LG Wuppertal, Beschluss vom 21.12.2015 - 9 T 231/15
Fundstelle
openJur 2016, 11239
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 19.10.2015 dahingehend ergänzt, dass das Amtsgericht spätestens bis zum 19.10.2018 über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung entscheiden wird; im Übrigen wird das Rechtsmittel wird zurückgewiesen

Gründe

Mit angefochtenem Beschluss ist die für die Betroffene mit Beschluss vom 10.3.2015 eingerichtete und mit Beschluss vom 25.3.2015 mit ausdrücklich erklärtem Einverständnis der Betroffenen um den Bereich der Vermögensangelegenheiten erweiterte Betreuung gegen den Willen der Betroffenen aufrechterhalten und unter Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der gesamten Entscheidung dahingehend erweitert worden, dass die Betreuung auch den Bereich der Aufenthaltsbestimmung erfasst sowie dass die Betroffene zur Wirksamkeit von Willenserklärungen im Bereich Vermögensangelegenheiten der Einwilligung der für diesen Aufgabenbereich bestellten Betreuerin bedarf (Einwilligungsvorbehalt).

Auf die Mitteilung der Betreuerin vom 20.5.2015, wonach die Betroffene in ihrer Wohnung unterversorgt und unterernährt zu sein scheine, dennoch keine Hilfen annehme und sich gegenüber dem Pflegepersonal und ihrer Person bedrohlich verhalte, so dass auch gegen den Willen der Betroffenen deren ärztliche Behandlung in der Stiftung Tannenhof erforderlich sei, hatte das Amtsgericht mit Beschluss vom 22.05.2015 die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Herrn I zur Betreuungsbedürftigkeit und des Betreuungsbedarfs auch betreffend den Aufgabenbereich der Aufenthaltsbestimmung und zur Erforderlichkeit eines Einwilligungsvorbehalts in Vermögensangelegenheiten angeordnet. Der Sachverständige hat sein Gutachten unter dem 14.06.2015 erstellt (Bl. 154 ff d.A.) und auf die schriftlich durch die Verfahrensbevollmächtigte erhobenen Einwendungen unter dem 6.9.2015 schriftlich ergänzt. Am 19.10.2015 hat das Amtsgericht die Betroffene im Beisein ihrer Verfahrensbevollmächtigten Frau Rechtsanwältin Dr. Q und der Betreuerin in den Räumen des Amtsgerichts angehört. Dabei hat die Betroffene zu Protokoll erklärt, die Fortsetzung der Betreuung sowie die bisherige Betreuerin Frau N abzulehnen, sie sei zwar auf einem Auge blind, aber ansonsten geistig gesund; mit der Art und Weise der Begutachtung und den Fragen der Sachverständigen sei sie nicht einverstanden; das Gutachtenergebnis sei falsch; sie beantrage eine Aufhebung der Betreuung.

Der angefochtene Beschluss ist der Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen am 26.10.2015 zugestellt worden. Am 27.10.2015 hat die Betroffene Beschwerde eingelegt. Daraufhin hat das Amtsgericht einen weiteren Anhörungstermin in den Räumlichkeiten des Amtsgerichts anberaumt, welcher am 16.11.2015 stattgefunden hat und an welchem die Betroffene sowie ihre Verfahrensbevollmächtigte teilgenommen haben. Dabei hat die Verfahrensbevollmächtigte für die Betroffene zu Protokoll erklärt, das Beschwerdeverfahren solle fortgesetzt werden; an einem Betreuerwechsel bestehe zwischenzeitlich kein Interesse mehr; selbst wenn die Betreuung fortgesetzt werden müsste, sollte Frau N2 nicht mehr Betreuerin sein. Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 05.01.2015 nicht abgeholfen, ausgeführt, weder aus der schriftlichen Beschwerde noch der hierzu erfolgten Anhörung hätten sich neue relevante Gesichtspunkte ergeben, welche eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen würde; soweit die Betroffene zwischenzeitlich anstelle der Beschwerde einen Betreuerwechsel erwogen habe, wünsche die Betroffene nunmehr unter (wieder) ausdrücklich die Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens und die Aufhebung der Betreuung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

Das Rechtsmittel ist zulässig als Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG, bleibt jedoch in der Sache - mit Ausnahme der Ergänzung einer dreijährigen Überprüfungsfrist - ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Amtsgericht die für die Betroffene geführte Betreuung unter Beibehaltung der bisherigen Aufgabenkreise "Gesundheitsfürsorge, Regelung des Postverkehrs, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern, Wohnungsangelegenheiten" um den Aufgabenkreis "Aufenthaltsbestimmung" erweitert und einen Einwilligungsvorbehalt für Vermögensangelegenheiten angeordnet. Denn nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Amtsgerichts ist die Betroffene aufgrund eines alkoholbedingten hirnorganischen Psychosyndroms bei massiver Einschränkung der Sehkraft und Untergewichtigkeit sowie vermutlich einer Leberzirrhose nicht in der Lage, in den genannten Aufgabenkreisen ihre Angelegenheiten selbstständig zu besorgen, § 1896 Abs. 1 und Abs. 2 BGB.

Die amtsgerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand der Betroffenen sind nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie eingeholt und die Betroffene zum Gutachten sowie auf die erhobene Beschwerde hin war persönlich angehört. Nach den Feststellungen des Sachverständigen leidet die Betroffene an einem alkoholbedingten hirnorganischen Psychosyndrom bei einer langjährigen Alkoholabhängigkeit, einer hochgradigen Sehschwäche und in Anbetracht ihres körperlichen Erscheinungsbildes vermutlich an einer Leberzirrhose. Diese Feststellungen hat der Sachverständige im Rahmen seiner widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen auf der Grundlage der Auswertung der Betreuungsakte sowie auf der Grundlage eines Hausbesuchs getroffen, bei welchem er am 10.6.2015 in der Wohnung der Betroffenen im Beisein der Leiterin des für die Betroffene beauftragten Pflegedienstes ein Explorationsgespräch mit der Betroffenen geführt hat.

Die von der Betroffenen erhobenen Einwände gegen das Gutachten, der Sachverständige habe allein leichte kognitive Beeinträchtigungen festgestellt, welche eine Einrichtung einer Betreuung gegen ihren Willen nicht rechtfertigen könnten, lassen unbeachtet, dass der Sachverständige über diese im Rahmen des sog. DemTect-Tests festgestellten leichten kognitiven Beeinträchtigungen hinaus eine mangelnde Affektkontrolle sowie aggressives Verhalten bei einer nur anfänglich gut erhaltenen Fassade festgestellt hat. Diese mangelnde Affektkontrolle hat der Sachverständige auch nicht allein aufgrund von Stellungnahmen und Berichten aus der Betreuungsakte festgestellt, sondern selbst im Rahmen seines Hausbesuchs am 10.06.2015 erlebt, als die Betroffene durch die Leiterin des Pflegedienstes auf Beschwerden anderer Hausbewohner über ein Übernachten von verwahrlost aussehenden Personen auf dem Dachboden sowie auf abgelaufene Lebensmittel (Milch mit MDH bis 11.05.15) und ersichtlich verschimmelte Lebensmittel angesprochen wurde und diese daraufhin wütend reagiert hat.

Einen langjährigen Alkoholkonsum hat die Betroffenen gegenüber dem Sachverständigen selbst eingeräumt, indem sie ihm gegenüber angegeben hat, mit der Entlassung bei der Firma W im Alter von 54 Jahren das Trinken angefangen und in der Vergangenheit viel getrunken zu haben; über viele Jahre habe ihr Mann sie jeden Tag zu ihrem Freund C gefahren, da sie zuhause nicht habe trinken und rauchen dürfen. Die weiteren Ausführungen des Sachverständigen, aus psychiatrischer Sicht sei es äußerst unwahrscheinlich, dass ein Mensch nach jahrelangem intensiven Alkoholkonsum diesen ohne Hilfe von außen einfach beenden könne, hält die Kammer für überzeugend, so dass weitere Untersuchungen nicht geboten waren. Zum einen hat die Betroffene sich zur Durchführung weitergehender Untersuchungen betreffend den angenommenen Fortbestand einer Alkoholkrankheit schon nicht einverstanden erklärt; zum anderen ist ein solcher in der schriftlichen Stellungnahme der Betroffenen vom 14.7.2015 betreffend das Ausgangsgutachten auch gar nicht in Abrede gestellt worden. Die Angabe der Betroffenen im Rahmen des Hausbesuchs, aktuell trinke sie nur noch, wenn sie eingeladen werde zu besonderen Anlässen, ist mit den zutreffenden Ausführungen der Sachverständigen vor diesem Hintergrund als Versuch einer Bagatellisierung und einer Abwehr einer unerwünschten Betreuung zu werten.

Der besorgniserregende physische Zustand der Betroffenen tritt bereits in der von ihr selbst angegebenen Gewichtsangabe von nur 35,6 kg zu Tage. Auch diesbezüglich bedurfte es keiner weiteren Untersuchungen. Dass sich die Betroffene in einem gesundheitlich besseren Zustand, als vom Sachverständigen angenommen, befinden würde, wird zudem auch nicht durch Vorlage eines aktuellen ärztlichen Attestes dargetan, was hier indes ohne weiteres möglich gewesen wäre, hätte sie ihren behandelnden Arzt, Herrn Dr. med.T, in letzter Zeit aufgesucht. Es liegt ein ärztlicher Kurzbericht vom 30.10.2014, Bl. 21 der Akten, vor, woraus sich ergibt, dass sich die Patientin nach langer Zeit am Ausstellungstag des Attestes vorgestellt hat, bei der Betroffenen ein Zustand nach C2-Krankheit bei Abstreiten eines aktuellen C2-Genusses besteht mit Zustand nach Hirnblutung und Zustand nach Leberschaden sowie Sehstörungen; weitere Untersuchungen lehne sie ab. Dass sich die Betroffene aktuell hat untersuchen lassen bzw. mit einer solchen Untersuchung einverstanden wäre, ist angesichts ihrer Angaben in den Anhörungsterminen nicht ersichtlich.

Entgegen der Einwände in der Beschwerdebegründung war es nicht Gegenstand des Sachverständigengutachtens, die Richtigkeit der Angaben des Pflegedienstes und der Betreuerin, welche diese im bisherigen Betreuungsverfahren geäußert haben, zu überprüfen. Gegenstand der Begutachtung war es, auf der Grundlage und im Rahmen des förmlichen Beweisbeschlusses vom 22.5.2015 Feststellungen zu dem gesundheitlichen Zustand der Betroffenen betreffend eine Betreuungsbedürftigkeit und einen Betreuungsbedarf hinsichtlich der Erweiterung der Betreuung auf den Bereich der Aufenthaltsbestimmung sowie der Erforderlichkeit einer Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes zu treffen. Aus dem Gutachten ergibt sich für die Kammer ausreichend, dass und warum für die Betroffene für sämtliche Angelegenheiten eine Betreuung unter Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes einzurichten war. Aufgrund des festgestellten alkoholbedingten hirnorganischen Psychosyndroms mit erheblicher Einschränkung ihrer Kritikund Urteilsfähigkeit bei fehlender Krankheitseinsicht und mangelnder Impulskontrolle kann die Betroffene in sämtlichen Aufgabenkreisen ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen. Die Betreuung war auch auf den Bereich der Vermögenssorge unter Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes zu erstrecken, weil sich die Betroffene im März diesen Jahres noch selbst überfordert gesehen hat, mit dem nach dem Tod ihres Ehemannes im Banksafe vorgefundenen erheblichen Vermögens eigenverantwortlich umzugehen, und keine Anhaltspunkte erkennbar sind, warum der Betroffenen dies nunmehr möglich sein soll. Auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts zur Erforderlichkeit eines Einwilligungsvorbehalts wird Bezug genommen.

Aus welchem Grund der Ehemann der Betroffenen in der Vergangenheit ein monatliches Taschengeld von (nur) 400 EUR hat zukommen lassen, ist für die Frage der aktuellen Betreuungsbedürftigkeit und des aktuellen Betreuungsbedarfs ohne Belang. Ebenso bedurfte es keiner Aufklärung, ob der Betroffenen aus ihrer Wohnung Bargeld gestohlen wurde und wer der Täter war, die Nachbarn, wie die Betroffene mutmaßt oder Besucher in der Wohnung der Betroffenen, insbesondere Trinkfreunde der Betroffenen, wie es der Sachverständige für den Fall für möglich hält, dass sich überhaupt Geld im Schreibtisch des verstorbenen Ehemanns befunden haben sollte. Angesichts der Beschuldigungen allein der Wohnungsnachbarn durch die Betroffene, von welchen sich diese gegenüber dem Sachverständigen nicht zu distanzieren vermochte, wird eine Einschränkung der Kritikfähigkeit deutlich, indem sie nicht alle denkbaren Ursachen des Bargeldverlusts gleichermaßen in Betracht zieht, so dass die Wertung des Sachverständigen, die Beschuldigung der Nachbarn sei als paranoid anzusehen, vor dem Hintergrund für die Kammer vertretbar und nachvollziehbar erscheint, weil die Betroffene weder gegenüber dem Sachverständigen noch im Beschwerdeverfahren konkrete Anhaltspunkte dafür hat benennen können, worauf die Betroffene ihren Verdacht allein gegen ihre Wohnungsnachbarn stützt.

Die Betroffene ist zwar mit der Fortführung der Betreuung nicht einverstanden, dessen bedarf es indessen nicht, da sie insoweit nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden, § 1896 Abs. 1 a BGB. Denn nach dem eingeholten Gutachten - den Ausführungen unter Ziff. 3. - ist sie, wie im angefochtenen Beschluss auf S. 2 ausgeführt, krankheitsbedingt in ihrer Kritik- und Urteilsfähigkeit erheblich eingeschränkt und aktuell nicht in der Lage, realitätsbezogene Argumente für und gegen die eigene Entscheidung bzw. das eigene Handeln kritisch abzuwägen und danach zu entscheiden. Für das Fortbestehen eines freien Willens kann die Betroffene nicht mit Erfolg anführen, mit Beschluss vom 10.3.2015 sei ihr Wille noch respektiert worden, den Aufgabenkreis der Vermögenssorge nicht der Betreuerin zu überantworten. Denn damals bestand noch kein Betreuungsbedarf betreffend den Bereich der Vermögenssorge, so dass damals vom Gericht noch nicht zu überprüfen und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln war, ob die Betroffene über einen freien Willen verfügt hat, da sie sich ausdrücklich mit der Betreuung (im Übrigen) einverstanden erklärt hatte.

Entsprechend der Empfehlung des Sachverständigen war eine dreijährige Überprüfungsfrist anzusetzen und der angefochtene Beschluss insofern abzuändern, da dieser selbst keine Angabe zur Überprüfungsfrist enthält, ausweislich der richterlichen Verfügung vom 19.10.2015 indes deutlich wird, dass das Amtsgericht an der noch mit Beschluss vom 10.03.2015 gesetzten siebenjährigen Frist i.S.d. § 294 Abs. 3 FamFG festhält.

Die Kammer hat von einer weiteren persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen, da diese bereits vom Amtsgericht angehört worden ist und im Hinblick auf die Ausführungen der Verfahrensbevollmächtigten keine zusätzlichen Erkenntnisse von einer erneuten Anhörung zu erwarten sind (§ 68 Abs. 3 FamFG).

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG. Eine weitere Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft. Sie ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe) einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und die Erklärung enthalten, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde. Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben und sodann, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat, beginnend mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses, zu begründen. Die Rechtsbeschwerde kann nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden.

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