KG, Urteil vom 27.11.2014 - 22 U 238/13
Fundstelle
openJur 2016, 8043
  • Rkr:

Der Halter, der sich auf den Ausschluss der Halterhaftung (§ 7 StVG) nach § 8 StVG beruft, hat dessen Tatbestandsvoraussetzungen, also auch die des § 8 Nr. 2 StVG, darzulegen und zu beweisen.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 9. September 2013 verkündete Urteil der Zivilkammer 43 des Landgerichts Berlin - 43 O 233/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund der Urteile vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von bzw. gegenüber dem beklagten Versicherungsverein ... als Haftpflichtversicherer aufgrund seiner bei dem Verkehrsunfall am 24. August 2008 erlittenen Verletzungen einen ersten Schmerzensgeldteilbetrag von 100.000 € - hinsichtlich dessen im Termin vor dem Senat klargestellt worden ist, dass eine offene Teilklage erhoben worden sei und bei einer weiteren Bemessung wiederum der gesamte Sachverhalt ab dem Unfall Berücksichtigung finden solle - sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Schäden.

Der Beklagte beruft sich darauf, dass der Kläger Fahrzeugführer gewesen sei und seine Haftung daher nach § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen sei.

Wegen des Parteivorbringens erster Instanz, der dort durchgeführten Beweisaufnahme und gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat durch am 9. September 2013 verkündetes Urteil der Klage im Wesentlichen stattgegeben und durch die Beschränkung auf die Höchstbeträge nach §§ 12, 12a StVG die Klage teilweise abgewiesen. Es hat u.a. ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Voraussetzungen des von dem Beklagten zu beweisenden Ausschlusstatbestandes nicht nachgewiesen seien. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit seiner rechtzeitigen Berufung macht der Beklagte unter näherer Ausführung geltend, die Beweislast zu den Voraussetzungen des § 8 Nr. 2 StVG treffe nach dem Schutzzweck der Norm bzw. dem Zurechnungszusammenhang nach Gefahrenbereichen den Kläger. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung verwiesen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist u.a. auf den Umstand, dass in § 8 Nr. 2 StVG eine Ausnahme geregelt sei, weshalb deren Voraussetzungen von der Beklagten zu beweisen seien. Ferner verweist er sinngemäß darauf, dass es nicht sachgerecht wäre, wenn bei Unaufklärbarkeit des Fahrzeugführers gegebenenfalls alle Insassen ohne Entschädigung blieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Der Senat verweist auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung. Mit Rücksicht auf die Berufungsbegründung ist hierzu - im Wesentlichen wiederholend - erneut die Rechtslage klarzustellen:

Hinsichtlich der Beweislastverteilung ist, wie allgemein anerkannt ist (“ungeschriebene Grundregel”), maßgeblich, in welcher Weise der Gesetzgeber die Regelung vorgenommen hat, also ob er Tatbestandsmerkmale als Voraussetzung des Anspruchs oder als Ausschlussgrund bestimmt hat (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., Vor § 284 Rn. 17a; Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess,

26. Aufl., Kap. 37 Rn. 65), was durch eine entsprechende Formulierung (“es sei denn”) oder durch ausdrückliche oder sinngemäße Formulierung eines gesonderten Ausschlusstatbestandes in dem gleichen Paragrafen oder einem gesonderten Paragrafen klargestellt werden kann. Jede Partei hat demgemäß die ihr günstigen Umstände darzulegen und zu beweisen, also bspw. der Anspruchsgegner die Voraussetzungen der den Anspruch hindernden Norm bzw. des Ausschlusstatbestandes, wobei Einschränkungen des Ausschlusstatbestandes wiederum der Anspruchsteller zu beweisen hat. § 8 StVG regelt Ausschlusstatbestände (vgl. BT-Ds. 14/7752, S. 31, abgedruckt bei König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 8 StVG Vor Rn. 1), wie es schon der Gesetzesüberschrift (Ausnahmen) sowie der Formulierung (“gelten nicht”) entspricht. Dementsprechend hat der Halter die Voraussetzungen des § 8 StVG, also auch die des § 8 Nr. 2 StVG, darzulegen und zu beweisen (allg.A.; vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 1997 - VI ZR 156/96 - NZV 1997, 390, 391 [II.2.c)]; OLG Brandenburg, Urteil vom 10. September 2009 - 12 U 49/09 - juris Rn. 13; RG, Urteil vom 7. April 1930 - VI 400/29 - RGZ 128, 149, 152 [A.1.]; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 8 StVG Rn. 1; Heß in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 23. Aufl., § 8 StVG Rn. 1; vgl. - die Beweislast für die Voraussetzung des § 8 Nr. 2 StVG sinngemäß unterstellend - auch OLG München, Urteil vom 6. Juli 2012 - 10 U 3111/11 - juris und beck-online).

Soweit die Beklagte unter näherer Ausführung aus vermeintlichen Inkonsistenzen innerhalb der gesetzlichen Regelungen im StVG Schlussfolgerungen zieht, wonach sie eine Beweislastverteilung nach dem Schutzzweckzusammenhang bzw. dem Zurechnungszusammenhang nach Gefahrenbereichen für sachgerecht hält, trägt dies der ausgeführten Rechtslage schon deshalb nicht Rechnung, weil dem Gesetzgeber die allgemeine Beweislastregel als ungeschriebene Grundregel (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., Vor § 284 Rn. 17a) zweifellos bekannt ist und die aus rechtspolitischen Erwägungen gefundene Konstruktion des Beklagten nicht dem geltenden Recht entspricht.

Der Kläger hat ferner die Teilklage mit seiner in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erklärung (s.o. I.) in zulässiger Form individualisiert (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03 - NJW 2004, 1243, 1244 [3.]).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO; § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO. Eine Revisionszulassung scheidet aus, weil - soweit dem Senat bekannt - gegenteilige Auffassungen in der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur nicht vertreten werden und die Rechtslage - wie ausgeführt - eindeutig ist.