VG Berlin, Urteil vom 27.07.2016 - 24 K 492.15 V
Fundstelle
openJur 2016, 9056
  • Rkr:

Für die Fortgeltung einer Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 2 AufenthG kommt es darauf an, ob der Lebensunterhalt zum Zeitpunkt des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis gesichert ist. Auf die mögliche Sicherung des Lebensunterhalts zum Zeitpunkt der Wiedereinreise kommt es nicht an.

Die Bescheinigung über den Fortbestand einer Niederlasssungserlaubnis nach § 51 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist kein feststellender Verwaltungsakt, der eine Tatbestandswirkung entfaltet.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erteilung eines Visums zur Wiedereinreise nach Deutschland.

Die am 14. Mai 1974 in Eschweiler geborene Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige und lebte von 1982 bis zu ihrer Ausreise am 1. August 2009 in Deutschland. Zuletzt verfügte sie über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Stadt Aschaffenburg vom 5. Oktober 1999.

Sie hat vier in Deutschland lebende Kinder, von denen die 1992 und 1996 geborenen älteren Töchter die italienische Staatsangehörigkeit haben. Ihr im Jahr 2001 geborener Sohn hat die marokkanische Staatsangehörigkeit und ihr 2004 geborener Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit. Das Sorgerecht für ihre Kinder wurde der Klägerin bereits im Jahr 2009 entzogen, nachdem sie ihre minderjährigen Kinder alleine in der Wohnung zurückgelassen hatte. Die Wohnung wurde daraufhin zwangsgeräumt und die Kinder in verschiedenen Einrichtungen untergebracht. Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise am 1. August 2009 bezog die Klägerin Sozialleistungen.

Am 6. Juni 2014 beantragte die Klägerin bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rabat die Erteilung eines Visums zum Zwecke der Familienzusammenführung zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn E..., der am 22. Juni 2009 geboren ist und über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt. Die Beigeladene lehnte die Zustimmung zur Erteilung eines Visums zum Familiennachzug unter Hinweis auf den Entzug der Personensorge für das deutsche Kind ab. Daraufhin lehnte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rabat mit Bescheid vom 9. September 2014 die Erteilung eines Visums ab.

Am 25. Juni 2015 erteilte die Stadt Aschaffenburg der Klägerin eine Bescheinigung nach § 51 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, nach der ihre unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 5. Oktober 1999 als Niederlassungserlaubnis seit dem 1. Januar 2005 fortgelte und nicht erloschen sei. Die Lebensunterhaltssicherung nach der Wiedereinreise sei durch Abgabe einer Verpflichtungserklärung ihres Lebensgefährten, Herrn M..., vom 22. Juni 2015 nachgewiesen. Daraufhin beantragte die Klägerin am 9. Juli 2015 bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rabat erneut die Erteilung eines Visums unter Vorlage der genannten Bescheinigung der Stadt Aschaffenburg. Zur Begründung machte sie geltend, dass sie ein deklaratorisches „D“-Visum benötige, da ihre unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die als Niederlassungserlaubnis fortgelte, in dem bereits abgelaufenen Pass enthalten sei, in ihrem neuen Pass aber nicht übertragen worden sei. Daher benötige sie ein deklaratorisches „D“-Visum, um in die Bundesrepublik Deutschland wieder einreisen zu können.

Mit Mail vom 15. September 2015 lehnte die Beigeladene die Zustimmung zur Erteilung eines Visums für die Klägerin ab. Nach Auffassung der Beigeladenen liegen die Voraussetzungen für einen Familiennachzug zu dem in Deutschland lebenden Kindern nicht vor. Im Übrigen sei die als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis durch die Ausreise der Klägerin am 1. August 2009 erloschen.

Mit Bescheid der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rabat vom 16. September 2015 lehnte die Beklagte die Erteilung eines Visums erneut ab. Die hiergegen erhobene Remonstration vom 15. Oktober 2015 wies die Beklagte nach erneuter Beteiligung der Beigeladenen mit Remonstrationsbescheid vom 17. November 2015 zurück.

Mit der am 17. Dezember 2015 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass nach ihrer Auffassung die Niederlassungserlaubnis nicht erloschen sei und die Beklagte und die Beigeladene an die Bescheinigung der Stadt Aschaffenburg vom 25. Juni 2015 gebunden seien. Der Aufenthalt in Marokko sollte ursprünglich nur von kurzer Dauer gewesen sein, um von dem Vater ihres Kindes eine Vaterschaftsanerkennung zu erhalten. Sie sei in der Folge in Marokko gehindert worden, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Die Niederlassungserlaubnis seit nicht erloschen, da ihr die Privilegierung des § 51 Abs. 2 AufenthG zur Seite stehe. Sie habe sich 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und der Lebensunterhalt sei zum Zeitpunkt der beabsichtigten Wiedereinreise aufgrund der Verpflichtungserklärung ihres Lebensgefährten gesichert. Sie erwäge, ihren Lebensgefährten zu ehelichen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Remonstrationsbescheides der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Rabat vom 17. November 2015 zu verpflichten, ihr ein Visum zur Einreise und zum Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie stützt sich zur Begründung auf die Begründung des angefochtenen Remonstrationsbescheides.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze in der Streitakte (1 Band) sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Band) und der Beigeladenen (1 Leitzordner) ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Der Berichterstatter konnte als Einzelrichter entscheiden, weil ihm die Kammer mit Beschluss vom 30. März 2016 das Verfahren zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO).

Im Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zur Einreise und zum Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Erteilung eines Visums ist § 6 Abs. 3 AufenthG. Danach ist für einen längerfristigen Aufenthalt ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor, weil ihr unstreitig die Personensorge für ihr deutsches Kind E... bereits vor Jahren entzogen worden ist. Gleiches gilt auch für ihre noch minderjährigen ausländischen Kinder, so dass auch ein Nachzug nach § 36 Abs. 1 AufenthG ausscheidet.

Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, dass ihr ein deklaratorisches D-Visum im Hinblick auf ein Fortbestehen ihrer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis zustehe. Zwar gilt die der Klägerin durch die Stadt Aschaffenburg am 5. Oktober 1999 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fort. Diese ist jedoch nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG erloschen. Danach erlischt der Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausgereist ist bzw. wenn er ausgereist ist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist.

Es kann hier offen bleiben, ob die Klägerin am 1. August 2009 tatsächlich nur aus einem seiner Natur nach nur vorübergehenden Grund ausgereist, auch wenn hierzu keinerlei Nachweise vorliegen. Jedenfalls ist die Klägerin nicht innerhalb von sechs Monaten wieder in die Bundesrepublik eingereist, so dass die Niederlassungserlaubnis spätestens am 1. Februar 2010 erloschen ist.

Die Privilegierung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kommt der Klägerin nicht zugute. Danach erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach den Absätzen 1 Nr. 6 und 7, wenn unter anderem sein Lebensunterhalt gesichert ist.

Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg (vgl. OVG, Beschluss vom 4. August 2011 - OVG 2 S 32.11 - juris), der die Kammer folgt, gebietet es die Rechtssicherheit, dass sich zu jedem Zeitpunkt eindeutig feststellen lassen muss, ob die Niederlassungserlaubnis fortbesteht oder erloschen ist. Dies wäre bei einem Abstellen auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Zeitpunkt der Wiedereinreise nicht gewährleistet. Daher kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht darauf an, ob zu einem unbestimmten Zeitpunkt einer möglichen Wiedereinreise der Lebensunterhalt in Deutschland gesichert wäre, was im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Regel ohnehin für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gewährleistet sein muss, sondern darauf, ob zu dem in § 51 Abs. 2 AufenthG maßgeblichen Zeitpunkt des Erlöschens einer bestehenden Niederlassungserlaubnis der Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen gesichert ist.

Diese Rechtsauffassung wird auch in der Literatur geteilt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht § 51 Rn. 39; Funke/Kaiser in GK-Aufenthaltsgesetz § 51 Rn. 75 m.w.N.). Diese Auslegung entspricht nicht nur dem klaren Wortlaut der Norm, sondern auch dem Sinn und Zweck der Regelung, dass eine länger währende Ausreise ins Ausland nur dann einem Erlöschen einer bestehenden Niederlassungserlaubnis entgegen steht, wenn zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des Erlöschens der Lebensunterhalt weiter gesichert bleibt. Eine Niederlassungserlaubnis ist kein Titel, der ungeachtet des jeweiligen Lebensmittelpunktes jederzeit, etwa nach Jahren, eine Rückkehr nach Deutschland ermöglicht, solange nur der Lebensunterhalt bei der Wiedereinreise gewährleistet ist. Als Ausnahmeregelung ist § 51 Abs. 2 AufenthG vielmehr eng auszulegen. Danach sollen nur diejenigen Inhaber einer Niederlassungserlaubnis privilegiert werden, die entweder nicht nur aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreisen oder die nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer länger bestimmten Frist wieder einreisen, wenn deren Lebensunterhalt gewährleistet ist. Die Sicherung des Lebensunterhalts hat nicht nur den Zweck, vor Belastungen der Sozialkassen zu schützen, sondern ist neben dem 15 jährigem rechtmäßigen Aufenthalt Maßstab für eine fortgeschrittene Integration. Für eine Privilegierung eines Ausländers, der von Sozialleistungen abhängig ist und damit diese Integrationsleistung nicht erfüllt, besteht kein Bedürfnis.

Nach diesem Maßstab müsste der Lebensunterhalt bereits zum Zeitpunkt der Ausreise am 1. August 2009 (bei einer Ausreise aus einem nicht nur vorrübergehenden Grund), jedenfalls aber seit dem 1. Februar 2010 (bei einer Ausreise aus einem vorübergehenden Grund) fortdauernd gesichert gewesen sein. Dies hat die Klägerin, die vor ihrer Ausreise Sozialleistungen bezogen hat, nicht nachgewiesen.

Im Übrigen ist die bloße Verpflichtungserklärung des Lebenspartners vom 22. Juni 2015 keineswegs ausreichend, um eine dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts nachzuweisen. Für den Lebenspartner liegen außer der Erhebung vom 22. Juni 2015 keinerlei Einkommensnachweise vor.

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin schließlich auf die Bescheinigung der Stadt Aschaffenburg vom 25. Juni 2015. Von der Bescheinigung geht keine für die Beklagte und die Beigeladene verbindliche Tatbestandswirkung aus.

Schon der Wortlaut des § 51 Abs. 2 Satz 3 AufenthG macht deutlich, dass es sich lediglich um eine Nachweisurkunde über den Fortbestand einer Niederlassungserlaubnis handelt, die lediglich die Vermutung für das Bestehen einer Niederlassungserlaubnis begründet, nicht aber eine konstitutive Regelung im Sinne eines feststellenden Verwaltungsakts über das Fortbestehen einer Niederlassungserlaubnis (vgl. Funke/Kaiser in GK-Aufenthaltsgesetz § 51 Rn. 82; so im Grunde auch Hailbronner in AufenthG § 51 Rn. 40). Eine „Bescheinigung“ eines vermeintlichen Rechts ist nicht die Begründung eines Rechts.

Es liegt schon der äußeren Form nach kein Verwaltungsakt nach § 35 Satz 1 VwVfG vor. Weder liegt ein Bescheid mit einem Tenor und einer Begründung vor, noch ist der „Bescheinigung“ eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Nach §§ 133, 157 BGG ist auch im Wege der Auslegung kein Wille erkennbar, dass die Stadt Aschaffenburg eine rechtsverbindliche Regelung treffen wollte. Vielmehr hat sie nur ein nach ihrer irrigen Auffassung fortbestehendes Recht bescheinigen wollen. Nach dem Sinn und Zweck des § 51 Abs. 2 Satz 3 AufenthG soll die Bescheinigung nur dem Nachweis eines Rechts dienen, um dem Ausländer die beliebige Ein- und Ausreise zu ermöglichen (vgl. Bundestagsdrucksache 134948, Seite 8 zu Abs. 1 a der Vorgängervorschrift § 44 AuslG 1990). Sie ist lediglich eine Beweisurkunde über ein vermeintliches Recht, dessen Bestand aber bestritten werden kann. Ist sie unrichtig, weil das bestehende Recht nicht besteht, muss sie auch nicht nach § 48 Abs. 1 VwVfG aufgehoben, sondern schlicht von der ausstellenden Behörde eingezogen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und damit kein Prozessrisiko eingegangen ist, entsprach es nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der Klägerin aufzuerlegen.

Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO und § 708 Nr. 11, 711 und 709 S. 2 ZPO.

Ein Grund die Berufung zuzulassen, lag seitens des Verwaltungsgerichts nicht vor (§ 124 a VwGO).

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf 5.000,- Euro festgesetzt.

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