VG Berlin, Beschluss vom 26.07.2016 - 30 L 13.16
Fundstelle
openJur 2016, 9038
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin / der Antragsteller.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, mit dem der Antragsteller / die Antragstellerin die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin an der Antragsgegnerin zum Sommersemester 2016 im ersten Fachsemester außerhalb der festgesetzten Aufnahmekapazität erreichen will, hat keinen Erfolg.

Die im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotene und mögliche summarische Prüfung ergibt, dass in diesem Studiengang über die in der Zulassungszahlensatzung der Antragsgegnerin für das Sommersemester 2016 vom 18. Februar 2016 (amtliches Mitteilungsblatt der Antragsgegnerin Nr. 163 vom 18. Februar 2016) für Studienanfänger festgesetzte Zulassungszahl von 324 Studienplätzen bzw. über die Zahl der 341 vergebenen Studienplätze (vgl. hierfür die dienstliche Erklärung der Frau M... vom 26. Mai 2016, Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 17. Juni 2016, Kapazitätsunterlagen), darin enthalten 10 Zulassungen außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl aufgrund von Vergleichen zur Beendigung von vorangegangene Semester betreffende Kapazitätsstreitigkeiten, hinaus keine weiteren Studienplätze zur Verfügung stehen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1991 – 1 BvR 393/85 u.a. - juris Rn. 65 m.w.N.) gewährleistet Art. 12 Abs. 1 GG das Recht, die Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Inanspruchnahme dieses Rechts hängt von tatsächlichen Voraussetzungen ab, deren Fehlen das Recht wertlos machen kann. Schafft der Staat mit öffentlichen Mitteln Ausbildungseinrichtungen, so muss er auch den freien und gleichen Zugang zu ihnen gewährleisten. Deshalb ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgrundsatz für jeden Bürger, der die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 – 1 BvL 32/70 u.a. – juris, Rn. 56 ff.). Zulassungsbeschränkungen sind nur unter strengen formellen und materiellen Voraussetzungen statthaft. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und sind nur dann verfassungsmäßig, wenn sie zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes - Funktionsfähigkeit der Universitäten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium - und nur in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden (BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 967/78 u.a. - , juris, Rn. 40).

Die demnach erforderlichen rechtlichen Grundlagen für Zulassungsbeschränkungen und die Kapazitätsermittlung sind die Bestimmungen des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung (StV) vom 5. Juni 2008 (GVBl. 310), des Berliner Hochschulzulassungsgesetzes (BerlHZG) in der Fassung vom 18. Juni 2005 (GVBl. S. 393), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Einführung einer Sportprofilquote bei der Studienplatzvergabe vom 26. Juni 2013 (GVBl. S. 198) sowie der Kapazitätsverordnung (KapVO) vom 10. Mai 1994 (GVBl. S. 186), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. September 2015 (GVBl. S.351).

Die Ermittlung der Aufnahmekapazität nach diesen Vorschriften ist nicht durch § 28 Abs. 2 Satz 1 UniMedG ausgeschlossen (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 12. Februar 2004 – VG 30 A 435.03 u.a. –, bestätigt durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 20. Oktober 2004 – 5 NC 44.04 – juris, Rz. 5 zur vorangegangenen, gleichlautenden Regelung in Artikel I § 22 Abs. 2 Satz 1 des Vorschaltgesetzes zum Gesetz über die Umstrukturierung der Hochschulmedizin im Land Berlin [HS-Med-G] vom 27. Mai 2003 [GVBl. S. 185]). Soweit hierin die Aufnahmekapazität für das erste Fachsemester im Studiengang Humanmedizin auf insgesamt 600 Studienanfänger pro Jahr festgelegt wird, ist diese Festlegung als Zielzahl zu verstehen, die der Antragsgegnerin verbindlich vorgibt, die Ausstattung für die medizinische Ausbildung an einer jährlichen Aufnahmekapazität von nicht mehr – aber auch nicht weniger – als jährlich 600 Studienanfängern auszurichten.

Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 StV sind die Zulassungszahlen so festzusetzen, dass nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der räumlichen und fachspezifischen bzw. sächlichen Gegebenheiten eine erschöpfende Nutzung der Ausbildungskapazität erreicht wird; die Qualität in Forschung und Lehre sowie die geordnete Wahrnehmung der Aufgaben der Hochschule insbesondere in Forschung, Lehre und Studium sind zu gewährleisten. Die Vorschrift gibt damit unter Beachtung des aus Art. 12 GG folgenden Kapazitätserschöpfungsgebots den Rahmen vor, dem eine Festsetzung der Zulassungszahl gemäß Art. 6 Abs. 1 StV zu genügen hat. Diese grundsätzliche Vorgabe wird in den weiteren Regelungen des Art. 6 Abs. 1 und 3 StV näher ausgefüllt: Die Zahl der aufzunehmenden Bewerber wird nach der jährlichen Aufnahmekapazität festgesetzt (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 StV). Diese wird nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 StV auf der Grundlage des Lehrangebots, des Ausbildungsaufwands und weiterer kapazitätsbestimmender Kriterien ermittelt, was in den folgenden Sätzen des Art. 6 Abs. 3 StV näher erläutert wird. Das damit gesetzlich vorgegebene Ermittlungsprogramm wird im Wesentlichen durch das Berechnungsverfahren nach der KapVO konkretisiert.

Zwar erlaubt Art. 6 Abs. 2 Satz 2 StV bei der Erprobung neuer Studiengänge und -methoden die Festsetzung von Zulassungszahlen abweichend von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 StV, mit der Folge, dass bei Modellvorhaben - um ein solches handelt es sich vorliegend -  Zulassungszahlen abweichend von dem in § 1 Abs. 1 KapVO normierten und näher umschriebenen Gebot der erschöpfenden Auslastung der Ausbildungskapazität und von den Vorgaben des Zweiten und Dritten Abschnitts der KapVO festgesetzt werden können. Allerdings darf eine gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 StV von Satz 1 abweichende Festsetzung der Zulassungszahlen bei der Erprobung neuer Studiengänge nicht willkürlich unter Außerachtlassung des aus Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Kapazitätserschöpfungsgebots erfolgen  (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. Dezember 2006 – 2 NB 347/06 -, juris Rn. 42 m.w.N.). Der Festsetzung hat nach § 29 Abs. 2 Satz 2 des insoweit weiterhin zu beachtenden Hochschulrahmengesetzes (HRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 1999 (BGBl. I S. 18), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 12. April 2007 (BGBl. I S. 506), immer und so auch im Falle innovativer Studiengänge oder Studienmethoden die Überprüfung vorauszugehen, ob im Rahmen der verfügbaren Mittel die Möglichkeiten zur Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazität ausgeschöpft sind.

Wird die Überprüfung, wie hier, anhand der weiteren kapazitätsbestimmenden Faktoren nach den Vorschriften des Dritten Abschnitts (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KapVO) vorgenommen, so ist dagegen von Verfassung wegen nichts zu erinnern. Zu den sonstigen kapazitätsbestimmenden Faktoren gehört in den medizinischen Fächern der die Ausbildung trotz unter Umständen größerer personeller Ausstattung begrenzende absolute Engpass einer ausreichenden Anzahl für die Ausbildung zur Verfügung stehender geeigneter Patienten nach § 17a KapVO. Ob eine an diesem Engpass ausgerichtete Kapazitätsermittlung die vorhandenen Ressourcen der Hochschule tatsächlich ausschöpft oder nicht, ist eine Frage des einfachen Rechts (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Februar 2012 - OVG 5 NC 273.11 -). Der auf § 41 Approbationsordnung für Ärzte - ÄApprO - vom 27. Juni 2002 (BGBl. I S. 2405), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 2. August 2013 (BGBl. I S. 3005) beruhende und auf eine Studiendauer von zehn Semestern angelegte sog. Modellstudiengang (vgl. die hier maßgebliche Studienordnung vom 7. September 2015, amtliches Mitteilungsblatt der Charité Nr. 160 S. 1346 ff., Prüfungsordnung vom 17. April 2015, amtliches Mitteilungsblatt Nr. 144 S. 1198 ff., geändert am 30. März 2016, amtliches Mitteilungsblatt Nr. 164) an der Charité besteht seit dem Wintersemester 2010/11. Mit dem Modellstudiengang soll eine Alternative zu der herkömmlichen medizinischen Ausbildung, wie sie der der ÄApprO zu Grunde liegende Regelstudiengang darstellt, in der Praxis erprobt werden. Die Anforderungen, die § 41 Abs. 2 Nrn. 4 - 7 ÄApprO an einen Modellstudiengang stellt, etwa die Festlegung einer bestimmten Laufzeit, das Erfordernis einer begleitenden und abschließenden Evaluation sowie abhängig von den Evaluationsergebnissen die Möglichkeit einer Verlängerung bzw. eines Abbruchs des Angebots, kennzeichnen den Erprobungscharakter des alternativen Ausbildungsmodells. Entsprechendes gilt für die von der Antragsgegnerin erlassene Studienordnung (vgl. §§ 2, 17). Der Modellstudiengang an der Antragsgegnerin führt den Regel- und Reformstudiengang, in den letztmalig im Wintersemester 2009/10 (Reformstudiengang) und Sommersemester 2010 (Regelstudiengang) Studienanfänger immatrikuliert wurden, zusammen (§ 5 Abs. 1 Studienordnung) und löst diese (sukzessive) ab. Anstelle des durch den ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung in zwei vollständig getrennte Studienabschnitte - Vorklinische (vier Semester) und Klinische Medizin (sechs Semester) – gegliederten Studiums (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 1 KapVO) des bisherigen Regelstudiengangs tritt ein zwar ebenfalls in zwei Studienabschnitte aufgeteiltes Studium von zehn Semestern (§ 1 Studienordnung), das jedoch nicht durch die Zäsur des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung geprägt ist (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 1 ÄApprO) und dessen Untergliederung anderen Kriterien folgt. Der Modellstudiengang ist gemäß § 2 Abs. 1 Studienordnung zunächst für die Dauer von acht Jahren eingerichtet. Allerdings war die tatsächliche Erprobung des Curriculums bereits mit Abschluss des Sommersemesters 2015 bis zum letzten seiner zehn Fachsemester fortgeschritten.

Die Kammer hat die Rechtmäßigkeit der Einführung des Modellstudiengangs Humanmedizin als zu erprobenden Studiengang im Sinne von Art. 6 Abs. 2 S. 1 StA mit Urteil vom 21. August 2013 - VG 30 K 36.11 u.a. - bestätigt und zur damals geltenden Rechtslage ausgeführt, dass § 7 Abs. 3 KapVO zwar das in vorklinischen und klinischen Studienabschnitt gegliederte Studium des Regelstudiums berücksichtige, die Studienstruktur des Modellstudiengangs aber nicht in der KapVO abgebildet sei. Solange die Erprobungsphase noch andauere, sei es jedoch zulässig, auf die patientenbezogene Kapazität gemäß § 17 KapVO zurückzugreifen, der Normgeber sei allerdings im Rahmen seiner Beobachtungs- und Überprüfungspflicht verpflichtet, bis zum Ablauf der Erprobungsphase nach vollständigem „Durchlauf“ des Curriculums zum Wintersemester 2015/16 die Vorschriften über die Berechnung der patientenbezogenen Einflussfaktoren nach § 17 Abs. 1 und 2 KapVO dem mit dem Modellstudiengang verfolgten Konzept einer patientenbezogenen Ausbildung ab dem ersten Fachsemester anzupassen.

Die Kammer hat auch die durch Verordnung vom 5. September 2013 (GVBl. S. 499) eingefügte Vorschrift des § 17 Abs. 3 KapVO, wonach für die Berechnung der patientenbezogenen Kapazität des Modellstudiengangs Medizin an der Antragsgegnerin bis zum Sommersemester 2015 die Vorschriften über die Berechnung der patientenbezogenen Einflussfaktoren nach § 17 Abs. 1 und 2 KapVO entsprechend Anwendung finden, mit der Begründung für rechtmäßig erachtet, sie vollziehe lediglich die von der Kammer und dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg für den Modellstudiengang hilfsweise vorgenommene Kapazitätsberechnung normativ nach (VG Berlin, Beschluss vom 19. März 2015 – 30 L 275.14 – , juris, Rn 12). Mit der gleichen Begründung hat die Kammer für das Sommersemester 2015 die Rechtmäßigkeit des - § 17 Abs. 3 KapVO durch Verordnung vom 26. Juni 2015 (GVBl. S. 298) ohne Übergangsregelung ersetzenden - § 17a KapVO bestätigt, wonach die Aufnahmekapazität für den Modellstudiengang Medizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin ausschließlich anhand der patientenbezogenen Einflussfaktoren berechnet wird, ohne Überprüfung des Ergebnisses anhand weiterer in § 14 Abs. 2 KapVO genannter Tatbestände. Die Kammer hat hierzu ausgeführt, der Normgeber sei zwar, um eine erschöpfende Kapazitätsauslastung zu gewährleisten, verpflichtet, von Annahmen auszugehen, die dem aktuellen Erkenntnis- und Erfahrungsstand entsprächen. Bei komplexen und in der Entwicklung begriffenen Sachverhalten sei ihm aber eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen zuzubilligen. Im Fall der Erprobung eines neuen Studiengangs sei es dabei angemessen, einen vollständigen „Durchlauf“ des Curriculums abzuwarten, weil nur so die Verhältnisse in allen Fachsemestern des Studiengangs beurteilt werden könnten (Beschluss vom 24. September 2015 – VG 30 L 37.15 –, juris). Dem Verordnungsgeber stehe bei der Frage, ob und in welchem Umfang Folgen aus dem Umstand der Verringerung der stationären Patientenressourcen zu ziehen sind, ferner ein Einschätzungsspielraum zu (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. August 2013 - 2 NB 394/12 - juris). Die Frage nach dessen Grenzen stelle sich in der Erprobungsphase nicht. Die Erprobungsphase sei erst mit dem vollständigen Durchlauf des Curriculums von 10 Semestern beendet.

Im hier entscheidungserheblichen 12. Semester seit Einführung des Modellstudiengangs ist der dem Normgeber zuzubilligende Zeitraum für die Sammlung von Erfahrungen verstrichen. Der Ablauf der vom Gericht für zulässig erachteten Übergangszeit bis zum Erlass normierter Berechnungsgrundlagen für die Kapazitätsberechnung im Modellstudiengang ändert zwar nichts daran, dass für den noch laufenden und voraussichtlich in die Verlängerung gehenden Modellstudiengang nach wie vor die Abweichungsbefugnis des Art. 6 Abs. 2 S. 2 StV gilt. Hieraus folgt, wie oben bereits ausgeführt, jedoch nicht, dass die Festsetzung der Zulassungszahl willkürlich unter Außerachtlassung des aus Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Kapazitätserschöpfungsgebots erfolgen könnte, sondern sie vielmehr die Überprüfung voraussetzt, ob im Rahmen der verfügbaren Mittel die Möglichkeiten zur Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazität ausgeschöpft sind. Damit einher geht eine Beobachtungs- und Überprüfungspflicht sowie ggf. eine Nachbesserungspflicht des Normgebers (zur Erforderlichkeit der Anpassung zulassungsbeschränkender Normen an neue Studiengänge und deren Strukturen vgl. Verfassungsgerichtshof Berlin, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - VerfGH 28/11 - sowie zur Beobachtungs- und Überprüfungspflicht des Verordnungsgebers, ders. Beschluss vom 15. Januar 2014 - 109/13 - beide juris).

Vor diesem Hintergrund  hat die Kammer durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Bestimmung des § 17a KapVO.

Der Normgeber ist vorliegend seiner Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht nur unzureichend nachgekommen. Das verfassungsrechtliche Gebot erschöpfender Kapazitätsauslastung gilt nicht nur für die Universitätsverwaltung bei der Anwendung von zugangsbeschränkenden Vorschriften, sondern setzt auch dem Normgeber Schranken, soweit er kapazitätsbestimmende Regelungen schafft. Auch beim Erlass von Gesetzen und Verordnungen ist zu beachten, dass der Zugang zu den Hochschulen nur beschränkt werden darf, soweit dies zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes - Funktionsfähigkeit der Hochschule in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung und Lehre - unbedingt erforderlich ist (VerfGH Berlin, Beschluss vom 15. Januar 2014 a.a.O.Rn. 34; zum Bundesrecht: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1991, a.a.O. Rn. 65).

Das Zugangsrecht der Hochschulbewerber muss abgestimmt werden mit der grundrechtlich gewährleisteten Forschungs- und Lehrfreiheit der Hochschullehrer (Art. 5 Abs. 3 GG) und mit den Ausbildungsbedürfnissen der bereits zugelassenen Studenten. Die dazu erforderliche Konkretisierung ist zwar mit einem nicht unerheblichen Gestaltungsfreiraum des Verordnungsgebers verbunden, sie muss aber den Bedingungen rationaler Abwägung genügen. Der Normgeber muss von Annahmen ausgehen, die dem aktuellen Erkenntnis- und Erfahrungsstand entsprechen und eine etwaige Kapazitätsminderung auf das unbedingt erforderliche Maß beschränken. Definiert die Verordnung die Ausbildungskapazität mittels Zahlenwerten und Formeln, so muss sich die gerichtliche Kontrolle auch auf deren Ableitung erstrecken (BVerfG, a.a.O., Rn 74 ff.). Die Wissenschaftsverwaltung trifft gegenüber den Gerichten eine Darlegungspflicht hinsichtlich der Annahmen und Wertungen, die die Abwägung des Normgebers bestimmt haben. Begründungslücken oder Fehler des Ableitungszusammenhangs können den Schluss nahelegen, dass das Kapazitätserschöpfungsgebot verletzt wurde (zum Bundesrecht: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1991, a.a.O., Rn 74).

Den Normgeber trifft ferner eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht. Hierzu hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin ausgeführt: „Hinsichtlich des aktuellen Erkenntnis- und Erfahrungsstandes trifft den Normgeber zudem eine Beobachtungs- und Überprüfungsobliegenheit sowie ggf. eine Nachbesserungspflicht (vgl. speziell zum Hochschulzulassungsrecht BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 u. a. -, juris Rn. 74; BVerwG, Urteil vom 23. März 2011 - 6 CN 3.10 -, juris Rn. 40; VGH Mannheim, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 9 S 1611/09 -, juris Rn. 81; VGH München, Beschluss vom 21. September 2011 - 7 CE 11.10660 -, juris Rn. 21; vgl. allgemein zur Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvF 4/05 -,juris Rn. 118; Urteile vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 -, juris, Rn. 185, und vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u. a. -, juris Rn. 121 m. w. N.). Bei komplexen, in der Entwicklung begriffenen Sachverhalten, zu denen auch das Kapazitätsermittlungsrecht gehört, kann es vertretbar sein, dem Normgeber zunächst eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen einzuräumen und für diesen Zeitraum auch gröbere Typisierungen und Generalisierungen hinzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – a.a.O. Rn. 60). Mit der insoweit bestehenden relativ weiten Gestaltungsfreiheit korrespondiert aber auch die Pflicht, die weitere Entwicklung umso sorgfältiger im Auge zu behalten und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09 -, juris Rn. 51). Anlass zur verfassungsrechtlichen Beanstandung besteht insoweit, wenn der Normgeber eine spätere Überprüfung und fortschreitende Differenzierung trotz ausreichenden Erfahrungsmaterials für eine sachgerechtere Lösung unterlässt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. April 1974 - 1 BvR 282/73 u. a. -, juris Rn. 34; vom 8. Februar 1977, a. a. O. und vom 3. Juni 1980, a. a. O.,Rn. 60). Dem steht es gleich, wenn es an ausreichendem Erfahrungsmaterial für eine Überprüfung nur deshalb fehlt, weil der Normgeber seiner von der Beobachtung umfassten Pflicht, im Rahmen seiner Kompetenz dafür Sorge zu tragen, dass die für die Beurteilung notwendigen Daten planmäßig erhoben, gesammelt und ausgewertet werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u. a. -, juris Rn. 310), nicht oder nicht in ausreichender Weise nachgekommen ist.“ (Beschluss vom 15.Januar 2014, a.a.O., Rn. 37).

Nach Auswertung der beigezogenen Materialien der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft zum Verordnungsgebungsverfahren betreffend die 23. Änderungsverordnung zur KapVO ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass eine eigene Abwägung des Verordnungsgebers innerhalb des vorstehend beschriebenen Rahmens stattgefunden hat.

Der Vorschrift des § 17a KapVO liegt ausschließlich eine von der Charité, also des Normadressaten, eigenverantwortlich durchgeführte Erhebung zur Eignungswahrscheinlichkeit der Patienten im stationären, teilstationären und ambulanten Bereich zugrunde. Von der Beauftragung einer externen Firma mit dieser Untersuchung haben sowohl der Normgeber als auch die Charité abgesehen. Weitere Untersuchungen zur Überprüfung der von der Charité gefundenen Ergebnisse hat der Normgeber weder selbst angestellt noch in Auftrag gegeben. Diese Herangehensweise ist bereits für sich genommen bedenklich, weil sie den Prozess der Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen für die Neufassung der hier maßgeblichen Rechtsnorm, der dem Normgeber obliegt, in die Hände der Institution legt, die die Norm in der Zukunft anzuwenden hat und die ein erhebliches Interesse an deren Ausgestaltung hat. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die notwendigen Erhebungen an der Charité durchzuführen waren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie auch ohne maßgebliche Beteiligung des Normgebers durch diese Einrichtung erfolgen dürften.

Den Materialien lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Normgeber die Erhebung der Charité, die er sich zu eigen macht, zumindest selbständig geprüft und kritisch hinterfragt hat. Im Gegenteil hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft die – offenbar ohne ihre Einflussnahme mehrfach modifizierten – Ergebnisse der Charité-internen Untersuchung und einschließlich der Korrektur des Ergebnisses lediglich übernommen und in den Normsetzungsprozess überführt. Für eine kritische Überprüfung hätte dabei aus verschiedenen Gründen durchaus Anlass bestanden.

So folgt der Normgeber ohne weitere Erläuterung dem Vorschlag der Charité, die Zahl der tagesbelegten Betten durch die Mitternachtszählung festzustellen. Vor dem Hintergrund, dass die heutige systemgestützte Patientenerfassung andere Zählweisen zu verschiedenen Zeitpunkten erlaubt und wahrscheinlich auch die tagsüber stationär untergebrachten Patienten teilweise zur Ausbildung am Krankenbett geeignet sind, wäre hierzu allerdings zumindest darzulegen gewesen, warum er an der Mitternachtszählung festhält. Für die Auffassung der Antragsgegnerin, die sich der Verordnungsgeber zu eigen macht, wonach die Mitternachtszählung weiterhin plausibel sei, findet sich in den Materialien keine Begründung. Die Behauptung der Antragsgegnerin im Normgebungsverfahren, die Berliner Verwaltungsgerichte hätten die Mitternachtszählung „uneingeschränkt akzeptiert“, trifft nicht zu. Es ist nach der Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg vielmehr Sache des Normgebers zu entscheiden, ob und in welcher Weise er innerhalb des hochaggregierten Systems der Kapazitätsermittlung die maßgeblichen Eingabegrößen, die zugleich die Belange der Wissenschaft in Forschung und Lehre, der Ausbildung und der Gesundheitspflege zum Ausgleich zu bringen bestimmt sind, ggfs. anpasst (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. September 2014 – OVG 5 NC 120.13 - , juris, Rn. 17 m.w.N.). Dies bedeutet gerade nicht, dass die in dieses System einfließenden Faktoren von einer Überprüfung freigestellt sind, sondern im Gegenteil, dass die Überprüfung durch den Normgeber sich auf alle relevanten Einflussfaktoren zu beziehen hat.

Darüber hinaus wirft die Untersuchung der Charité auch methodisch Fragen auf. So fällt der hohe Anteil an Patienten auf, die aus persönlichen Gründen nicht für den Unterricht am Krankenbett (UaK) zur Verfügung stehen (bei stationären Patienten 21,6 % im Vergleich zu 5,7 % in der an der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführten UPPMK-Studie 2011 und 9 % in der ZVS-Studie 1987; im ambulanten Bereich 39,6 % im Vergleich zu 10,5 % in der UPPMK-Studie 2011). Diese hohe Ablehnungsrate erscheint angesichts des Umstandes, dass die Behandlung in einer universitären Einrichtung grundsätzlich auch die Mitwirkung an der studentischen Lehre mit einschließt  und die Patienten hierauf auch seit 2013 in den Patientenverträgen hingewiesen werden, nicht nachvollziehbar. Die Charité sieht die Ursache hierfür u.a. in dem Umstand, dass - anders als in früheren Erhebungen - die Patienten selbst befragt wurden und nicht die sie behandelnden Ärzte. Sie hält diese Vorgehensweise offenbar für vorzugswürdig, weil die Befragung der Patienten in Abwesenheit der Stationsärzte sicherstelle, dass die Befragten nicht durch das für sie verantwortliche ärztliche Personal in ihren Aussagen beeinflusst wurden. Angesichts der außergewöhnlich hohen Ablehnungsrate stellt sich allerdings die Frage, ob eine solche Vorgehensweise an einer Universitätsklinik, deren Aufgabe – auch – die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses beinhalten, hinnehmbar ist. Wenn Ärzte auf ihre Patienten einwirken, um Verständnis für die Notwendigkeit patientengebundenen Unterrichts zu wecken und diesbezüglich vorhandene Unsicherheiten und Vorbehalte abzubauen, vermag das Gericht hierin nichts Negatives zu entdecken. Dass die mit der Befragung beauftragten Studenten dies nicht in gleicher Weise können, liegt auf der Hand.

Hinsichtlich der Eignungswahrscheinlichkeit der Patienten im teilstationären Bereich ist überdies zu fragen, ob die Zahl von 111 befragten Patienten groß genug ist, um eine verlässliche Hochrechnung zu erlauben.

Ferner ist den vorgelegten Unterlagen z.B. keine Auseinandersetzung mit der Frage zu entnehmen, ob und in welcher Weise teilstationär betreute Patienten der Tageskliniken einbezogen werden können, die wegen der Beibehaltung der Mitternachtszählung bei der Zählung der tagesbelegten Betten weiter unberücksichtigt bleiben, ob - und wenn ja, weshalb - die „Deckelung“ der Erhöhung der auf Grund der tagesbelegten Betten ermittelten Kapazität durch poliklinische Neuzugänge auf 50 v. Hundert beibehalten werden soll und ob die Verlagerung einiger Behandlungsbereiche in medizinische Versorgungszentren Änderungen in der Kapazitätsberechnung nach sich ziehen soll.

Zusammengefasst hat sich der Normgeber darauf beschränkt, eine nur auf einen Aspekt der Kapazitätsberechnung bezogene und in Eigenregie durch die Antragsgegnerin erstellte Untersuchung in eine Rechtsnorm zu übertragen. Dass dies den vom Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin aufgestellten Anforderungen an die Begleitung der Rechtsmaterie durch den Normgeber nicht genügen kann, liegt auf der Hand.

Auch die Begründung, mit der der Normgeber trotz der nach der Feldstudie signifikant geringeren Zahl für die Ausbildung zur Verfügung stehender geeigneter Patienten an dem bislang geltenden Parameter von 15,5 vom Hundert der Gesamtzahl der tagesbelegten Betten festhält, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Ausweislich der Begründung zu Art. 1 Nr. 1 der 23. Änderungsverordnung zur KapVO geht der Normgeber davon aus, dass der Wert für die prozentuale Verfügbarkeit der tagesbelegten Betten im Studiengang der Medizin bundesweit einheitlich festzulegen sei und es dafür einer bundesweiten Erhebung durch die Stiftung für Hochschulzulassung bedürfe. Diese Auffassung verkennt jedoch, dass das Fehlen einer bundeseinheitlichen Überprüfung der kapazitätsbestimmenden Faktoren nicht zum Ausbleiben jedweder Beobachtung und Überprüfung der einschlägigen Bestimmungen und ihrer tatsächlichen Grundlagen führen kann. Fehlt eine bundeseinheitliche Überprüfung oder ist diese nicht hinreichend, ist deshalb der nach Landesrecht zuständige Normgeber in der Pflicht, die Überprüfung eigenständig vorzunehmen, wie dies im Übrigen für verschiedene Länder bzw. Hochschulen auch bereits erfolgt ist. Alternativ steht es dem Normgeber selbstverständlich frei, für eine bundeseinheitliche Überprüfung der der patientenbezogenen Kapazität zu Grunde liegenden Einflussfaktoren zu sorgen. Abgesehen hiervon fehlt auch jede Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Qualität der medizinischen Ausbildung gesichert werden soll, wenn – folgt man dem Ergebnis der Erhebung der Antragsgegnerin – deren Ressourcen ein Festhalten an den bisherigen Werten eigentlich nicht erlauben. Umgekehrt ist allerdings auch zu fragen, ob Zahlenwerte, die mit Billigung der Antragsgegnerin  deutlich überschritten werden, hinreichend belastbar sein können.

Aufgrund der beschriebenen Mängel im Abwägungsprozess hat die Kammer durchgreifende Zweifel, dass die Bestimmung des § 17a KapVO mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der erschöpfenden Kapazitätsauslastung im Einklang steht.

Es dürfte notwendig sein, dass eine erneute – vom Verordnungsgeber zu veranlassende und zu überwachende – Untersuchung durchgeführt wird und der Normgeber neben der Patienteneignung auch die übrigen kapazitätsbestimmenden Faktoren in den Blick nimmt, sie überprüft, bewertet und eine begründete Entscheidung für eine Beibehaltung oder Änderung der bisherigen Berechnungsgrundlagen trifft. Auf die Notwendigkeit einer bundesweiten Erhebung durch die Stiftung für Hochschulzulassung wird der Normgeber wie dargelegt nicht verweisen können, weil dies seiner Beobachtungs- und Kontrollpflicht zuwiderliefe.

Die Unvereinbarkeit einer untergesetzlichen Norm mit übergeordnetem Recht hat regelmäßig die Nichtigkeit dieser Norm zur Folge (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972, a.a.O. Rn. 89).

Im Falle von § 17a KapVO würde dies dazu führen, dass die – von der Rechtsprechung grundsätzlich als sachgerecht erachtete – Bestimmung der Aufnahmekapazität für den Modellstudiengang Medizin der Charité anhand der patientenbezogenen Einflussfaktoren gänzlich entfiele, weil die Art und Weise der Bestimmung der patientenbezogenen Kapazität vom Normgeber unzureichend überprüft wurde. Eine völlige Nichtberücksichtigung des die Ausbildung begrenzenden absoluten Engpasses einer ausreichenden Anzahl für die Ausbildung zur Verfügung stehender geeigneter Patienten würde sich allerdings in erheblich höheren Zulassungszahlen niederschlagen und könnte deswegen einen Zustand schaffen, der der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als der jetzige (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972, a.a.O. Rn. 89). Insbesondere besteht die Gefahr, dass die Ausbildungsqualität ernsthaft gefährdet wird (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschluss vom 03. Juni 1980 a.a.O. Rn. 40).

Aus diesen Gründen hat es die Kammer im Beschluss vom 30. März 2016 – VG 30 L 242.15 – juris [WS 2015/16] für gerechtfertigt erachtet, für eine Übergangsfrist von etwa 1 ½ Jahren - also bis einschließlich Sommersemester 2017 - die Bestimmung des § 17a KapVO einschließlich der ihm zu Grunde liegenden Parameter weiterhin anzuwenden, um dem Normgeber einen Ermittlungs- und Anpassungsspielraum einzuräumen und ihm die Möglichkeit offen zu halten, eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Kapazitätsermittlungsnorm zu schaffen. Hieran hält sie auch unter Berücksichtigung der von Antragstellerseite erhobenen Einwände fest. Diese Vorgehensweise ist auch deswegen gerechtfertigt, weil nicht festgestellt werden kann, dass über die vergebenen Studienplätze hinaus an der Charité Studienplatzkapazität besteht. So ist ohne weiteres vorstellbar, dass die nach Auffassung der Kammer notwendigen Nacherhebungen zu einem aus Sicht der Studienplatzbewerber ungünstigeren Ergebnis führt. Hierfür sprechen die Ergebnisse der Erhebungen an der Medizinischen Hochschule Hannover und die – statistisch belegten – Verkürzungen der Liegezeiten der Patienten, die tendenziell zu einer höheren Belastung der Patienten durch Behandlungserfordernisse führen und so durchaus geeignet sind, die für die Ausbildung zur Verfügung stehenden Zeiten zu reduzieren. Aus diesem Grund besteht kein Anlass für die teilweise angemahnte Bestimmung eines „Sicherheitszuschlags“. Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass ein solcher erforderlich ist, um den Normgeber zum Handeln zu bewegen. Das Gericht sieht andererseits trotz der vom Antragsgegner im Klageverfahren VG 30 K 7.16 geäußerten Bedenken keinen Anlass, von der festgelegten Übergangsfrist abzugehen, zumal nicht dargetan ist, ob mit den erforderlichen Nacherhebungen bereits begonnen wurde.

Die weitere Berechnung der Antragsgegnerin auf der Grundlage des – aus den vorstehenden Gründen vorübergehend weiter anzuwendenden – § 17a KapVO ist nicht zu beanstanden. Dass für die Berechnung der patientenbezogenen Kapazität nicht die Zahl der Planbetten, sondern nur die der tatsächlich mit Patienten belegten Betten ausschlaggebend sein kann, versteht sich von selbst. Die Antragsgegnerin hat die Zahl der tagesbelegten Betten für das Jahr 2012 mit 2501, für 2013 mit 2334 und für 2014 mit 2338 angegeben und durch die eidesstattliche Versicherung des Abteilungsleiters des Geschäftsbereichs Unternehmenscontrolling - Klinikumscontrolling der Charité - Universitätsmedizin Herr M... vom 12. Oktober 2015 (Anlage 2 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 13. April 2016) glaubhaft gemacht. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der genannten Zahlen liegen nicht vor. Für die Einzelheiten der Ermittlung der Zahlen mittels eines automatisierten Abfrageprozesses über SAP wird auf das Urteil der Kammer vom 21. August 2013 a.a.O. Rn. 52) Bezug genommen. Abgesehen davon sieht die Kammer - wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (vgl. Beschluss vom 10. Februar 2012 - OVG 5 NC 259.11 - unter Hinweis auf die Beschlüsse vom 28. November 2011 - OVG 5 NC 60.11 u.a. -, juris) - Erklärungen eines in einem öffentlichen Dienstverhältnis stehenden, der Wahrheit verpflichteten Mitarbeiters der Hochschule als glaubhaft an, sofern sie nicht substantiiert in Zweifel gezogen werden, in sich widersprüchlich oder offenkundig falsch sind.

Nachdem die Antragsgegnerin bei der Bestimmung der Zahl der tagesbelegten Betten die mit Privatpatienten belegten Betten - kapazitätsfreundlich - einbezogen hat, kommt es nicht darauf an, ob sie dazu verpflichtet war (vgl. dazu umfassend: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2012 - OVG 5 NC 259.11).

Von den danach durchschnittlich 2391 tagesbelegten Betten sind entsprechend den obigen Ausführungen gemäß § 17a Satz 2 Nr. 1 KapVO 15,5 v.H., also 370,605 als für die patientenbezogene Ausbildung zur Verfügung stehend anzusetzen. Diese Zahl ist gemäß § 17a Satz 2 Nr. 2 KapVO je 1.000 poliklinische Neuzugänge um Eins (Satz 1), höchstens jedoch um 50 v.H. (Satz 2) zu erhöhen. Die Zahl der poliklinischen Neuzugänge beziffert die Antragsgegnerin auf 426.775 woraus sich ein Erhöhungswert von 426,78 ergäbe, der auf 50 v.H. der Zahl nach Nummer 1, also (370,605 ÷ 2 =) 185,303 zu begrenzen ist, so dass sich ein Gesamtwert von (370,605 + 185,303 =) 555,908 ergibt.

Die Ausbildungskapazität erhöht sich gemäß § 17a Satz 2 Nr. 3 KapVO, soweit in außeruniversitären Krankenanstalten vereinbarungsgemäß und auf Dauer Lehrveranstaltungen durchgeführt werden. Ausweislich der vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2015 vorgelegten Kapazitätsunterlagen findet Unterricht am Krankenbett (UaK) für die Charité im Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) und im EGZB (Evangelisches Geriatriezentrum Berlin) statt. Die patientenbezogene jährliche Aufnahmekapazität erhöht sich wegen der Lehrveranstaltungen in außeruniversitären Krankenanstalten jährlich um 30 Studienplätze. Die insoweit von der Antragsgegnerin auf der Basis der dort für die Charité zu erbringenden Lehrveranstaltungsstunden (LVS) vorgenommene Berechnung begegnet keinen Bedenken. Auf die ansonsten für die Kapazitätsberechnung maßgebliche Zahl der für die Ausbildung zur Verfügung stehenden geeigneten Patienten kommt es insoweit nicht an, weil nur die zwischen der Antragsgegnerin und der außeruniversitären Krankenanstalt vereinbarten Lehrveranstaltungen kapazitätserhöhend sind. Eine Befugnis zur prozessualen Geltendmachung eines hinreichenden Ausbildungsangebotes, etwa durch die Verpflichtung der Hochschule zur Einbeziehung von Patienten in weiteren außeruniversitären Krankenanstalten, kommt nur für Studierende in Betracht; im Kapazitätsstreit kann sich der Studienplatzbewerber nicht darauf berufen (Beschluss der Kammer vom 12. August 2008 – VG 30 A 6.08 – SoSe 2008 – B.A. S. 12; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. April 2009 - OVG 5 NC 174.08 – SoSe 2008 - UA S. 9. -). Dass das so genannte E-Learning nicht den nach der ÄApprO erforderlichen Unterricht am Krankenbett ersetzen und damit die patientenbezogene Kapazität erweitern kann, versteht sich von selbst (vgl. auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. März 2014 - OVG 5 NC 69.13, juris Rn. 14 m.w.N.).

Insgesamt ergibt sich damit eine jährliche Aufnahmekapazität von 585,908.

Die ermittelte Basiszahl ist auch nach der Einführung des § 17a KapVO gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 16 KapVO um einen Schwundausgleichsfaktor zu erhöhen. Ein solcher lässt sich nach vollständigem „Durchlauf“ des Curriculums hinlänglich präzise bestimmen. Zweck des Schwundausgleichs ist es, Lehrangebot, das wegen Studienabbruchs, Fach- oder Hochschulwechsels von Studierenden in höheren Fachsemestern nicht ausgeschöpft wird, durch eine Erhöhung der Aufnahmekapazität im Anfangssemester zu nutzen, wobei hierfür die Austauschbarkeit aller im Studienverlauf nachgefragten Lehre fingiert wird. Die im Schwundausgleichsfaktor zum Ausdruck kommende Prognose der Zahl derjenigen Studienanfänger, die ihr im ersten Semester aufgenommenes Studium in der Zukunft nicht bzw. nicht an der Antragsgegnerin fortsetzen, erfolgt unter Berücksichtigung des Studierverhaltens in der Vergangenheit. Maßgeblich ist die Zahl der jeweils eingeschriebenen Studierenden über einen durch die Dauer des Studiengangs bzw. Studienabschnitts vorgegebenen Zeitraum. Wegen der vom Regelstudiengang abweichenden Ausbildungs- und Prüfungsstruktur des Modellstudiengangs kann die erforderliche Prognose nur aufgrund des Studierverhaltens seit Einführung des Modellstudiengangs getroffen werden.

Unter Einbeziehung des Übergangs vom Wintersemester 2015/16 auf das Sommersemester 2016 ergibt sich aufgrund der mit dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 17. Juni 2016 vorgelegten Zahlen der im Sommersemester 2016 in den letzten zehn Fachsemestern immatrikulierten Studierenden folgende Berechnung:

Hierdurch erhöht sich die Basiszahl auf 618,5031(585,908 ÷ 0,9473). Bei halbjährlicher Zulassung entfallen 309 Studienplätze auf das Sommersemester 2016.

Die Kammer hält es für die Zwecke der mit Hilfe der Schwundquotenberechnung erstellten Prognose des zukünftigen Studierverhaltens grundsätzlich für angebracht, auf die für das jeweilige Semester zu einem einheitlichen Stichtag erstellte und damit vergleichbare Zahlen liefernde amtliche Studierendenstatistik einschließlich der beurlaubten Studierenden zurückzugreifen. Sie folgt damit weiterhin der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vom 24. August 2013 - OVG 5 NC 118.12- und anderer Obergerichte (etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Niedersachsen vom 22. August 2013 - 2 NB 394.12, Sächsisches Oberverwaltungsgericht - vom 20. Februar 2013 - NC 2 B 62.12 - alle juris). Die Berücksichtigung anderer für unterschiedlichste statistische Zwecke ermittelter Zahlen scheidet - jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - aus. Eine im Einzelfall fehlerhafte Zuordnung von Studierenden hat an dieser Stelle - anders als bei der Ermittlung freier Plätze in höheren Semestern - auch rechnerisch nur zu vernachlässigende Auswirkungen. Die verbliebenen Studierenden des Regelstudienganges, die aufgrund von Beurlaubungen u.ä. im 9. Fachsemester (ein/e Studierende/r) und 10. Fachsemester (4 Studierende) geführt und statistisch seit Wintersemester 2014/2015 getrennt von denen des Modellstudienganges ausgewiesen werden, dürften dagegen nicht einzubeziehen sein, weil deren Studierverhalten wenig über das Verhalten der Studierenden im Modellstudiengang aussagt. Dies kann jedoch mangels Ergebnisrelevanz offenbleiben, weil sich die Schwundquote bei Einbeziehung dieser Studierenden lediglich auf 0,9494 verringerte, was zu einer jährlichen Zulassungszahl von 617,135 und für das Sommersemester 2016 zu (nur) 308 Studienplätzen führte.

Die Antragsgegnerin hat über die errechnete Kapazität hinaus weitere 17 Studienplätze und damit im gegenwärtigen Sommersemester 2016 insgesamt 326 Studienplätze kapazitätswirksam an aktuelle Studienplatzbewerber vergeben, so dass weitere Studienplätze nicht zur Verfügung stehen. Die Abweichung dieser Zahl von den in der offiziellen Studierendenstatistik für das 1. Fachsemester ausgewiesenen Einschreibezahlen erklärt sich dadurch, dass anders als bei der Schwundquotenberechnung nur die im verfahrensgegenständlichen Semester neu vergebenen Studienplätze und nicht die statistisch weiter im ersten Semester gezählten Beurlaubten berücksichtigt werden. Durch Höherstufungen und Exmatrikulationen sind keine an die Antragsteller zu vergebenen Plätze frei geworden. Aus der dienstlichen Erklärung der Frau P... vom 20. Mai 2016 (Anlage zum Schriftsatz vom 26. Mai 2016 – Kapazitätsunterlagen) und dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 17. Juni 2016 (Kapazitätsunterlagen) ergibt sich jedoch, dass die Antragsgegnerin vor dem Stichtag 31. Mai 2016 fünf Exmatrikulationen vorgenommen hat. Ferner hat die Antragsgegnerin 10 Zulassungen im Vergleichswege ausgesprochen, die ebenfalls nicht kapazitätswirksam sind, so dass sich die Zahl von ursprünglich 341 erfolgten Zulassungen auf (341 - 10 - 5 =) 326 reduziert. Die Zahl von 326 Zulassungen übersteigt allerdings weiterhin die rechnerische Kapazität. Detaillierte Zulassungs-, Immatrikulations- und Beurlaubungslisten waren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht von der Antragsgegnerin anzufordern. Ihre diesbezüglichen Erläuterungen erscheinen der Kammer schlüssig.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes (Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl. I S. 718). Wegen der Höhe des Streitwerts wird auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. März 2016 - OVG 5 L 5.16 - m.w.N. verwiesen.