KG, Beschluss vom 02.11.2015 - 3 UF 120/14
Fundstelle
openJur 2016, 8054
  • Rkr:

Die Voraussetzungen für eine Konsensualscheidung nach Art. 292 Abs. 1 ZPO der Schweiz liegen nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts auch dann vor, wenn das Einverständnis mit der Scheidung zwar im Scheidungsverfahren selbst formell verweigert wird, das (materielle) Einverständnis mit der Scheidung sich aber daraus ergibt, dass der beklagte Ehegatte an einem anderen - auch ausländischen - Gerichtsstand die Scheidung begehrt (Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 3. Oktober 2013 - BGE 139 III 482). Der Beachtung dieser vom Schweizerischen Bundesgericht praktizierten Auslegung durch ein deutsches Gericht bei der Anwendung materiellen schweizerischen Rechts steht die Tatsache, dass der Übergang von der streitigen Scheidung zur Konsensualscheidung seit Abschaffung des früheren 116 ZGB der Schweiz und Einführung des § 292 ZPO der Schweiz nicht mehr materiellrechtlich, sondern verfahrensrechtlich geregelt ist, nicht entgegen. Entscheidend ist allein, ob bei gleicher Ausgangslage ein Schweizerisches Gericht die Scheidung aussprechen würde oder nicht.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird die Sache unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Schöneberg - Familiengericht - vom 10. Juli 2014 - 21 F 118/13 - zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 72.852,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten, beide deutsche Staatsangehörige, haben am 25. September 1998 vor dem Standesamt ... die Ehe miteinander geschlossen. Beide Eheleute leben in der Schweiz. Sie haben zwei Kinder, D... St..., geboren am ... 2001, und M... St..., geboren am ... 2007. Mit am 4. Dezember 2013 beim Amtsgericht Schöneberg per Fax eingegangenem Schriftsatz begehrt der Antragsteller die Scheidung der Ehe mit den Behauptungen, die Ehe sei gescheitert und die Beteiligten lebten seit dem 4. Dezember 2011 dauerhaft von einander getrennt. Gleichzeitig begehrt er Feststellung, dass der Antragsgegnerin keine nachehelichen Unterhaltsansprüche zustünden. Beide Anträge sind der Antragsgegnerin unter dem 4. Februar 2014 in der Schweiz zugestellt worden.

Mit am 4. März 2014 beim Kantonsgericht S... in der Schweiz eingegangenem Scheidungsantrag begehrt die Antragsgegnerin in der Schweiz ihrerseits die Scheidung der Ehe. Den vor dem Amtsgericht Schöneberg rechtshängig gemachten Scheidungs- und Folgesachenanträgen ist sie entgegen getreten mit dem Antrag, diese als unstatthaft zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für eine Scheidung nach Art. 114 ZGB (Schweizerisches Zivilgesetzbuch) lägen nicht vor. Tatsächlich hätten sie sich nämlich nicht - wie vom Ehemann angegeben - bereits am 4. Dezember 2013, sondern erst am darauffolgenden Tag getrennt, so dass die zweijährige Trennungszeit des Art. 114 ZGB im Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrags als zwingende Voraussetzung für den Ausspruch einer Scheidung auf Klage eines Ehegatten nicht abgelaufen gewesen sei. Hilfsweise hat die Antragsgegnerin vor dem Amtsgericht beantragt, den Antrag des Antragstellers auf Feststellung, dass ihr keine nachehelichen Unterhaltsansprüche zustünden, zurückzuweisen und den Antragsteller zu verpflichten, ab Rechtskraft der Scheidung an sie Kindesunterhalt in Höhe von jeweils CHF 1.800,00 monatlich pro Kind und Nachehelichenunterhalt in Höhe von CHF 9.000,00 monatlich bis September 2019 einschließlich sowie ab Oktober 2016 bis September 2025 einschließlich in Höhe von CHF 7.500,00 monatlich zu zahlen. Der Antragsteller hat beantragt, sämtliche Anträge der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 10. Juli 2014 die Scheidungs- und Folgesachenanträge des Antragstellers zurückgewiesen. Zu Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für einen Ausspruch der Scheidung nach Art. 114 ZGB lägen nicht vor. Als Trennungszeitpunkt sei entsprechend dem Vortrag der Antragsgegnerin der 5. Dezember 2011 zugrunde zu legen, was in der Entscheidung näher ausgeführt wird. Dementsprechend lägen die Voraussetzungen für eine Scheidung auf Klage eines Ehegatten nach Art. 114 ZGB nicht vor. Trotz des von der Antragsgegnerin in der Schweiz anhängig gemachten Scheidungsverfahrens und des damit zum Ausdruck gebrachten Willens, die Scheidung durchzuführen, scheide auch eine Konsensualscheidung nach schweizerischem Recht aus. Das schweizerische Recht sehe in seinem am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Art. 292 ZPO in einem solchen Fall zwar den Wechsel zur Scheidung auf gemeinsames Begehren vor, bei dieser Vorschrift handele es sich aber nicht um eine materiellrechtliche, sondern eine verfahrensrechtliche Vorschrift. Verfahrensrechtliche Vorschriften hätten wegen des Grundsatzes der lex fori, wonach das Gericht grundsätzlich immer nur eigenes Verfahrensrecht anwende, außer Betracht zu bleiben. Zudem könne es auch nach der von dem Antragsteller zitierten Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichts (BGE 139 III, 482) gerade in internationalen Fällen durchaus gute Gründe für die Begründung eines bestimmten Gerichtsstandes und für divergierende Interessen beider Eheleute in Bezug auf die Begründung eines bestimmten Gerichtsstandes geben wie etwa Vertrautheit mit den Verhältnissen, rechtliche Auswirkungen auf die Nebenfolgen der Scheidung, Belegenheit von güterrechtsrelevanten Vermögensgegenständen, Teilung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche, weite Anreise zum Gericht, so dass eine Berufung auf Art. 292 ZPO durchaus rechtsmissbräuchlich sein könne.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der auf der Durchführung des Scheidungsverfahrens vor dem Amtsgericht Schöneberg besteht.

II.

Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist auch begründet; der angefochtene Beschluss ist gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 FamFG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen, weil dort noch die Entscheidungen über die Folgesachen Kindesunterhalt und Nachehelichenunterhalt anstehen. Darauf hat der Senat mit Verfügung vom 3. September 2015 wie folgt hingewiesen:

“ ... beabsichtigt der Senat nach Vorberatung, die Sache ohne erneute mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG) gemäß §§ 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens von Amts wegen an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen, weil das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für den Ausspruch der Scheidung der Eheleute nach materiellem schweizerischem Recht nicht vorlägen, und über die Folgesachen Kindesunterhalt und nachehelichen Unterhalt, über die gemäß § 137 Abs. 2 Nr. 2 FamFG im Verbund zu entscheiden ist, noch nicht entschieden hat, so dass die beteiligten Eheleute ohne die Rückverweisung eine Instanz verlieren würden.

Die statthafte (§ 58 Abs. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere rechtzeitig (§ 63 Abs. 1 FamFG) bei dem zuständigen Amtsgericht (§ 64 FamFG) eingelegte Beschwerde ist begründet. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die entgegen dem Wortlaut der Vorschrift des § 65 Abs. 4 FamFG in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen ist (BGH, Beschluss vom 28. November 2002 - III ZR 102/02, MDR 2003, 348 (349)), ergibt sich entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts aus Art. 3 Abs. 1 lit. b) der Verordnung (EG) 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen (kurz: EheVO), weil beide Ehegatten die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Scheidung richtet sich mangels einer Rechtswahl gemäß Art. 8 a) der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 20. Dezember 2010 (kurz: Rom III-VO) nach schweizerischem Recht, weil beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hatten. Zu Recht verweist das Amtsgericht insoweit darauf, dass das nach der Verordnung anzuwendende Recht gemäß seinem Art. 4 auch dann zur Anwendung kommt, wenn es auf das Recht eines Staates verweist, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, wie es bei der Schweiz der Fall ist. Entsprechendes gilt für seine Ausführungen zu Art.11 der Rom III-VO, wonach bei dem nach der Verordnung anzuwendenden Recht stets die Sachnormen gemeint sind, so dass vorliegend die Regeln des Internationalen Privatrechts der Schweiz im Hinblick auf eine Rück- oder Weiterverweisung außer Betracht zu bleiben haben und materielles schweizerisches Recht auf die Ehescheidung zur Anwendung kommt.

Allerdings hat das Amtsgericht zu Unrecht angenommen, dass die Voraussetzungen für den Ausspruch der Scheidung nach materiellem schweizerischem Recht nicht vorlägen und der Antrag des Ehemannes auf Ausspruch der Scheidung deshalb zurückzuweisen sei. Nach Auffassung des Senats liegen die Voraussetzungen für eine Konsensualscheidung nach schweizerischem Recht vor, so dass der Scheidungsantrag begründet und die Scheidung im Verbund mit der Entscheidung über die anhängigen Folgesachen auszusprechen ist.

Zuzustimmen ist dem Amtsgericht zunächst darin, dass die Voraussetzungen für eine Scheidung auf Klage nach Art. 114 ff. des schweizerischen Zivilgesetzbuches (im Folgenden kurz: ZGB) nicht vorliegen, weil die Eheleute bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags noch nicht - wie nach Art. 114 ZGB vorausgesetzt - seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt haben.

Im Ergebnis zutreffend führt das Amtsgericht dazu aus, dass für den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags auf schweizerisches Recht als das für die Entscheidung berufene und den Tatbestand ausfüllende Sachrecht abzustellen ist und es somit gemäß Art. 62 Abs. 1 der schweizerischen Zivilprozessordnung (im Folgenden kurz: ZPO) auf den Zeitpunkt der Einreichung des Antrags des Ehemannes bei Gericht am 4. Dezember 2013, nicht auf den nach deutschem Verfahrensrecht für die Rechtshängigkeit maßgebenden Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags an die Ehefrau am 4. Februar 2014 ankommt. Denn jede Rechtsordnung hat in erster Linie selbst über die Auslegung ihres Rechts zu befinden (Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 16 I.). Zu fragen ist demnach, wie ein schweizerisches Gericht die hier zur Entscheidung stehende Rechtsfrage entscheiden würde. Der Hinweis des Ehemannes auf die Kommentarliteratur zu Art. 62-64 ZPO und jene des IPRG (Art. 9 Abs. 2 IPRG bzw. des LugÜ) sind insoweit nicht zielführend, weil sie sich mit rein prozessualen Fragen, insbesondere der - möglicherweise vorrangigen - anderweitigen Rechtshängigkeit vor einem ausländischen Gericht befassen, die es häufig aufgrund internationaler Verpflichtungen oder bilateraler oder multilateraler Abkommen zu beachten gilt. Diese Auslegung passt nicht zu dem vorliegenden Kontext, in dem es um die Auslegung schweizerischen Sachrechts und die Berechnung einer Trennungszeit geht, die als Scheidungsvoraussetzung materiell-rechtlich von Bedeutung ist. Bestätigt wird dieser materielle Bedeutungsgehalt durch die von dem Ehemann selbst in das Verfahren eingeführte Kommentierung von Steck im Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 4. Aufl., Art. 114, Rn. 13 (Bd. II, Bl. 127 d.A.), in der es heißt:

“Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss die Trennungsfrist von zwei Jahren im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage oder bei Wechsel zur Scheidung auf Klage (vgl. Art. 113) erfüllt sein (...). Damit wird unterstrichen, dass die Verfahrensdauer bei der Berechnung der Getrenntlebensdauer nicht mitgezählt wird. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass ein Ehegatte mutwillig eine Klage anstrengt (und sich damit gestützt auf Art. 137 Abs. 1, bzw. künftig Art. 275 die Berechtigung zum Getrenntleben verschafft), um auf diesem Wege die Trennungszeit im Prozess zu <ersitzen> (...). Es genügt daher nicht, dass die Frist im Urteilszeitpunkt abgelaufen ist (...). Die Frist ist zwingend. Sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden (...)”.

Der Senat folgt nach eigener Würdigung des Vortrags der beteiligten Eheleute auch der Einschätzung des Amtsgerichts, dass die Trennung der Eheleute entsprechend dem Vortrag der Ehefrau erst am 5. November 2011 mit dem Auszug des Ehemannes und nicht - wie vom Ehemann behauptet - bereits am 4. November 2011 erfolgte. Insoweit wird auf die Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen. Richtig dürfte auch sein, dass es der Ehefrau nicht verwehrt ist, sich im Ehescheidungsverfahren auf einen anderen Trennungszeitpunkt zu berufen, als den in dem vorausgegangenen Eheschutzverfahren als von beiden Ehegatten übereinstimmend angegebenen Trennungszeitpunkt. Zwar scheint dies in der schweizerischen Kommentarliteratur umstritten zu sein (vgl. dazu Schwenzer, FamKomm, Scheidung, Band I: ZGB, 2011, Art. 114 Rn. 18), insoweit überzeugen aber die von der Ehefrau in das Verfahren eingeführten Ausführungen in Basler Juristische Mitteilungen, 1/2008, unter 2. (Bd. III, Bl. 52 d.A.). Dort heißt es:

“Das Eheschutzverfahren ist ein summarisches Verfahren, bei dem die Glaubhaftmachung genügt. Bereits aus diesem Grund ist das Scheidungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen von Art. 114 ZGB an die Feststellungen des Eheschutzrichters nicht gebunden. Es kann daher die Erfüllung der vorausgegangenen zweijährigen Trennungsfrist neu überprüfen, so dass ein entsprechendes Interesse an der Fixierung des Zeitpunkts durch das Eheschutzgericht verneint werden muss.”

Anders als das Amtsgericht geht der Senat aber davon aus, dass die Tatsache, dass die Ehefrau inzwischen selbst mit ihrem am 4. März 2014 beim Kantonsgericht Schaffhausen in der Schweiz eingegangenem Antrag die Scheidung begehrt und damit die Voraussetzungen der Konsensualscheidung nach Art. 292 Abs. 1 ZGB eingetreten sind, der den Ausspruch der Scheidung ohne Einhaltung jeglicher Trennungsfrist bei übereinstimmendem Scheidungswillen beider Eheleute vorsieht, nicht außer Betracht bleiben darf. Die Tatsache, dass die Scheidung nach schweizerischem Recht als begründet angesehen und von einem schweizerischen Gericht auch ausgesprochen werden würde, muss auch in einem vor deutschen Gerichten ausgetragenen Scheidungsverfahren, bei dem nach schweizerischem Recht zu entscheiden ist, zur Begründetheit des Scheidungsantrags führen.

Nach Art. 292 Abs. 1 ZPO wird das Verfahren nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren (Art. 111 ZGB) fortgesetzt, wenn die Ehegatten:

a. bei Eintritt der Rechtshängigkeit noch nicht seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt haben; und

b. mit der Scheidung einverstanden sind.

Beides ist vorliegend der Fall. Nach dem von dem Ehemann in das Verfahren eingeführten Bundesgerichtsentscheid der Schweiz vom 3. Oktober 2013 - BGE 139 III 482 - (Bd. I, Bl. 147-149 d.A.) kommt es dabei nicht darauf an, dass die Ehegatten ihren einheitlichen Willen zu Scheidung durch einen gemeinsamen oder in demselben Scheidungsverfahren gestellten Antrag zum Ausdruck bringen. Entscheidend sei allein, dass beide Ehegatten die Scheidung wollen. Wörtlich führt das Bundesgericht der Schweiz dazu Bezug nehmend auf die Vorgängervorschrift des aArt. 116 ZGB aus:

“In Übereinstimmung mit der Lehre ging das Bundesgericht davon aus, dass die Zustimmung aufgrund des Wortlautes von aArt. 116 ZGB ausdrücklich und im betreffenden Verfahren gegenüber dem Gericht, vor dem die Scheidungsklage anhängig war, erfolgen musste (...). Verweigerte der beklagte Ehegatte die Zustimmung formell, hatte er aber an einem anderen Gerichtsstand - d.h. nicht im Rahmen einer Widerklage, wie sie in aArt. 116 ZGB als Alternative zur formellen Zustimmung erwähnt war - selbst auf Scheidung geklagt, konnte aArt. 116 ZGB keine direkte Anwendung finden (...). Das Bundesgericht ging aber davon aus, dass der beklagte Ehegatte mit seinem andernorts vorgebrachten eigenen Scheidungsbegehren unmissverständlich zum Ausdruck bringe, dass auch er die Auflösung der Ehe anstrebe bzw. materiell die Scheidung wolle, weshalb aArt. 116 ZGB analog anzuwenden sei (...). Diese Rechtsprechung ist in Übereinstimmung mit der Lehre, soweit sie sich dazu äussert (...) auf Art. 292 Abs. 1 ZPO zur übertragen, wobei die Nachfolgenorm aufgrund der Änderungen im Wortlaut nunmehr direkt und nicht bloss analog Anwendung finden kann: Anders als bei aArt. 116 ZGB ist nicht mehr von einer ausdrücklichen Zustimmung, sondern davon die Rede, dass der beklagte Ehegatte “mit der Scheidung einverstanden” sein muss. Dieses Einverständnis kann sich durchaus auch in einer eigene Scheidungsklage manifestieren. Ausschlaggebend ist, dass kein Zweifel daran besteht - der Ehemann hat im erstinstanzlichen Verfahren selbst vorgebracht, dass er andernorts auf Scheidung geklagt hat -, dass beide Ehegatten die Scheidung wollen, mithin über den Scheidungspunkt als solchen materiell Einigkeit besteht.”

Die Entscheidung über den Scheidungsantrag im vorliegenden Fall auf das Einverständnis beider Eheleute zu stützen, ist den deutschen Gerichten auch nicht etwa deshalb verwehrt, weil das deutsche Gericht auf diese Weise ausländisches Verfahrensrecht anwenden würde. Denn das deutsche Scheidungsverfahrensrecht kennt anders als das schweizerische ohnehin nur ein einheitliches Verfahren. Dem Verbot der Anwendung fremden Verfahrensrechts würde ein deutsches Gericht - was hier allerdings offen bleiben kann - allenfalls dann zuwiderhandeln, wenn es den Wechsel in der materiellen Begründung des Scheidungsbegehrens allein deshalb unbeachtet ließe, weil im ausländischen Recht damit ein (unzulässiger) Wechsel des Verfahrens einherginge. Im vorliegenden Fall würde aber selbst das schweizerische Verfahrensrecht den Wechsel zulassen.

Denn bei der Reform des Scheidungsrechts hat der schweizerische Gesetzgeber sich entschieden, den gestrichenen Art. 116 a.F. ZGB, welcher bis dahin den Übergang vom strittigen Scheidungsverfahren zu demjenigen auf gemeinsames Begehren regelte, durch die Vorschriften der Art. 291 und Art. 292 ZPO zu ersetzten. Eine Verschärfung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine auf gemeinsames Begehren auszusprechende Ehescheidung etwa im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit der Ehe, die hier einer isolierten Anwendung der Art. 292 Abs. 1 ZPO und seines sachrechtlichen Gehalts entgegen stehen könnte, sind nicht ersichtlich. Die Konzeption der neuen Regelung geht davon aus, dass ein Wechsel ins Verfahren auf gemeinsames Begehren nur dann stattfinden soll, wenn der Scheidungsgrund nicht ohnehin feststeht, mithin die Scheidung nur aufgrund des gemeinsamen, in der Anhörung dann zu bestätigenden Willens ausgesprochen werden könnte. Zweck war, Verfahrensverzögerungen wegen des Verfahrenswechsels zu vermeiden. Steht der Scheidungsgrund fest, dann wird - ungeachtet einer allfälligen Zustimmung des Beklagten oder einer Widerklage - das Verfahren als Klageverfahren weiter geführt (FamKomm Scheidung/Frankhauser, Anh. ZPO Art. 291 N 1-2 m.w.Nw.). Da - wie ausgeführt - die Voraussetzungen für eine auf Klage eines Ehegatten auszusprechende Scheidung nicht vorliegen, bleibt es dementsprechend dabei, dass ein schweizerisches Gericht - die Ernsthaftigkeit des Scheidungswillens vorausgesetzt (Hausheer/Geiser/Aebi-Müller, Das Familienrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Bern 2014, § 10 Rz. 1007), woran vorliegend angesichts des beiderseits erhobenen Scheidungsantrags kein Zweifel besteht (vgl. zur Bedeutung einer etwa im Ausland nach Einleitung des inländischen Scheidungsverfahrens anhängig gemachten Scheidungsklage des beklagten Ehegatten auch Siehr/Bähler in Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Art. 292 Rn. 7, Bd. I, Bl. 153 d.A.) - die Scheidung aussprechen würde, ohne dass es dafür der Erfüllung weiterer materieller oder prozessualer Voraussetzungen bedürfte.”

An dieser Rechtsansicht hält der Senat auch im Hinblick auf das Vorbringen der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 29. Oktober 2015 fest. Sie macht darin geltend, dass ihre beim Kantonsgericht S... eingereichte Scheidungsklage entgegen der Rechtsauffassung des Senats nicht als Zustimmung zur Scheidungsklage des Antragstellers ausgelegt werden könne. Das vom Senat zur Begründung seiner Rechtsauffassung in Bezug genommene Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 3. Oktober 2013 - BGE 139 III 482 - eigne sich insofern als Referenzentscheidung nicht. Dort sei es nämlich nicht um eine vor einem ausländischen Gericht anhängig gemachte Scheidungsklage, sondern um zwei nacheinander von den Ehegatten vor verschiedenen Gerichten in der Schweiz anhängig gemachte Scheidungsklagen gegangen, die aufgrund der unterschiedlichen Wohnsitze der Eheleute gleichermaßen örtlich zuständig gewesen seien. Auf internationale Fälle wie dem vorliegenden sei diese Rechtsprechung nicht übertragbar, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen des Schweizerischen Bundesgerichts in der zitierten Entscheidung zur unterschiedlichen Tragweite der Begründung eines bestimmten Gerichtsstandes in einem internationalen Verhältnis im Vergleich zu einem rein nationalen Sachverhalt ergebe. Dort habe das Schweizerische Bundesgericht ausgeführt:

“Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ändert daran nichts, dass es im Unterschied zur zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht um einen internationalen Sachverhalt geht, im Gegenteil: Während es im internationalen Verhältnis gute Gründe für die Begründung eines bestimmten Gerichtsstandes geben kann bzw. die Ehegatten divergierende Interessen mit Bezug auf spezifische Gerichtsstände haben können (Vertrautheit mit den Verhältnissen; rechtliche Auswirkungen auf die Nebenfolgen der Scheidung; Belegenheit von güterrechtsrelevanten Vermögensgegenständen; Teilung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche; weite Anreise zum Gericht; sprachliche Verständigungsschwierigkeiten mit dem Gericht und/oder dem lokalen Anwalt; etc.), treten diese Momente im Binnenverhältnis stark in den Hintergrund.”

Zur weiteren Untermauerung ihrer Rechtsansicht, dass bei der Frage, ob eine von dem Antragsgegner einer Scheidungsklage vor einem anderen Gericht erhobene Scheidungsklage mit umgekehrtem Rubrum als Zustimmung zur Scheidung gewertet werden könne oder nicht, zwischen solchen Scheidungsklagen, die vor einem schweizerischem Gericht und solchen, die vor einem ausländischen Gericht erhoben würden, unterschieden werden müsse, verweist die Antragsgegnerin auf ein Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 5. November 2011 - BGE 137 III 421 - wo die Schweizerische Gerichtsbarkeit bejaht worden war, nachdem eine Partei versucht hatte, den Fall nachträglich im Ausland anhängig zu machen. Dort hatte das Schweizerische Bundesgericht ausgeführt:

“Der bisherige Art. 116 ZGB ist sinngemäss anwendbar, wenn sich der beklagte Ehegatte während eines in der Schweiz hängigen Scheidungsverfahrens ausdrücklich auf ein inhaltsgleiches Verfahren beruft, das er seinerseits im Ausland eingeleitet hat.”

Beide von der Antragsgegnerin wiedergegebenen Zitate aus Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts stehen nicht im Widerspruch zu dem Hinweis des Senats vom 3. September 2015, sondern bestätigen dortige Rechtsausführungen. In der ersten hier von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung hatte das Bundesgericht sich mit dem Argument auseinanderzusetzen, dass die zuvor in einem Fall mit Auslandsbezug - also Zweitklage vor einem ausländischen Gericht - niedergelegte Rechtsprechung auch für reine Inlandsfälle - also beide Klagen an unterschiedlichen inländischen Gerichtsständen in der Schweiz - Geltung beanspruche. Die Ausführungen des schweizerischen Bundesgerichts enthalten eine Erst-recht-Argumentation in dem Sinne, dass wenn schon Zweitklagen vor ausländischen Gerichten als Zustimmung zu einer zuerst vor einem schweizerischen Gericht begehrten Scheidung zu werten seien, dies erst recht bei einer vor einem schweizerischen Gericht erhobenen Zweitklage gelten müsse, es jedenfalls keinen nachvollziehbaren Grund gebe, diesen Sachverhalt anders zu bewerten.

Die zweite von der Antragsgegnerin angeführte Entscheidung bestätigt schon ihrem Wortlaut nach die Rechtsausführungen des Senats. Der Senat macht insoweit nichts anderes, als an der Stelle des schweizerischen Gerichts nach schweizerischem Recht zu entscheiden. Er muss sich daher - ebenso wie das schweizerische Gericht - als das zuerst angerufene Gericht mit der Frage auseinandersetzen, wie sich die nachträglich in der Schweiz erhobene Scheidungsklage der Antragsgegnerin auf die hier für die weitere Durchführung des Scheidungsverfahrens notwendige Zustimmung auswirkt. Dafür hat das Schweizerische Bundesgericht in den hier zitierten Entscheidungen einen eindeutigen Weg vorgegeben, nämlich den, dass es nicht auf die formale Zustimmung zu der konkret erhobenen Scheidungsklage, sondern allein auf den in der eigenständig erhobenen Klage - sei es vor einem schweizerischen oder einem ausländischen Gericht - zum Ausdruck gekommenen Willen zur Scheidung ankommt. Dabei sei noch einmal ausdrücklich herausgestellt, dass dies nach der vom Senat zitierten Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts vom 3. Oktober 2013 - BGE 139 III 482 - nicht nur unter der alten Vorschrift des Art. 116 ZGB galt, sondern erst recht unter der neuen Vorschrift des Art. 292 Abs. 1 ZPO gilt. Während Art. 116 ZGB seinem Wortlaut nach noch die ausdrückliche Zustimmung des beklagten Ehegatten in dem betreffenden Verfahren gegenüber dem Gericht verlangte und die Rechtsprechung sich in Fällen, in denen der beklagte Ehegatte seinerseits Scheidungsklage vor einem anderen Gericht erhoben hatte, mit einer analogen Anwendung behelfen musste, ist dies im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 292 Abs. 1 ZPO, der nicht mehr von der ausdrücklichen Zustimmung zur Scheidung, sondern nur noch davon spricht, dass der beklagte Ehegatte “mit der Scheidung einverstanden sein muss”, nun nicht mehr notwendig.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 40, 43 FamGKG.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.

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