AG Göttingen, Beschluss vom 26.07.2016 - 71 IN 23/16
Fundstelle
openJur 2016, 9214
  • Rkr:
Tenor

Gemäß Antrag vom 31.05.2016 wird die Vergütung für die Tätigkeit als Sachverständiger auf 844,49 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Mit Schreiben vom 01.04.2016 stellte der Schuldner Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und beantragte Restschuldbefreiung sowie Stundung. Im Personalbogen gab der Schuldner an, ehemals selbstständig tätig gewesen zu sein. Das Insolvenzgericht setzt einen Sachverständigen ein, der ein Gutachten u. a. darüber erstellen sollte, ob ein Eröffnungsgrund gemäß § 16 InsO vorliegt und eine die Verfahrenskosten gemäß § 54 InsO deckende Masse vorhanden ist. Aufgrund des Gutachtens vom 24.5. 2016 wurde am 25.5.2016 unter Bewilligung von Stundung das Insolvenzverfahren eröffnet. In dem Gutachten wird ausgeführt, dass der Schuldner derzeit als freiberuflicher Repräsentant wirtschaftlich selbstständig tätig ist. Am 31.5.2016 beantragte der Sachverständige seine Vergütung auf 844,49 € festzusetzen. Er legte ein Stundensatz von 115 € gemäß § 9 Abs. 1 JVEG Honorargruppe 6.1 zu Grunde unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe ZInsO 2016,355 f. Der Kostenbeamte legte die Akte dem Abteilungsrichter vor mit der Bitte um Festsetzung des Stundensatzes. Die Bezirksrevisor bei dem Landgericht Göttingen führt in ihrer Stellungnahme vom 9.6.2016 u. a. folgendes aus: „Der angenommene Stundensatz von 115 € kann nur gewährt werden, wenn die Tätigkeit des isoliert bestellten Sachverständigen am ehesten mit der Bewertung von Unternehmen (Nr. 6.1) vergleichbar ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Schuldner einen laufenden Geschäftsbetrieb führt. Der Schuldner hat am 01.10.2015 ein Gewerbe angemeldet und übt seine wirtschaftlich selbständige Tätigkeit als freiberuflicher Repräsentant von seiner Wohnanschrift aus. Für die Zuordnung der Leistung des Sachverständigen zu der Honorargruppe 11 (Nr. 6.1) ist maßgeblich, ob der Sachverständige für die Erfüllung des erteilten Auftrags den Betrieb des Schuldners zu bewerten hat. Da der Schuldner keinen Geschäftsbetrieb führt, konnte eine Bewertung nicht erfolgen. … Die Tätigkeit des bestellten Sachverständigen ist nach hiesiger Auffassung am ehesten vergleichbar mit der Ermittlung von Besteuerungsunterlagen (Nr. 6.3), Stundensatz 75 €.“ Dazu hat der Sachverständige in seinem Schreiben vom 04.07.2016 Stellung genommen und u. a. ausgeführt, der Betrieb des Schuldners sei nicht eingestellt gewesen.

1. Die Vergütung ist gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss festzusetzen. Dabei kann dahinstehen, ob der Schuldner aktuell wirtschaftlich noch selbständig tätig ist. Angemessen ist ein Stundensatz von 115 €. Im Parallelverfahren 71 IN 21/16 NOM hat das Insolvenzgericht folgendes ausgeführt:

„ 1.) Die Festsetzung eines Stundensatzes von 80 € auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 JVEG scheidet aus. Der Sachverständige ist weder zum vorläufigen starken noch zum vorläufigen schwachen Verwalter bestellt worden.

2. Die Festsetzung erfolgt daher gemäß § 9 Abs. 1 JVEG. Die Vorschrift führt (neben den Honorargruppen M 1 bis M 3) 13 Honorargruppen mit einem Satz von 65 bis 125 € auf. In der Anlage 1 ist die Tätigkeit des Insolvenzsachverständigen nicht aufgeführt, so dass unter Berücksichtigung der näheren Bestimmungen des § 9 Abs. 1 JVEG eine Zuordnung nach billigem Ermessen zu erfolgen hat.

a) Bereits zu § 9 Abs. 1 JVEG a. F., der bis zum 31.7.2013 galt, war umstritten, welcher Stundensatz zugrunde zu legen war. Dabei war bereits während des Gesetzgebungsverfahrens im Jahre 2003 darauf hingewiesen worden, dass eine ausdrückliche Zuordnung zu einer Honorargruppe für die häufigste Bestellung eines Sachverständigen fehlte (Schmerbach ZInsO 2003, 882, 884). Die Praxis legte Sätze zwischen 65 € und 95 € fest (FK-InsO/Schmerbach § 22 Rz. 145 ff.).

b) Der Gesetzgeber hat bei der Novellierung des JVEG – vornehm ausgedrückt – zurückhaltend reagiert (BK-Blersch § 11 InsVV Rz. 84 vermutet politische Gründe für die unterlassene Festlegung). Eine eindeutige Einordnung hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. Nur im Rahmen der Änderung des § 9 Abs. 2 JVEG hat er eher beiläufig ausgeführt, dass im Fall isolierter Sachverständigentätigkeit das Honorar sich ausschließlich nach § 9 Abs. 1 JVEG bemisst. Weiter heißt es: „Dies wird zukünftig regelmäßig ein Sachgebiet sein, dass in der neuen Sachgebiets Liste unter Nr. 6 aufgeführt ist.“ BT-Drucks. 17/11471 S. 260). Weiter soll es für die Zuordnung zu einer Honorargruppe allein auf die Entscheidung über die Heranziehung, also insbesondere auf den Inhalt des Beweisbeschlusses und nicht auf die tatsächliche Leistung ankommen. Deshalb ist in § 9 Abs. 1 S. 2 JVEG der Passus „entsprechend der Entscheidung über die Heranziehung“ eingefügt worden.

c) Die Rechtsprechung billigt folgende Stundensätze zu.

- 75 € (LG Frankenthal ZInsO 2016,1388).

- 95 € (AG Darmstadt NZI 2014, 164; OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.02.2015 – 26 W 52/14)

- 105 € (AG Stuttgart NZI 2014, 227 mit Anm. Keller)

- 115 € (OLG Karlsruhe ZInsO 2016,355 mit zustimmender Anm. Straßburg ZInsO 2016,318).

Laufenden Geschäftsbetrieb betraf lediglich die Entscheidung des OLG Karlsruhe.

d) Die Literatur äußert sich wie folgt:

- 115 € (BK-Blersch § 11 InsVV Rz. 83; FK-InsO/Lorenz § 1 InsVV Rz. 119; HambK-Büttner § 11 InsVV Rz. 52; HK-InsO/Keller § 11 InsVV Rz. 49 )

- 115 € bei laufenden Geschäftsbetrieb, sonst 95 € (FK-InsO/Schmerbach § 22 Rz. 148) bzw. 115 € oder 90 €, wenn kein Unternehmen zu bewerten ist (Kübler/Prütting/Bork-Prasser/Stoffler § 11 InsVV Rz. 127).

3. Auszugehen ist von folgenden Grundsätzen:

Die Vergütung muss den bei gleichzeitiger Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters in § 9 Abs. 2 JVEG vorgesehenen Stundensatz von 80 € überschreiten. Der in § 9 Abs. 2 InsVV a.F. vorgesehene Satz (von 65 €) ist nur deshalb als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden, weil dem Sachverständigen daneben die flexible Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Verfügung steht (BK-Blersch § 11 InsVV Rz. 81).

Es fehlt eine eindeutige Zuordnung zu einer Honorargruppe. Zu entscheiden ist nach billigem Ermessen nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JVEG. Abzustellen ist allerdings nicht auf die konkrete Tätigkeit im Einzelfall, sondern gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 JVEG auf die „ Entscheidung über die Heranziehung“. Damit ist gemeint der Beweisbeschluss. Dieser ist notwendigerweise allgemein gehalten. Er differenziert nicht danach, ob der Schuldner über einen laufenden Geschäftsbetrieb verfügt. Dies wird sich auch nicht in jedem Fall aus den Akten ergeben. Im Übrigen lässt sich nicht feststellen, dass bei (gerade eingestellten) Geschäftsbetrieb die qualitativen Anforderungen an den Sachverständigen geringer sind.

In Regelinsolvenz(IN)Verfahren ergibt sich damit ein einheitlicher Stundensatz. Dieser ist in Anlehnung an Ziffer 6.1 der Anlage 1 zu entnehmen. Dort finden sich unter dem Stichwort „ Betriebswirtschaftslehre“ folgende Kategorien:

– Unternehmensbewertung, Betriebsunterbrechungs- und Verlagerungsschäden (Honorargruppe 11 – Stundensatz 115 €),

– Kapitalanlagen und private Finanzplanung (Honorargruppe 13 – Stundensatz 125 €),

– Besteuerung (Honorargruppe 3 – Stundensatz 75 € ).

Anzuwenden ist die Untergruppe Unternehmensbewertung der Honorarstufe 11 mit 115 €. Für die Eröffnungsentscheidung sind Aktiva und Passiva zu bewerten. Nur wenn – ausnahmsweise - in einem Verbraucherinsolvenz(IK-)Verfahren ein Gutachten eingeholt wird, ist ein niedrigerer Stundesatz denkbar (vgl. Keller NZI 2014, 227, 228), wenn der Schuldner keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat.

II. Die Akte wird – wie erbeten – der Bezirksrevisorin vorgelegt mit dem Parallelverfahren 71 IN 21/16.