VG Cottbus, Beschluss vom 23.05.2016 - 5 L 111/16
Fundstelle
openJur 2016, 8099
  • Rkr:

Die Qualifizierung einer Ausbildungsstätte als Schule des Zweiten Bildungswegs berechtigt nicht zu dem Schluß, die Einrichtung könne nur einer solchen i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG entsprechen.

Maßstab für die Zuordnung einer Ausbildungsstätte i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 6 BAföG sind ausschließlich objektive an die Bildungseinrichtungen anknüpfende Kriterien und keine subjektiven in der Person des Ausbildungswilligen liegenden Merkmale.

Tenor

Der Antragstellerin wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt ……… bewilligt, soweit beantragt war, den Bescheid des Antragsgegners vom 12. August 2015 vorläufig aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig, längstens bis zu einer bestandskräftigen oder rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung, Ausbildungsförderung in der für den Besuch einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule vorgesehenen gesetzlichen Höhe ab dem Monat der gerichtlichen Entscheidung bis Juli 2016 zu bewilligen. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Bescheid vom 12. August 2015 vorläufig aufzuheben und der Antragstellerin vorläufig, längstens bis zu einer bestandskräftigen oder rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung, Ausbildungsförderung in der für den Besuch einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule vorgesehenen gesetzlichen Höhe für Mai 2016 bis Juli 2016 zu bewilligen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragstellerin und der Antragsgegner tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens jeweils zu Hälfte.

Gründe

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist teilweise abzulehnen, weil die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehend genannten Gründen nur teilweise Aussicht auf Erfolg bietet.

Der auf einstweiligen Rechtsschutz gerichtete – sinngemäße - Antrag der Antragstellerin,

den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin auf ihren Antrag vom 5. November 2015 rückwirkend ab dem Monat November 2015 Ausbildungsförderung dem Grunde nach zu bewilligen

und

den Antragsgegner zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 12. August 2015 der Antragstellerin rückwirkend für den Zeitraum August bis Oktober 2015 Ausbildungsförderung dem Grunde nach zu gewähren,

hat im Umfang des Tenors Erfolg.

Soweit sich das Begehren der Antragstellerin auf die Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides vom 12. August 2015 bezieht, ist dieses als Überprüfung der Entscheidung vom 12. August 2015 i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auszulegen und insofern im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes in entsprechender Anwendung von § 123 VwGO zulässig (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Mai 2000 – L 10 LW 1258/00 ER-B –, juris Rn 19; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn 29c).

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Form der Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dazu hat der Antragsteller die besondere Dringlichkeit der Anordnung (Anordnungsgrund) und das Bestehen des zu sichernden Anspruchs (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 120 Abs. 2, § 74 ZPO).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass der Antragsgegner seinen Bescheid vom 12. August 2015 vorläufig zurücknehmen und der Antragstellerin auf ihren Antrag vom 5. November 2015 vorläufig Ausbildungsförderung gewähren muss, liegen vor.

Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruches glaubhaft gemacht. Sie hat einen zu sichernden Anspruch aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids vom 12. August 2015 und auf Bewilligung ihres Antrags auf Ausbildungsförderung vom 5. November 2015. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Im Leistungsrecht des BAföG ist § 44 SGB X uneingeschränkt anwendbar (BVerwG v 25.4.1985 – 5 C 123/83BVerwGE 71, 220 = NVwZ 1985, 655; BVerwG v 15.11.1990 – 5 C 78/88BVerwGE 87, 103 = NVwZ 1991, 572). Der Bescheid des Antragsgegners vom 12. August 2015, mit welchem der Antrag der Antragstellerin auf Ausbildungsförderung abgelehnt wird, ist rechtswidrig. Denn die Antragstellerin hat nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage Anspruch auf Ausbildungsförderung für den Besuch einer Ausbildungsstätte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG.

Die Förderung der Antragstellerin scheitert nicht daran, dass sie bei Beginn des aufgenommenen Ausbildungsabschnitts, für den sie Ausbildungsförderung beantragt das 30. Lebensjahr bereits vollendet hatte, vgl. § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG. Denn bei der Antragstellerin liegt ein Fall des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG vor. Nach dieser Bestimmung gilt die Altersgrenze von 30 Jahren nicht, wenn Auszubildende aus persönlichen oder familiären Gründen gehindert waren, den Ausbildungsabschnitt rechtzeitig zu beginnen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie bei Erreichen der Altersgrenzen bis zur Aufnahme der Ausbildung ein eigenes Kind unter zehn Jahren ohne Unterbrechung erziehen und während dieser Zeit bis zu höchstens 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erwerbstätig sind. Bei der Berechnung der Wochenstundenanzahl ist auf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in jedem einzelnen Monat abzustellen (OVG Hamburg, Beschluss vom 03. Dezember 2012 – 4 Bs 200/12 –, juris Rn 14ff).

Die Voraussetzungen dieser Ausnahmevorschrift greifen zugunsten der Antragstellerin ein. Die Antragstellerin wurde am 4. März 1984 geboren. Von August 2012 bis November 2014 war sie als Einzelfallhelferin im …….. Werk ……. mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von rd. 20 Stunden beschäftigt. Ihre Tochter kam am 11. November 2013 zur Welt. Bei Erreichen der Altersgrenze im März 2014 war die Antragstellerin in Elternzeit. Vom 11. November 2014 bis zum 10. November 2015 erhielt sie Arbeitslosengeld gem. § 136 SGB III. Seit August 2015 besucht die Antragstellerin die Schule des Zweiten Bildungsweges in …….. (SZBW) zum nachträglichen Erwerb der Fachoberschulreife.

Ausbildungsförderung – soweit keine Ausbildung im Ausland in Rede steht – kommt nur für den Besuch einer der in § 2 Abs. 1 BAföG aufgeführten Ausbildungsstätten in Betracht. Die Antragstellerin besucht keine Abendrealschule im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG. Die Ausbildungsstätte der Antragstellerin entspricht jedoch einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG.

Eine Abendrealschule im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG führt Berufstätige, die die Vollzeitschulpflicht erfüllt haben, zu einem mittleren Schulabschluss (vgl. 2.1.11 BAföGVwV). Der Begriff „Abend“ bietet keinen Raum für eine Interpretation, wonach auch der „Vormittag“ eines Tages davon erfasst sein könnte (VG Hannover, Beschluss vom 04. März 2013 – 3 B 6715/12 –, juris Rn 14). Unter den Beteiligten ist es unstreitig, dass der Unterricht der von der Antragstellerin besuchten Bildungseinrichtung tagsüber und nicht abends stattfindet. Es handelt sich also schon im Wortsinne um keine „Abendrealschule“.

Eine an Art und Inhalt der Ausbildung orientierte Zuordnung des Ausbildungsganges nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BAföG führt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der von der Antragstellerin besuchte Ausbildungsgang nicht dem an einer Abendrealschule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG entspricht. Dabei kommt es unbeschadet der formellen Bezeichnung der Ausbildungsstätte und der grundsätzlichen Anknüpfung an die in § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG genannten Ausbildungsstättenarten auf die Besonderheiten des Ausbildungsganges an, wenn dieser nach Art und Inhalt mit dem Gattungsbegriff der Ausbildungsstätte nicht übereinstimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1982 – 5 C 26.80 -, FamRZ 1983, 1066; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates zur Einführung des § 2 Abs. 1 Satz 2 BAföG durch das 2. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 31.7.1974 in BT-Drucks. 7/2098, S. 26). Maßgeblich für die Zuordnung einer Ausbildungsstätte sind die Merkmale, die die in § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG aufgeführten Arten von Ausbildungsstätten hinsichtlich der Art und des Inhalts der Ausbildung kennzeichnen und voneinander unterscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1982 – 5 C 26.80 -, FamRZ 1983, 1066). Hinsichtlich des Ausbildungsinhalts kommen dafür vor allem die Unterscheidung nach den allgemeinbildenden (Nr. 1 und 2) und den berufsbildenden (Nr. 3 bis 5) Lehrstoffen in Betracht sowie die Abgrenzung zwischen schulischer Unterrichtung und der die Hochschule kennzeichnenden wissenschaftlichen Ausbildung (BVerwG, Urteil vom 25.11.1982, – 5 C 26.80 -, FamRZ 1983, 1066). Im Hinblick auf die Art der Ausbildung wird die Zuordnung maßgeblich dadurch bestimmt, ob es sich um eine berufliche Erstausbildung oder wie bei der Fachschule um eine berufliche Fortbildung handelt, was seinen Ausdruck insbesondere in berufsbezogenen Zugangsvoraussetzungen findet, ob Ganztags- oder Teilzeitschulen besucht werden oder ob eine schulische Unterweisung gegeben oder ein wissenschaftliches Studium betrieben wird. Weiter kommen in Betracht die Ausbildungszeiten, die Qualifikation des Lehrpersonals, die sächliche Ausstattung der Ausbildungseinrichtung sowie die durch die Ausbildung vermittelte berufliche und schulische Qualifikation (BVerwG, Urteil vom 25.11.1982, – 5 C 26.80 -, FamRZ 1983, 1066).

Die Antragstellerin absolviert einen Ausbildungsgang zum nachträglichen Erwerb der Fachoberschulreife an der SZBW ……, sodass die von der Antragstellerin besuchte Ausbildungsstätte zwar hinsichtlich des Inhalts der Ausbildung mit dem Gattungsbegriff der Ausbildungsstätte i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG übereinstimmt. Hinsichtlich der Art der Ausbildung ist dies jedoch nicht der Fall. Das Kriterium der Tageszeit, zu der der Unterricht stattfindet, ist als Merkmal der „Art“ der Ausbildung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 BAföG anzusehen. (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 04. März 2013– 3 B 6715/12 –, juris Rn 16; vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Januar 2016 – 4 LC 297/13 –, juris Rn 26). Die Ausbildungszeiten sollen die Bedürfnisse von Berufstätigen berücksichtigen, indem sie eine Ausbildung anbieten, die im Grundsatz neben einer (zumindest möglichen) Berufstätigkeit oder sonstigen Beschäftigung betrieben wird (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 04. März 2013– 3 B 6715/12 –, juris Rn 16; vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Januar 2016 – 4 LC 297/13 –, juris Rn 26). Hier findet der Unterricht Montag bis Freitag in der Zeit von 8.00 – 16.00 Uhr statt.

Auch kommt es darauf an, ob die betreffende Ausbildung nach ihrem Umfang eine begleitende Berufstätigkeit – auch in Teilzeit ermöglicht. Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung zwar nur geleistet, wenn die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Das wäre bei der Schulform einer Abendschule typischerweise nicht der Fall, weshalb eine Förderung einer solchen Ausbildung an § 2 Abs. 5 BAföG regelmäßig scheitern würde. Eine Ausbildung an einer Abendschule im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG ist jedoch nur für bestimmte einzelne Ausbildungsabschnitte förderfähig - namentlich den oder die letzten vor den abschließenden Prüfungen (vgl. 2.11 BAföGVwV). In diesem Sinne hat auch die bisherige Vollzugspraxis das Gesetz in Bezug auf Abendrealschulen interpretiert (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 04. März 2013 – 3 B 6715/12 –, juris Rn 18). Dabei kommt es darauf an, ob die Ausbildung im Normallfall eine begleitende Berufstätigkeit vorsieht oder zumindest ermöglicht, was nicht der Fall ist, wenn die Ausbildung in Vollzeitform durchgeführt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.1975 - V C 15.74 -, BVerwGE 49, 279; vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Januar 2016 – 4 LC 297/13 –, juris Rn 27). Auf Grund des vorgesehenen Unterrichtsumfangs von 20 Wochenstunden ist hier davon auszugehen, dass die von der Antragstellerin absolvierte Ausbildung während des gesamten Ausbildungsganges in Vollzeit durchgeführt wird. Denn dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Unterrichtszeit mindestens 20 Wochenstunden beträgt, da die Vor- und Nachbereitungszeit der Unterrichtsveranstaltungen erfahrungsgemäß mindestens noch einmal dieselbe Zeit beanspruchen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Januar 2016 – 4 LC 297/13 –, juris Rn 27; Pesch in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 5. Aufl. 2014, § 2 Rn 111).

Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass im Ausbildungsstätten-Verzeichnis des Landes Brandenburg der von ihr besuchte Ausbildungsgang am SZBW …….. als „ARS“ – Abendrealschule – geführt wird. Die im Ausbildungsstätten-Verzeichnis vorgenommene Zuordnung ist rechtlich nicht verbindlich (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Januar 2016 – 4 LC 297/13 –, juris Rn. 33; VG Hannover, Beschluss vom 04. März 2013 – 3 B 6715/12 –, juris Rn. 23; Pesch in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 5. Aufl., § 2 Rn. 6; Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 2 Rn. 12.1).

Anspruchsgrundlage der begehrten Leistung ist indessen § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG i.V.m. § 2 Abs. 1 a Satz 1 Nr. 3 BAföG. Die von der Antragstellerin besuchte Schule entspricht der Ausbildungsstätte einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG und die Antragstellerin erfüllt die einschränkenden Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Abs. 1a BAföG.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, im Fall der Antragstellerin handele es sich um den Bildungsgang zum nachträglichen Erwerb der Fachoberschulreife und daher um den Besuch einer Schule des Zweiten Bildungsweges, welche von § 2 Abs. 1 Nr. 4 BAföG, nicht aber von § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG erfasst werde. Eine Ausbildung, die von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG erfasst sei, könne nur eine solche im Rahmen der Erfüllung der Vollzeitschulpflicht sowie der daran anschließenden Berufsschulpflicht sein. Ausweislich von § 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, §§ 32 ff. BbgSchulG sei die Schule des Zweiten Bildungsweges eine eigene Schulform, die Erwachsenen eine allgemeine Bildung vermittle. Die Antragstellerin erfülle die Voraussetzungen für den Besuch einer Abendrealschule i.S.v. § 2 Abs.1 Satz 1 Nr. 4 BAföG und könne nicht unter den Fördertatbeständen des § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG wählen.

Der Argumentation des Antragsgegners ist nicht zu folgen. Einerseits beschreibt der Begriff des „Zweiten Bildungswegs“ anders als der Begriff „weiterführende allgemeinbildende Schule“ keine Schulgattung i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG. Andererseits sprechen Wortlaut und Gesetzessystematik gegen die Annahme, das Erfüllen der persönlichen Voraussetzungen für den Besuch einer Ausbildungsstätte i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG führe dazu, dass keine Ausbildungsförderung für den Besuch einer Ausbildungsstätte i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG gewährt werden könne.

Die Qualifizierung der von der Antragstellerin besuchten Schule des Zweiten Bildungsweges in ……… (SZBW) als Schule des Zweiten Bildungsweges berechtigt nicht zu dem Schluss, die Einrichtung könne nur einer solchen i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG entsprechen. Der Begriff des „Zweiten Bildungsweges“ ist kein Rechtsbegriff, sondern ein soziologisches oder bildungspolitisches Merkmal dahingehend, dass der Ausbildungsgang vom Auszubildenden berufsbegleitend durchgeführt wird (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 14. Januar 2015 – 11 K 3677/14 –, juris Rn 21). Sämtliche in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG genannte Ausbildungsstätten, die ausbildungsbegleitend eine Berufstätigkeit des Ausbildungswilligen verlangen, sind Schulen des Zweiten Bildungsweges (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 14. Januar 2015 – 11 K 3677/14 –, juris Rn 21; vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 2 Rz 8.1, 8.3 und 8.4). Dies schließt indessen nicht aus, dass Schulen des Zweiten Bildungsweges förderungsrechtlich auch solche Ausbildungsstätten sein können, für die nach Maßgabe von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG Ausbildungsförderung geleistet wird, wenn die Ausbildung nach Art und Inhalt jener an einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG entspricht. Weiterführende allgemeinbildende Schulen sind Hauptschule, Realschule, Gymnasium, integrierte Gesamtschule und Schulen mit mehreren Bildungsgängen (2.1.3 BAföGVwV). Es besteht ferner die Möglichkeit, weitere und neue Typen der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen zu erfassen (Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 2 Rn. 5; vgl. OVG Hamburg, FamRZ 1996. 126/127).

Diesem Begriffsverständnis widersprechende Regelungen der Landesschulgesetze ändern in Bezug auf die Gewährung von Ausbildungsförderung nach den Bestimmungen des BAföG nichts. Ausweislich von § 16 Abs. 2 BbgSchulG sind die Schule des Zweiten Bildungsweges (Nr. 5) und weiterführende, allgemeinbildende Schulen (Nr. 2) zwar eigenständige Schulformen. Den landesrechtlichen Regelungen kommt jedoch lediglich indizielle Bedeutung im Hinblick auf die Zuordnung des von der Antragstellerin besuchten Ausbildungsganges zu einer der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 – 6 BAföG genannten Ausbildungsstättenarten zu. Denn den Ländern fehlt die Gesetzgebungskompetenz zumindest für eine förderungsrechtlich wirksam werdende, aber den Leitvorstellungen des Bundesgesetzgebers widersprechende eigenständige inhaltliche Definition der in § 2 Abs. 1 BAföG aufgeführten Ausbildungsstättenarten (VG Hannover, Beschluss vom 04. März 2013 – 3 B 6715/12 –, juris Rn. 2; ebenso Pesch in Ramsauer/ Stallbaum, BAföG, 5. Aufl. 2014, § 2 Rn. 8; a. A. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 2 Rn. 12.1 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 26.10.87, 5 B 31.86, juris, das sich darin mit dieser Frage allerdings nicht befasst). Das BAföG selbst enthält keinerlei Hinweis, dass die inhaltliche Definition der in § 2 Abs. 1 BAföG benannten verschiedenen Ausbildungsstättenarten kompetenziell den jeweiligen Landes(schul)gesetzgebern überlassen sein soll, bzw. dass das BAföG insoweit an die jeweiligen landesschulrechtlichen Regelungen lediglich anknüpft (so aber - ohne Begründung - das BVerwG, Beschluss vom 26.10.87, 5 B 31.86, juris ), ohne eigene inhaltliche Vorgaben zu enthalten. Auch die Begründung zur Ursprungsfassung des Gesetzes spricht dagegen, indem darin ausdifferenzierte eigene Definitionen der jeweiligen Begriffe aufgeführt werden (VG Hannover, Beschluss vom 04. März 2013 – 3 B 6715/12 –, juris Rn. 21).

Darüber hinaus schließt das Erfüllen der persönlichen Zugangsvoraussetzungen zum Besuch einer Ausbildungsstätte im Rahmen von § 2 Abs. 1 BAföG nicht die Förderungsfähigkeit einer anderen aus. Weder Wortlaut noch Gesetzessystematik sprechen für die Annahme, dass demjenigen Ausbildungswilligen, welcher die Voraussetzungen für den Besuch einer Ausbildungsstätte i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG aufgrund seiner Berufstätigkeit oder der der Berufstätigkeit gleichgestellten Führung des Familienhaushalts erfüllt, keine Ausbildungsförderung für den Besuch einer Ausbildungsstätte i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG gewährt werden kann. § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG spricht im Verhältnis von Nr. 1 zu Nr. 4 weder von einem Rangverhältnis, nach dem der Ausbildungswillige die Ausbildungsstätte zu wählen hat, noch schließt er grundsätzlich aus, dass der Ausbildungswillige unter den Fördervoraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG wählen kann. Maßstab für die Förderfähigkeit des Besuchs einer Ausbildungsstätte i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 6 BAföG sind ausschließlich objektive an die Bildungseinrichtungen anknüpfende Kriterien und keine subjektiven in der Person des Ausbildungswilligen liegenden Merkmale. Die einschränkenden in der Person des Auszubildenden liegenden Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 a BAföG, welcher sich ausschließlich auf § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG bezieht, sowie der Abs. 5 und 6 müssen insoweit als abschließend angesehen werden.

Für die Zuordnung einer Ausbildungsstätte sind allein Art und Inhalt der Ausbildung maßgebend, § 2 Abs. 1 Satz 2 BAföG. Die sich bei SGB II – Empfängern u.U. stellende Frage nach der Vermittelbarkeit in ein Arbeitsverhältnis ist für das Verhältnis von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zu Nr. 4 BAföG deshalb irrelevant. Eine allein an Art und Inhalt der Ausbildung anknüpfende Zuordnung führt auch nicht dazu, dass die durch Beschluss der KMK vom 11. September 2014 neu gefassten Voraussetzungen für die Aufnahme und den Besuch von Abendrealschulen überflüssig werden. Ausweislich der Vorbemerkung zum KMK-Beschluss soll die Vereinbarung über die neu gefassten Voraussetzungen dazu beitragen, die Abendrealschule mit den übrigen zum Mittleren Schulabschluss führenden Bildungswegen vergleichbar zu halten und als Grundlage für die Überprüfung der Förderungsfähigkeit im Sinne des BAföG dienen. Dies ändert nichts daran, dass die Fördertatbestände der § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 BAföG unabhängig nebeneinander stehen. Sie haben unterschiedliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen. So ist nach § 12 Abs. 2 BAföG der monatliche Bedarf, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt, für Schüler von weiterführenden allgemeinbildenden Schulen geringer (465 Euro) als der für Schüler von Abendrealschulen (543 Euro).

Der von der Antragstellerin besuchte Ausbildungsgang entspricht nach alledem jenem an einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Die Antragstellerin absolviert einen Ausbildungsgang zum nachträglichen Erwerb der Fachoberschulreife an der SZBW …….., sodass die von der Antragstellerin besuchte Ausbildungsstätte hinsichtlich des Inhalts der Ausbildung mit einer Realschule, d.h. einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG, übereinstimmt. Hinsichtlich der Art der Ausbildung entspricht der Ausbildungsgang der Antragstellerin ebenfalls dem an einer regulären Realschule. Der Unterricht findet vormittags statt und wird in Vollzeitform durchgeführt. Die Ausbildung wird an einer öffentlichen Einrichtung durchgeführt, vgl. § 2 Abs. 1 S. 3 BAföG. Träger der SZBW …… ist die Kreisfreie Stadt …….. Die Antragstellerin erfüllt auch die einschränkenden Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a S. 1 Nr. 3 BAföG. Sie führt einen eigenen Haushalt und lebt mit ihrer am 11. November 2013 geborenen Tochter zusammen.

Der Förderung steht schließlich nicht entgegen, dass die Antragstellerin bereits einen Abschluss in einem weiterführenden allgemeinbildenden Ausbildungsgang, nämlich die erweiterte Berufsbildungsreife (erweiterter Hauptschulabschluss) erworben hat. Denn auch ein zweiter allgemein bildender Ausbildungsabschnitt kann gefördert werden, wenn dieser – wie hier – eine höhere schulische Qualifikation vermittelt als der frühere (BVerwGE 70, 115 – 121).

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Bei einem Antrag, der auf die vorläufige Gewährung von Ausbildungsförderung gerichtet ist, ergibt sich die Eilbedürftigkeit nicht schon aus der Natur der Sache, sodass Umstände, welche sie begründen, von der Antragstellerin gar nicht mehr glaubhaft zu machen wären. Dies gilt insbesondere deshalb, da mit dem Erlass einer zu Geldleistungen verpflichtenden einstweiligen Anordnung Regelungen getroffen werden, die später nicht oder nur erschwert wieder rückgängig gemacht werden können, so dass insoweit eine tatsächliche Vorwegnahme der Hauptsache stattfindet. Das Vorbringen der Antragstellerin lässt erkennen, dass – aufgrund der Höhe des anzurechnenden Einkommens ihres Lebensgefährten - erfolglos versucht wurde, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II zu erhalten. Im Übrigen verfügt die Antragstellerin über keinerlei Einkünfte und muss die Beiträge zur Krankenversicherung selbst aufbringen. Es ist nicht zu erkennen, dass die Antragstellerin zumindest die zur vorläufigen Existenzsicherung und Aufrechterhaltung einer erfolgversprechenden Ausbildung unerlässlichen Mittel zur Verfügung hat.

Die Ausbildungsförderung kann vermittels einer einstweiligen Anordnung erst vom Monat der gerichtlichen Entscheidung an zugesprochen werden (OVG Hamburg, Beschluss 3. Dezember 2012 – 4 BS 200/12 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02. November 2006 – 3 M 185/06 –).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO, § 188 VwGO.