SG Berlin, Urteil vom 07.07.2016 - S 68 U 637/13
Fundstelle
openJur 2016, 7882
  • Rkr:

Die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit bei einem Flugbegleiter kommt bei einem einmaligen "fume-event" nicht in Betracht.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit steht die Anerkennung einer so genannten Wie - Berufskrankheit.

Der Kläger arbeitet als Flugbegleiter sei 1999 und seit 2006 als Purser bei der D.L. Dabei wurde er zu etwa 60% der Flugzeiten auf Kurzstrecken und zu 40% auf Mittelstrecken eingesetzt. Er flog dabei mit Flugzeugen der Hersteller B. und A. Seine Arbeitsaufgabe bestand in der Betreuung der Passagiere und der Gewährleistung der Sicherheit an Bord der Maschine.

Ab 18. Oktober 2011 begab sich der Kläger in neurologische Behandlung durch Dr. S. und Dr. D.. Es wurde nachfolgend eine Polyneuropathie mit Parästhesien und Sensibilitätsstörungen festgestellt. Berichtet wurde von Kribbeln auf der Haut, Taubheitsgefühlen, Atemnot, Druck auf der Brust, Muskelzuckungen, Magen und Darmbeschwerden, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen und Augenirritationen. Dem Bericht lässt sich entnehmen, dass es am 3. Oktober 2011 zu einem fume event an Bord des Flugzeuges gekommen sein soll. Es sei ein miefiger Geruch wahrgenommen worden, den der Kläger auf Intoxikation zurückführe. Zudem begab sich der Kläger in psychotherapeutische Behandlung. Auf die jeweiligen Zwischenberichte wird verwiesen.

Am 14. März 2012 wurde der Kläger durch den Medizinischen Dienst der D.L. untersucht und dabei eine Fluguntauglichkeit unter den Diagnosen Anpassungsstörungen sowie einer Polyneuropathie durch sonstige toxische Agenzien festgestellt.

Mit Schreiben vom 4. April 2012 beantragte der Kläger daraufhin die Anerkennung des Ereignisses vom 3. Oktober 2011 als Berufskrankheit nach Nummer 1307 der BKV. Es sei durch den Vorfall zu einer Nervenleitstörung gekommen, die immer noch nachweisbar sei. Die psychotherapeutische Behandlung sei notwendig, da er voller Sorge darüber sei, dass sich dieses Ereignis beim erneuten Einsatz an Bord wiederholen werde. Der Kläger verwies unter anderem auf eine nervenärztliche Nachuntersuchung bei Dr. D.r vom 20. April 2012. Dem dazugehörigen Bericht an die Krankenversicherung des Klägers lässt sich entnehmen, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit zu mehr als 50% erwerbsunfähig sei. Es bestehe seit dem 10. Oktober 2011 eine Arbeitsunfähigkeit nach einer TCP Vergiftung während der beruflichen Tätigkeit als Flugbegleiter.

Die Beklagte trat daraufhin in weitere Ermittlungen, zunächst nur zur Berufskrankheit nach Nr. 1307 der BKV ein und wandte sich dabei an die behandelnden Ärzte, den Arbeitgeber sowie die Krankenkasse (Bl. 72-80 der Verwaltungsakte der Beklagten). Auf den Inhalt der daraufhin eingegangenen medizinischen Unterlagen wird verwiesen. Nach Kenntnis dieser erstellte die Hauptabteilung Gesundheitsschutz der Beklagten eine Stellungnahme unter dem 21. November 2012 (Bl. 160-186 der Verwaltungsakte der Beklagten). Es könne kein Zusammenhang zwischen TCP und der Erkrankung wahrscheinlich gemacht werden. Ein Teil der Beschwerden des Klägers sei vermutlich auf innere Ursachen zurückzuführen, ein anderer Teil auf weitere Belastungsfaktoren im Flugzeug und möglicherweise eine Unterversorgung mit Sauerstoff. Weitere toxischer Einflüsse seien, abgesehen von einer möglichen Exposition gegenüber Kohlenmonoxid und Kohlendioxid aus Trockeneis, nicht ersichtlich. Zudem seien die Symptome und Diagnosen des Klägers nicht typisch für eine TCP Exposition. In der ausgewerteten umfangreichen internationalen Literatur finde sich kein einziger Beleg für hinreichend hohe Belastung durch TCP im Flugzeug. Das von der Beklagten zitierte und vom IPA durchgeführte Biomonitoring von Urinproben sei die bisher umfangreichste Untersuchung dieser Art und habe keinerlei Hinweise auf gesundheitsschädigende Belastung durch TCP ergeben. Dabei seien diese Proben auch nach auffälligen Ereignissen des fliegenden Personals abgegeben worden. Die bei dem Kläger ebenfalls durchgeführte Laboruntersuchung auf Beryllium habe einen unauffälligen Wert ergeben, so dass auch eine weitere Krankheit nach Nr. 1110 der BKV ausgeschlossen sei.

Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 7. Februar 2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Berufskrankheiten nach Nummer Nr. 1110 der der Berufskrankheitenverordnung (BKV), 1307 der BKV, 1317 der BKV sowie einer sogenannten Wie - Berufskrankheit ab. Es fehle an den arbeitstechnischen Voraussetzungen. So sei eine Arbeitsbelastung für eine Berufskrankheit nach Nr. 1110 der BKV ausgeschlossen. Ein erhöhter Berylliumwert habe sich nicht gezeigt. Ebenso wenig habe sich der Nachweis einer Belastung durch Lösemittel ergeben (Berufskrankheit nach Nr. 1317 der BKV). Nach den Feststellungen der Präventionsabteilung seien auch keine Einwirkungen von organischen Phosphorverbindungen nachgewiesen (Berufskrankheit nach Nummer 1307 der BKV). Die Anerkennung einer so genannten Wie - Berufskrankheit scheide mangels gesicherter Erkenntnisse über Gefahrstoffe oder anderer schädigender Einflüsse in dem Arbeitsbereich als Flugbegleiter aus.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2013 Widerspruch ein. Bei anderen fliegenden Kollegen mit identischer Erkrankung und identischen Symptomen seien spezielle Testverfahren durchgeführt worden und dabei TCP im Blut nachgewiesen. Selbst die L. gebe inzwischen die Gefährdung zu. Es sei nicht ersichtlich, warum er ansonsten so plötzlich erkrankt sei. Mit weiterem Schreiben vom 3. Juli 2013 verwies der Kläger auf weitere Untersuchungen durch die Tagesklinik CH. vom 28. Mai 2013 bis 19. Mai 2013. Es sei nunmehr ein aerotoxisches Syndrom sowie ein Parkinson-Syndrom diagnostiziert worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für die Anerkennung einer so genannten Wie - Berufskrankheit seien Anhaltspunkte für eine nennenswerte Risikoerhöhung der Berufsgruppe der Flugbegleiter erforderlich. Diese sei nicht gegeben.

Mit seiner am 18. September 2013 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel der Anerkennung der Berufskrankheit unter Vertiefung seines Vortrags weiter. Es sei inzwischen unstreitig, dass es an Bord von Flugzeugen durch technische Mängel zu Verunreinigung der Atemluft durch verdampfte Ölrückstände komme, die Organophosphate enthalte. Er habe einen metallartigen Geschmack während des Fluges am 3. Oktober 2011 verspürt. Die Vergiftung sei zwischenzeitlich nachgewiesen. So sei diese auch bei einem Kollegen nachgewiesen worden. Getestet sei dies durch die Universität N. Zudem verweist der Kläger auf eine Vielzahl von Aufsätzen/Studien. Allein die Vielzahl der Vorfälle, die durch die Beklagte anhaltend bestritten werden, deute bereits auf das Bestehen einer Berufskrankheit hin. Damit könne die Beklagte einen Zusammenhang nicht mehr bestreiten.

Der Kläger beantragt,

der Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. August 2013 wird aufgehoben,es wird festgestellt, dass beim Kläger eine Wie-Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII vorliegt,die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab Oktober 2011 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 von Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf den Inhalt der Bescheide.

Auf Veranlassung der Kammer hat die Präventionsabteilung der Beklagten einer Stellungnahme unter dem 5. Februar 2014 erstellt. Die durch den Kläger angeführten Testungen aus Nebraska seien bekannt. Dabei seien allein Butyrycholinesterase im Blut nachgewiesen worden. Diese Untersuchung sei aber noch in der Entwicklung. Dabei sei dies keine Methode, um TCP nachzuweisen. TCP sei im Urin auch nur in einem kurzen Zeitfenster nachweisbar. Die Tagesklinik habe auch Belastungen benannt, die aber nicht auf Flügen vorkommen. Zudem seien die Symptome des Klägers gerade nicht typisch für eine TCP Exposition.

Die Kammer hat Kopien der Behandlungsakten der behandelnden Ärzte eingeholt. Auf den Inhalt wird verwiesen. Die Kammer hat weiter Beweis erhoben, indem aufgrund der Beweisanordnung vom 27. Mai 2015 Prof. Dr. B. mit der Erstellung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens beauftragt. Die Kammer hat die Beweisanordnung unter dem 18. August 2015 dahingehend erweitert, dass zudem eine neurokognitive Testung samt neurophysiologische Diagnostik durch Dr. H. genehmigt wurde. Prof. Dr. B hat den Kläger unter dem 26. Oktober 2015 untersucht. Unter dem 24. Januar 2016 hat Dr. H. ihr Zusatzgutachten auf neurophysiologischen Gebiet unter Berücksichtigung der neurokognitiven Testung erstellt. Grundsätzlich sei es nach dem durch Dr. H. seit 2014 durchgeführten Humanbiomonitoring (HBM) anzunehmen, dass ein Zusammenhang mit der inneren Belastung bei Kabinenluftzwischenfällen bestehe. Es seien dabei Stoffe festgestellt wurden, die nicht Bestandteil der Umweltbelastung seien. Erforderlich sei dafür ein zeitlicher Zusammenhang zu einem Unfallereignis. Es obliege dem Hauptgutachter zu beurteilen, ob bei dem Kläger typische Symptome mit symptomatischen Flügen vorliegen, die die Belastung plausibel machen.

Unter dem 4. Februar 2016 hat Prof. B. sein Gutachten erstellt. Eine in den Ziffern der BKV anzutreffende Berufskrankheit liege nicht vor. So fehle es für die Berufskrankheit nach Nummer 1317 an einer Exposition an Lösungsmitteln. Die Höhe und Dauer der Belastung durch Lösungsmittel sei in der Kabinenluft nicht ausreichend, um die bei dem Kläger diagnostizierten Krankheitsbilder zu verursachen. Hinsichtlich der Berufskrankheit nach Nummer 1317 fehle es ebenfalls an Luftmessungen in der Flugzeugkabine und einem zeitnahen Biomonitoring. Sofern man die Exposition aus den Mitteilungen der Arbeitskollegen annehme, so sei aber nicht von einer ausreichenden Menge auszugehen, damit sich die Erkrankung des Klägers damit erklären lassen. Es könne jedoch eine Wie -Berufskrankheit vorliegen. Der Kläger sei auf Flugzeugtypen eingesetzt worden, bei denen Fume Events mit Belastungen durch verschiedene Schadstoffe bekannt geworden seien. Die bei dem Kläger diagnostizierte Polyneuropathie sei ein Krankheitsbild, das bei entsprechenden Ereignissen unter Flugbegleitern aufgetreten sei. Bisher fehle es aber an epidomologischen-wissenschaftlichen Untersuchungen über die Häufigkeit und Begleitumstände dieser Erkrankungen, so dass bisher nur eine orientierende Charakterisierung der Begleitumstände möglich sei. Die Personen seien in Kontakt zu Lösungsmitteln und Phosphorverbindungen gekommen, deren Menge für sich allein betrachtet aber nicht ausreichend seien, sondern vielmehr nur durch ihre Addition eine Polyneuropathie hervorrufen könnte. Der Kläger habe bereits vor dem einzelnen Vorfall unter Beschwerden gelitten, die aber nicht ärztlich dokumentiert seien. Damit sei hier die Abgrenzung zwischen Berufskrankheit und Arbeitsunfall vorzunehmen. Er gehe dabei eher von einem Arbeitsunfall aus, da hier ein konkret auslösendes Ereignis vorliege.

Der Kläger hat unter dem 23. Februar 2016 zu dem Gutachten Stellung genommen und mitgeteilt, dass er dem Gutachten zustimme. Die Beklagte hat unter dem 7. März 2016 Stellung genommen. Eine Wie-Berufskrankheit könne nicht angenommen werden, da es bisher an neuen wissenschaftlichen Kenntnissen fehle. Dies ergebe sich bereits aus der Vielzahl der verschiedenen Krankheitsbildern, der unterschiedlichen körperlichen Symptome bei zeitgleicher Unkenntnis darüber, welche konkreten Noxen in welcher Konzentration welche Krankheitsbilder auslösen. Hier fehle zudem der Vollbeweis einer beruflichen Exposition. Sofern der Gutachter auf die Hintergrundbelastungen und deren Addition verweise, so sei dies spekulativ. Allein der Hinweis auf andere Fälle sei nicht ausreichend für den Vollbeweis.

Mit Bescheid vom 3. März 2014 hat die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 3. Oktober 2011 als Arbeitsunfall ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2015 hat die Beklagte den hiergegen eingelegten Widerspruch zurückgewiesen. Es liege kein Arbeitsunfall vor.

Die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten, auf die ergänzend Bezug genommen wird, haben vorgelegen und sind Gegenstand der Urteilsfindung gewesen.

Gründe

Die Leistungsklage ist bereits unzulässig. In dem streitgegenständlichen Bescheid hat die Beklagte keine Regelung über die Ablehnung einer Verletztenrente getroffen, sie verneint vielmehr das Erfordernis des Vorliegens einer Berufskrankheit. Bei der Formulierung “Ansprüche auf Leistungen bestehen nicht“ dürfte es sich um eine bloße Leerformel handeln (vgl. zu dem Begriff „Entschädigungsanspruch“ Urteil des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 23. Mai 2012 zum Aktenzeichen L 3 U 78/09, zitiert nach juris). Aus der nachstehenden Begründung im Bescheid wird ersichtlich, dass letztlich nur eine Entscheidung über das Nichtvorliegen einer Berufskrankheit erging und es demnach an einer weiteren Beurteilung etwaiger Funktionseinschränkung fehlt (zur Auslegung eines missverständlichen Verfügungssatzes siehe Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Oktober 2008 zum Aktenzeichen L 3 593/08 ER, zitiert nach juris.)

Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte hat hier lediglich über das Nichtbestehen von Berufskrankheiten entschieden, nicht aber auch über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls. Daher kann die Kammer auch nicht über das Vorliegen eines solchen entscheiden. Der diesbezügliche Bescheid ist bestandskräftig Nachdem der Kläger nur noch einen Antrag hinsichtlich der Wie-Berufskrankheit gestellt hat, scheidet auch eine weitere Prüfung der durch die Beklagten ebenfalls im streitgegenständlichen Bescheid abgelehnten Berufskrankheiten aus.

Der Kläger leidet nicht an einer Wie-Berufskrankheit. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. August 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Diese Gewissheit gewinnt die Kammer im Wege der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) aus dem Gesamtergebnis der Ermittlungen, dabei unter anderem auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof Dr. B. Dabei stützt sich die Kammer indes nur auf die medizinischen Tatsachenfeststellungen des Sachverständigen. Soweit der Sachverständige selbst rechtliche Schlussfolgerungen, etwa zur Abgrenzung von Arbeitsunfall und Berufskrankheit, gelangt die Kammer zwar zu demselben Ergebnis, jedoch im Wege eigener Subsumtion und nicht durch Übernahme rechtlicher Schlussfolgerungen des Sachverständigen. Die abschließende Subsumtion ist dem Gericht vorbehalten.

Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die vorliegende Erkrankung konkret individuell durch entsprechende Einwirkungen des Stoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden ist und dass die Einwirkungen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sind. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG Urteil vom 02. Mai 2001, Az. B 2 U 16/00 RSozR 3-2200 § 51 RVO Nr. 16 m.w.N.).

Die Kammer vermag keinen Anspruch des Klägers auf Anerkennung der Polyneuropathie als Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII erkennen. Nach dieser Regelung kann eine Krankheit wie eine Berufskrankheit entschädigt werden. Hiernach hat der Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit anzuerkennen, sofern nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII bestimmt dabei als Voraussetzung für die Bezeichnung von Krankheiten als Berufskrankheit durch Rechtsverordnung, dass diese nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.

Mit dieser Regelung sollen Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Hierfür genügt es nicht, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen sich vielmehr jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung zumindest derart verdichtet haben, dass von einer sogenannten Berufskrankheiten-Reife auszugehen ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn sich diesbezüglich bereits eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachbereich gebildet hat. Im Regelfall kann die Annahme einer gruppentypischen Risikoerhöhung nur durch Dokumentation einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen Überwachung derartiger Krankheitsbilder begründet werden (Urteil das Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Februar 2012 zum Aktenzeichen L 3 U 8/10, zitiert nach juris). Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sind (Urteil des Landessozialgericht Bayern vom 21.Juni 2006 zum Aktenzeichen L 2 U 390/04 – zitiert nach juris). So führt das Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen zu den Aktenzeichen B 2 U 3/12 R sowie B 2 U 6/12 R zur Anerkennung von Halswirbelsäulenerkrankungen bei Musikern aus:

„… Dass einzelne Mediziner eine durch die Fehlbelastung bedingte Krankheitsverursachung für wahrscheinlich halten, genügt nicht. Vielmehr muss eine Mehrheit der Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erkenntnisse und Erfahrungen verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt sein….“

Ob dieser Maßstab hier erfüllt ist, ist zweifelhaft, letztlich aber nicht entscheidungserheblich.

Prof. Dr. B. legt dar, dass es zwischenzeitlich neue Studien gibt, aber das Biomonitoring und auch die weiteren Bewertungen noch nicht abgeschlossen sind. Es ist durchaus zweifelhaft, ob dann bereits von einer sogenannten Berufskrankheiten-Reife ausgegangen werden kann. Prof. Dr. B. legt zudem dar, dass bisher keine Grenzwerte entwickelt werden konnten. Die Annahme einer Wie - Berufskrankheit könnte nach Einschätzung des Sachverständigen darauf gestützt werden, dass hier mehrere Stoffe gemeinsam wirken, die aber allein betrachtet die arbeitstechnischen Voraussetzungen der bereits bestehenden Berufskrankheiten, hier insbesondere der BK 1307 und 1317, erfüllen. Prof. Dr. B. ist dabei aber auch nicht in der Lage, die Interaktionen der Stoffe näher zu bestimmen und legt selbst dar, dass bei den "pathophysiologischen Interaktionen der verschiedenen Schadstoffe noch offene Fragen " bestehen. Er hält aber - sofern hier nicht eher von einem Arbeitsunfall auszugehen sein sollte - bereits eine Berufskrankheitenreife für gegeben. Dem dürfte entgegenstehen, dass derzeit die Studien noch nicht abgeschlossen sind. Letztlich kommt es aber für die Kammer darauf nicht an. Selbst die grundsätzliche Berufskrankheitenreife unterstellt, so wäre dafür zumindest der Vollbeweis einer dauerhaften beruflichen Belastung samt deren gesundheitlichen Auswirkungen erforderlich. Hier hat der Kläger zwar anhaltend in seinem Beruf gearbeitet, es wird aber lediglich ein einziges Fume Event geschildert. Zwar schilderte der Kläger - ohne dass ärztlichen Behandlungen nachgewiesen sind - einige symptomatischen Episoden zuvor, dies ist aber für die Kammer nicht ausreichend, um von einer dauerhaften beruflichen gesundheitsschädigenden Belastung auszugehen. Auch Prof. Dr. B. legt dar, dass es an einer medizinischen Dokumentation der Gesundheitsschädigungen sowie einer Dokumentation von Belastungen vor dem 3. Oktober 2011 fehlt. Damit war der Kläger aber nachweislich nur einmalig betroffen, so dass die Kammer nicht von dem Nachweis einer dauerhaften Belastung im Sinne einer Berufskrankheit ausgeht. Naheliegend erscheint vielmehr die Prüfung eines Arbeitsunfalls, die hier aber nicht streitgegenständlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.