OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.08.2016 - OVG 1 S 44.16
Fundstelle
openJur 2016, 9128
  • Rkr:

Bei den in § 29 Abs. 1 Satz 3 und 4 StVG in der bis zum 30. April 2014 geltenden Fassung genannten Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe und des ehemaligen Punktsystems ist nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis gemeint. Hierfür ist die zehnjährige Tilgungsfrist des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG vorgesehen.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, über die der Berichterstatter gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO entscheidet, hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller wendet sich mit seinem Eilantrag gegen die nach § 4 Abs. 9 Straßenverkehrsgesetz (StVG) sofort vollziehbare Entziehung seiner am 4. August 2008 erneut erteilten Fahrerlaubnis wegen des Erreichens von acht Punkten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG). Das Verwaltungsgericht hat den vorläufigen Rechtsschutzantrag abgelehnt, weil sich die angefochtene Fahrerlaubnisentziehung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung in einem Hauptsacheverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig erweisen werde. Die Verkehrsordnungswidrigkeiten des Antragstellers aus dem Jahr 2011 seien nicht nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG in der bis zum 30. April 2014 geltenden Fassung (a.F.) zu tilgen oder nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG a.F. nach Ablauf der Überliegefrist zu löschen gewesen. Dem stehe die nach der Übergangsbestimmung des 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG weiter anwendbare Regelung in § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F. entgegen. Bei der Eintragung mehrerer Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG über eine Person sei eine Tilgung erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorlägen. Dies sei hier wegen der nach § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG im Verkehrszentral- bzw. im Fahreignungsregister eingetragenen Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe nicht der Fall, denn für deren Tilgung gelte die zehnjährige Frist des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a.F., die gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F. erst mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Jahr 2008 zu laufen begonnen habe. Deshalb bestehe auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers kein Raum für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.

Das für die Prüfung des Senats maßgebliche Beschwerdevorbringen zeigt keine Gründe auf, aus denen die angegriffene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben wäre (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO).

1. Der Antragsteller meint, das Verwaltungsgericht habe die Tilgungsfristen für die Eintragung seiner im Jahr 2011 begangenen Verkehrsverstöße (zweimalige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und ein Rotlichtverstoß) unzutreffend berechnet. Insoweit sei nicht die zehnjährige Tilgungsfrist des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG i.V.m. § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F. maßgeblich, sondern es sei auf § 29 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 StVG a.F. abzustellen, wonach eine Tilgung bei den Maßnahmen nach § 2a StVG ein Jahr nach Ablauf der Probezeit zu erfolgen habe. Zur näheren Begründung zitiert die Beschwerde im Wesentlichen die Entscheidungsgründe des Oberverwaltungsgerichts Münster im Beschluss vom 15. Juli 2010 - 16 A 884/09 - (juris Rn. 3 ff.). Für diese Auslegung des § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. spreche auch die Änderung dieser Bestimmung mit Wirkung ab dem 1. Mai 2014. Damit sei die Absicht des Gesetzgebers, dass die zehnjährige Tilgungsfrist nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a.F. auch für eine Fahrerlaubnisentziehung auf Probe gelte, erstmals mit der Neufassung des § 29 StVG umgesetzt worden (ebenso VG Augsburg, Beschluss vom 18. Mai 2015 - Au 7 S 15.523 - juris Rn. 49).

Diese Argumentation verkennt, dass es sich bei der angeblichen Änderung der Rechtslage in § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG n.F. lediglich um eine Klarstellung des bisher geltenden Rechts handelt. In der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (vgl. BT-Drs. 17/12636, S. 47 = BR-Drs. 799/12, 90) heißt es dazu: „Weiterhin erfolgt in Absatz 1 Satz 4 eine Klarstellung: Bei den Maßnahmen im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe und des Fahreignungs-Bewertungssystems ist jeweils nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis gemeint. Dies ist in Absatz 1 Satz 3 bisher schon ausdrücklich so formuliert und war auch für Absatz 1 Satz 4 der bisherigen Fassung der Wille des Gesetzgebers (vgl. die amtliche Begründung zu § 29 Absatz 1 Satz 4 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998, VkBl. S. 731, 801).“ In der Begründung zu § 29 Absatz 1 Satz 4 in der Fassung vom 24. April 1998 heißt es: „Darunter fällt nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe, weil hierfür generell die zehnjährige Frist vorgesehen ist.“

Dieser bereits im Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 8. November 1996 klar geäußerte Willen des Gesetzgebers ist vom Wortlaut des hier einschlägigen § 29 Abs. 1 Satz 3 StVG a.F., der sich ausdrücklich nur auf „Maßnahmen … nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2“ StVG bezieht, gedeckt. Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Norm, wonach nur die Eintragungen im Register zu tilgen bzw. zu löschen sind, denen vornehmlich für die in 28 Abs. 2 Nr. 1 StVG aufgeführte Eignungsbeurteilung von Kraftfahrern kein relevanter Informationsgehalt mehr zukommt. Dies ist jedoch nur bei den in § 29 Abs. 1 Satz 3 StVG a.F. ausdrücklich aufgeführten Maßnahmen der ersten und zweiten Eingriffsstufe und nicht bei einer vorherigen Maßnahme der dritten Eingriffsstufe (Fahrerlaubnisentziehung) der Fall (vgl. dazu VGH München, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 11 CS 06.1269 - juris Rn. 25). Im Übrigen wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Begründung des angegriffenen Beschlusses verwiesen, die durch die Beschwerdebegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt wird. Danach ist für das Verständnis des Antragstellers, wonach die Tilgungsfristen nach § 29 Abs. 1 Satz 3 und 4 StVG a.F. auch die Fahrerlaubnisentziehung erfassen sollen, kein Raum.

2. Selbst wenn die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und einer ggf. nachfolgenden Klage als offen anzusehen wären, ergäbe sich kein anderes Ergebnis.

In Fällen der vorliegenden Art hat das um Eilrechtsschutz ersuchte Gericht eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 9 StVG zum Ausdruck gebrachten öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug von Fahrerlaubnisentziehungen nach Erreichen von acht Punkten nach dem Fahreignungs- Bewertungssystem einerseits und dem Interesse des Antragstellers andererseits, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiter am Straßenverkehr mit Kraftfahrzeugen teilnehmen zu dürfen. Angesichts der vom Gesetzgeber für den Regelfall vorgenommenen Wertung würde das Aussetzungsinteresse des Fahrerlaubnisinhabers nur dann überwiegen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung bestünden. Dies ist bei offenen Erfolgsaussichten jedoch nicht der Fall. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen nämlich nur dann, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Von daher wäre auch bei offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache von einem Vorrang des Vollzugsinteresses auszugehen.

Selbst ohne diesen, in § 4 Abs. 9 StVG zum Ausdruck gebrachten grundsätzlichen Vorrang des öffentlichen Vollziehungsinteresses würde die nach § 80 Abs. 5Satz 1 Halbs. 2 in Verbindung mit Abs. 2Nr. 3 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfallen, da sich auch der angeführte Verlust seines Arbeitsplatzes nicht gegen das Interesse der Verkehrssicherheit und den Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Autofahrern durchsetzen könnte. Die Vielzahl der aus dem Bescheid des Antragsgegners vom 13. April 2016 ersichtlichen Verkehrsverstöße des Antragstellers, wovon die letzten fünf mit jeweils einem Punkt nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem bewerteten Verstöße innerhalb eines Jahreszeitraums begangen wurden, belegt, dass es sich bei dem Antragsteller um einen unbelehrbaren Wiederholungstäter handelt, der sich - von den Verwarnungen der Fahrerlaubnisbehörde sowohl nach dem damaligen Punktsystem als auch nach Fahreignungs-Bewertungssystem offensichtlich unbeeindruckt - nicht von weiteren Verkehrsverstößen abhalten lassen hat. Auch vor diesem Hintergrund ist es ihm zuzumuten, die Wertung des § 4 Abs. 9 StVG, wonach der Widerspruch und die Anfechtungsklage gegen die Fahrerlaubnisentziehung keine aufschiebende Wirkung haben, hinzunehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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