VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 18.05.2016 - 16/15
Fundstelle
openJur 2016, 7897
  • Rkr:
Tenor

Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Dezember 2014 - 56 S 26/14 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB). Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

Damit ist der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2015 - 56 S 26/14 - gegenstandslos.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich unter anderem gegen ein Urteil des Landgerichts Berlin, durch das sie zur Zahlung von Werklohn für Parkettlegearbeiten verurteilt wurde.

Die Beteiligte zu 2 hatte mit dem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann der Beschwerdeführerin im Dezember 2011 einen Vertrag zur Verlegung eines neuen Parkettfußbodens unter Einbeziehung der VOB Teil B geschlossen. Mit Schlussrechnung vom 16. April 2012 machte die Beteiligte zu 2 einen Werklohn von 4.275,43 Euro geltend. Diesen Anspruch wies die Beschwerdeführerin unter anderem mit der Begründung zurück, dass das Werk aufgrund erheblicher Mängel nicht abgenommen worden sei. Die Beteiligte zu 2 reichte daraufhin Klage beim Amtsgericht Schöneberg ein. Sie bestritt das Vorliegen von Mängeln und behauptete, dass eine Abnahme stattgefunden habe. Ein vom Gericht in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten stellte mehrere Werkmängel fest. In der mündlichen Verhandlung am 23. Januar 2014 erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie bezogen auf die Mängelbeseitigung ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe von 5.000,- Euro ausübe und hilfsweise insoweit gegen die Klageforderung aufrechne. Der in der Verhandlung gehörte Sachverständige bezifferte sodann die Gesamtmängelbeseitigungskosten auf ca. 2.300,- Euro und empfahl zudem für den Fall der Nichtbeseitigung bestimmter, nur problematisch zu behebender Mängel die Zahlung eines Ausgleichsbetrages von ca. 700,- Euro.

Das Amtsgericht Schöneberg wies die Klage mit Urteil vom 20. März 2014 wegen fehlender Abnahmefähigkeit des Werkes ab und begründete dies mit der Wesentlichkeit der vom Sachverständigen festgestellten Mängel, die sich aus deren Gesamtschau ergebe.

Die Beteiligte zu 2 legte dagegen fristgerecht Berufung ein. Auf einen Hinweis des Berufungsgerichts vom 4. Juni 2014, in dem die Wesentlichkeit der Mängel in Frage gestellt wurde, erklärte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 7. Juli 2014 hilfsweise die Aufrechnung mit den „vom Sachverständigen in seiner Vernehmung am 23. Januar 2014 festgestellten Mangelbeseitigungskosten in Höhe von 2.300,00 € sowie dem finanziellen Ausgleichsbetrag in Höhe von 700,00 €“. „Hilfshilfsweise“ wurde zudem ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht, welches sich aufgrund der noch festzustellenden Beseitigungskosten für den Mangel am Bodengrund, das heißt hinsichtlich der dort nach Ansicht der Beschwerdeführerin aufzubringenden nivellierenden Ausgleichsmasse, ergebe. Dieser von der Beschwerdeführerin zusätzlich behauptete Mangel hatte nicht zu denen gehört, auf den sich das ursprünglich geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht bezogen hatte und die vom Sachverständigen in der Ausgangs-instanz festgestellt worden waren.

Am 12. Dezember 2014 gab das Landgericht der Klage der Beteiligten zu 2 in Höhe von 4.219,38 Euro nebst Zinsen statt und bejahte dabei die Abnahmefähigkeit des Werkes aufgrund des Fehlens wesentlicher Mängel. Das Gericht führte zudem aus, dass seitens der Beschwerdeführerin möglicherweise ein Zurückbehaltungsrecht wegen der „einfachen Mängelbeseitigungskosten“ bestanden habe, dieses jedoch nicht geltend gemacht worden sei.

Das Urteil wurde der Beschwerdeführerin am 16. Dezember 2014 zugestellt. Daraufhin erhob sie mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2014 Anhörungsrüge nach § 321a ZPO, die mit Beschluss vom 8. Januar 2015, der Beschwerdeführerin am 15. Januar 2015 zugestellt, zurückgewiesen wurde.

Am 13. Februar 2015 hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben.

Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist - soweit zulässig - begründet.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2015 wendet. Denn dieser enthält keine eigenständige Beschwer, sondern lässt allenfalls eine bereits durch die Ausgangsentscheidung eingetretene Rechtsverletzung fortbestehen, indem eine „Selbstkorrektur“ durch das Fachgericht unterbleibt (vgl. Beschluss vom 11. April 2014 - VerfGH 31/14 - wie alle nachfolgend zitierten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes unter www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de, Rn. 8; st. Rspr.).

2. Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Dezember 2014 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 15 Abs. 1 der Verfassung von Berlin - VvB.

Das mit Art. 103 Abs. 1 GG inhaltsgleiche Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten behaupten zu können.

Das Gericht muss danach die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (Beschluss vom 18. Februar 2015 - VerfGH 151/14 - Rn. 11; st. Rspr.). Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (Beschluss vom 15. Januar 2014 - VerfGH 179/12 - Rn. 8; st. Rspr.).

Dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Indem es das erstinstanzlich geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht unbeachtet gelassen hat, hat es eine wesentliche Prozesserklärung der Beschwerdeführerin übergangen. Zwar hat die Beschwerdeführerin diese Einrede in der Berufungsinstanz nicht erneut erhoben, doch war sie dazu auch nicht verpflichtet, weil es sich bei der Einrede des Zurückbehaltungsrechts aus § 320 BGB um einen Akt mit rechtsgestaltender Wirkung handelt, der insoweit keiner Wiederholung mehr bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1986 - IX ZR 145/85 - juris Rn. 29 zu § 273 BGB).

Es ist auch kein prozessuales Verhalten der Beschwerdeführerin ersichtlich, das als Verzicht auf die einmal erhobene Einrede gedeutet werden könnte. Allein, dass sie bezüglich der ursprünglichen Mängelbeseitigungskosten später ausschließlich die Aufrechnungserklärung wiederholte, das entsprechende Zurückbehaltungsrecht aber nicht erwähnte, lässt nicht auf einen solchen Verzicht schließen. Auch der Umstand, dass sie ein anderes Zurückbehaltungsrecht geltend machte, wobei sie ausdrücklich erklärte, dass sich dieses nicht auf die vom Sachverständigen begutachteten Mängel, sondern auf den neuen Aspekt einer mangelhaften nivellierenden Ausgleichsmasse beziehe, führt zu keiner anderen Bewertung. Vielmehr brachte die Beschwerdeführerin durch die Wiederholung der Aufrechnungserklärung noch einmal zum Ausdruck, dass sie die von ihr ursprünglich geltend gemachten Mängel auch weiterhin der Klageforderung entgegenhalten wollte.

Auf dem Verfassungsverstoß beruht das Urteil auch, weil - nicht zuletzt aufgrund der ausdrücklichen Ausführungen des Landgerichts zu einem möglicherweise bestehenden Zurückbehaltungsrecht - nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieses bei Berücksichtigung der erstinstanzlich geltend gemachten Einrede zu einem anderen Urteilsausspruch - hier einer Zug-um-Zug-Verurteilung der Beschwerdeführerin - gelangt wäre.

Die Beschwerdeführerin hat die Gehörsverletzung des Landgerichts durch Nichtbeachtung der Einrede des Zurückbehaltungsrechts in ihrer Anhörungsrüge ausdrücklich benannt. Gleichwohl hat das Landgericht die durch § 321a ZPO geschaffene Möglichkeit zur Selbstkorrektur nicht wahrgenommen.

III.

Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Dezember 2014 wird nach § 54 Abs. 3 Halbsatz 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof - VerfGHG - aufgehoben. Die Sache wird gem. § 54 Abs. 3 Halbsatz 2 VerfGHG an das Landgericht zurückverwiesen.

Damit ist der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2015, mit dem die Anhörungsrüge zurückgewiesen wurde, gegenstandslos.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.

Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof abgeschlossen.