VG Sigmaringen, Beschluss vom 12.07.2016 - 3 K 1949/16
Fundstelle
openJur 2016, 8113
  • Rkr:

Das in § 16 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 HwO geregelte Erfordernis von übereinstimmenden, zustimmenden Erklärungen der örtlich zuständigen Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer ist im Rahmen einer auf § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gestützten, wegen Unzuverlässigkeit verfügten Gewerbeuntersagung nicht einschlägig.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Untersagungsverfügung vom 29.03.2016 ist zulässig, insbesondere statthaft, er bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der Verfügung in einer den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechenden Weise begründet (1.). Der angefochtene Bescheid ist bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig (2.). Aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles ist auch die sofortige Vollziehung der darin getroffenen Maßnahmen schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens erforderlich (3.).

1. Die unter Ziffer 4 des angegriffenen Bescheids erklärte Anordnung der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung unterliegt zunächst mit Blick auf die formellen Begründungsanforderungen keinen durchgreifenden Bedenken.

Zweck des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten. Außerdem sollen dem Betroffenen die für die Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht werden, so dass ihm eine Verteidigung seiner Rechte möglich ist. Ferner soll die Begründung der Sofortvollzugsanordnung die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der Anordnung bilden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.01.2001 - 19 B 1757/00 u.a. -, NJW 2001, 3427; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.09.2012 - 10 S 731/12 -, DVBl 2012, 1506). Dementsprechend muss aus der Begründung hinreichend nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt und aus welchen im dringenden öffentlichen Interesse liegenden Gründen sie es für gerechtfertigt oder geboten hält, den durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ansonsten eintretenden vorläufigen Rechtsschutz des Betroffenen einstweilen zurückzustellen. Demgegenüber genügen - wie der Antragsteller zu Recht hervorhebt - pauschale und nichtssagende formelhafte Wendungen dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht.

Die von dem Antragsgegner verfügte Sofortvollzugsanordnung und deren Begründung genügen den vorstehend bezeichneten Anforderungen. Der Antragsgegner hat zur Begründung der verfügten sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung darauf abgehoben, es sei im öffentlichen Interesse erforderlich, die Weiterführung des Betriebes bis zum Abschluss eines möglichen gerichtlichen Verfahrens zu unterbinden, da anderenfalls mit weiteren Steuerrückständen zu rechnen sei und der Antragsteller sich dadurch einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Konkurrenten verschaffe. Mit dieser Begründung hat der Antragsgegner - noch - hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, aus welchen Gründen des öffentlichen Interesses er es für sachgerecht hält, den durch die aufschiebende Wirkung eines Anfechtungswiderspruchs regelmäßig eintretenden Schutz des Betroffenen im Einzelfall zurückzustellen. Weitergehende, auf den Einzelfall bezogenen Erwägungen waren in diesem Zusammenhang nicht zwingend erforderlich. Der Einwand des Antragstellers, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei - soweit es um die pauschale Erfassung aller Tätigkeiten und Gewerbe gehe - ohne weitere Vertiefung und schematisch angesetzt werden, greift im Ergebnis nicht durch. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, welche Differenzierung hinsichtlich der einzelnen Gewerbe angezeigt gewesen sein könnte. Offenbar zielt der Antragsteller darauf ab, dass er eines der aufgelisteten Gewerbe, nämlich den Brennholzhandel, ohnehin nicht mehr betreibt. Abgemeldet hat der Antragsteller diese Gewerbe allerdings nicht (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 GewO). Jedenfalls ist hinsichtlich freiwillig nicht mehr ausgeübter Gewerbe kein Rechtsschutzinteresse an der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen eine diesbezügliche Gewerbeuntersagung zu erkennen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO lediglich eine - von der materiellen Prüfung des Bestehens eines Sofortvollzugsinteresses zu unterscheidende - formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung normiert. Ob die insoweit verlautbarten Erwägungen der Behörde inhaltlich zutreffen, ist für die Einhaltung dieses formellen Begründungserfordernisses nicht von Bedeutung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 10.12.2010 - 10 S 2173/10 -, VBlBW 2011, 196; und vom 20.09.2011 - 10 S 625/11 -, juris). Das Gericht nimmt im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Interessenabwägung vor und ist nicht auf die bloße Überprüfung der von der Behörde getroffenen Entscheidung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO beschränkt (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 05.06.2001 - 1 SN 38/01 -, NVwZ-RR 2001, 610).

2. Die von der Behörde bei der Anordnung des Sofortvollzugs getroffene Abwägungsentscheidung begegnet auch in der Sache keinen rechtlichen Bedenken. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage oder eines Widerspruches ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist - wie hier - die sofortige Vollziehung von der Behörde den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend angeordnet worden, so setzt die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das vorrangige öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren zu erkennen ist, dass sein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet. Dagegen überwiegt das Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist. Lässt sich die Rechtmäßigkeit der Maßnahme bei der im Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht hinreichend sicher beurteilen, kommt es auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen an. Bei Eingriffen in die Berufsfreiheit durch einen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt bedarf es darüber hinaus aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls der Feststellung, dass die Maßnahme schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwendung konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter notwendig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2003 - 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3618; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.12.2013 - 6 S 2112/13 -, VBlBW 2014, 302).

Gemessen hieran sind die Voraussetzungen, unter denen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen ist, nicht erfüllt. Jedenfalls bei summarischer Sachverhaltsprüfung bestehen weder gegen die erfolgte Untersagung sämtlicher derzeit ausgeübter Gewerbe (2.1) noch die Erweiterung der Untersagung auf etwaige zukünftig ausgeübte Gewerbe (2.2) oder das angeordnete Verbot der Betätigung als Vertretungsberechtigter eines Gewerbebetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person (2.3) rechtliche Bedenken. Dem steht entgegen der Meinung des Antragstellers nicht entgegen, dass das Landratsamt vor dem Erlass seiner Untersagungsverfügung nicht übereinstimmende Erklärungen der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer auf der Grundlage von § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO eingeholt hat (2.4).

2.1 Rechtsgrundlage für die Untersagung der derzeit ausgeübten Gewerbe ist die Bestimmung des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte ist geklärt, dass derjenige Gewerbetreibende im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO unzuverlässig ist, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die Annahme der Unzuverlässigkeit kann aus einer lang andauernden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit abzuleiten sein, die infolge des Fehlens von Geldmitteln eine ordnungsgemäße Betriebsführung im Allgemeinen und die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Zahlungspflichten im Besonderen verhindert, ohne dass - insbesondere durch Erarbeitung eines tragfähigen Sanierungskonzeptes - Anzeichen für eine Besserung erkennbar sind. Überschuldung und wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich die Unzuverlässigkeit des Gewerbebetreibenden (ständ. Rechtsprechung, vgl. u.a. BVerwG, Urteile vom 05.08.1965 - 1 C 69.62 -, BVerwGE 22, 16; und vom 15.04.2015 - 8 C 6.14 -, BVerwGE 152, 39). Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbebetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Was die Verletzung von steuerrechtlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten betrifft, so entspricht es der allgemeinen Rechtsprechung, dass Steuerschulden regelmäßig auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden schließen lassen, da sie ohnehin Ausfluss mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sind. Von besonderem Gewicht ist dabei die Nichtabführung der treuhänderisch für den Staat vereinnahmten, aber nicht an den Staat abgeführten Steuerbeträge wie etwa die Umsatzsteuer. Steuerrückstände sind dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind. Auch ist die Zeitdauer zu berücksichtigen, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist. Da zum ordnungsgemäßen Betrieb eines Gewerbes unter anderem die Erfüllung der steuerlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten gehört, kann auch eine nachhaltige Verletzung dieser Pflichten je nach den Umständen des Einzelfalls den Schluss auf gewerberechtliche Unzuverlässigkeit zulassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29.01.1988 - 1 B 164.87 -, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 45; und vom 19.01.1994 - 1 B 5.94 -, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 57).

Gemessen hieran ist das Landratsamt B. in dem angegriffenen Bescheid vom 29.03.2016 zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheides seine steuerlichen Zahlungspflichten in einer Weise verletzt hat, dass ihm die Untersagung des Gewerbes wegen Erschöpfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geboten war. So haben sich die Steuerrückstände ausweislich einer dem Antragsgegner mitgeteilten detaillierten Aufschlüsselung durch das Finanzamt am 09.02.2016 einschließlich Säumniszuschläge auf 41.581,50 € belaufen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Untersagungsbescheides vom 29.03.2016 hatte der Antragsteller Steuerrückstände (einschließlich Säumniszuschläge) in Höhe von 42.691,00 €. Hieran hat sich im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens nichts Wesentliches geändert. Unter dem 30.05.2016 teilte das Finanzamt B. dem Antragsgegner vielmehr mit, dass sich die Außenstände des Antragstellers bei dieser Behörde immer noch auf 43.128,73 € beliefen. Demnach sind die Steuerrückstände des Antragstellers gemessen an der Größe seines Unternehmens und der sonstigen Belastungen bei summarischer Sachverhaltsprüfung weiterhin sehr erheblich.

Soweit der Antragsteller gegen die Höhe der mitgeteilten Steuerrückstände einwendet, diese beruhten teilweise auf bloßen Schätzungen und seien nicht Steuern gleichzusetzen, die im Nachhinein festgesetzt würden, rechtfertigt dies keine andere Betrachtung. Steuerrückstände, die zur Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit führen können, sind solche nicht gezahlten Steuern, die der Steuerschuldner von Rechts wegen hätten zahlen müssen. Auf die materielle Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewerberechtlich grundsätzlich ebenso wenig an wie auf deren Bestandskraft oder zum Beispiel darauf, ob die in einem Steuerbescheid festgesetzte Steuer lediglich nach § 162 AO 1977 geschätzt worden ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25.10.1996 - 1 B 214.96 -, juris; und vom 12.03.1997 - 1 B 72.97 -, juris). Anderes gilt nur, wenn die Vollziehung eines Steuerbescheides nach § 361 AO 1977 oder § 69 FGO ausgesetzt worden ist. Denn dann darf die Nichtzahlung der festgesetzten Steuer im gewerberechtlichen Untersagungsverfahren nicht berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.1998 - 1 B 100.98 -, juris). Dies macht jedoch der Antragsteller selbst nicht geltend.

Nicht zu überzeugen vermag bei summarischer Prüfung der Vortrag des Antragstellers, bei wirklichkeitsnaher Betrachtung beliefen sich seine Steuerschulden lediglich auf 18.656,12 €. Dem steht bereits entgegen, dass sich das Finanzamt B. in seiner Stellungnahme vom 30.05.2016 mit diesem Vorbringen in der Sache auseinandergesetzt und dargelegt hat, die Berechnung sei ohne nähere Substantiierung nicht nachvollziehbar. Nach der in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Auskunft der Finanzbehörde liegen bestandskräftige Steuerfestsetzungsbescheide für die Jahre bis einschließlich 2014 vor; die Abgabefrist für die Jahreserklärung 2015 sei noch nicht abgelaufen. Eine von dem Antragsteller im gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beigebrachte Stellungnahme seines Steuerberaters vom 24.01.2016 geht demgegenüber davon aus, dass lediglich die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2009 und 2010 bestandskräftig geworden seien und gelangt vor dem Hintergrund dieser Annahme zu überhöht festgesetzten Steuern in Höhe von 51.015,30 €. Die Plausibilität dieser Aufstellung wird jedoch bereits dadurch gemindert, dass dem steuerlichen Berater des Antragstellers nach eigener Darstellung die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2011 und 2012 nicht vorlagen, da sie der Antragsteller nicht auffinden konnte. Im Übrigen ist die Berechtigung der Steuerforderungen nach dem oben Gesagten weder von der Verwaltungsbehörde noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu prüfen. Maßgeblich ist allein, ob die Steuern fällig und zu entrichten waren. Zweifel hieran bestehen bei summarischer Sachverhaltsprüfung in Anbetracht der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Finanzamtes B. nicht. Ferner bestanden zahlreiche Eintragungen im Schuldnerverzeichnis, unter anderem wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft, die zusätzlich die Annahme einer bereits seit längerem bestehenden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit (und/oder -unwilligkeit) rechtfertigen. Umstände, die im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gleichwohl eine positive Prognose in Bezug auf die gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers rechtfertigen könnten, insbesondere für eine Besserung seiner wirtschaftlichen Situation oder die Existenz eines erfolgversprechenden Sanierungskonzepts, bestanden nicht. Auch im gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zeigt der Antragsteller kein tragfähiges Sanierungskonzept auf. Der Erstellung eines solchen überzeugenden Sanierungskonzepts dürfte im Übrigen bereits entgegenstehen, dass der Antragsteller auch derzeit noch die Berechtigung der Steuerforderungen des Finanzamts bestreitet. Jedenfalls hat der Antragsteller nach Mitteilung des Finanzamts weder einen tragfähigen Ratenzahlungsplan noch ein sonstige Konzept zur Reduzierung seiner Steuerschulden unterbreitet. Der Einwand des Antragstellers, er sei aufgrund einer schweren Erkrankung und sonstiger Umstände unverschuldet in Zahlungsschwierigkeiten geraten, ist ebenfalls unerheblich. Die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit setzt ein subjektiv vorwerfbares Verschulden des Gewerbetreibenden nicht voraus. Sie knüpft lediglich an objektive Tatsachen an, die hinsichtlich der künftigen Tätigkeit des Gewerbetreibenden eine ungünstige Prognose rechtfertigen. Auf den Grund der Entstehung der Schulden und der Unfähigkeit zur Erfüllung der Zahlungspflicht kommt es nicht an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.12.2014 - 8 PKH 7.14 -, juris; OVG Nordrhein Westfalen, Beschluss vom 21.01.2016 - 4 B 826/15 -, juris).

Keiner abschließenden Klärung bedarf im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, ob die Untersagungsverfügung auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO - wie von dem Landratsamt B. angenommen - auch auf die unzulässige Ausübung eines zulassungspflichtigen Handwerks durch den Antragsteller gestützt werden konnte. Freilich dürften die eigenen Einlassungen des Antragstellers in einem Zivilprozess vor dem Landgericht R. darauf hindeuten, dass er Tuningteile nicht nur zum Handel bezogen und abgegeben, sondern diese auch in Kraftfahrzeuge eingebaut hat. Im Übrigen hat das Landratsamt B. diesen Umstand allenfalls mittragend für die Untersagung des ausgeübten Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit des Antragstellers herangezogen.

2.2. Nicht zu beanstanden ist schließlich die von dem Antragsgegner ausgesprochene Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf andere Gewerbe (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GewO). Insoweit müssen Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf die „Ausweichtätigkeit“ dartun („gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit“). Diese sind bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen - wie sie hier nach dem oben Gesagten vorliegen - gegeben. Außerdem muss die erweiterte Gewerbeuntersagung erforderlich sein, weil eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein Ausweichen des Gewerbetreibenden vorliegt. Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat, wodurch er regelmäßig seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt, eine andere Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 - 8 C 6.14 -, a.a.O.). Bei summarischer Sachverhaltsprüfung sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein Ausweichen des Gewerbetreibenden auf ein anderes Gewerbe nach Lage der Dinge hier ausscheidet. Ist ein Gewerbetreibender in Bezug auf andere - nicht ausgeübte - gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und ist die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (BVerwG, Urteil vom 02.02.1982 - 1 C 17.79 -, BVerwGE 65, 9). Eine Ermessenserwägung dieser Art lässt sich der angefochtenen Untersagungsverfügung entnehmen.

2.3 Nicht zu beanstanden ist im Ergebnis auch die Untersagung der Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person. Sie hat ihre Grundlage ebenfalls in § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO, wonach die Untersagung der Ausübung eines Gewerbes (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GewO) unter anderem auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person erstreckt werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, dass mit der Schaffung dieser Befugnis zur Untersagung einer derartigen unselbständigen leitenden Tätigkeit durch die Novellierung des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO durch das Gesetz vom 15.05.1986 (BGBl I, S. 721) Gesetzeslücken geschlossen werden sollten (BVerwG, Beschluss vom 15.02.1995 - 1 B 19.95 -, juris). Unzuverlässigen Personen sollte nicht nur die Ausübung selbständiger Gewerbe, sondern auch unselbständige leitende Tätigkeiten untersagt werden können, um ein Ausweichen in die Betätigung als Betriebsleiter oder als Vertreter gewerbetreibender natürlicher Personen oder Personenvereinigungen zu verhindern, was nach der bis dahin bestehenden Rechtslage nicht möglich gewesen ist (BVerwG, Beschluss vom 15.02.1995, a.a.O., unter Hinweis auf BT-Drs. 10/318, S. 50). Die Untersagung einer solchen unselbständigen leitenden Tätigkeit setzt voraus, dass der Betroffene auch dafür unzuverlässig ist und dass sie zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlichen ist; sie liegt im Ermessen der Behörde. Wie unter Umständen nur eine Teiluntersagung des ausgeübten Gewerbes zulässig ist, darf auch die Erstreckung einer Untersagung auf unselbständige leitenden Tätigkeiten nur ausgesprochen werden, soweit sie erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 15.02.1995, a.a.O.).

Gemessen hieran durfte der Antragsgegner bei Erlass des Bescheides vom 29.03.2016 davon ausgehen, dass der Antragsteller auch für die Leitung oder technische Betriebsführung eines von einer anderen Person ausgeübten Gewerbes unzuverlässig ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Antragsteller nach dem unter 2.1 Dargelegten trotz vollständiger Erschöpfung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht von der weiteren Ausübung des Gewerbes unter Schädigung der öffentlichen Hand abgesehen hat.

2.4 Der Rechtmäßigkeit der verfügten Gewerbeuntersagung steht - entgegen der Meinung des Antragstellers - nicht entgegen, dass das Landratsamt vor Erlass seiner Entscheidung nicht übereinstimmende Zustimmungserklärungen der örtlich zuständigen Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer eingeholt hat. Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO ist eine Untersagung auf der Grundlage dieses Absatzes zwar grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die beiden Kammern zuvor von der für die Entscheidung zuständigen Ordnungsbehörde angehört worden und diese eine gemeinsame Erklärung dahingehend abgegeben haben, dass sie die Voraussetzungen für eine Untersagung als gegeben ansehen. Können sich die beiden Kammern nicht über eine gemeinsame Erklärung verständigen, so entscheidet nach § 16 Abs. 4 HwO eine von dem Industrie- und Handelskammertag und dem Deutschen Handwerkskammertag (Trägerorganisationen) gemeinsam für die Dauer von jeweils vier Jahren gebildete Schlichtungskommission. Daraus und aus der weiteren Ausgestaltung des Verfahrens in § 16 Abs. 7 HwO kann geschlossen werden, dass die zuständige Ordnungsbehörde an eine Erklärung bzw. Entscheidung, welche die Untersagungsvoraussetzungen verneint, gebunden ist und eine Untersagung nur aussprechen kann, wenn die oberste Landesbehörde diese ausdrücklich als gegeben erachtet (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 03.04.2006 - 4 K 3119/05 -, juris).

Indes findet das in § 16 Abs. 3 und Abs. 4 HwO geregelte Zustimmungsverfahren der Kammern auf die hier in Rede stehende Gewerbeuntersagung auf der Grundlage von § 35 GewO wegen Unzuverlässigkeit keine Anwendung. Dies erhellt sich bereits daraus, dass die Untersagung eines ausgeübten Handwerks gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO sich von der Gewerbeuntersagung aufgrund von § 35 Abs. 1 GewO sowohl hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen als auch der Rechtsfolgen in wesentlichen Punkten unterscheidet. So kann nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO die Fortsetzung eines Betriebs im Ermessenswege untersagt werden, wenn der selbständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes ausgeübt wird. Die Vorschrift des § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO eröffnet der Ordnungsbehörde die Ermessensentscheidung über die Untersagung eines Handwerksbetriebs im Grundsatz bereits bei dessen formeller Illegalität, also wenn die Eintragung in die Handwerksrolle fehlt. Demgegenüber ist nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise dann zwingend zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden dartun und die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten notwendig ist. Mithin sieht § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO die zwingende Gewerbeuntersagung aus dem materiellen Grund der Unzuverlässigkeit vor. Auch die Rechtsfolgen beider Vorschriften sind unterschiedlich ausgestaltet. Denn § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO ermöglicht lediglich eine konkrete Betriebsuntersagung, nicht aber eine betriebsunabhängige allgemeine Gewerbeuntersagung wie die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO (vgl. zur Abgrenzung OVG Nordrhein Westfalen, Urteil vom 16.07.1997 - 23 A 5331/96 -, juris). Bereits diese unterschiedliche Ausgestaltung beider Untersagungsmöglichkeiten streitet bei systematischer Betrachtung dafür, die in § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO statuierten Anhörungs- und Zustimmungserfordernisse der beteiligten Kammern nicht auf die Gewerbeuntersagung auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO zu übertragen. Da § 16 Abs. 3 HwO nur auf die Nichtbeachtung der Vorschriften der Handwerksordnung abstellt, ist daneben die Vorschrift des § 35 GewO selbständig und unabhängig anwendbar (vgl. hierzu auch S. Gronemeyer/N. Gronemeyer, in: Redeker/Uechtritz, Anwaltshandbuch Verwaltungsverfahren, 2. Auflage 2012, Rn. 184 zu § 16 HwO). Im Übrigen zwingt auch der Sinn und Zweck von § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO nicht zu einem gegenteiligen Verständnis. Normzweck von § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO ist, vor einseitig motivierten Maßnahmen der Ordnungsbehörde eine Verständigung und Abstimmung zwischen den Kammern zu erreichen (vgl. Gesetzentwurf der Fraktion SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 15/1206, S. 31). Der spezifisch wirtschaftliche und handwerkliche Sachverstand der Kammern wird regelmäßig nur bei einer auf § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO gestützten Untersagung eines konkret ausgeübten Handwerks notwendig sein, während die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO allein rechtliche Bewertungen erfordert, welche die Ordnungsbehörde ohne weiteres selbst leisten kann.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass hier sowohl die Industrie- und Handelskammer U. als auch die zuständige Handwerkskammer davon ausgehen, der Antragsteller übe ein zulassungspflichtiges Handwerk ohne die erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle aus, und die Voraussetzungen für eine Betriebsuntersagung auf der Grundlage von § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO lägen vor (vgl. Stellungnahme der IHK U. vom 20.11.2015 und die per email übermittelte Stellungnahme der Handwerkskammer vom 01.12.2014). Inhaltlich sind sich beide Kammern demnach über das weitere Vorgehen einig. Dass diese Stellungnahme nicht den formellen Anforderungen des § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO entsprechen, ist nach dem oben Gesagten ohne Belang.

3. Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung vom 29.03.2016 verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar ist die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Gewerbeuntersagung nicht schon allein deshalb gerechtfertigt, weil sich diese bei der im Rahmen von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig erwiesen hat. Vielmehr erfordert die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip die aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls gewonnene zusätzliche Feststellung, dass die sofortige Vollziehung schon vor der Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter notwendig ist. Hierfür muss die begründete Besorgnis bestehen, dass sich die mit der Gewerbeuntersagung bekämpfte Gefahr schon in der Zeit bis zur abschließenden Gerichtsentscheidung über die Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung realisieren kann. Dies beurteilt sich nach der Sachlage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Insoweit sind auch Umstände zu berücksichtigen, die nach Erlass der Gewerbeuntersagung eingetreten sind (OVG Nordrhein Westfalen, Beschluss vom 21.04.2016 - 4 B 1355/15 -, juris).

Gemessen hieran ist in Anbetracht der Erschöpfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers von weiter ansteigenden Steuerschulden im Laufe des Verfahrens auszugehen. Dies begründet eine konkrete Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen kann. Demgegenüber verfängt der Einwand des Antragstellers nicht, der Betrieb sei zur Begleichung der Steuerschulden sowie zur Sicherung seines Lebensunterhalts erforderlich. Eine nachhaltige Rückführung der - gewerbebezogenen - Steuerschulden ist im Laufe des bisherigen Verfahrens gerade nicht erkennbar. Hierdurch verschafft sich der Antragsteller unerlaubt unlautere Wettbewerbsvorteile gegenüber Mitbewerbern, die ihren steuerlichen Verpflichtungen nachkommen. Ist - wie hier - die Gewerbeuntersagung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich, so ist auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung dann nicht unverhältnismäßig, obwohl eine Existenzgefährdung des Betroffenen zu erwarten ist.

Nach alldem bleibt der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die verfügte, für sofort vollziehbar erklärte Gewerbeuntersagung ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.

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