OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.04.2016 - 1 M 167/16
Fundstelle
openJur 2016, 7526
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. April 2016 – 7 B 894/16 SN – wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wehrt sich gegen eine von der Antragsgegnerin verfügte Auflage, mit der für eine von ihm angemeldete Versammlung der Ort einer von sechs Auftaktkundgebungen sowie der Streckenverlauf des daran als Teil des geplanten Sternmarsches anschließenden Demonstrationszuges zum zentralen Kundgebungsort abweichend von seiner Anmeldung geändert wird. Insoweit legte der Antragsteller Widerspruch gegen diese Verfügung ein.

Für den 1. Mai 2016 waren von mehreren Veranstaltern Versammlungen im Innenstadtbereich von S. angemeldet worden; zuerst vom DGB, der einen Sternmarsch mit sechs „Strahlen“ zu einer Hauptkundgebung auf dem Marktplatz durchführen will.

Nachdem die NPD in einem Parallelverfahren gegen die Auflage, ihren Demonstrationszug durch die Weststadt zu führen, vor dem Verwaltungsgericht Schwerin obsiegt hatte, wurde im Zuge von Konsensualgesprächen für die NPD der Platz der Freiheit als Auftakt- und Schlusskundgebungsort festgelegt. Der für diesen Standort angemeldete Ausgangspunkt eines der sechs „Strahlen“ des Sternmarsches des DGB wurde deshalb durch die Oberbürgermeisterin auf den D.platz verlegt; auch die Marschroute wurde verändert.

Mit Beschluss vom 27. April 2016 hat das Verwaltungsgericht den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruch des Antragstellers vom 22. April 2016 gegen die Auflage Nr. 1 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 11. April 2016, mit der die Verlegung der Aufzugsroute verfügt wurde, wiederherzustellen, abgelehnt. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf die Darstellung des Verwaltungsgerichts.

Nach Maßgabe des allein zu berücksichtigenden Beschwerdevorbringens hat die Beschwerde keinen Erfolg (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO).

Die Verwaltungsgerichte müssen zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen. Sofern dies nicht möglich ist, haben die Verwaltungsgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene (BVerfG 1. Senat 1. Kammer, B. v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris).

Werden mehrere Versammlungen zur gleichen Zeit für denselben Ort angemeldet, so kann über Verbote und Auflagen bezüglich einer dieser Versammlungen nicht ohne Rücksicht auf die Übrigen entschieden werden. Vielmehr ist eine Gesamtschau vorzunehmen mit dem Ziel, die Gewährleistungen des Art. 8 GG in möglichst großem Ausmaß zu verwirklichen. Dies gilt insbesondere, wenn als Adressat für eine versammlungsrechtliche Verfügung ein Nichtstörer herangezogen werden soll und daher die Auswahl des Adressaten der Verfügung aus verfassungsrechtlichen Gründen von dem Ziel getragen sein muss, das Recht des Veranstalters auf Selbstbestimmung auch über den Ort der Versammlung so weit wie möglich zu sichern (BVerfG, B. v. 26.06.2007 – 1 BvR 1418/07 –, juris Rn. 21).

Soll die angemeldete Versammlung untersagt oder beschränkt werden, müssen die herangezogenen Umstände geeignet sein, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung an dem angemeldeten Ort hätte rechtfertigen können. Es muss erkennbar sein, dass von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht und nicht von der anderen (Gegen)Demonstration. Ist dies nicht der Fall, wird der Anmelder der betroffenen Versammlung als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen. Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfG, 1. Senat 1. Kammer, B. v. 24.03.2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, 2069, 2072). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (BVerfG, 1. Senat 1. Kammer, B. v. 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, 141).

Daher bedarf es dezidierter Feststellungen, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Eine behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Demonstrationen kann jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden (BVerfG 1. Senat 1. Kammer, B. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 – juris).

An diesen Maßstäben gemessen ist nicht erkennbar, dass die vom Verwaltungsgericht bestätigte, nach § 15 Abs. 1 VersG zu treffende Ermessens- bzw. Abwägungsentscheidung der Antragsgegnerin, mit der mehrere für den 1. Mai 2016 im Bereich der Innenstadt der Landeshauptstadt S angemeldete Versammlungen in Einklang zu bringen waren, hinsichtlich der Teilverlegung der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung ermessensfehlerhaft ist.

Nachdem das Verwaltungsgericht im Parallelverfahren mit Beschluss vom 21. April 2016 – 7 B 812/16 SN – entschieden hat, dass der NPD auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht das Recht vollständig abgesprochen werden könne, in zentral gelegenen Teilen der Innenstadt von Schwerin seine Versammlung abzuhalten, ist die im Zuge von Konsensualgesprächen getroffene Entscheidung über diese Teilverlegung nicht zu beanstanden.

Soweit der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen darauf hinweist, dass der Grunthalplatz von ihm extra wegen des historischen Kontextes und in Erinnerung an die von der SS ermordete Lehrerin N.F. von ihm als Kundgebungsort gewählt worden sei, betrifft dieser Kundgebungsort nicht die streitgegenständliche Auflage, die sich nur auf den „6. Standort“ (Kundgebung auf dem Platz der Freiheit) bezieht. Die Kundgebung des Antragstellers auf dem G.platz („5. Standort“) ist von dieser Auflage nicht berührt. Dieser Platz wird auch von der Versammlung der NPD nach der konsensualen Festlegung zwischen der Antragsgegnerin und der NPD vom 25. April 2016 nicht mehr begehrt.

Mit seinem Vortrag, er habe ein besonderes Interesse daran, auf dem Platz der Freiheit als Kundgebungsort in unmittelbarer Nähe seines örtlichen Sitzes „Flagge zu zeigen“, dringt der Antragsteller ebenfalls nicht durch. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, der NPD den Platz der Freiheit als Kundgebungsort (anstelle des ursprünglich angemeldeten Kundgebungsorts G.platz) zuzuweisen, berücksichtigt, dass – wie vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss erwähnt – ausweislich der Niederschrift über das Kooperationsgespräch vom 25. April 2016 seitens der Antragsgegnerin dem NPD-Landesverband eine Verlegung seiner Versammlung zum platz vorgeschlagen worden war, diese aber von den Vertretern der NPD unter Hinweis auf ein fehlenden Stromanschluss, die Entfernung zum Bahnhof und die fehlende öffentlichkeitswirksame Lage abgelehnt wurde. Diese Begründung, die die Antragsgegnerin dazu veranlasst hat, für die NPD den Kundgebungsort Platz der Freiheit festzulegen, greift der Antragsteller nicht auf. Insbesondere aufgrund des von der NPD angeführten fehlenden Stromanschlusses ist offensichtlich, dass der Demmlerplatz als Ausgangsort der Versammlung der NPD sowie für ihre Schlusskundgebung ungeeignet ist. Die NPD beabsichtigt – auf dem im Konsensualgespräch vom 25. April 2016 mit der Antragsgegnerin festgelegten – Platz der Freiheit als Ort der Auftakt- und nach dem Rundkurs Abschlusskundgebung eine Bühne aufzubauen. Demgegenüber hat der Antragsteller nicht hinreichend dargelegt, dass die für ihn sprechenden Interessen am Kundgebungsort die von der NPD angeführten Gründe verdrängen könnten. Vielmehr hat der Antragsteller neben der wohl symbolischen Situation der Nähe zum „Mutterhaus“ lediglich vorgetragen, dass dieses als Basis für die Kundgebung ausfalle. Anders als bei der Versammlung der NPD ist der Kundgebungsort des „6. Standortes“ nach der Anmeldung des Antragstellers jedoch nur ein Sammelpunkt vor dem Beginn der Marschroute. Welche konkrete logistische Unterstützung dafür benötigt werde und mit Blick auf die Verlegung zum D.platz nicht geleistet werden könne, hat der Antragsteller nicht ausgeführt; eine solche konkrete logistische Unterstützung, die zudem bezüglich des D.platzes nur schlechter geleistet werden könnte, erschließt sich für den Senat auch sonst nicht. Aus diesen Gründen wird zudem ersichtlich, dass der Ansicht des Antragstellers, der D.platz eigne sich als ebenso guter Kundgebungsort für die NPD, nicht gefolgt werden kann. Auch vermag der Vortrag des Antragstellers, die Teilnehmer der NPD-Veranstaltung könnten über den Bahnhof S-Mitte anreisen und so könnte ein Aufeinandertreffen mit Teilnehmern der übrigen zahlreichen Veranstaltungen am Hauptbahnhof S vermieden werden, die Ungeeignetheit des Kundgebungsortes D.platz für die Zwecke der NPD nicht zu überspielen. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang auch auf die Weststadt als einen der bevölkerungsreichsten Stadtteile Schwerins Bezug nimmt, berücksichtigt er nicht, dass diese Marschroute nicht mehr der aktuellen Situation entspricht. Denn auf den Eilantrag der NPD hat das Verwaltungsgericht Schwerin im Parallelverfahren die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Auflage, den Aufmarsch insbesondere durch die Weststadt durchzuführen, mit Beschluss vom 21. April 2016 – 7 B 812/16 SN – wiederhergestellt. Hierzu hat das Verwaltungsgericht im genannten Beschluss unter Zitierung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 26.07.2007 – 1 BvR 1418/07 –, juris) umfangreich und zutreffend ausgeführt, dass der NPD nicht das Recht vollständig abgesprochen werden könne, in zentral gelegenen Teilen der Innenstadt von Schwerin ihre Versammlung abzuhalten. Dieser Sachverhalt ist dem Antragsteller aufgrund der Konsensualgespräche ebenso bekannt, wie die in diesem Rahmen vereinbarte aktuelle Marschroute der NPD, die auch Teile der Innenstadt umfasst.

Entgegen der Rüge des Antragstellers ist die Abwägung des Verwaltungsgerichts auch sonst nicht rechtsfehlerhaft, insbesondere hat das Verwaltungsgericht den Aspekt der früheren Anmeldung der Versammlung des Antragstellers mehrfach in seinem Beschluss als abwägungsrelevant benannt und im Rahmen seiner Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit zutreffend gewürdigt.

Der weitere Vortrag des Antragstellers, es sei rechtsfehlerhaft, dass er nunmehr als „Störer“ behandelt werde, obwohl von seiner Versammlung Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht ausgehen würden, greift nicht durch. Denn er stellt schon die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller wolle die Kundgebung der NPD „blockieren“ nicht in Frage. Insoweit genügt das Beschwerdevorbringen schon nicht dem Darlegungserfordernis. Darüberhinaus ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Antragstellers durch die streitgegenständliche Auflage sehr niedrigschwellig erfolgt. Dem Antragsteller ist weder die Versammlung insgesamt verboten worden noch ist seine – auch historisch bedeutsame – zentrale Hauptkundgebung auf dem Marktplatz in Schwerin berührt. Vielmehr ist lediglich eine von sechs Marschrouten zu dieser Hauptkundgebung betroffen, die auch nicht insgesamt untersagt, sondern nur verlegt wird. Vor dem Hintergrund dieses niedrigschwelligen Grundrechtseingriffs kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht den Antragsteller auf der Grundlage der Gefahrenprognose und der weiteren Abwägung zutreffend als Störer oder Nichtstörer eingeordnet hat. Es ist jedenfalls nicht zu beanstanden, dass der plausibel von ihm geschlussfolgerte Wille des Antragstellers, die Gegenveranstaltung der NPD blockieren zu wollen, in seine Abwägung eingeflossen ist.

Letztlich dringt der Antragsteller auch nicht mit seiner Rüge durch, ihm sei eine Route am Rande der Innenstadt zugewiesen worden, während die NPD durch die Innenstadt über den zentralen Marienplatz – den der Antragsteller für sich reklamiere – geführt werde. Auch dieser Vortrag blendet aus, dass der Antragsteller seine Hauptkundgebung auf dem zentralen Marktplatz der Stadt S durchführen kann und ihm mehrere andere Routen durch die Innenstadt zugewiesen wurden. Dass mit der Verlegung der Marschroute („6. Standort“) der M.platz nicht angelaufen wird, führt nicht auf einen Ermessensfehler. Der Antragsteller hat weder in seiner Anmeldung noch in seiner Beschwerdebegründung dargelegt, warum es ihm besonders wichtig ist, den Marienplatz nutzen zu wollen. Eine Kundgebung ist dort, anders als bei der Versammlung der NPD – die dort eine Zwischenkundgebung durchführen will – vom Antragsteller nicht geplant.

Im Übrigen lässt der Antragsteller unbeanstandet, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung betreffend die ermessensfehlerfrei Routenänderung unabhängig von den vorstehenden Gründen selbstständig tragend auch damit begründet hat, dass die vom Antragsteller angemeldete Marschroute über die L Straße durch einen längeren Fußgängertunnel führt und diese Route auf Grund der offensichtlichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in dem Tunnel unter Berücksichtigung der Gefahrenprognose als Marschroute ausscheidet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).

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