OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.03.2001 - I-25 Wx 128/00
Fundstelle
openJur 2011, 17177
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die weitere Beschwerde des Betreuers gegen den Beschluss des Landgerichts Duisburg vom 15.09.2000 wird zurückgewiesen.

Gründe

Die 95jährige Betroffene, die in einem Pflegeheim lebt und seit langem bettlägerig ist, war vom 20.01. bis 08.02.2000 wegen einer senilen Demenz mit Ess- und Trinkstörungen zur stationären Behandlung in einem Krankenhaus in Oberhausen. Mit Beschluss vom 25.01.2000 genehmigte das Amtsgericht zur Sicherstellung der Ernährung der Betroffenen, eine Magensonde zu legen. Seitdem wird ihr über die Sonde Nahrung und Flüssigkeit zugeführt. Durch Beschluss vom 10.02.2000 ist ein Betreuer u.a. mit dem Aufgabenbereich Gesundheitsfürsorge bestellt worden. Der Betreuer hat unter dem 18.05.2000 beantragt, den Behandlungs- und Ernährungsabbruch vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen. Dem ist der gerichtlich ernannte Verfahrenspfleger entgegengetreten. Er hat unter anderem ausgeführt, hierfür gebe es keine gesetzliche Grundlage.

Durch Beschluss vom 15.09.2000 hat das Amtsgericht den Antrag abgelehnt. Es hat ausgeführt, die beantragte Genehmigung könne nicht erteilt werden, da es hierfür an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehle. Eine analoge Anwendung des § 1904 BGB komme nicht in Betracht; der erstrebte lebensbeendende Akt sei einer richterlichen Rechtsfortbildung nicht zugänglich.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betreuers hat das Landgericht mit Beschluss vom 18.10.2000 zurückgewiesen, weil sich ein mutmaßlicher Wille der Betroffenen im Sinne eines Abbruchs "der intensiv medizinischen Behandlung und der künstlichen Ernährung" nicht feststellen lasse. Zur Erforschung des mutmaßlichen Willens der Betroffenen habe von einer Vernehmung der benannten Zeugen abgesehen werden können, weil sie nur über vor längerer Zeit erfolgte Äußerungen der Betroffenen hätten aussagen und diese keine tragfähige Entscheidungsgrundlage hätten bringen können. Eine angebliche Äußerung der Betroffenen gegenüber der Pflegeschwester, sie wolle oder sie könne nicht mehr, könne nicht als absoluter Wunsch nach dem Tode gewertet werden.

Gegen diese Entscheidung des Landgerichts hat der Betreuer form- und fristgerecht weitere Beschwerde erhoben. Er hält die Betroffene für unfähig zu einer eigenen Willensäußerung und rügt, dass das Landgericht durch Unterlassen der Vernehmung der Zeugen gegen die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht des § 12 FGG verstoßen habe. Der Verfahrenspfleger tritt der Beschwerde entgegen.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts trifft jedenfalls im Ergebnis zu.

Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Genehmigung eines Behandlungsabbruchs. Das Landgericht geht davon aus, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Betroffene eine Fortsetzung der intensiv medizinischen Behandlung und des Ernährungsabbruchs nicht gewollt habe. Für die Feststellung des Landgerichts, die Betroffene werde intensivmedizinisch behandelt, fehlt es an jeder Begründung. Im Gegenteil bestehen nach dem Akteninhalt, insbesondere nach dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten, keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Betroffenen das Leben verlängernde Behandlungsmaßnahmen durchgeführt werden. Sie wird vielmehr in einem Seniorenheim gepflegt und von ihrer Hausärztin ärztlich versorgt. Auch der Betreuer begehrt nicht den Abbruch etwaiger von der Hausärztin durchgeführter Maßnahmen, die Schmerzen und Beschwerden lindern sollen, sondern allein die Genehmigung des Abbruchs der künstlichen Ernährung, die er allerdings als Behandlung bezeichnet (vgl. Bl. 30, 57 GA). Deshalb bedarf es einer Aufklärung über die vom Landgericht erwähnten intensivmedizinischen Maßnahmen nicht.

Entscheidend ist also allein, ob das Vormundschaftsgericht den Abbruch der künstlichen Ernährung hätte genehmigen müssen. Diese Frage ist gesetzlich nicht geregelt. Ob der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme in entsprechender Anwendung des § 1904 BGB vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden darf, ist streitig (so BGH NJW 1995, 204; OLG Frankfurt/Main FamRZ 1998, 1137; a.A. OLG Brandenburg, FamRZ 2000, 1033 für ein minderjähriges Kind).

Der Senat braucht nicht die grundsätzliche Frage zu entscheiden, ob eine Genehmigung des Abbruchs der künstlichen Ernährung überhaupt zulässig ist. Es genügt die Feststellung, dass sie allenfalls unter den Voraussetzungen, die der Bundesgerichtshof und das OLG Frankfurt/Main aufgestellt haben, erteilt werden könnte. Danach ist stets auf den Willen des Betroffenen und nur dann, wenn er zu einer eigenen Entscheidung nicht mehr in der Lage ist, auf seinen mutmaßlichen Willen abzustellen. An die Feststellung des wahren und ggf. des mutmaßlichen Willens des Betroffenen sind strenge Anforderungen zu stellen. Das gilt insbesondere, wenn - wie hier - der eigentliche Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat. Ist der Sachverhalt nicht aufklärbar, muss dem Lebensschutz Vorrang gegeben werden.

Das Landgericht hat sich nicht die Frage vorgelegt, ob die Betroffene noch bei Bewusstsein ist und Willensentschlüsse fassen kann. Da das Landgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, der Sachverhalt aktenmäßig geklärt ist und weitere Aufklärung ersichtlich keinen Erfolg verspricht, kann der Senat selbst den entscheidungserheblichen Sachverhalt feststellen. Aus dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen ist eindeutig zu entnehmen, dass die Betroffene nicht bewusstlos ist. Der Sachverständige hat sie als wache Patientin erlebt, mit der auch Blickkontakt hergestellt werden konnte. Sie kann ihren Willen, wenn auch in knapper Reaktion, äußern. Nach den Feststellungen des Sachverständigen nimmt sie eindeutig die Umwelt wahr. Sie hat sicher noch ein Bewusstsein vom eigenen Leben. Sie war zu einfachen sprachlichen Äußerungen, die der Gutachter zum Teil auch als gezielt eingeordnet hat, in der Lage. Zwar sind sprachliche Kontakte mit ihr wegen ihrer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit extrem behindert, letztlich aber nicht ausgeschlossen. Auf die Frage, ob sie Schmerzen habe, antwortete sie beispielsweise mit einem klaren Nein, auf leichtes Kneifen reagierte sie mit lauter Unmutsäußerung. Die Frage des Sachverständigen, ob sie sterben wolle, beantwortet sie aber nicht eindeutig, sondern reagierte mit einem fragenden "bitte". Danach muss davon ausgegangen werden, dass die Betroffene bei Bewusstsein ist, sie aber ihren Willen nicht mehr in einer für die Umwelt verständlichen Weise äußern kann. Aus den Äußerungen der Betroffenen gegenüber einer Pflegerin "ich kann nicht mehr" oder "ich will nicht mehr" können keine eindeutigen Schlüsse gezogen werden. Ob die Betroffene die entscheidende Frage des Sachverständigen, ob sie sterben wolle, akustisch verstanden und ihren Sinn erfasst hat, muss daher offen bleiben. Auszuschließen ist dies allerdings nicht.

In einem solchen Fall kommt eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung des Ernährungsabbruchs, wenn man sie überhaupt mit dem Bundesgerichtshof (a.a.O.) für zulässig hält, nur in Betracht, wenn der Wille des nicht bewusstlosen Betroffenen eindeutig feststellbar ist. Eine solche Feststellung ist allenfalls möglich, wenn der Wille in jüngerer Zeit geäußert worden ist, beispielsweise durch eine unmissverständliche Patientenverfügung oder durch ernst zu nehmende wiederholte Äußerungen gegenüber Vertrauenspersonen, insbesondere Verwandten, Freunden oder Ärzten. Solche Äußerungen liegen nicht vor. Selbst der Betreuer erwähnt nur angebliche Äußerungen der Betroffenen, die lange Zeit zurückliegen und gegenüber Verwandten abgegeben sein sollen, zu denen die Betroffene seit Jahren keinen näheren Kontakt mehr unterhalten hatte.

Zu einer Kostenentscheidung besteht kein Anlass.

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