LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 08.07.2015 - L 13 VJ 16/12
Fundstelle
openJur 2016, 8909
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt an der Oder vom 18. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der im Jahr 2000 geborene Kläger begehrt die Zuerkennung von Versorgungsleistungen infolge eines von ihm geltend gemachten Impfschadens.

Seine Erkrankung an Diabetes mellitus Typ I, derentwegen bei ihm ein GdB von 50 festgestellt wurde, führt er auf folgende Impfungen zurück:

a. 28.2.2001 mit Infanrix hexa,b. 4.4.2001 mit Infanrix hexa,c. 10.5.2001 mit Infanrix hexa,d. 11.3.2002 mit Infanrix hexa,e. 27.8.2002 mit Priorix,f. 8.10.2002 mit Prevenar,g. 17.7.2003 mit Infanrix hexa,h. 14.8.2003 mit Prevenar.

Mit Ausnahme der Impfung am 17. Juli 2003 entsprachen die Impfungen in Brandenburg den öffentlichen Empfehlungen. Eine solche gab es jedoch für die 5. Dosis Infanrix hexa am 17. Juli 2003 nicht.

Im März 2004 zeigte eine Blut- und Harnuntersuchung keine Anzeichen des Diabetes. Ende Mai 2004 traten Symptome auf, derentwegen der Kläger später in der Charité stationär aufgenommen wurde, wo am 10. Juni 2004 die Diagnose insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ I gestellt wurde. Am 16. September 2005 beantragte der Kläger beim Beklagten Versorgungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13. September 2006 ab und hielt daran auch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2007 fest.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. H. In dessen Gutachten vom 4. November 2008 hat der Sachverständige u.a. ausgeführt, beim Kläger habe eine Anfälligkeit gegen Infektionen bestanden, er habe unter Neurodermitis gelitten, und es hätten Allergien bestanden gegen Weizen, Zitrusfrüchte, Tomaten und Schweinefleisch. Der Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, eine Ursächlichkeit der Impfungen für die Entstehung des Diabetes mellitus Typ I beim Kläger sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Es handle sich um eine Erkrankung, deren Entstehung bis heute nicht genau und im Detail geklärt sei. Neben genetischen Faktoren komme auch Umweltfaktoren eine wichtige Stellung zu. Hierzu zählten etwa Virusinfektionen, intensiv diskutiert würden aber auch zu kurze Stilldauer, zu frühe Gabe von Kuhmilchproteinen, zu frühe Verwendung glutenhaltiger Kost und immuntoxische Giftstoffe. Erwähnenswert sei die lange Zeitspanne zwischen dem immunologischen Auslöser und dem klinischen Beginn der Erkrankung. Nach epidemiologischen Studien liege kein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ I nach einer bestimmten Impfung vor. Allerdings litten diese Studien daran, dass keine komplett ungeimpfte Kontrollgruppe zur Verfügung gestanden hätte. Sehr selten könnten jedoch beim Menschen nach Impfungen Autoimmunreaktionen beobachtet werden. Der wissenschaftliche Kenntnisstand sei unzureichend. Bei genetisch disponierten Patienten könnten nach Anwendung der hier verwandten Präparate postvakzinale autoimmunologisch vermittelte Komplikationen vorkommen. Die Zeitspanne zwischen Auftreten des Diabetes und den Impfungen lasse eine Ursächlichkeit plausibel erscheinen. Allerdings sei in der Krankengeschichte eine Vielzahl von Infektionen zu verzeichnen, die ebenfalls als exogene Auslösefaktoren des Diabetes in Frage kämen. Insgesamt empfehle er eine Kann-Versorgung.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. Januar 2012 abgewiesen.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung beantragt der Kläger,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt an der Oder vom 18. Januar 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 13. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2007 zu verpflichten, Diabetes Mellitus Typ I als gesundheitliche Folge eines Impfschadens aufgrund der bei dem Kläger zwischen dem 28. Februar 2001 und dem 14. August 2003 vorgenommenen Impfungen anzuerkennen und ihm ab dem 16. September 2005 dem Grunde nach Versorgungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren,

hilfsweise, gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz den Sachverständigen Prof. Dr. W. H, mit der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu beauftragen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Versorgungsleistungen nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG hat.

Gem. § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG in der hier einzig in Betracht kommenden Variante erhält Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer durch eine Schutzimpfung, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Die Voraussetzungen der Versorgungsgewährung lagen hier schon deshalb nicht vor, weil es sich bei den Impfungen, die der Kläger als ursächlich für sein Diabetesleiden betrachtet, nicht um öffentlich empfohlene Impfungen im Sinne des § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG handelt. Es handelt sich bei der Vorschrift um eine gesetzliche Umsetzung des sog. Aufopferungsanspruches. Sinn und Zweck ist es, jemandem, der es aufgrund einer öffentlichen Empfehlung zum Schutz der Allgemeinheit vor Infektionsrisiken auf sich nimmt, sich einer in gewissem Umfang stets risikobehafteten Schutzimpfung zu unterziehen, eine Versorgung zu gewähren, wenn sich in seiner Person gerade das der spezifischen Impfung immanente Risiko verwirklicht und er deshalb einen Schaden erleidet. Ein Anspruch besteht hingegen grundsätzlich dann nicht, wenn der Schaden durch eine Impfung verursacht worden ist, die nicht von der öffentlichen Empfehlung gedeckt ist (BSG, Urteil vom 20. Juli 2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, Juris Randnr. 26). Insoweit muss sich ein Betroffener auf etwaige Haftungsansprüche gegen den impfenden Arzt oder das Pharmaunternehmen oder gleichgelagerte Ansprüche verweisen lassen.

So liegt es aber hier, denn im Falle des Klägers ist – zwischen den Beteiligten unstreitig – von der öffentlichen Impfempfehlung abgewichen worden, indem er eine fünfte Impfung mit dem Präparat Infanrix hexa am 17. Juli 2003 erhalten hat.

Aber selbst wenn man davon ausginge, die über die öffentliche Empfehlung hinausgehende Impfgabe sei nicht anspruchsschädlich, wäre die Berufung unbegründet.

Die zitierte Vorschrift des IfSG verlangt für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen. Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen. Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.

Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog. Vollbeweis – feststehen, und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (§ 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr. 9). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind. An letzterem fehlt es hier. Es steht im Ergebnis der bereits in erster Instanz durchgeführten Beweiserhebung durch Einholung eines Gutachtens für den Senat fest, dass die konkrete Entstehung eines Diabetes mellitus Typ I bis heute ungeklärt ist. Mag als eine Ursache eine Impfung der hier streitgegenständlichen Art in Betracht kommen, so finden sich nach den Ausführungen des Sachverständigen daneben auch weitere ebenso in Betracht kommende Ursachen, wie die festgestellten zahlreichen Infektionskrankheiten oder auch die frühe Exposition gegenüber Gluten (beim Kläger wurde eine Weizenallergie festgestellt), so dass eine Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass mehr für als gegen eine Verursachung durch die Impfung spricht, nicht gegeben ist.

Bereits aufgrund des konkreten Inbetrachtkommens dieser anderen Ursachen ist auch die Gewährung der sog. Kann-Versorgung ausgeschlossen. Sie setzt voraus, dass die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. So liegt es aber gerade nicht, wenn wie hier konkret andere auslösende Faktoren in Betracht kommen. Es bedarf daher keiner Entscheidung darüber, ob und ggf. in welchem Umfange in der medizinischen Wissenschaft ein Meinungsstreit über die Verursachung de Diabetes mellitus Typ I durch Impfungen der hier streitgegenständlichen Art besteht.

Im Übrigen nimmt der Senat gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug, der er folgt, und sieht von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Soweit der Kläger die weitere Beweiserhebung nach § 109 SGG beantragt hat, war dem nicht zu folgen. Die weitere Beweiserhebung nach dieser Vorschrift kann abgelehnt werden, wenn mit einer unvertretbar langen Zeit bis zur Gutachtenerstellung zu rechnen ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 109 Rdnr. 5b). Diese Voraussetzungen waren hier gegeben, nachdem der vom Kläger benannte Sachverständige sich zur Gutachtenerstellung zunächst außerstande erklärt hat. Auf die danach gem. § 106a SGG ergangene Auflage zur Benennung eines anderen Sachverständigen hat der Kläger nur durch Wiederholung seines Antrages reagiert, den der Senat zum Anlass genommen hat, sich erneut an den benannten Arzt zu wenden. Auf diese Anfrage vom 5. Juni 2014 hat der Arzt erneut erklärt, sich nicht imstande zu sehen. Am 15. Januar 2015 hat der Kläger mitgeteilt, der benannte Arzt sei nunmehr zur Gutachtenerstellung bereit, weshalb der Senat ihn mit Schreiben vom 29. Januar 2015 abermals zu seiner Bereitschaft befragt und mangels Antwort mit Schreiben vom 18. März 2015 daran erinnert hat. In der Zwischenzeit sind auf Antrag des Klägers zwei bereits angesetzte Termine zur mündlichen Verhandlung wieder aufgehoben worden. Erst nach erneuter Ansetzung eines Verhandlungstermins hat der benannte Arzt mit Schreiben vom 12. Juni 2015 zunächst erneut erklärt, zur Gutachtenerstellung außerstande zu sein, sodann jedoch eine Woche später mitgeteilt, er könne das Gutachten binnen sechs bis zehn Monaten erstellen. Bei dieser Sachlage und gerade auch vor dem Hintergrund der bisherigen Verfahrensdauer des im Jahr 2007 in erster Instanz begonnenen Verfahrens kam bei Beachtung der Pflicht zu einer Sachentscheidung innerhalb angemessener Frist eine Beweiserhebung nach § 109 SGG nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte