KG, Beschluss vom 31.07.2015 - 3 Ws (B) 356/15
Fundstelle
openJur 2016, 8063
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 13. April 2015 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit es die Festsetzung der Geldbuße und das Absehen vom Verhängen des Fahrverbotes betrifft.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat durch Bußgeldbescheid vom 30. April 2014 gegen den Betroffenen wegen eines fahrlässigen qualifizierten Rotlichtverstoßes (§§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV, lfdNr. 132.2) in Tateinheit mit dem verbotswidrigen Benutzen eines Mobiltelefons (§§ 23 Abs. 1a, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO, 24 StVG) eine Geldbuße in Höhe von 220,00 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Auf seinen dagegen gerichteten Einspruch, den er in zulässiger Weise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das Amtsgericht Tiergarten die Betroffenen am 13. April 2015 zu einer Geldbuße in Höhe von 300,-- Euro unter Wegfall des Fahrverbotes verurteilt.

Nach den rechtskräftigen Feststellungen des Amtsgerichts hielt der Betroffene am Sonntag, den ... um ... Uhr in 10787 Berlin an der Kreuzung Eisenacher Straße/Kleiststraße als Führer des Kraftfahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen B - ... wegen des für seine Fahrspur maßgeblichen Rotlichtes der Lichtzeichenanlage zunächst an. Die Fußgänger hatten grünes Licht. Der Betroffene ließ ein Fahrzeug im Querverkehr passieren, fuhr bei anhaltender, jedenfalls länger als eine Sekunde dauernden Rotlichtphase an, passierte die Haltelinie und bog nach links ab. Zeitgleich benutzte er zudem verbotswidrig ein Mobiltelefon, indem er es aufnahm oder hielt.

II.

1. Die dagegen gerichtete, gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin ist zulässig. Das Urteil wurde zwar nicht in der Form der §§ 46 Abs. 1 OWiG, § 41 StPO der Amtsanwaltschaft zugestellt. Da aber der Zustellungsvermerk nach § 41 Satz 2 StPO nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung ist, sondern die Zustellung durch Vorlage der Urschrift der Entscheidung zum Zwecke der Zustellung bei der Staatsanwaltschaft bzw. Amtsanwaltschaft wirksam wird (vgl. Graalmann-Scherer in L-R, StPO, 26. Aufl., § 41 Rn.19), ist das Urteil am 5. Mai 2015 dem Beschwerdeführer wirksam zugestellt worden. Denn am 5. Mai 2015 ging die Urschrift des Urteils mit den Gründen bei der Amtsanwaltschaft zwecks Zustellung ausweislich eines Handzeichens der Geschäftsstelle ein.

2. Die am 22. Juni 2015 bei Gericht eingegangene ausführliche Begründung der Rechtsbeschwerde wahrte zwar nicht mehr die Frist nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 1 StPO, jedoch hatte die Beschwerdeführerin bereits mit Einlegung des Rechtsmittels am 17. April 2015 die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Angesichts der Beschränkung der Entscheidung des Amtsgerichts auf den Rechtsfolgenausspruch und der rechtlichen Ausführungen der Rechtsbeschwerdebegründung, die trotz Verspätung im Rahmen der zulässig erhobenen Sachrüge zu berücksichtigen waren (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 345 Rn. 3), war erkennbar, dass die Beschwerdeführerin die Urteilsaufhebung begehrt, soweit das Amtsgericht vom Verhängen eines Fahrverbotes abgesehen.

3. Eine Beschränkung des Rechtsmittels ist nur zulässig, wenn sie sich auf abtrennbare Teile des Rechtsfolgenausspruchs bezieht (Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., 2012, § 79 Rn. 32).

Dies trifft für die Feststellungen des Amtsgerichts zum qualifizierten Rotlichtverstoß zu; sie genügen gerade noch den Anforderungen, jedoch besteht zwischen der Bemessung der Geldbuße und dem Absehen vom Fahrverbot eine Wechselwirkung (Seitz, aaO., Rn. 9), so dass eine weitere Beschränkung des Rechtsmittels ausschließlich auf das Absehen des Verhängens des Fahrverbotes unzulässig ist.

4. Die Sachrüge hat Erfolg.

Der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit es die Festsetzung der Geldbuße und das Absehen vom Verhängen des Fahrverbotes betrifft.

a) Nach der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG bei der hier abgeurteilten Verkehrsordnungswidrigkeit indiziert, die zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass sie regelmäßig zur Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme Anlass gibt (BGHSt 38, 125 und 231; BayObLG VRS 104, 437; ständige Rspr. des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284).

b) Folgerichtig ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen (nach §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1, 26a StVG iVm § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV iVm lfdNr. 132.3) wegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers neben der Anordnung einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots indiziert war.

Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt oder wenn eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die in ihrer Gesamtheit eine Ausnahme zu begründen vermögen, oder wenn durch die Anordnung eines Fahrverbots bedingte erhebliche Härten oder gar eine Härte außergewöhnlicher Art eine solche Entscheidung als nicht gerecht erscheinen lassen (vgl. KG, Beschluss vom 28.Oktober 1996 - 3 Ws (B) 445/96 -). Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. KG, Beschlüsse vom 2. Juni 2014 - 3 Ws (B) 285/14 -, vom 22. September 2004 - 3 Ws (B) 418/04 -, in VRS 108, 286 m.w.N.).

c) Den allein maßgeblichen schriftlichen Urteilsgründen ist dies nicht zu entnehmen. Vom Regelfall abweichende Besonderheiten lassen die Feststellungen nicht erkennen. Zum Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots und dem Vorliegen eines atypischen Rotlichtverstoßes führt das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil unter Bezugnahme auf zitierte Rechtsprechung des Senates aus, dass die besondere Gefährlichkeit des qualifizierten Rotlichtverstoßes, die abstrakte Gefährdung des Querverkehrs und der in dem durch das Rotlicht gesperrten Fahrbahn befindlichen Fußgänger, habe nicht vorgelegen. Denn andere Verkehrsteilnehmer seien zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes nicht vorhanden gewesen.

Den vom Amtsgericht herangezogenen Entscheidungen des Senates lagen Sachverhalte zugrunde - so die zutreffenden rechtlichen Ausführungen der Rechtsbeschwerdebegründung -, bei denen von dem Verhängen eines Fahrverbotes lediglich deswegen abzusehen war, weil eine auch nur abstrakte Gefährdung völlig ausgeschlossen war (vgl. auch Bay DAR 05, 349; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 2015, § 37 Rn. 54 m.w.N.) oder es sich um einen Rechtsabbieger gehandelt hat. Eine abstrakte Gefährdung liegt dann nicht vor, wenn es durch das Sperren der Fahrspuren des Querverkehrs und der Fußgängerfurten im Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes nicht zu einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommen konnte, weil keine potenziell gefährdeten Verkehrsteilnehmer in den geschützten Kreuzungsbereich eindringen durften (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Juni 2015 - 3 Ws (B) 185/15 -).

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts lag eine solche Verkehrssituation - Ausschluss auch nur einer abstrakten Gefahr - aber nicht vor. Vielmehr hatte die Fußgängerüberfurt grünes Licht, der Querverkehr war zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes freigegeben und der Betroffene hatte auch ein Fahrzeug passieren lassen, bevor er nach dem Anhalten noch während der Rotlichtphase anfuhr und nach links abbog, wobei er - so die Urteilsfeststellungen - möglicherweise durch das verbotswidrige Benutzen des Mobiltelefons abgelenkt gewesen ist.

Auch kann es - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - jedenfalls in einem Linksabbiegerfall nicht darauf ankommen, ob im konkreten Fall eine konkrete Gefahr ausgeschlossen war. Eine solche Ansicht führt im Ergebnis dazu, dass es der (subjektiven) Einschätzung des Betroffenen von der konkreten Verkehrssituation unterliegt, ob eine konkrete Gefahr vorliegt und ob und ggf. wie lange er das Rotlicht beachtet. Dies relativiert die Indizwirkung des BKat (König, aaO.) und ist aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht akzeptabel (BayObLG, Beschluss vom 6. März 2003, 1 ObOWi 58/03 -, juris Rn. 12 m.w.N.).

5. Da das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots somit keinen Bestand haben kann und eine Wechselwirkung zwischen der Frage der Anordnung dieser Maßregel und der Bemessung der Höhe der Geldbuße besteht, war das Urteil insoweit mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Tiergarten zurückzuverweisen.