LG Erfurt, Urteil vom 16.10.2015 - 8 O 196/15
Fundstelle
openJur 2016, 12794
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt mit Sicherheitsleistungen in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten zur Anfechtbarkeit von erfüllten Steuerverpflichtungen.

Nach Antrag der Schuldnerin - der xxx - hat das Amtsgericht xxx zu Az. xxx zunächst am 21.01.2014 die vorläufige Sachverwaltung des Vermögens nach § 270a InsO angeordnet; zum vorläufigen Sachverwalter wurde der Kläger bestellt (Anlage K 1, Blatt 8, 9 der Akte). Mit weiterem Beschluss des Amtsgerichts xxx vom 01.04.2014 wurde dann das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO verfügt. Zum Sachverwalter wurde gemäß § 270 c InsO der Kläger ernannt (Anlage K 2, Blatt 10 und 11 der Akte).

Der Beschluss zur vorläufigen Sachverwaltung wurde der Beklagten mit Schreiben vom 24.01.2014 bekannt gegeben. Im Zeitraum zwischen beiden Beschlüssen, nämlich vom 07.03.2014 bis zum 26.03.2014 erfolgten von der Schuldnerin die vier Zahlungen auf Umsatzsteuer für Januar und Februar 2014 sowie Lohnsteuer für März 2014 an das zuständige Finanzamt in der streitgegenständliche Höhe von insgesamt 86.384,84 EUR (Anlagen K 3, K 4, K 5, Blatt 12-15 der Akte).

Der Kläger hat in der Folge mit Schreiben vom 14.04.2014 die überwiesenen Zahlungen auf Steuer vom Beklagten zurückgefordert (Anlage K 6, Bl. 16 ff. der Akte).

Er ist der Auffassung, es handele sich um anfechtbare Zahlungen gemäß §§ 129 ff. InsO. Er mache insoweit von seinem Kassenführungsrecht gemäß § 275 Abs. 2 InsO Gebrauch.Der Beklagte könne sich nicht auf den Einwand, es handele sich um Masseverbindlichkeiten, stützen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zur Zahlung von 86.384,84 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 01.04.2014 zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, die erfolgten Zahlungen der Schuldnerin seien Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO. Diese könnte auch in dem Rahmen der Eigenverwaltung durch die Schuldnerin selbst begründet werden, denn es handele sich um normale Geschäfte im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren. Der Beklagte sei deshalb nicht verpflichtet, diese erhaltenen Beträge zur Masse zurückzuführen.

In Ergänzung des Sach- und Streitstoffes und zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Bei den hier streitgegenständlichen Zahlungen der Schuldnerin im Zeitraum nach Antragstellung und Beschlussfassung zur Bestellung eines vorläufigen Sachverwalters und vor der Beschlussfassung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit gleichzeitiger Festlegung der Eigenverwaltung durfte die Schuldnerin im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO Masseverbindlichkeiten begründen.

Zunächst ergibt sich aus § 280 InsO, dass auch im Verfahren der Eigenverwaltung eine Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO von Seiten des Sachverwalters möglich ist. Deshalb können grundsätzlich Rechtshandlungen, die während des Eröffnungsverfahrens vom vorläufig eigenverwaltend handelnden Schuldner vorgenommen werden, nicht von einer Anfechtungsmöglichkeit ausgeschlossen sein, denn auch im vergleichbaren Zeitraum des Tätigseins des vorläufigen Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung wären solche Rechtshandlungen bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO anfechtbar.Anders ist die Situation jedoch zu bewerten im Falle der vorläufigen Eigenverwaltung - wie hier- wenn dem Schuldner keine Verfügungsbeschränkungen durch das beschließende Insolvenzgericht auferlegt wurden. Dann kann und soll der Schuldner Steuern abführen, zumal für derartige Maßnahmen im Beschluss des AG xxx vom 21.01.2014 Wirksamkeitsvoraussetzungen - nämlich die, dass beim Ausgleich solcher Steuerverbindlichkeiten diese nur dann Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO werden können als Folge des späteren Eröffnungsbeschlusses, nicht mit festgelegt wurde.

Der Beschluss des AG xxx vom 21.01.2014 hat der Schuldnerin keine Verfügungsverbote nach deren Antragstellung auf Eigenverwaltung auferlegt und hat gleichermaßen keine Zustimmungsvorbehalte für den bestellten vorläufigen Sachverwalter nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt 2 InsO vorgegeben.

Die mit Wirkung vom 01.01.2011 als § 55 Abs. 4 InsO eingefügte ergänzende Neuregelung, dass Steuerverbindlichkeiten des Schuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter selbst oder mit dessen Zustimmung von Schuldner begründet wurden, nach Insolvenzeröffnung (Beschluss vom 01.04.2014) zu Masseverbindlichkeiten werden und damit der Anfechtung entzogen sind, soll dem Fiskus keine Sonderstellung gegenüber den anderen Gläubigern im Insolvenzverfahren gewähren. Mithin kann im Sinne einer teleologischen Auslegung diese zusätzliche Norm sich nicht nur auf Handlungen des Verwalters beziehen, wie im Text des § 55 Abs. 4 InsO so angeführt, sondern ist auf das demgemäße Handeln des unbeschränkt tätigen Schuldners im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung zu übertragen. Zumal der § 55 Abs. 4 InsO auch den sog. schwachen Insolvenzverwalter (Sachverwalter) meint im Unterschied zum vorläufigen starken Verwalter, der nach § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten begründen kann.

Das Gericht folgt damit der Auffassung in der Kommentierung (MK, InsO, Band 3, 2014) nicht, wonach die angeordnete Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner mit der Vorgabe in § 270b Abs. 3 InsO, in den "Schutzschirmverfahren", auf solche Verfahren mit Beschlussfassung nach § 270a InsO nicht ohne weiteres übertragbar sein soll.Die Begründung von Masseverbindlichkeiten muss im Eröffnungszeitraum eines Insolvenzverfahrens möglich sein - unabhängig davon, ob es sich um ein "normales" Verfahren mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder um ein solches mit Eigenverwaltung durch den Schuldner unter Beiordnung eines vorläufigen Sachverwalters handelt, denn die Zielrichtung ist die gleiche. Es soll die angestrebte Sanierung des Unternehmens erreicht werden.

In dem Verfahren nach § 270a InsO sollen mithin das Absehen von Verfügungsverboten oder Zustimmungsvorbehalten die kontinuierliche Weiterführung des Unternehmens in der Eigenverwaltung durch den Schuldner verbessern. Mit dem Anordnungsbeschluss nach § 270a InsO und dem Verweis auf die Regelungen der §§ 274, 275 InsO in der Beschlussfassung des AG xxx vom 21.01.2014 erlangte die Schuldnerin als Eigenverwalter die Stellung einer Partei kraft Amtes - analog der des vorläufigen Insolvenzverwalters - mit der Folge, dass sie Masseverbindlichkeiten begründen kann, hier solche nach § 55 Abs. 4 InsO, auch wenn sie dafür in dieser entsprechenden Norm nicht ausdrücklich mit benannt worden ist.Aus Sicht des Gläubigers (Fiskus) besteht andererseits insoweit die Sicherheit, dass Zahlungen auf Steuerschulden in dieser Phase des Eröffnungsverfahrens - egal wer sie für die Schuldnerin leistet - nicht der späteren Anfechtung unterliegen. Eine unterschiedliche Einordnung solcher Verbindlichkeiten wären aus der gewollten normativen Statuierung des Fiskus als Gläubiger unter mehreren anderen Gläubigern der Schuldnerin nach dem Zweck der ergänzenden Neuregelung des § 55 Abs. 4 InsO nicht sachgerecht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO.

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