VG Stade, Beschluss vom 05.07.2016 - 1 B 1195/16
Fundstelle
openJur 2016, 8158
  • Rkr:
Gründe

Der Antragsteller stammt nach eigenen Angaben aus Somalia und ist über Italien nach Deutschland eingereist. Am 22. Juli 2014 stellte er in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag; an diesem Tag wurde auch das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens mit ihm geführt.

Mit Schreiben vom 10. März 2016 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller den 23. März 2016 als Termin zur persönlichen Anhörung mit und wies darauf hin, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben könne (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn er zum Termin nicht erscheine. Ein Zustellungsnachweis oder Absendevermerk in Bezug auf dieses Schreiben ist den vorliegenden Verwaltungsakten der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen.

Zum Anhörungstermin am 23. März 2016 erschien der Antragsteller nicht.

Mit Bescheid vom 1. Juni 2016 stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen gilt, und ordnete die Einstellung des Verfahrens an. Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen. Die Ausreisefrist setzte die Antragsgegnerin auf eine Woche fest und drohte für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Somalia oder einen anderen rücknahmebereiten Staat an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheides wird verwiesen. Der Bescheid ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Diese enthält den Hinweis, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung hat und dass ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO bei dem in der Rechtsbehelfsbelehrung genannten Verwaltungsgericht gestellt werden kann.

Am 15. Juni 2016 hat der Antragsteller Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO nachgesucht. Er gibt an, das Schreiben vom 10. März 2016 nicht erhalten zu haben, obwohl er sich stets unter seiner Meldeanschrift aufgehalten habe.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.

Das Gericht hat den Antragsteller mit Eingang der Antrags- und Klageschrift auf § 33 Abs. 5 Satz 2 Asylgesetz hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2016 bleibt ohne Erfolg. Er ist unzulässig, weil der Antragsteller kein Rechtsschutzbedürfnis für ihn hat. Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 Asylgesetz (in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.9.2008, BGBl. I, S. 1789, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 11.3.2016, BGBl. I, S. 394 - AsylG) bietet eine einfachere und effektivere Möglichkeit, mit der er sein Rechtsschutzziel verfolgen kann (so auch VG Dresden, Beschluss vom 14.4.2016 - 4 L 212/16.A -, juris; VG Regensburg, Beschluss vom 18.4.2016 - RO 9 S 16.30620 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 3.6.2016 - AN 4 S 16.30588 -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 8.6.2016 - 23 L 331.16 A -, juris).

§ 33 Abs. 1 AsylG enthält eine Rücknahmefiktion für den Fall, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG wird das Nichtbetreiben vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Nach § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach dem Absatz 1 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG sieht vor, dass das Bundesamt im Fall des Absatz 1 das Asylverfahren einstellt.

Ob diese Voraussetzungen hier vorgelegen haben, ist nicht entscheidungserheblich und braucht daher nicht entschieden zu werden. Denn der mit Wirkung vom 17. März 2016 eingeführte § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG räumt dem Ausländer, dessen Asylverfahren gemäß Satz 1 eingestellt worden ist, die Möglichkeit ein, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Die Wiederaufnahme nach Verfahrenseinstellung ist - von einer formgerechten Antragstellung abgesehen - an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft. Das Bundesamt nimmt gemäß § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG nach Antragstellung die Prüfung des Asylantrags in dem Verfahrensabschnitt wieder auf, in dem sie eingestellt wurde.

In der Begründung des Gesetzgebers zur Neufassung des § 33 AsylG wird hierzu ausgeführt, dass der Ausländer nach den Regeln des neuen § 33 Abs. 5 AsylG innerhalb der ersten neun Monate nach Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 33 Abs. 1 oder 3 AsylG „ohne Verfahrensnachteile einmal die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann und damit ein einmaliges Fehlverhalten geheilt wird. Die erstmalige Einstellung entfaltet somit lediglich Warncharakter“ (vgl. BT-Drs. 18/7538, dort S. 17). Aus § 33 Abs. 6 AsylG ergibt sich weiter, dass die im Bescheid getroffenen Entscheidungen gegenstandslos werden. Nur für den Fall des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG, der für hier nicht gegebene Verfahrenskonstellationen die Wiederaufnahme des Asylverfahrens durch das Bundesamt ausschließt, wird durch die Bezugnahme auf § 36 Abs. 3 AsylG Näheres zur Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die Abschiebungsandrohung, u.a. ihre Vollziehbarkeit, geregelt. Das Gesetz geht damit davon aus, dass eine Regelung über die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung in den anderen Konstellationen, für die nach § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG die Möglichkeit besteht, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen, entbehrlich ist, weil der dann vom Bundesamt durchzuführenden Prüfung des Asylantrags die hiermit nach § 55 AsylG einhergehende Gestattung des Aufenthalts des Antragstellers einer Abschiebung entgegensteht (vgl. VG Dresden, Beschluss vom 14.4.2016 - 4 L 212/16.A -, juris).

Weil die Neun-Monats-Frist vorliegend noch nicht abgelaufen ist, kann der Antragsteller nach den genannten Vorschriften durch einen Antrag beim Bundesamt veranlassen, dass das Verfahren zurück in das Stadium versetzt wird, in dem es sich vor Erlass des Einstellungsbescheides und der seinem Erlass zugrunde gelegten Umstände befunden hat. Die Abschiebungsandrohung, auf die sich sein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in erster Linie bezieht, würde damit gegenstandslos. Erst für den Fall, dass eine Wiederaufnahme nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG nicht für zulässig erachtet würde - insbesondere wenn das Bundesamt vom Vorliegen einer der in § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG genannten Konstellationen ausginge -, käme es auf die Rechtmäßigkeit des Einstellungsbescheides an. Zuvor ist jedoch eine Entscheidung des Bundesamtes über den Antrag auf Wiederaufnahme herbeizuführen.

Sofern sich der Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG richten sollte, fehlt ihm ebenfalls das Rechtschutzbedürfnis. Durch die Befristung wird der Antragsteller nicht beschwert, weil ohne sie ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG gelten würde. Im Übrigen sind auch Ermessensfehler bei der für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AsylG vorzunehmenden Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin, die die Frist auf 30 Monate festgesetzt hat, nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 4 VwGO; 83b AsylG. Obwohl der Antrag ohne Erfolg bleibt, fallen die Kosten ausnahmsweise nicht dem unterlegenen Antragsteller, sondern der Antragsgegnerin zur Last. § 155 Abs. 4 VwGO bestimmt, dass Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden können. Als vorprozessuales Verschulden von Behörden werden insbesondere unrichtige Rechtsbehelfsbelehrungen angesehen (Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 155 Rn. 26; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 155 Rn. 20, jeweils m.w.N.). Einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung stehen irreführende Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung gleich, wenn sie den Rechtsschutzsuchenden zu unzulässigen Rechtsbehelfen veranlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.5.1979 - 6 C 70.78 -, juris Rn. 39). So liegt es hier. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Rechtsbehelfsbelehrung ausdrücklich auf die Möglichkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO und nicht etwa auf die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrags nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG hingewiesen. Auf die Richtigkeit dieses Hinweises durfte sowohl der Antragsteller als auch sein Bevollmächtigter, der sich als Rechtsanwalt ebenfalls auf die Richtigkeit des Hinweises in der behördlichen Rechtsbehelfsbelehrung verlassen durfte, vertrauen (im Ergebnis genauso VG Berlin, Beschluss vom 8.6.2016 - 23 L 331.16 A -, juris Rn. 10).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).