VG Berlin, Beschluss vom 21.07.2016 - 33 K 261.15 V
Fundstelle
openJur 2016, 9036
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten ist abzulehnen. Gemäß § 166 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 S. 1 der Zivilprozessordnung erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zwar bereits dann anzunehmen, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist (vgl. Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 30. EL Februar 2016, § 166, Rn. 29 m.w.N.). Dies ist hier jedoch nicht der Fall, die Rechtsverfolgung des Klägers hat aus den nachstehenden Gründen bei der im Prozesskostenhilfeverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg.

Der Kläger wehrt sich gegen den Widerruf eines ihm erteilten Visums. Mit der Klageschrift hat er als Hauptanträge zum einen die Aufhebung des Widerrufsbescheids vom 4. August 2015 und zum anderen die Verpflichtung der Beklagten, ihm das nationale Visum wieder zu erteilen, angekündigt.

Der Antrag, den Widerrufsbescheid aufzuheben, hat keine Aussicht auf Erfolg. Rechtsgrundlage des Widerrufs ist § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Danach kann der Aufenthaltstitel des Ausländers widerrufen werden, wenn er noch nicht eingereist ist. Dies ist hier der Fall, der Kläger ist noch nicht eingereist. In diesem Fall besitzt die Behörde einen weiten Ermessensspielraum für einen Widerruf (vgl. Graßhof, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 10. Edition, Stand: 01.02.2016, § 52 AufenthG, Rn. 12), Anlass dazu kann vor allem bei einer Veränderung der Entscheidungsgrundlage bestehen, etwa bei nachträglichem Eintritt oder Bekanntwerden eines Ausweisungsgrunds (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 52 AufenthG, Rn. 10). Danach sind vorliegend auch Ermessensfehler nicht zu erkennen.

Insbesondere liegt kein Fall des sog. Ermessensausfalls vor. Zwar ist der Widerrufsbescheid äußerst knapp gehalten und auch die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Beigeladenen lassen ausführliche Ermessenserwägungen nicht erkennen. Bereits die aus dem Bescheid zu entnehmende Begründung genügt aber den Anforderungen an eine Ermessensausübung. Denn ein Ermessensausfall ist nur anzunehmen, wenn die Behörde ersichtlich entweder die Rechtslage überhaupt nicht prüft oder sich aufgrund einer falschen Beurteilung der Rechtslage zum Erlass des angegriffenen Bescheides im Sinne einer gebundenen Entscheidung verpflichtet gesehen hat (vgl. Voßkuhle, JuS 2008, 117, 118). Indem die Botschaft vorliegend im Widerrufsbescheid angeführt hat, es bestünden Bedenken gegen die Einreise des Klägers in das Bundesgebiet, die bei Erteilung des Visums noch nicht bekannt gewesen seien, hat sie jedoch eine über den reinen Tatbestand des § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG – noch nicht erfolgte Einreise – hinausgehende Begründung abgegeben. Hätte sich die Botschaft rechtsfehlerhaft bereits aufgrund des Tatbestandes gebunden gesehen, das Visum zu widerrufen, so hätte es dieser Begründung nicht bedurft. Die Kammer kann daher nicht erkennen, dass die Botschaft von dem ihr eingeräumten Ermessen überhaupt keinen Gebrauch gemacht hat.

Auch sonstige Ermessensfehler sind vorliegend nicht ersichtlich. Zwar sind Ermessenserwägungen nicht aufgrund einer Reduzierung des Ermessens auf Null im Sinne einer gebundenen Entscheidung entbehrlich gewesen. Denn soweit – wofür einiges spricht – der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 S. 1 AufenthG im Rahmen des Widerrufsermessens zu einer Reduzierung des Ermessens im Sinne einer zwingenden Widerrufsentscheidung führen sollte, so galt dies jedenfalls noch nicht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung (auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung dürfte es trotz BVerwG, Urteil v. 13. April 2010 – 1 C 10/09, NVwZ 2010, 1369, hier nicht ankommen, da der Widerruf noch vor Begründung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte), d.h. im August 2015 war zwar die heute noch geltende Neuregelung in § 5 Abs. 4 AufenthG bereits in Kraft getreten. Jedoch galten zum damaligen Zeitpunkt die von § 5 Abs. 4 S. 1 AufenthG in Bezug genommenen Regelungen in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AufenthG noch nicht, die erst zum 1. Januar 2016 in Kraft getreten sind (vgl. Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015, BGBl. I S. 1386, 1399).

Die Beklagte hat nach Auffassung der Kammer aber – jedenfalls in Zusammenschau mit den nach § 114 S. 2 VwGO zulässigerweise (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 5. September 2006 – 1 C 20/05, NVwZ 2007, 470, 471) im gerichtlichen Verfahren ergänzten Erwägungen – ihre Ermessensentscheidung hinreichend und ohne ersichtliche Fehler in der Ermessensausübung begründet. Insbesondere hat sie den entscheidungserheblichen Sachverhalt rechtsfehlerfrei ermittelt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Beklagte lediglich die Informationen der Sicherheitsbehörden ungeprüft übernommen hätte. Denn anders als im Rahmen einer strafgerichtlichen Verurteilung bedarf es bei der Prüfung eines Widerrufs, der sich der Sache nach auf ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bezieht, keiner alle Zweifel ausschließenden Gewissheit. Es handelt sich insoweit letztlich um Gefahrenabwehrrecht, in dem gilt: Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist und je weitreichender es durch die jeweiligen Handlungen beeinträchtigt würde, desto geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundiert dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die Gefährdung des Rechtsguts schließen lassen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Oktober 2015 – OVG 6 S 24.15, BeckRS 2015, 53227). In Anbetracht der hier in Rede stehenden Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, die nach den vorliegenden Informationen der Sicherheitsdienste bei Einreise des Klägers gefährdet wären, war die Beklagte berechtigt, ohne weitergehende eigene Ermittlungen oder die Einholung vertiefter Informationen bei den Sicherheitsbehörden diese Gefahr in ihre Betrachtung einzustellen und das Visum zu widerrufen.

Auch der weitere Hauptantrag des Klägers, ihm das Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung wieder zu erteilen, hat ebenso wie der noch angekündigte Hilfsantrag, die Beklagte zu einer Neubescheidung des Visumsantrags des Klägers zu verpflichten, keine Aussicht auf Erfolg. Die Klage ist insoweit jedenfalls unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Visums. Denn im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Visums kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. Mittlerweile sind jedoch die von § 5 Abs. 4 S. 1 AufenthG in Bezug genommenen Regelungen in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AufenthG in Kraft getreten. Danach ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 AufenthG besteht, wenn also der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (Nr. 2) oder sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht (Nr. 4).

Dies ist nach den der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnissen der Fall. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 AufenthG ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch den Ausländer auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

In der Zusammenschau rechtfertigen Tatsachen die Schlussfolgerung, dass der Kläger sowohl einer Vereinigung angehört, die den Terrorismus unterstützt, als auch selbst eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet (hat). Auch insoweit gilt wiederum, dass es bei der Feststellung eines Ausweisungsinteresses im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG keiner alle Zweifel ausschließenden Gewissheit bedarf. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift genügt es vielmehr, dass eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland vorliegt und Tatsachen die Schlussfolgerung auf ein tatbestandsmäßiges Verhalten rechtfertigen. Eben solche Tatsachen, die den Schluss auf ein ausweisungswürdiges Verhalten des Klägers rechtfertigen, vermitteln die in den Behördenzeugnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes niedergelegten Erkenntnisse der deutschen und französischen Sicherheitsbehörden in Zusammenschau mit den Feststellungen im vom Kläger eingereichten Tatbestand des Beschlusses des tunesischen Kassationsgerichtes, aus dem hervorgeht, dass Polizeibeamte auf den Kläger durch dessen Verhalten aufmerksam geworden sind und bei einer Durchsuchung tragbare PC gefunden worden seien, auf denen sich Dossiers mit jihadistischem Charakter befunden hätten; zuvor hätten die Polizeibeamten zudem Informationen über die Zugehörigkeit des Klägers zur Ansar al-Scharia, einer der Al Qaida nahestehenden terroristischen Organisation (vgl. https://www.un.org/sc/suborg/sites/www.un.org.sc.suborg/files/1267.pdf, dort QDe.143, S. 54, abgerufen am 18. Juli 2016), bekommen.

Auf die Prüfung der Bedürftigkeit des Klägers kommt es danach nicht mehr an.

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