OLG Köln, Beschluss vom 24.04.2001 - 2 Ws 179/01
Fundstelle
openJur 2011, 17486
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Gegen den damaligen Beschuldigten hat das Amtsgericht Eschweiler (21 Gs 44/00 H) am 20. Juli 2000 Haftbefehl (gestützt auf den Haftgrund der Fluchtgefahr) wegen gefährlicher Körperverletzung erlassen, dessen Vollzug aber mit Beschluss vom selben Tage u.a. gegen die Auflagen ausgesetzt, Kontakt mit der geschädigten Zeugin S.-F. (jetziger Name: S.) nur auf deren ausdrücklichen Wunsch aufzunehmen und von sich aus jede Kontaktaufnahme zu dieser Zeugin zu vermeiden. Den weitergehenden Antrag, den Haftbefehl auch auf Vergewaltigung gem. § 177 StGB zu stützen, hat das Amtsgericht abgelehnt.

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin hat die 7. große Strafkammer des Landgerichts Aachen (67 Qs 30/00) mit Beschluss vom 14. August 2000 den Haftbefehl des Amtsgerichts Eschweiler vom 20. Juli 2000 dahingehend erweitert, dass er auch auf den Tatvorwurf der Vergewaltigung gestützt wird. Es ist auch in diesem Beschluss wieder (nur) der Haftgrund der Fluchtgefahr angenommen worden. Den Haftverschonungsbeschluss des Amtsgerichts Eschweiler hat die Beschwerdestrafkammer zugleich erweitert und insgesamt neu gefasst. Darin ist dem damaligen Beschuldigten u.a. die Gestellung einer Sicherheit und die Pflicht, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden, auferlegt worden. In Ziff. 3. heisst es: "Dem Beschuldigten wird aufgegeben, Kontakt zur Zeugin S.-F. nur auf deren ausdrücklichen Wunsch aufzunehmen und von sich aus jede Kontaktaufnahme zu dieser Zeugin zu vermeiden.

Nachdem die Staatsanwaltschaft unter dem 27. Oktober 2000 Anklage erhoben hatte, kam es in der Folgezeit auf Anzeigen des Verfahrensbevollmächtigten der geschädigten Zeugin und jetzigen Nebenklägerin S. vom 2. November 2000 hin zu einer Einlassung des Angeklagten über seinen Verteidiger vom 20. November 2000 und zu einer Vernehmung der Zeugin S. am 28. Dezember 2000 dazu, ob und in welchem Umfang der Angeklagte gegen das Verbot der Kontaktaufnahme nach der Auflage zu Ziffer 3. aus dem Beschluss vom 14. August 2000 verstoßen hat. Die Staatsanwaltschaft hat letztlich von einem Antrag auf Aufhebung des Haftverschonungsbeschlusses abgesehen.

In der Zeit vom 29. März bis zum 3. April 2001 hat die Hauptverhandlung stattgefunden. Der Angeklagte ist am 3. April 2001 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Mit zugleich in der Hauptverhandlung verkündetem Beschluss hat die Strafkammer den "Haftverschonungsbeschluss des Amtsgerichts Eschweiler vom 20.07.2000" aufgehoben und den Haftbefehl (wiederum) "des Amtsgerichts Eschweiler vom 20.07.2000" wieder in Vollzug gesetzt. (Der Beschluss des 7. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 14. August 2000, durch den der Haftbefehl des Amtsgerichts Eschweiler abgeändert und durch den erst abschließend auch die Haftverschonung ausgestaltet worden ist, ist hierbei nicht genannt). Gestützt ist diese Entscheidung zum einen darauf, dass der Angeklagte sich nicht an die Auflage im Haftverschonungsbeschluss gehalten habe, keinen Kontakt zu der Geschädigten aufzunehmen und dass auch künftig von der Ausübung von Druck auf das Tatopfer bis zur Beendigung des Verfahrens auszugehen sei; zum anderen wird der Beschluss auf die Fluchtgefahr wegen der Höhe der nicht rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe gestützt.

Hiergegen hat der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 4. April 2000 Haftbeschwerde eingelegt. Die Strafkammer hat der Beschwerde mit ergänzender Begründung vom 5. April 2001 nicht abgeholfen. Die Sache ist (nachdem die Zweitakten noch vervollständigt werden mussten) dem Senat erst am 23. April 2001 vorgelegt worden

II.

Die gem. § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Die Anordnung des Vollzugs des Haftbefehls des Amtsgerichts Eschweiler vom 20. Juli 2000, allerdings in der (in dem angefochtenen Beschluss nicht erwähnten, was aber letztlich unschädlich ist) Fassung des Beschlusses der 7. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 14. August 2000, war und ist gem. § 116 Abs. 4 Nr. 1 StPO berechtigt und geboten.

Der Angeklagte ist der ihm in dem Haftbefehl in der Fassung vom 14. August 2000 zur Last gelegten Tat aus den Gründen des Ergebnisses der Hauptverhandlung vom 29. März bis zum 3. April 2001 dringend verdächtig.

Es besteht zunächst wie schon seit Erlaß des ersten Haftbefehls der Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Insoweit haben sich seit der (ausführlichen) Begründung des Beschlusses der 7. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 14. August 2000 keine neuen, dem Angeklagten günstigeren Umstände ergeben. Die Beschwerdebegründung verkennt, dass die nunmehr erkennende Strafkammer nicht etwa erstmals den Haftgrund der Fluchtgefahr angenommen hat. Vielmehr war schon das Landgericht Aachen am 14. August 2000 ebenso wie zuvor das Amtsgericht Eschweiler am 20. Juli 2000 gerade auch bei der Außervollzugsetzung des Haftbefehls von Fluchtgefahr ausgegangen; es waren aber minder schwere Maßnahmen für ausreichend gehalten worden. Neue, dem Angeklagten günstigere Umstände haben sich seither nicht ergeben. Der Taxibetrieb des Angeklagten wie auch seine sonstige Berufstätigkeit waren der Beschwerdestrafkammer am 14. August 2000 ebenso bekannt wie andererseits die Trennung des Angeklagten von seiner Ehefrau. Soweit eingewendet wird, der Angeklagte habe "familiäre" Kontakte in die Türkei nicht mehr, ist festzuhalten, dass er sich jedenfalls noch im April 2000 mit der Zeugin S. dort aufgehalten hat. Gleichwohl wäre, allein auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt, die erneute Invollzugsetzung des Haftbefehls nicht etwa nach § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO gerechtfertigt. Der Angeklagte hat seit August 2000 alle den § 116 Abs. 1 StPO betreffenden Auflagen und Weisungen (wie auch die regelmäßige Meldepflicht bei der Polizei) eingehalten. Die verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten, auch wenn sie über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgeht, hält sich noch in einem Rahmen, mit dem der anwaltlich vertretene Angeklagte angesichts der Schwere des von der Zeugin S. geschilderten Tatgeschehens von Anfang an hat rechnen müssen. Es sind, hierauf bezogen, keine neu hervorgetretenen Umstände erkennbar, die die Verhaftung nunmehr erforderlich gemacht hätten.

Hierbei hat es allerdings nicht sein Bewenden. Wenngleich nämlich noch zur Zeit des Erlasses des Haftbefehls des Amtsgerichts Eschweiler vom 20. Juli 2000 und des Beschlusses des Landgerichts Aachen vom 14. August 2000 die bei der zugleich ausgesprochenen Haftverschonung gemachten Auflagen zur Vermeidung jeder Kontaktaufnahme zu der Zeugin S. nicht dem § 116 Abs. 1 StPO entsprochen haben (damals war nämlich ausschließlich Fluchtgefahr angenommen worden; es dürfen aber in einem Haftverschonungsbeschluss keine Beschränkungen auferlegt oder Weisungen erteilt werden, die nicht durch den gegebenen Haftgrund gerechtfertigt sind, vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 116 Rdnr. 5 m.w.N.), ist die Sach- und Rechtslage seit Erlass des angefochtenen Beschlusses vom 3. April 2001 doch nunmehr eine andere. Jedenfalls jetzt ist die Anordnung der Untersuchungshaft zum Haftgrund auch auf § 112 Abs. 2 Nr. 3 b StPO und damit auf Verdunkelungsgefahr gestützt. Wenngleich die Strafkammer diese Vorschrift nicht ausdrücklich anführt, so geht dies doch aus dem zweiten Absatz der Gründe des angefochtenen Beschlusses hervor, wonach der Angeklagte "zu Verdunkelungszwecken" gehandelt habe und auch zukünftig davon auszugehen sein werde, dass er Druck auf das Tatopfer ausüben werde, solange dieses Verfahren nicht beendet ist.

Dem tritt der Senat bei. Dem auch bestehenden Haftgrund der Verdunklungsgefahr kann für die Zukunft nicht gem. § 116 Abs. 2 StPO unter Aufrechterhaltung der Auflagen und Weisungen aus dem Beschluss der Strafkammer vom 14. August 2000 begegnet werden, nachdem der Angeklagte in der Zeit von Juli 2000 bis mindestens Ende November 2000 der Auflage zu Ziffer 3. aus dem Beschluss vom 14. August 2000 in lang andauernder Weise und gröblich zuwidergehandelt hat. Den Auflagenverstoß gibt auch die Beschwerdebegründung selbst zu, wenn dort ausgeführt ist, zu Kontakten mit Frau S. sei es seit Ende letzten Jahres nicht mehr gekommen. Damit werden die Kontakte bis dahin als solche sehr wohl eingeräumt. Es kann auch keineswegs davon ausgegangen werden, dass diese Kontakte - wie sie im Einzelnen schon in der Vernehmung der Zeugin S. vom 28. Dezember 2000 festgehalten worden sind - nur auf den ausdrücklichen Wunsch der Zeugin aufgenommen worden (dann wäre gegen den Wortlaut von Ziffer 3 des Beschlusses vom 14. August 2000 nicht verstoßen worden). Vielmehr hat die Zeugin schon damals - wenngleich dies in dem Verteidigerschriftsatz vom 20. November 2000 anders dargestellt worden war - angegeben, sie sei von dem Angeklagten zu ihren Treffen mit ihm unter ständigen Drohungen bewogen worden. Ob die Wieder-Invollsetzung des Haftbefehls erst nach Urteilsverkündung am 3. April 2001 noch zulässig wäre, wenn sie sich allein auf die Angaben der Zeugin bis letztmalig am 29. Dezember 2000 stützen liese, mag dahinstehen. Ersichtlich hat die erkennende Strafkammer die angefochtene Entscheidung nämlich auch unter dem Eindruck ihrer erst in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse zur Person des Angeklagten und der Art seine Beziehungen zu der Nebenklägerin getroffen. Sie hat schon in dem angefochtenen Beschluss Einzelheiten dazu dargestellt, dass der Angeklagte von sich aus den Kontakt zu der Zeugin S. "offensichtlich" gesucht habe, um das Tatopfer in ein falsches Licht zu rücken und sich selbst dadurch eine günstigere Beweislage für die Hauptverhandlung zu verschaffen. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass es hierbei um Erkenntnisse der Strafkammer erst aus der Hauptverhandlung selbst geht. Wenngleich Einzelheiten auch schon aus der Vernehmung der Zeugin S. vom 28. Dezember 2000 bekannt waren (etwa die Nachricht, dass der Angeklagte über pikante Video-Aufnahmen ["nackte Tatsachen"] von der Zeugin und ihm selbst verfüge und verklausuliert mit einer Veröffentlichung im Internet drohte), so wird doch in dem Nichtabhilfebeschluss der Strafkammer vom 5. April 2001 ausdrücklich betont, dass die erneute Invollzugsetzung des Haftbefehls auf den Feststellungen der Kammer in der Hauptverhandlung beruht.

Geht nach alledem die Strafkammer aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung zutreffend davon aus, dass Verdunkelungsgefahr vorliegt und hierauf bezogen ein Verstoß i.S.d. § 116 Abs. 4 Nr. 1 StPO die erneute Anordnung des Vollzuges des Haftbefehls rechtfertigt und gebietet, dann gilt dies auch im Hinblick auf den Umstand, dass eine Verdunkelungsgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO auch für die Zukunft fortbestehen muss. Zwar ist die Beweisaufnahme in dem erstinstanzlichen Verfahren vorerst abgeschlossen und der Angeklagte nicht rechtskräftig verurteilt. Die von der Zeugin S. geschilderten Beeinflussungsersuche durch den Angeklagten, die die Strafkammer für erwiesen hält, sind aber derart massiv, dass ihre Fortsetzung oder Wiederholung auch noch für den Fall ernstlich zu besorgen ist, dass es nach einer Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof zu einer erneuten Hauptverhandlung kommen könnte. Bestätigt wird dies durch den Bericht der AOK-Klinik für Pravention und Rehabilitation, in die sich die Zeugin S. Anfang 2001 begeben hatte und in der noch einmal die "überstarke Machtposition" des Angeklagten ihr gegenüber dargestellt wird.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.