VG Berlin, Urteil vom 11.07.2016 - 8 K 97.16 V
Fundstelle
openJur 2016, 9084
  • Rkr:

Das Erfordernis gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, vor der Einreise einfache deutsche Sprachkenntnisse nachzuweisen, erfüllt seit der Einfügung der gesetzlichen Härtefallregelung des § 30 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) die Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs an die assoziationsrechtliche Zulässigkeit einer nachträglichen Beschränkung.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seiner Ehefrau, der Beigeladenen zu 2.

Die 1970 geborene Ehefrau des Klägers ist ebenfalls türkische Staatsangehörige. Sie lebt in M..., ist Inhaberin einer Niederlassungserlaubnis und seit 1990 bei der Firma T... als Montiererin in der Produktion beschäftigt; derzeit bezieht sie Krankengeld. Die Beigeladene zu 2 war von 1990 bis 2011 in erster Ehe verheiratet und hat drei in den Jahren 1998, 2000 und 2003 geborene Kinder. Am 30. August 2013 heiratete sie in D.../Türkei den 1981 geborenen Kläger.

Den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Schengens-Visums für einen Besuchsaufenthalt in Deutschland lehnte die Beklagte zuletzt mit Remonstrationsbescheid des Generalkonsulats Izmir vom 20. März 2014 ab. Am 3. September 2014 beantragte der Kläger bei dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Izmir ein Visum zur Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau. Dabei gab er an, einen Deutschkurs könne er nicht machen, weil das Goethe-Institut in Izmir zu weit weg von seinem Wohnort in D... sei.

Nachdem die Beigeladene zu 1 der Erteilung des Visums mit dem Hinweis zugestimmt hatte, die Beklagte solle in eigener Zuständigkeit entscheiden, ob auf den Nachweis einfacher Deutschkenntnisse verzichtet werde, forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben des Generalkonsulats vom 2. Dezember 2014 zur Vorlage eines A 1-Zertifikats auf. Ihm könne zugemutet werden, im ca. 30 km von D... entfernten B... einen Sprachkurs zu besuchen. Mit Schreiben vom 5. Februar 2015 verwies der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger auf die Standstill-Klausel des Assoziationsrechts bei türkischen Staatsangehörigen und die hierzu ergangene Rechtsprechung insbesondere des EuGH in der Sache Dogan. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sei daher in seinem Fall nicht anwendbar. Mit Bescheid des Generalkonsulats Izmir vom 27. März 2015 versagte der Beklagte das begehrte Visum. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe einfache deutsche Sprachkenntnisse nicht nachgewiesen. Weder das Vorliegen einer gesetzlichen Ausnahme noch ein Härtefall habe festgestellt werden können.

Mit seiner am 27. April 2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung führt er aus, das Erfordernis einfacher deutscher Sprachkenntnisse als Voraussetzung für den Ehegattennachzug verstoße gegen die assoziationsrechtliche Stillhalteklausel und entfalle daher bei türkischen Staatsbürgern. Ob die durch Einführung des § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AufenthG getroffenen Regelung ausreichend im Sinne der Rechtsprechung des EuGH sei, sei zweifelhaft. Der Kläger arbeite als freier Tagelöhner auf dem Bau; der Besuch eines Deutschkurses sei ihm zeitlich und finanziell nicht möglich und zumutbar. Das Spracherfordernis führe zur Unmöglichkeit oder zur übermäßigen Erschwerung des Familiennachzugs.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland Izmir vom 27. März 2015 zu verpflichten, ihm ein Visum zum Familiennachzug zu seiner Ehefrau zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Zwar stelle das Spracherfordernis eine neue Beschränkung im Sinne der Stillhalteklausel dar, diese sei jedoch im Sinne der Rechtsprechung des EuGH gerechtfertigt. Nach Inkrafttreten der Härtefallregelung in § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG am 1. August 2015 sei nunmehr gesetzlich geregelt, dass besondere Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Jedenfalls die neue Rechtslage stehe im Einklang mit der Stillhalteklausel. Besondere Umstände, die ihm den Spracherwerb vor der Einreise unmöglich oder unzumutbar machten, habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, (2 Bände) und der Beigeladenen zu 1 (1 Band) sowie die Ausländerakte der Beigeladenen zu 2 verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladene zu 1 in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, denn sie ist auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die Versagung des beantragten Visums durch den Bescheid des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Izmir vom 27. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Nach §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 4 AufenthG bedarf der Kläger für den begehrten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland vor der Einreise der Erteilung eines nationalen Visums. Rechtsgrundlage für die Erteilung eines solchen Visums sind hier die §§ 27, 29 Abs.1, 30 Abs.1 AufenthG. Anwendung findet das AufenthG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394). Danach ist dem Ehegatten eines Ausländers zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft unter den im Einzelnen geregelten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den nachziehenden Ehegatten voraus, dass dieser sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen gemäß § 2 Abs. 9 AufenthG dem Niveau A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen - GER). Danach ist gefordert, dass der Ausländer vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden kann, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Umfasst sind nach der Definition des Sprachniveaus auch Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 – BVerwG 10 C 12.12 -, juris Rn. 15).

Das Spracherfordernis ist nicht wegen eines Verstoßes gegen die assoziationsrechtliche Stillhalteklausel (1.) oder die Familienzusammenführungsrichtlinie (2.) unanwendbar. Die Voraussetzungen von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt der Kläger nicht. Ein Härtefall im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG liegt nicht vor (3.).

1. Das Spracherfordernis gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist nicht als unzulässige neue Beschränkung im Sinne von Art. 13 des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 (ARB 1/80) des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (sog. „Stillhalteklausel“) unanwendbar. Nach dieser Regelung dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 13 ARB 1/80 ist eröffnet. Der Kläger kann sich als Ehegatte einer assoziationsberechtigten türkischen Arbeitnehmerin auf die Vorschrift berufen. Ein enger Familienangehöriger, der selbst nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern den Familiennachzug erstrebt, kann sich auf die Stillhalteklausel berufen; denn die Versagung des Familiennachzugs führt zu einer mittelbaren neuen Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Stammberechtigten (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 2014 – BVerwG 1 C /14 -, juris Rn. 14). Die Beigeladene zu 2 ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und ordnungsgemäß als Arbeitnehmerin beschäftigt. Dass sie derzeit Krankengeld bezieht, steht dem nicht entgegen. Die Einführung des Spracherfordernisses als Nachzugsvoraussetzung stellt auch eine „neue“ Beschränkung im Sinne von Art. 13 ARB 1/80 dar. Denn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ARB 1/80 am 1. Dezember 1980 (vgl. Art. 16 ARB 1/80) und in der Folgezeit bis zur Einführung des Spracherfordernisses im Jahr 2007 setzte der Nachzugsanspruch des Ehegatten einen Nachweis von Sprachkenntnissen nicht voraus.

Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 10. Juli 2014 (C-138/13 - juris) für die vor dem 1. August 2015 bestehenden Rechtslage entschieden, dass das Spracherfordernis in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in seiner damaligen Ausgestaltung gegen die Standstillklausel in Art. 41 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 (ZP) – die nach der Rechtsprechung des EuGH mit Art. 13 ARB 1/80 gleichartig ist – verstoße. Der Gerichtshof hat zur Begründung ausgeführt, dass eine neue Beschränkung verboten sei, sofern sie nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sei, das angestrebte legitime Ziel zu erreichen, und nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehe (EuGH, a.a.O., Rn. 37). Die Regelung gehe jedenfalls über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich sei, da der fehlende Nachweis des Erwerbs hinreichender Sprachkenntnisse automatisch zur Ablehnung des Antrags auf Familienzusammenführung führe, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt würden (EuGH, a.a.O., Rn. 38). In Konsequenz dieser Rechtsprechung hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 30. Januar 2015 entschieden, dass bei einem Nachzug eines Ehegatten zu einem sich ordnungsgemäß im Bundesgebiet aufhaltenden türkischen Arbeitnehmer der Sprachnachweis nicht verlangt werden könne (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Januar 2015 - OVG 7 B 22.14 –, juris Rn. 20). Die Rechtslage habe sich auch nicht durch den Erlass des Auswärtigen Amtes vom 4. August 2014, der eine individuelle Härtefallprüfung vorsah, geändert (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 30 ff.).

Diese Bedenken greifen jedoch aktuell nicht mehr durch. Das Erfordernis gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, vor der Einreise einfache deutsche Sprachkenntnisse nachzuweisen, erfüllt seit der Einfügung der gesetzlichen Härtefallregelung des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) die Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs an die Zulässigkeit einer nachträglichen Beschränkung (so auch VG Berlin, Urteil vom 8. Juli 2016 – VG 4 K 23.16 V – juris Rn. 24; Urteil vom 25. Mai 2016 – VG 33 K 292.15 V – EA, S. 5; Urteil vom 15. April 2016 – VG 29 K 165.15 V – EA, S. 7; Urteil vom 13. April 2016 – VG 29 K 211.15 V – EA, S. 5 ff.; Urteil vom 2. Februar 2016 - VG 2 K 417.15 V – EA, S. 5; Urteil vom 23. November 2015 – VG 15 K 246.15 V – EA, S. 9 f.; Urteil vom 11. November 2015 - VG 10 K 302.14 V – EA, S. 5).

Die mit dem Spracherfordernis verfolgten Ziele stellen zwingende Gründe des Allgemeininteresses dar. Es ist geeignet, die Verwirklichung der verfolgten legitimen Ziele zu gewährleisten. Das Erfordernis, vor der Einreise Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben, geht nicht über das zu deren Erreichung Erforderliche hinaus (vgl. EuGH, Urteil vom 12. April 2016 – C-561/14 –, juris Rn. 51). Der Nachweis von Sprachkenntnissen soll nach dem gesetzgeberischen Willen die Integration im Bundesgebiet erleichtern und Opfer von Zwangsverheiratungen schützen (BT-Drs. 15/5065, S. 173; vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. März 2011 – 2 BvR 1413/10 –, juris Rn. 5). Hierbei handelt es sich um zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Der Europäische Gerichtshof hat die Bedeutung, die der Integrationsförderung im Rahmen des Unionsrechts beigemessen wird, betont (EuGH, Urteil vom 12. April 2016, a.a.O., Rn. 55 f.). Abgesehen davon sind für die Anerkennung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses keine sonderlich strengen Maßstäbe anzulegen (vgl. Generalanwalt [EuGH] P. Mengozzi, Schlussanträge vom 20. Januar 2016, C-561/14, juris Rn. 33 m.w.N.). Sprachkenntnisse sind zweifellos geeignet, die Integration zu fördern (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – C-153/14 –, juris Rn. 53) und Opfern von Zwangsehen Sozialkontakte außerhalb der Familie zu ermöglichen. Sie erleichtern die soziale Interaktion und den Zugang zum Arbeitsmarkt.

Das durch die Härtefallregelung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG ergänzte Spracherfordernis geht auch nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinaus. Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG ist das Spracherfordernis unbeachtlich, wenn es dem Ehegatten auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen. Solche besonderen Umstände des Einzelfalls sollen nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 18/5420, S. 26) entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 4. September 2012 (BVerwG 10 C 12.12 – juris) bestimmt werden. Anhaltspunkte können in der Person des Ehegatten oder in den äußeren Umständen liegende Gründe sein, zum Beispiel der Gesundheitszustand des Betroffenen, seine kognitiven Fähigkeiten, die Erreichbarkeit von Sprachkursen oder die zumutbare tatsächliche Verfügbarkeit eines Sprachlernangebotes. Ein Härtefall ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn es dem ausländischen Ehegatten trotz ernsthafter Bemühungen von einem Jahr Dauer nicht gelungen ist, das erforderliche Sprachniveau zu erreichen (BVerwG a.a.O. Rn. 28). Dadurch wird der Ehegattennachzug nicht unzumutbar erschwert. Es werden schon keine überhöhten Anforderungen an die nachzuweisenden Sprachkenntnisse gestellt und bei Unzumutbarkeit von (weiteren) Bemühungen zum Spracherwerb ist der Sprachnachweis nicht Voraussetzung für die Visumserteilung (vgl. VG Berlin, Urteil vom 8. Juli 2016, a.a.O., Rn. 25 ff.). Die Vorschrift ermöglicht auch die erforderliche Einzelfallprüfung bei der Frage, ob die fehlenden Sprachkenntnisse der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug entgegenstehen. Die Feststellung, ob von der Unzumutbarkeit des Spracherwerbes vor Einreise auszugehen ist, erfolgt nicht schematisch, sondern im Wege einer individuellen Prüfung der Umstände. Insofern ist sichergestellt, dass von den Antragstellern für Visa weder etwas Unmögliches verlangt wird, noch das Spracherfordernis ein dauerhaftes Zuzugshindernis darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2012, a.a.O., Rn. 28).

2. Das Spracherfordernis steht auch im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2013 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (Familienzusammenführungsrichtlinie - ABl. L 251/12). Danach können die Mitgliedstaaten gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – C-153/14 -, juris Rn. 49 ff.) ist die Vorschrift dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat von Drittstaatsangehörigen verlangen kann, dass sie eine Integrationsprüfung erfolgreich ablegen, bei der Grundkenntnisse sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des betreffenden Mitgliedstaates beurteilt werden, bevor er ihnen die Einreise in sein Hoheitsgebiet erlaubt, sofern die Anwendungsvoraussetzungen für ein solches Erfordernis die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Die Anwendung des Integrationserfordernisses darf nicht automatisch zur Ablehnung des Familiennachzuges führen; die besonderen individuellen Umstände, wie Alter, Bildungsniveau, finanzielle Lage oder Gesundheitszustand der Angehörigen des Zusammenführenden sind zu berücksichtigen (EuGH, a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 3 Nr. 6 AufenthG. Das Gesetz verlangt lediglich einfache Sprachkenntnisse, weitere gesellschaftliche Grundkenntnisse werden nicht verlangt. Das Ablegen einer kostenpflichtigen Prüfung ist nicht vorgeschrieben. Der Nachweis einfacher Sprachkenntnisse kann in verschiedenster Form geführt werden, auch wenn die Vorlage eines Sprachzertifikats den einfachsten Nachweisweg darstellen mag (VG Berlin, Urteil vom 8. Juli 2016, a.a.O., Rn. 31). Darüber hinaus ermöglicht § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG die Berücksichtigung individueller Umstände, die Bemühungen um den Spracherwerb entgegenstehen.

3. Der Kläger verfügt unstreitig nicht über die gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Sprachkenntnisse. Die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Ausnahmetatbestandes nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG sind nicht erfüllt. Der Kläger kann nichts daraus herleiten, dass die gesetzliche Regelung zum Sprachnachweis zum Zeitpunkt seines Visumsantrags nicht den europarechtlichen Anforderungen genügte. Für die Erforderlichkeit des Sprachnachweises ist wie allgemein bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 1 C 15.14 –, juris Rn. 11).

Der Kläger hat bisher keine ernsthaften Bemühungen zum Erwerb der erforderlichen Sprachkenntnisse entfaltet. Es sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Unzumutbarkeit des Spracherwerbs für den Kläger begründen könnten. Soweit er geltend macht, sein Wohnort sei zu weit von dem nächsten Ort entfernt, in dem Sprachkurse angeboten würden, trifft dies nicht zu. B... ist von D... aus ohne erhebliche Erschwernisse erreichbar. Die Ehefrau des Klägers, die Beigeladene zu 2 hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass B... von D... aus in 45 Minuten erreichbar sei. Eine Anreise über diese Entfernung ist dem Kläger ohne Weiteres zumutbar. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht aus den mit dem Besuch eines Sprachkurses verbundenen Kosten bzw. dem Verdienstausfall des Klägers aus seiner Tätigkeit als Tagelöhner. Eine Reduzierung seiner Arbeitstätigkeit in der Türkei zugunsten des Besuchs eines Sprachkurses muss der Kläger zur Vorbereitung seines Daueraufenthalts in der Bundesrepublik grundsätzlich in Kauf nehmen. Außerdem plante der Kläger noch im Januar 2014 einen dreimonatigen Besuchsaufenthalt in der Bundesrepublik, der gleichfalls mit Kosten und einem Verdienstausfall verbunden gewesen wäre. Entsprechendes gilt, soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, der Kläger wolle nach seiner Einreise in die Bundesrepublik einen Deutschkurs zu besuchen. Im Übrigen ist angesichts der in der mündlichen Verhandlung dargelegten Einkommensverhältnisse der Beigeladenen zu 2 nicht erkennbar, dass die Eheleute nicht in der Lage wären, für einen begrenzten Zeitraum von maximal einem Jahr die Kosten für den Besuch eines Sprachkurses aufzubringen. Schließlich steht es dem Kläger auch frei, einfache deutsche Sprachkenntnisse auf anderem Weg – etwa im Selbststudium – zu erwerben. Aus welchen Gründen ihm dies nicht möglich oder zumutbar sein sollte, ist nicht ersichtlich. Bemühungen dieser Art hat er nicht dargelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Zulassung der Berufung beruht auf § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat die Rechtssache mit Blick auf die Frage, ob die Regelung des Spracherfordernisses in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung assoziations- und unionsrechtlichen Vorgaben genügt.

BESCHLUSS

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf

5.000,00 Euro

festgesetzt.

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