FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.07.2016 - 10 K 10272/14
Fundstelle
openJur 2016, 9004
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, die Bescheide vom 7. März 2014 für die Jahre 2007, 2008, 2009 und 2010 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13. August 2014 dahin gehend abzuändern, dass für das Streitjahr 2007 Altersvorsorgezulage in Höhe von 390 € und für die Streitjahre 2008, 2009 und 2010 jeweils Altersvorsorgezulage in Höhe von 524 € festgesetzt wird.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin für die Beitragsjahre 2007 bis 2010 Altersvorsorgezulage in Form der Kinderzulage für ihre beiden Kinder B…, geboren am 27. Juli 2004, und C…, geboren am 27. Februar 2006, zusteht.

Die Klägerin lebt mit dem Kindesvater mindestens seit 2006 ununterbrochen in Form einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen. Auf Antrag des Kindesvaters zahlte die Familienkasse seit 2007 bis zumindest 2010 das Kindergeld für die beiden Kinder an die Klägerin aus.

Die Klägerin schloss vor Beginn des Streitzeitraumes einen nach dem Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz zertifizierten Altersvorsorgevertrag bei einem entsprechenden Anbieter ab. Dieser Altersvorsorgevertrag bestand über den Streitzeitraum hinweg fort.

Für die Streitjahre zahlte die Beklagte auf klägerischen Antrag hin zunächst Altersvorsorgezulage einschließlich Kinderzulage aus, nämlich für das Beitragsjahr 2007 390 € und für die Beitragsjahre 2008 bis 2010 jeweils 524 €.

Im Rahmen einer im Mai 2012 durchgeführten Überprüfung verlangte die Beklagte vom Anbieter die gewährten Kinderzulagen wieder zurück, nämlich für das

BeitragsjahrBetrag2007   276 €2008   370 €2009   370 €2010   370 €Die Anbieterbescheinigung, welche erstmals diese Rückforderungen darstellt, weist das Absendedatum 29. Juni 2013 auf.

Auf einen entsprechenden Festsetzungsantrag der Klägerin hin setzte die Beklagte mit Bescheiden vom 7. März 2013 für die Streitjahre jeweils allein die Grundzulage fest. Die Festsetzung von Kinderzulagen verweigerte die Beklagte mit der Begründung, nach Auskunft der zuständigen Familienkasse sei für das jeweilige Beitragsjahr Kindergeld weder an die Klägerin noch gegebenenfalls an ihren Ehegatten gezahlt worden.

Den dagegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 13. August 2014 als unbegründet zurück. Kindergeldberechtigter sei im Streitzeitraum der Kindesvater gewesen. Kinderzulageberechtigt sei diejenige Person, welche für das zu berücksichtigende Kind für mindestens einen Monat des Beitragsjahres Kindergeld ausgezahlt erhalte. § 85 Einkommensteuergesetz (EStG) stelle hinsichtlich der Auszahlung des Kindergeldes auf den Kindergeldberechtigten ab. Werde einem anderen als dem Kindergeldberechtigten das Kindergeld ausgezahlt, sei auf die Festsetzung des Kindergeldes für die Zulageberechtigung abzustellen. Die Kindergeldfestsetzung im Streitzeitraum sei jedoch zu Gunsten des Kindesvaters geschehen.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, schon aus dem Wortlaut des § 85 EStG ergebe sich eindeutig, dass Anspruch auf Kinderzulage derjenige habe, an den das Kindergeld tatsächlich ausgezahlt worden sei. Zumindest habe sie aber gemäß § 85 Abs. 2 EStG analog Anspruch auf die Kinderzulage für die Streitjahre. Sie und der Kindesvater führten immerhin eine Lebensgemeinschaft, welche mit einer Lebensgemeinschaft, die in einer Ehe bestehe, identisch sei. Von daher sei es nicht gerechtfertigt, sie als Mutter im vorliegenden Fall anders zu behandeln als miteinander verheiratete Kindeseltern.

Nachdem die Klägerin schriftsätzlich u.a. den Antrag angekündigt hatte, die Beklagte zu verurteilen, an sie Altersvorsorgezulagen für das Jahr 2007 in Höhe von 390 €, für das Jahr 2008 in Höhe von 524 €, für das Jahr 2009 in Höhe von 524 € und für das Jahr 2010 in Höhe von 524 € zu zahlen, stellte sie in der mündlichen Verhandlung den Antrag,die Bescheide vom 7. März 2014 für die Jahre 2007, 2008, 2009 und 2010 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13. August 2014 dahin gehend abzuändern, dass für das Streitjahr 2007 Kinderzulage in Höhe von 390 € und für die Streitjahre 2008, 2009 und 2010 jeweils Kinderzulage in Höhe von 524 € festgesetzt wird.

Die Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest. Auch im Schreiben des BMF vom 24. Juli 2013 (Bundessteuerblatt – BStBl. – I 2013, 1022), Rz 43/44, werde davon ausgegangen, dass die Festsetzung des Kindergeldes für den Zulageberechtigten maßgeblich sei, wenn das Kindergeld einem anderen als dem Kindergeldberechtigten ausgezahlt werde. Soweit der Gesetzeswortlaut auf die Auszahlung des Kindergeldes abstelle, sei dies interpretationsbedürftig. Insbesondere der Gesetzeszweck, wonach die Kinderzulage demjenigen zukommen solle, der wegen der Kindererziehung nur eingeschränkte Möglichkeiten zum Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge habe, spreche gegen die Ansicht der Klägerin, allein auf die Auszahlung im vorliegenden Streitfall abzustellen. § 85 Abs. 2 Satz 1 EStG spreche zudem dagegen, dass der Gesetzgeber eine beliebige Übertragung der Kinderzulage durch Steuerung des Kindergeldbezuges gewollt habe.

Gründe

Die Klage ist als Verpflichtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 2. Alt. der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig und begründet.

Dabei ist der zuletzt gestellte Klageantrag nicht wörtlich so zu verstehen, dass die Klägerin die Festsetzung allein von Kinderzulagen in überhöhter Höhe erreichen möchte. Erkennbar beruht die Verwendung des Begriffs „Kinderzulage“ im in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf einem Versehen, wie sich aus dem gesamten Sachvortrag der Klägerin ergibt, dem eindeutig zu entnehmen ist, dass die Klägerin die Festsetzung der Kinderzulagen zusätzlich zur schon erfolgten Festsetzung der Grundzulagen für die Streitjahre erreichen möchte. Das hatte der ursprünglich angekündigte Antrag auch eindeutig umfasst. Die im Antrag genannten Beträge sind denn auch die Summen der jeweiligen Grund- und Kinderzulagen.

Das Klagebegehren der Klägerin so verstanden, wird sie durch die angefochtenen Bescheide in der Fassung der Einspruchsentscheidung in ihren Rechten verletzt, da diese rechtswidrig sind, § 101 Satz 1 FGO. Die Beklagte hat zu Unrecht die Festsetzung der Kinderzulage für die Streitjahre im von der Klägerin beantragten Umfang verweigert, da die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung der Kinderzulage für ihre beiden Kinder erfüllt. Dass das Kindergeld vom Kindesvater beantragt und an die Klägerin lediglich ausgezahlt wurde, steht der begehrten Festsetzung der Kinderzulage dabei nicht entgegen.

Nach § 79 EStG erhalten Personen, die die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, Altersvorsorgezulage. Dass dies bei der Klägerin der Fall ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Demgemäß hat die Beklagte auch für die Streitjahre an den Anbieter des von der Klägerin abgeschlossenen Altersvorsorgevertrages die jeweilige Grundzulage ausgezahlt sowie in den angefochtenen Bescheiden entsprechende Festsetzungen vorgenommen.

Die Klägerin hat jedoch auch Anspruch auf die Kinderzulagen in der beantragten Höhe.

§ 85 EStG bestimmt, dass die Kinderzulage für jedes Kind, für das dem Zulagenberechtigten Kindergeld ausgezahlt wird, jährlich 185 Euro beträgt. Nach § 85 Abs. 1 Satz 4 EStG steht im Falle, dass mehrere Zulageberechtigte für dasselbe Kind Kindergeld erhalten, die Kinderzulage demjenigen zu, dem für den ersten Anspruchszeitraum im Sinne von § 66 Abs. 2 EStG im Kalenderjahr Kindergeld ausgezahlt wird.

Maßgebliche Fassung einer zwischenzeitlich geänderten Vorschrift, die dem Urteil zu Grunde zu legen ist, ist bei Verpflichtungsklagen, mit denen der Erlass gebundener Verwaltungsakte angestrebt wird, diejenige zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) (vgl. BFH, Urteile vom 27. Januar 2016 X R 23/14, juris, und vom 14. März 2012 XI R 33/09, BStBl. II 2012, 477). Soweit § 85 EStG zwischenzeitlich Änderungen im Wortlaut erfahren hat, ist der Entscheidungsfindung des Gerichts demzufolge die aktuelle Fassung mit den nachstehend dargelegten Einschränkungen zu Grunde zu legen.

Nach dem Wortlaut des § 85 Abs. 1 Satz 4 EStG  kommt es hinsichtlich der Person, der die Kinderzulage zusteht, darauf an, wer das Kindergeld für das betreffende Kind, für welches die Kinderzulage beansprucht wird, tatsächlich ausgezahlt erhalten hat. Das ist im zu entscheidenden Fall die Klägerin gewesen. Der Senat sieht keine hinreichende Veranlassung, vom eindeutigen Gesetzeswortlaut in der von der Beklagten vertretenen Weise abzuweichen.

Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung). Zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen. Insbesondere bei der Auslegung einer Norm nach ihrem Wortlaut ist zu berücksichtigen, dass diese nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden darstellt, zu denen auch die systematische Auslegung zählt. Nach Letzterer ist darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gebracht hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind. Ziel jeder Auslegung ist danach die Feststellung des Inhalts einer Norm, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Norm hineingestellt ist. Gegen seinen Wortlaut ist die Auslegung eines Gesetzes allerdings nur ausnahmsweise möglich, wenn nämlich die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann oder wenn sonst anerkannte Auslegungsmethoden dies verlangen (vgl. BFH, Urteil vom 21. Oktober 2010 IV R 23/08, BStBl II 2011, 277 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Zu einem solchen sinnwidrigen Ergebnis führt die Auslegung nach dem Wortlaut hier gerade nicht.

§ 85 EStG steht im Kontext mit der übrigen verfahrensmäßigen Ausgestaltung des Altersvorsorgezulagezahlungsverfahrens, welches in besonderer Weise auf Schnelligkeit, Einfachheit und Effizienz ausgerichtet ist (vgl. BFH, Urteil vom 22. Oktober 2014 X R 18/14, BStBl. II 2015, 371). Dem hat eine Auslegung Rechnung zu tragen. Es muss für die Finanzverwaltung ohne größeren Aufwand möglich sein, den berechtigten Empfänger der Kinderzulage festzustellen, wenn mehrere Kindergeldberechtigte vorhanden sind, wie hier die zusammen wohnenden Kindeseltern, §§ 63 Abs. 1 Nr. 1, 64 Abs. 2 EStG. Dies trifft auf die Feststellung, an wen das Kindergeld tatsächlich ausgezahlt wurde, zu. Dass es ebenso leicht sein dürfte festzustellen, für wen im Streitzeitraum das Kindergeld festgesetzt worden war, ist unerheblich, da der Gesetzgeber insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum hat, an welches sachgerechte Merkmal er anknüpft.

Die Anknüpfung an die tatsächliche Auszahlung des Kindergeldes für den Kinderzulagebezug verstößt nicht gegen den Sinn und Zweck der Regelung in § 85 EStG. Die Einführung der Kinderzulage und die Regelung des § 85 EStG hat der Gesetzgeber seinerzeit folgendermaßen begründet (vgl. Bundestags(BT-)Drucksache 14/5150 vom 25. Januar 2001, S. 36 unter „Zu den Absätzen 3 und 4“):

„Neben der Grundzulage wird noch für jedes beim Zulageberechtigten zu berücksichtigende Kind eine Kinderzulage gezahlt. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Eltern wegen der Kindererziehung nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Erzielung von Erwerbseinkommen und damit zum Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge haben. Für die Kinderberücksichtigung wird zum einen darauf abgestellt, dass die Betroffenen für das zu berücksichtigende Kind entweder Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag erhalten, und zum anderen das Kind dem Haushalt der Begünstigten zuzuordnen ist. Beide Voraussetzungen müssen gegeben sein. Bei in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Kind lebenden Kindergeldberechtigten (Eltern, Großeltern, Pflegeeltern oder Stiefeltern) geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Entscheidung über den Erhalt der Zulage sachgerecht von den Beteiligten selbst getroffen werden kann. Wird keine Bestimmung getroffen, ordnet der Gesetzgeber angesichts der gesellschaftlichen Realität, dass Kindererziehung überwiegend von der Mutter geleistet wird, das Kind der Mutter, Großmutter, Pflegemutter oder Stiefmutter zu. …“

Der Gesetzgeber spricht in der Gesetzesbegründung erneut von „Kindergeld erhalten“, was die Auslegung des Senates bestätigt. Darüber hinaus wird aus der Gesetzesbegründung deutlich, dass der Gesetzgeber auch die Fallkonstellation bedacht hat, dass mehrere Kindergeldberechtigte die gemeinsamen Kinder in einen gemeinsamen Haushalt aufgenommen haben. Es soll dann den Kindergeldberechtigten überlassen bleiben, eine sachgerechte Regelung über den Erhalt der Kinderzulage zu treffen. Warum dann eine „Berechtigtenbestimmung“ über die Steuerung der Auszahlung des Kindergeldes den Gesetzeszweck des § 85 Abs. 2 Satz 1 EStG entfallen lassen würde, wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 18. Dezember 2014 meint, entzieht sich dem Verständnis des Gerichts. Denn einerseits ist § 85 Abs. 2 Satz 1 EStG im Streitfall überhaupt nicht einschlägig für die Entscheidung, ob der Klägerin Kinderzulagen zustehen, da in § 85 Abs. 2 Satz 1 EStG miteinander verheiratete Kindergeldberechtigte vorausgesetzt werden, was im Streitfall gerade nicht zutrifft. Und andererseits muss dem Gesetzgeber der Unterschied zwischen Festsetzung und Zahlung bewusst gewesen sein, verwendet er doch auch an anderer Stelle des EStG, wo es um den Kindergeldbezug geht, präzise diese Begrifflichkeiten, so z.B. in § 70 Abs. 1 EStG, wo von der Festsetzung des Kindergeldes die Rede ist, sowie in § 74 Abs. 1 EStG, wo im Fall der so genannten Abzweigung des Kindergeldes gleich mehrfach von „Auszahlung“ oder „ausgezahlt“ gesprochen wird.

Die oben beschriebene Zielsetzung des Gesetzgebers ist trotz späterer Änderungen des § 85 EStG unverändert geblieben (vgl. BT-Drucksache 18/1306 vom 5. Mai 2014, S. 14 „Zu Nummer 2“).

Soweit von der Verwaltung (BMF-Schreiben vom 24. Juli 2013, Rz 43, 44, BStBl. I 2013, 1022) unter Hinweis auf eine Abzweigung des Kindergeldes an eine Behörde bei Unterbringung des Kindes in ein Heim die Auffassung vertreten wird, es komme dann auf die Festsetzung des Kindergeldes für die Zulageberechtigung an, wird diese Auffassung nicht näher begründet. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob er für den Fall der Abzweigung dieser Auslegung folgen könnte. Sie wird offenbar von der Ansicht getragen, es müsse auch in einem solchen Falle stets einen Kinderzulageberechtigten geben. Das ist allerdings deshalb nicht unzweifelhaft, weil die Kinderzulage nach der Gesetzesbegründung gezahlt wird, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Eltern wegen der Kindererziehung nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Erzielung von Erwerbseinkommen und damit zum Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge haben. Eine solche Erziehungsleistung wird allerdings nicht erbracht, wenn das Kind in einem Heim untergebracht ist. Anders ist dies regelmäßig nur, wenn die Kindergeldberechtigte(n) zumindest Unterhaltsleistungen in Höhe des Kindergeldes erbringen, da dann in dem von der Verwaltung herangezogenen Fall grundsätzlich keine Abzweigung des Kindergeldes an die Behörde vorgenommen werden darf (vgl. Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG, Dokumentstand: 03.2015, § 74 EStG Rz 13 mit weiteren Nachweisen). Ähnlich ist es bei einer sonstigen Verletzung der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber einem Kind, die zu einer Abzweigung des Kindergeldes an das Kind und damit einhergehend einer Kindergeldauszahlung unmittelbar an das Kind führen, § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG.

Jedenfalls für den hier zu entscheidenden Fall, dass das Kindergeld gegenüber einem Elternteil festgesetzt, aber dem anderen Elternteil ausgezahlt wird, lässt sich das BMF-Schreiben, an das der Senat ohnehin nicht gebunden ist, weder in der einen noch in der anderen Richtung nutzbar machen. Für die im Schrifttum zu dieser Frage geäußerten Ansichten gilt dies ebenso. So führt Killat in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG, Dokumentstand: 03.2015, § 85 EStG Rz 6, aus, dass der Gesetzgeber eben nicht auf die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 EStG, sondern auf den tatsächlichen Bezug des Kindergeldes abgestellt habe. Dies stützt die Auffassung des erkennenden Senats, dass die tatsächliche Zahlung maßgeblich ist. Nur für den Ausnahmefall, dass bei einer Abzweigung des Kindergeldes dieses an eine Behörde auszuzahlen ist, soll auf die Kindergeldfestsetzung abzustellen sein. Nicht ganz so deutlich stellen Arteaga/Veit in Korn, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Stand: August 2010, § 85 EStG Rz 3.1, zwar grundsätzlich auf die Auszahlung des Kindergeldes ab, wollen aber bei Auseinanderfallen von Kindergeldberechtigung und -auszahlung auf die Kindergeldberechtigung abstellen, wenn das Kindergeld an eine Behörde geleistet wird und auf die Auszahlung selbst abstellen, wenn das Kindergeld unmittelbar an das Kind gezahlt wird. Abgesehen davon, dass diese Differenzierung nicht überzeugt – in beiden Fällen fehlt es gleichermaßen an Erziehungs- oder Unterhaltsleistungen der Eltern – ist damit jedenfalls über den hier zu entscheidenden Fall des Auseinanderfallens von Kindergeldberechtigung und -auszahlung bei in einem Haushalt lebenden Eltern nichts gesagt.

Die Regelung in § 85 Abs. 2 Satz 1 EStG steht der vom Senat vorgenommenen Auslegung des Begriffs Auszahlung in Abs. 1 nicht entgegen, sondern stützt diese vielmehr. Sie zeigt grundsätzlich, dass der Gesetzgeber sogar einer Vereinbarung über die Kinderzulageberechtigte nicht ablehnend gegenüber stand.

Allerdings steht der Klägerin die Kindergeldzulage nicht in jedem Streitjahr in Höhe von 185 Euro jährlich zu.

Zwar beträgt nach der aktuellen Fassung des § 85 Abs. 1 Satz 1 EStG die Kinderzulage für jedes Kind, für das dem Zulageberechtigten Kindergeld ausgezahlt wird, jährlich 185 €. Abweichend davon gilt nach Auffassung des Senates auf Grund ausdrücklicher Regelung in Art. 1 Nr. 22 Buchstabe a des Gesetzes zur verbesserten Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen – Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung – BürgEntlG KV – vom 22. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt – BGBl. – I 2009, 1959) der Satz von 185 € je Kind und Jahr im Streitfall jedoch nicht für alle Streitjahre, da Art. 1 Nr. 22 Buchstabe a BürgEntlG KV bestimmt, dass die Fassung des EStG mit den Änderungen durch das BürgEntlG KV erstmals für den Veranlagungszeitraum 2010 anzuwenden ist. Hinsichtlich der Höhe der Kinderzulagen bleibt es damit bei den Beträgen, die die Klägerin bereits zum Gegenstand ihres Antrages gemacht hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).