkerungsgruppe besonderen Schutzes bedürfen (VG Hannover, U. v. 24.02.2016 - 10 A 5852/15 -, n.v. m.w.N.). Auch das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass von einer Rückführung in sichere Drittstaaten betroffene Ausländer – anders als bei einer Rückführung in ihr Heimatland – regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 –, juris). Das betrifft den Kläger nicht weniger als eine junge Frau oder eine Familie mit Kindern (vgl. VG Hannover, a. a. O.).

Zusätzlich hierzu ergeben sich systemische Mängel für Asylsuchende, die nach den Dublin-Regelungen nach Italien rücküberstellt werden,  aus den Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen für diese Personengruppe, wie sie sich insbesondere aus dem aktuellen Bericht der der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Aufnahmebedingungen in Italien“ vom August 2016, abrufbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/) ergeben. Danach besteht das Aufnahmesystem für Asylsuchende in Italien grundsätzlich aus der Erst- und der Zweitaufnahme. Bei direkten Ankünften, insbesondere über das Meer, werden die Menschen zuerst in einem CPSA versorgt und untergebracht. Die Erstaufnahme besteht aus den CDA und den Centri governativi di prima accoglienza. SPRAR bildet das Zweitaufnahmesystem. Zusätzlich werden die CAS als Alternative benutzt. Diese stellen ein Parallelsystem dar, welches ebenfalls noch als Erstaufnahme betrachtet werden kann. (näher zu diesem System: Nds. OVG, a.a.O., Rn 52, zu aktuellen tatsächlichen Situation: SFH-Bericht, a.a.O. S. 14). Das Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze gewachsen. Die Anzahl der Unterbringungsplätze ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Gleichzeitig gab es jedoch ebenfalls einen immensen Anstieg an Ankünften (insbesondere über das Mittelmeer) und eine starke Zunahme der Anzahl der gestellten Asylgesuche (SFH-Bericht, a.a.O., S. 15). Ausweislich des Berichts bestehen nicht sämtliche der von NGOs und Kirchen betriebenen Unterbringungseinrichtungen zusätzlich zum staatlichen System, sondern vielmehr bildet ein erheblicher Teil davon das staatliche System, beziehungsweise ist darin integriert (SFH-Bericht, a.a.O. S. 16).

Für unter der Dublin-III-Verordnung (rück-)überstellte Asylsuchende - wie den hiesigen Kläger - führt der aktuelle SFH-Bericht aus, dass die Unterbringungssituation insbesondere für Personen problematisch sei, die bereits vor ihrer Weiterreise in einem Zentrum gewohnt hätten. Denn wenn eine Person ohne die eigentlich erforderliche Meldung das Zentrum verlassen habe, werde von einer freiwilligen Abreise ausgegangen und die Person verliere ihren Anspruch auf Unterbringung. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes (vom Februar 2016 an das OVG Nordrhein-Westfalen, abrufbar über www.asylfact.justiz.hessen.de, S. 4) steht hierzu nicht im Widerspruch. Vielmehr ergibt sich auch aus dieser Auskunft, dass ein Recht auf Unterkunft zunächst grundsätzlich nicht besteht, wenn der Betroffene beim vorherigen Aufenthalt in Italien die ihm zugewiesene Unterkunft nicht in Anspruch genommen hat oder untertauchte. Zwar kann der Betroffene auch nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes erneut einen Antrag auf einen Unterbringungsplatz stellen. Ausweislich des SFH-Berichtes hat der Betroffene jedoch keinen Zugang zu einer staatlichen Unterbringungseinrichtung, solange eine Entscheidung über diesen Antrag noch nicht getroffen worden ist. Selbst wenn die Person hiernach wieder in das System aufgenommen wird, wird sie bei Platzmangel auf den letzten Platz einer Warteliste gesetzt, falls - wie im Fall von allein reisenden nicht erkrankten Männern - keine Notfallsituation im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit vorliegt (SFH-Bericht, a.a.O. S. 28 f. und S. 32).

Aus dieser Handhabung resultiert ein systemischer Mangel für (sämtliche) Dublin-Rückkehrer. Denn es liegt nahe und ist deshalb beachtlich wahrscheinlich, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Personen hiervon betroffen sein wird, weil sie während des früheren Aufenthalts in Italien in Zentren untergebracht waren und diese ohne vorherige Erlaubnis zur Weiterreise verlassen haben. Auch konkret hinsichtlich des Klägers, der sich immerhin 13 Monate in Italien aufgehalten hatte, besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, zum betroffenen Personenkreis zu gehören.

Die Beklagte hat dies vor Erlass der Abschiebungsanordnung nicht aufgeklärt. Im vorliegenden Fall ergeben sich aus den Verwaltungsvorgängen keinerlei Ermittlungen durch die Beklagte, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Italien in einem staatlichen Unterbringungszentrum aufhältig war und / oder ob er seine Abreise nach Deutschland dort gemeldet hat. Dies begründet eine ernsthafte Gefahr für den Kläger, dass er seinen Anspruch auf Unterbringung mit seiner Abreise verloren hat und ihm damit im Falle seiner Rücküberstellung Obdachlosigkeit droht. Diese Gefahr verstärkt sich im Hinblick auf die Tatsache, dass der Kläger ein alleinreisender, junger und gesunder Mann ist. Diese Personengruppe hat wegen des Vorrangs von Familien und besonders schutzbedürftigen Personen in Italien keine Priorität bei der Aufnahme in Unterkünfte (SFH-Bericht, a.a.O. S. 66; so auch VG Hannover, U. v. 24.02.2016 - 10 A 5852/15 -, n.v.).

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht aufgrund der Regelungen von  Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie rechtmäßig. Danach tragen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge, dass Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Anspruch nehmen können, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet. Bei vorübergehenden Unterbringungsengpässen erlaubt Art. 18 der Aufnahmerichtlinie zwar für einen angemessenen Zeitraum, der so kurz wie möglich sein sollte, niedrigere Standards der Unterbringung, wobei allerdings unter allen Umständen die Grundbedürfnisse gedeckt werden müssen. Zu diesen Grundbedürfnissen rechnet die erkennende Einzelrichterin aber auch die Unterkunft an sich, die Versorgung mit Nahrung, elementare Hygienebedürfnisse und den Schutz vor Übergriffen und geschlechtsbezogener Gewalt einschließlich sexueller Übergriffe und Belästigung in Unterbringungszentren (siehe auch VG Hannover, U. v. 24.02.2016, a. a. O.).

Eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK droht dem Kläger aufgrund der systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens deshalb jedenfalls solange, wie die italienischen Behörden keine individuelle Garantieerklärung dafür abgeben, dass der Kläger einen Platz in einer Unterkunft erhält und seine grundlegenden Bedürfnisse an Nahrung, Hygiene und medizinischer Versorgung gedeckt sind. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen – wie hier – die italienischen Behörden schon das Übernahmeersuchen der Beklagte unbeantwortet gelassen haben und nicht ersichtlich ist, dass der Kläger überhaupt Zugang zu elementarer Versorgung haben wird.

Abstellend auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 AsylG, steht die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25.6.2015 (a. a. O.) der Annahme systemischer Mängel nicht entgegen. Den tatsächlichen in dieser Entscheidung vom OVG getroffenen Feststellungen ist bereits das Verwaltungsgericht Hannover (u. a. U. v. 24.02.2016 - a.a. O.) mit umfassender Begründung entgegengetreten. Diesen Erwägungen schließt sich die erkennende Einzelrichterin an. Im Übrigen stellt die erkennende Einzelrichterin in der vorliegenden Entscheidung auf neuere Erkenntnismittel ab, die dem Nds OVG im Juni 2015 noch nicht vorlagen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Entscheidung des OVG Münster vom 21.06.2016 (13 A 569/16.A -, juris). Diese Entscheidung stützte sich auf die Erkenntnisse der SFH vom 07.04.2016 und vom 18.05.2016 (SFH, Auskunft an das OVG NRW v. 07.04.2016 sowie Ergänzung vom 18.05.2016). Darin hat die SFH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich Ende Februar 2016 eine Beobachtungsgruppe in Italien befinde und der vollständige Bericht dieser Abklärungsreise für Juni dieses Jahres zu erwarten sei. Dieser angekündigte umfassende Bericht liegt nun vor (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, „Aufnahmebedingungen in Italien“ vom August 2016, a.a.O.). Die Berücksichtigung dieses neuen Erkenntnismittel ist auch nach der Rechtsprechung des BVerfG zwingend erforderlich, da die Prüfung der Feststellung systemischer Mängel im Asylsystem eine aktuelle Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen erfordert. Dabei kommt regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu (BVerfG, B. v. 21.04.2016 - 2 BvR 273/16 -, abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 11)

Ausweislich der obigen Ausführungen wird deutlich, dass zumindest im Einzelfall des Klägers und unabhängig von der Frage des Vorliegens systemischer Mängel in Italien - im Sinne einer selbstständig tragenden Begründung - aufgrund der zahlreichen Berichte anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen für den Kläger als sog. Dublin-Rückkehrer die individuelle, durch Tatsachen begründete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtecharta - real risk - besteht, wenn nicht die Versorgung elementarer Grundbedürfnisse sichergestellt ist (vgl. auch VG München, U. v. 08.08.2016 - M 24 K 16.50486 -, juris). Dies ergibt sich neben den oben angeführten Erkenntnismitteln zusätzlich aus dem Amnesty International Report 2015/16 - Italy, 24 February 2016 (verfügbar unter: http://www.refworld.org/docid/56d05b47e.html [letzter Zugriff 06.09.2016]) sowie dem Country Report Italy der Asylum Information Database (aus Dezember 2015). Auch zur Abwendung dieser Gefahr ist vor einer Überstellung nach Italien eine individuelle Zusage der italienischen Behörden einzuholen, um zu garantieren, dass der Kläger bei seiner Rückkehr eine Unterkunft erhält. Dies ist hier nicht geschehen.

Es ist nicht erkennbar, dass der von Art. 3 EMRK gewährte Schutz der elementaren Grundbedürfnisse wie Unterkunft, Versorgung mit Nahrung sowie elementare Hygienebedürfnisse nicht auch für die Gruppe der alleinstehenden, jungen und gesunden männlichen Asylsuchenden, der der Kläger angehört, gilt. Dass Art. 3 EMRK bei schutzbedürftigen Personen im Sinne von Art. 21 der Aufnahmerichtlinie die Berücksichtigung weiterer individueller Bedürfnisse gebietet – etwa hinsichtlich der gemeinsamen Unterbringung von Familien und des Schutzes der Kinder oder des Bedarfs besonderer medizinischer Versorgung –, steht dem nicht entgegen (VG Hannover, a. a. O.).

Auch der Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie erlaubt keine derartige Differenzierung am untersten Rand der Existenzsicherung. Vielmehr sind eine dauerhafte Obdachlosigkeit und Unterernährung ebenso wie Gewalt und gesundheitsgefährdende Zustände in Unterkünften geeignet, auch einen jungen, alleinstehenden und (bisher) gesunden Asylbewerber an die Grenzen der körperlichen und seelischen Belastbarkeit zu bringen, vor deren Überschreitung ihn Art. 3 EMRK schützen soll.

Die Beklagte hat keinerlei Ermittlungen dahingehend angestellt, dass im individuellen Einzelfall für eine ordnungsgemäße Unterbringung des Klägers und die Versorgung seiner elementaren Grundbedürfnisse bei seiner Überstellung nach Italien gesorgt ist. Auch vor diesem Hintergrund sind daher die Voraussetzungen einer Abschiebung nach Italien gem. § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Sätze 1 und 3 VwGO. Soweit der Kläger hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens unterliegt, sieht das erkennende Gericht unter Berücksichtigung des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO keinen Anhalt für eine Kostenlast.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.