SG Detmold, Urteil vom 26.06.2012 - S 16 SO 32/08
Fundstelle
openJur 2016, 11282
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. L 20 SO 316/12
Tenor

Der Bescheid vom 17.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2008 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die Beschulung des Klägers in der T-Schule in C ab der Einschulung zu übernehmen.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für seine Beschulung in der T-Schule in C als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Der im Jahre 2001 geborene Kläger leidet an einer globalen Entwicklungsverzögerung, insbesondere im Bereich der Sprache, die im Rahmen einer U-Untersuchung im 2. Lebensjahr festgestellt wurde. Er erhielt dann aufgrund dieser Behinderung Leistungen der Frühförderung und wurde im Jahre 2005 in einen heilpädagogischen Kindergarten in C aufgenommen. Im Jahre 2007 wurde ein pädagogisches Gutachten über den Kläger erstellt, wonach sich eine eingeschränkte Belastbarkeit, Überforderungssymptome und eine sehr geringe Frustrationstoleranz gezeigt hätten. Darüber hinaus bestünden nur eingeschränkte kognitive Leistungen, so dass von einem Förderbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung auszugehen sei. Das Schulamt des Kreises H stellte daraufhin mit Bescheid vom 12.06.2007 einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung fest und wies den Kläger der N-Schule in H zu. Gleichzeitig wurde der Kläger auf Antrag der Eltern vom Schulbesuch zurückgestellt, um ein weiteres Jahr im heilpädagogischen Kindergarten verbleiben zu können. Mit Schreiben vom 11.06.2008 teilte das Schulamt den Eltern des Klägers mit, dass weiterhin ein sonderpädagogischer Förderbedarf bestehe. Die Entscheidung vom 12.06.2007 habe daher weiterhin Bestand. Es werde davon ausgegangen, dass der Kläger demnächst die N-Schule in H besuchen werde. Sollte er eine andere Förderschule besuchen, so sei dies der N-Schule und dem Schulamt mitzuteilen.

Der Kläger wurde dann am 23.08.2008 in der T-Schule in C eingeschult. Es handelt sich dabei um eine staatlich anerkannte Tagungsbildungsstätte nach niedersächsischem Schulrecht. Der Kläger beantragte am 16.06.2008 die Übernahme der Kosten für seine Beschulung in C bei dem Beklagten. Den Antrag begründete er damit, dass die Fahrstrecke zur N-Schule nach H 27 km betrage und somit eine Fahrzeit von über einer Stunde mit dem Bulli erforderlich sei. Demgegenüber betrage die Strecke nach C nur 12 km, so dass die Fahrt nur ca. eine halbe Stunde dauere. Der Kläger sei ein sehr bewegungsfreudiges Kind, das auf alle Reize seiner Umgebung stark reagiere, so dass ihm die lange Fahrzeit die Konzentration für die erste Schulstunde nehmen würde. Darüber hinaus seien die Klassen in C kleiner und die Schule würde insgesamt von weniger Kindern besucht. Schließlich gebe es für den Kläger in C spezielle Förderangebote, die in H nicht vorhanden seien.

Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 17.07.2008 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Beschulung in C, da er seinen Bedarf auf andere Weise decken könne. Ihm stehe der Besuch der N-Schule in H offen, deren Kosten einschließlich der erforderlichen Beförderungskosten vom Schulträger getragen würden. Da der Besuch der Schule in C daher mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei, könne dem Wunsch des Klägers nicht entsprochen werden.

Der Kläger legte gegen den Bescheid nebst Schreiben vom 25.07.2008 Widerspruch ein. Diesen begründete er damit, dass er einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Beschulung in C habe. Der Kläger habe mit einem allgemeinen Entwicklungsrückstand und Auffälligkeiten im Bereich der Konzentration/Aufmerksamkeit zu kämpfen. Aufgrund der Konzentrationsschwierigkeiten sei er schnell erschöpft und dann nicht mehr aufnahmefähig. Die Fahrzeit nach H zur N-Schule von mehr als einer Stunde stelle für ihn eine unzumutbare Belastung dar. Aus diesem Grund sei die N-Schule für den Kläger nicht geeignet. Darüber hinaus legte der Kläger ein Privatgutachten des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. D vom 08.10.2008 vor. Nach diesem Gutachten besteht bei dem Kläger eine geistige Behinderung und eine Aufmerksamkeitsstörung. Erforderlich sei daher ein schulisches Umfeld, das auf die individuelle Situation des Klägers ? insbesondere auf seine kognitiven Fähigkeiten ? und seinen darüber hinaus bestehenden Förderbedarf abgestimmt sei. Der Kläger benötige kleine Klassen und eine Schule, die ihm aufgrund ihrer Größe und Struktur eine schnelle und sichere Orientierung ermögliche. Er habe zudem einen Bedarf an Logopädie und Ergotherapie, der idealerweise als integraler Bestandteil der schulischen Förderung sichergestellt werde. Darüber hinaus habe sich gezeigt, dass der Kläger ein hohes Bewegungsbedürfnis habe. Die lange Anfahrtszeit zur Schule nach H stelle für ihn daher eine zusätzliche Belastung dar und sei seiner ohnehin eingeschränkten Aufmerksamkeitsleistung abträglich. Von daher sei die Reduktion der Fahrzeit dringend indiziert. Durch kürzere Schulzeiten, einen kürzeren Schulweg und einen kleinen Klassenverband sei die Gesamtbelastung für den Kläger in der Tagesbildungsstätte in C deutlich reduziert, so dass er mehr Kapazitäten zum eigentlichen Lernen zur Verfügung habe.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2008 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Schulbesuch in C habe. Der Kläger sei von dem zuständigen Schulamt der N-Schule in H zugewiesen worden. Diese Entscheidung der Schulbehörde sei für den Sozialhilfeträger bindend, so dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Schule in C nicht in Betracht komme. Darüber hinaus sei die beantragte Hilfe auch nicht erforderlich, denn dem Kläger könne es zugemutet werden, die Schule in H zu besuchen. Es bestehe kein Anspruch auf eine optimale, sondern auf eine angemessene Schulbildung. Diese sei auch durch den Besuch der Schule in H erreichbar.

Der Kläger hat am 25.11.2008 eine Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Während des laufenden Klageverfahrens hat der Kläger am 16.01.2009 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (S 16 SO 10/09 ER). Das Sozialgericht hat den Beklagten daraufhin mit Beschluss vom 10.02.2009 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig die Kosten des Besuchs der Schule in C bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Frage, ob der Besuch der Schule in C geeignet und erforderlich ist, derzeit nicht abschließend beurteilt werden könne. Der Beklagte sei daher aufgrund einer Folgenabwägung zu verpflichten, die Kosten vorläufig zu übernehmen. Der Beklagte hat gegen den Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde eingelegt. Das Landessozialgericht hat daraufhin ein Gutachten des Sachverständigen Dr. H1 vom 21.02.2010 eingeholt. Wegen des Ergebnisses der dortigen Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen. Das LSG hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts daraufhin mit Beschluss vom 31.03.2010 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger zumindest vorläufig einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Beschulung in C habe. Der Kläger sei keiner konkreten Schule zugewiesen worden, denn dies lasse sich dem Bescheid des Schulamtes vom 12.06.2007 nicht eindeutig entnehmen. Daher komme grundsätzlich auch ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Beschulung in C in Betracht. Ob ein solcher bestehe, sei noch nicht eindeutig geklärt, nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H1 bestünden jedoch erhebliche Zweifel, ob die N-Schule in H geeignet sei, dem Kläger eine angemessene Schulbildung zu vermitteln. Dafür sei zum Einen die lange Fahrzeit von 50 bis 60 Minuten verantwortlich, die für den Kläger eine zusätzliche Belastung darstelle. Darüber hinaus würde dem Kläger mit einem Wechsel der Schule eine zumindest derzeit unzumutbare Umstellungsleistung abverlangt. Zwar sei nach den Ausführungen des Sachverständigen eine Umstellung grundsätzlich möglich. Aufgrund der nachvollziehbar dargestellten zerbrechlichen Bindungsstabilität des Klägers sei jedoch davon auszugehen, dass ein Schulwechsel den Entwicklungsfortschritt über einen signifikanten Zeitraum hemmen würde. Der Sachverständige habe insoweit im günstigsten Fall ein Zeitfenster von einem halben bis zu einem Jahr als erforderlich bezeichnet. Es sei dem Kläger jedoch nicht zuzumuten, dass ihm durch einen Schulwechsel ggf. ein ganzes Schuljahr verloren gehe.

Es sei allerdings noch zu prüfen, ob sich durch die Einrichtung einer Einzelbeförderung des Klägers nach H eine Reduzierung der Fahrzeiten erreichen lasse. Möglicherweise sei der Sachverständige dann bereit, seine Einschätzung noch einmal zu relativieren, da er diese ja ausdrücklich auf eine Gesamtschau gestützt habe.

Der Kläger sieht sich durch den Beschluss des LSG vom 31.03.2010 in seiner Rechtsauffassung bestärkt. Sowohl das Privatgutachten von Dr. D als auch das gerichtliche Gutachten des Dr. H1 hätten ergeben, dass die N-Schule in H nicht geeignet sei, dem Kläger eine angemessene Schulbildung zu vermitteln. Dafür seien verschiedene Gründe verantwortlich, die der Sachverständige Dr. H1 im Einzelnen dargestellt habe. Die grundsätzlichen Erwägungen des Beklagten gegen eine Kostenübernahme für eine Tagesbildungsstätte nach niedersächsischem Schulrecht seien nicht geeignet, den Anspruch des Klägers zu vereiteln.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 17.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für die Beschulung in der T-Schule in C ab der Einschulung zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide, die er für rechtmäßig hält. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Beschulung in C. Es bestünden bereits grundsätzliche Einwände gegen eine Kostenübernahme, da die Tagesbildungsstätte im nordrheinwestfälischen Schulrecht nicht vorgesehen sei. Der Kläger könne seine Schulpflicht daher durch den Besuch einer solchen Einrichtung nicht erfüllen, so dass der derzeitige Zustand illegal sei. Dies müsse dann auch einem Anspruch auf Kostenübernahme gegen den Sozialhilfeträger entgegen stehen. Zum Anderen lägen auch die Voraussetzungen einer Kostenübernahme nicht vor, da dem Kläger zugemutet werden könne, die N-Schule in H zu besuchen. Diese sei in der Lage, ihm eine angemessene Schulbildung zu vermitteln und allein darauf bestehe ein Anspruch.

Das Gericht hat das Schulamt für den Kreis H mit Beschluss vom 04.05.2010 nach § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er betont, dass die N-Schule in H grundsätzlich geeignet sei, dem Kläger eine angemessene Schulbildung zu vermitteln. Es würden dort zahlreiche Schüler mit einem ähnlichen Behinderungsbild beschult und zwar auch solche, die in der Nähe des Klägers wohnen würden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. H1 vom 11.02.2012. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der ergänzenden Stellungnahme Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten und des Beigeladenen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid vom 17.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2008 erweist sich als rechtswidrig, denn der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Beschulung in der T-Schule in C ab seiner Einschulung.

Der Anspruch des Klägers beruht auf § 53 Abs. 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift ist Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe zu gewähren, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach Abs. 3 der Vorschrift, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern, und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Der Kläger erfüllt diese grundsätzlichen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen der Eingliederungshilfe, denn bei ihm liegt eine wesentliche Behinderung vor. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H1 vom 21.02.2010 und ist im Übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig.

Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt. Diese Vorschrift wird durch § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung konkretisiert. Nach Nr. 2 dieser Vorschrift umfasst die Hilfe zur angemessenen Schulbildung auch Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen.

Die Voraussetzungen des § 12 Nr. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung liegen nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Verfahren vor, denn der Besuch der T-Schule in C ist erforderlich und geeignet, um dem Kläger eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen. Die Kammer teilt die grundsätzlichen Einwände des Beklagten gegen eine Kostenübernahme für den Besuch dieser Einrichtung nicht. Zwar trifft es zu, dass die Tagesbildungsstätte im nordrheinwestfälischen Schulrecht nicht vorgesehen ist. Der Kläger kann jedoch auch durch den Besuch dieser Schule seine Schulpflicht erfüllen, denn es handelt sich zumindest um eine gleichwertige Einrichtung. Der Beigeladene hat dazu in seinem Schreiben vom 12.07.2010 (Bl. 105 der Gerichtsakte) ausgeführt, dass es sich bei der T-Schule zweifellos um eine Bildungseinrichtung handele, an der auch Schulpflichtige aus Nordrhein-Westfalen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung ihre Schulpflicht erfüllen könnten, zumal nicht im geringsten daran gezweifelt werden könne, dass diese Einrichtung mit ihren Möglichkeiten in besonderer Weise in der Lage sei, dem sonderpädagogischen Förderbedarf dieser Kinder zu entsprechen. In Anbetracht dieser Ausführungen des Beigeladenen hat die Kammer keine Bedenken dagegen, dass der Kläger seine Schulpflicht an der T-Schule erfüllt, so dass dieser Umstand auch nicht dem Anspruch auf Kostenübernahme gegen den Sozialhilfeträger entgegen gehalten werden kann.

Dem Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme steht weiterhin nicht entgegen, dass der Kläger einer anderen Schule zugewiesen worden ist. Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes so, dass der Sozialhilfeträger bei der Prüfung des Anspruchs den Entscheidungen der Schulverwaltung über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule bzw. eine bestimmte Schulart nicht entgegenhalten kann, diese Form der Erfüllung der Schulpflicht sei aus sozialhilferechtlicher Sicht auf die Vermittlung einer unangemessenen Schulbildung gerichtet. Soweit das Gesetz mit dem Merkmal "angemessen" zum Ausdruck bringe, dass die dem behinderten Menschen zu ermöglichende Schulbildung seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten entsprechen müsse, sei der Sozialhilfeträger an Entscheidungen der Schulverwaltung über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule bzw. eine bestimmte Schulart gebunden (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.04.2005 ? 5 C 20/04). Das LSG hat insoweit in seinem Beschluss vom 31.03.2010 ausgeführt, dass die N-Schule in dem Bescheid vom 12.06.2007 zwar ausdrücklich genannt werde. Dem Bescheid lasse sich jedoch nicht eindeutig entnehmen, dass damit auch eine über die Art der Förderschule hinausgehende Entscheidung über die konkret zu besuchende Schule getroffen wurde. Vielmehr werde in dem Bescheid vom 11.06.2008 ausgeführt, dass die Entscheidung vom 12.06.2007 weiterhin gelte. Es werde davon ausgegangen, dass der Kläger demnächst die N-Schule besuche. Sollte er eine andere Förderschule des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung besuchen, werde gebeten, das Schulamt und die N-Schule zu informieren. Von einer eindeutigen Zuweisung zu einer konkreten Schule sei das Schulamt nach dem hier maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont folglich nicht ausgegangen. Damit stehe zugleich fest, dass eine bindende Entscheidung über die Zumutbarkeit des Anfahrtswegs zu dieser Schule noch nicht getroffen worden sei. Dem schließt sich die Kammer nach eigener Überzeugungsbildung an.

Letztlich ist es damit eine Entscheidung des Einzelfalls, ob der Besuch der T-Schule im vorliegenden Verfahren eine geeignete und erforderliche Maßnahme der Schulbildung im Sinne von § 12 Nr. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H1 in seinem Gutachten vom 21.02.2010 wäre das schulische Integrationsziel durch einen Wechsel zur N-Schule in H konkret gefährdet. Diese Einschätzung ergebe sich nicht aus einem Einzelfaktor, sondern aus der Gesamtheit von Risikofaktoren, die sich im Falle einer Umschulung auf die N-Schule mit hoher Wahrscheinlichkeit zur einer konkreten Gefährdung der schulischen Integration und der Entfaltung des Lernvermögens summieren würden. Zum Teil stünden diese Risikofaktoren in einer Wechselwirkungsbeziehung. Im Einzelnen sei die lange Fahrzeit zu nennen, die im Falle eines Schulwechsels zweimal täglich ca. 50 bis 60 Minuten betragen würde, was eine erhebliche zusätzliche Belastung des Klägers darstellen würde. Im Hinblick auf eine möglichst vollständige Nutzung der Lernressourcen des Klägers sei von einer nicht unerheblichen Erschwernis auszugehen. Nicht umsonst werde in der N-Schule nach dem Eintreffen der Schüler nicht unmittelbar mit dem Unterricht begonnen. Vielmehr würden die Schüler nach ihrer Ankunft erst einmal durch entspannende Interventionen auf den Unterrichtsbeginn vorbereitet. Darüber hinaus bedinge die Reizoffenheit und Ablenkbarkeit des Klägers die Notwendigkeit eines ruhigen, an Ablenkungsreizen möglichst armen Milieus, das schulischerseits am besten durch eine geringe Klassengröße und eine individuelle Ansprache gewährleistet werden könne. Die deutliche Schwäche hinsichtlich der Daueraufmerksamkeit stelle im schulischen Alltag für den Kläger ein erhebliches Problem dar. Diesbezüglich sei es erforderlich, dass der Kläger bei sich ankündigender Erschöpfung und nachlassender Anstrengungsbereitschaft durch eine ihm intensiv zugewandte Lehrperson zum Weiterarbeiten ermutigt und sein Interesse immer wieder neu geweckt werde. Weiterhin sei zu bedenken, dass das Therapieangebot in der T-Schule deutlich besser sei, und es an der N-Schule in H auch zu Verzögerungen kommen könne. Schließlich stelle die Herausnahme des Klägers aus der gewohnten personellen und räumlichen Umgebung durch einen Wechsel auf die N-Schule einen entscheidenden Risikofaktor dar, da die multiplen Veränderungen, die vom Kläger verarbeitet werden müssen, dessen Adaptionsvermögen überfordern und die mühsam errungene Bindungssicherheit zum "kippen" bringen könnten. Die Kammer folgt diesen Ausführungen des Sachverständigen, die sie für schlüssig und überzeugend hält.

Das LSG hat in seinem Beschluss vom 31.03.2010 dargelegt, dass in Anbetracht der Ausführungen des Sachverständigen Dr. H1 erhebliche Zweifel an der Eignung der N-Schule für die Beschulung des Klägers bestünden. Dies ergebe sich im Wesentlichen aus zwei Aspekten, nämlich zum Einen aus der zweimal täglich erforderlich werdenden Fahrzeit von 50 bis 60 Minuten, die mit Blick auf die vollständige Nutzung der Lernressourcen eine nicht unerhebliche Erschwernis darstelle. Dabei gehe es auch nicht um eine optimale Förderung, sondern eine Schule sei nur dann geeignet, wenn dem betroffenen Hilfebedürftigen die Möglichkeit eingeräumt werde, seine Aufmerksamkeitsressourcen vollständig zu nutzen. Es sei klar, dass schon alleine durch die räumliche Entfernung zur Schule in jedem Fall Fahrzeiten anfielen. Wenn diese in medizinischer Hinsicht einen Nachteil darstellten, seien sie so kurz wie möglich zu halten. Der Beklagte könne in diesem Zusammenhang nicht darauf verweisen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 13 Abs. 3 SchfkVO NRW eine Fahrzeit von bis zu einer Stunde als zumutbar erachtet habe. Zutreffend sei zwar, dass es sich um eine Soll-Vorschrift handelt, mithin sogar in Ausnahmefällen eine Überschreitung dieses Zeitrahmens stattfinden könne. Solche Ausnahmefälle seien grundsätzlich auch zutreffend dort angesiedelt, wo im ländlichen Bereich eine Beschulung nur unter Inkaufnahme entsprechend längerer Fahrzeiten überhaupt in Betracht komme. Nicht zutreffend sei demgegenüber die Auffassung, dass die Erbringung von Hilfen zur angemessenen Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht auch jedem beeinträchtigten Schüler ohne jede Abwägung einen Schulweg von bis zu einer Stunde abverlange. Die Vorschrift müsse in diesem Zusammenhang so ausgelegt werden, dass sie unter dem Vorbehalt stehe, den Eingliederungserfolg ihrerseits nicht zu gefährden. Denn der Transport der Schüler ist nur Mittel zum eigentlichen Zweck der erfolgreichen Durchführung der Beschulung. Der Wechsel der Schule sei dem Kläger darüber hinaus auch deshalb nicht zuzumuten, da er ihm eine derzeit unzumutbare Umstellungsleistung abverlangen würde. Die von dem Sachverständigen nachvollziehbar dargestellte zerbrechliche Bindungsstabilität sei geeignet, den Entwicklungsfortschritt über einen signifikanten Zeitraum zu hemmen. Der Sachverständige habe insoweit im günstigsten Fall ein Zeitfenster von einem halben bis zu einem Jahr als erforderlich bezeichnet. Vor diesem Hintergrund sei ein Wechsel der Schule nicht zumutbar, denn die Gesamtbetrachtung müsse dort ihre Grenze finden, wo der Bruch in der Integration den Betroffenen soweit beeinträchtigt, dass ggf. ein ganzes Schuljahr verlorengeht. Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen des LSG nach eigener Überzeugungsbildung an.

Das LSG hatte in seinem Beschluss vom 31.03.2010 die Möglichkeit erwogen, dass evtl. eine Einzelbeförderung für den Kläger eingerichtet werden könnte und sich dadurch die Fahrzeit nach H reduzieren würde, was dann evtl. zu einer anderen Einschätzung führen könnte. Die Möglichkeit einer Einzelbeförderung besteht jedoch im vorliegenden Verfahren nicht, denn der Kreis H hat mit Schreiben vom 26.05.2011 (Bl. 194 der Gerichtsakte) mitgeteilt, dass eine objektive Unzumutbarkeit der Nutzung des Schülerspezialverkehrs zum Besuch der N-Schule in diesem Fall nicht vorliege. Allein die Befürchtung, dass eine längere Beförderungszeit Konzentrationsprobleme nach sich ziehen könne, begründe keinen Anspruch auf eine Einzelbeförderung. Der durch den Kreis H eingerichtete Schülerspezialverkehr könne also durch den Kläger zumutbar genutzt werden. Die Kosten für eine Einzelbeförderung würden nicht übernommen. Die Frage, ob dem Kläger ein Wechsel der Schule zugemutet werden könnte, wenn die Kosten für eine Einzelbeförderung übernommen werden, bedurfte damit im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, denn eine solche Option steht nicht zur Verfügung. Auf abstrakte Möglichkeiten zur Deckung eines konkreten sozialhilferechtlichen Bedarfs kann der Betroffene nach dem Beschluss des LSG vom 31.03.2010 nur verwiesen werden, wenn die Bedarfsdeckung erkennbar jederzeit und ohne Schwierigkeiten zeitnah abgerufen werden kann. Dies ist im vorliegenden Verfahren nicht der Fall, denn der Kreis H hat die Kostenübernahme bereits abgelehnt, so dass die Eltern zunächst den Kostenträger verklagen müssten, was ihnen jedoch nicht zuzumuten ist. Letztlich bleibt damit nur die Möglichkeit, dass der Kläger weiterhin die T-Schule in C besucht. Dies begründet dann auch seinen Anspruch auf Kostenübernahme gegen den Beklagten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.