LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2016 - 2 SaGa 1/15
Fundstelle
openJur 2016, 6099
  • Rkr:

Ein Verfügungsanspruch für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung von Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers besteht nicht, wenn bei einer Abwägung der Rechtsgüter beider Parteien (insbesondere das Hausrecht des Arbeitgebers gegen das Streikrecht der Gewerkschaft) unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine offenkundige Rechtswidrigkeit der Streikmaßnahmen erkennbar ist.

Tenor

1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 23. September 2015 - 5 Ga 4/15 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung hat die Verfügungsklägerin zu tragen.

Tatbestand

Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag des bestreikten Unternehmens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen auf dessen Betriebsgelände.

Die Verfügungsklägerin ist ein zur A.-Gruppe gehörendes Logistikunternehmen mit Sitz in P.. Die A.-Gruppe ist der weltweit größte Versandhändler. Ausweislich des Handelsregistereintrags ist Unternehmensgegenstand der Verfügungsklägerin die Erbringung von logistischen Dienstleistungen und anderen Vertriebsdienstleitungen, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen. Die Verfügungsklägerin ist nicht tarifgebunden.

Die Verfügungsbeklagte ist die größte Gewerkschaft der Dienstleistungsbranche.

Bei Unternehmen der A.-Gruppe in Deutschland fanden seit April 2013 mehrere Streiks statt. Hintergrund des Arbeitskampfes ist die Forderung der Verfügungsbeklagten nach Anerkennung eines Tarifvertrags für den Einzel- und Versandhandel. Zunächst wurde die Verfügungsklägerin nicht von diesem Arbeitskampf betroffen.

Mit Schreiben vom 5. August 2015 forderte die Verfügungsbeklagte schließlich auch die Verfügungsklägerin auf, mit ihr in Verhandlungen über den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages hinsichtlich der Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Baden-Württemberg einzutreten. Dies lehnte die Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 11. August 2015 ab.

Am 21. und 22. September 2015 führte die Verfügungsbeklagte auf dem Betriebsgelände der Verfügungsklägerin vor dem Haupteingang Streikmaßnahmen durch.

Die räumliche Situation bei der Verfügungsklägerin stellt sich folgendermaßen dar:

Vor den 7 Drehkreuzen des einzigen Zugangs für Beschäftigte zu den Betriebsgebäuden befinden sich weiträumige Pkw-Parkplätze und der so genannten Banana Tower, die von der Verfügungsklägerin angemietet sind. Diese umzäunten Pkw-Parkplätze sind über eine an das öffentliche Straßennetz angeschlossene Einfahrt zu erreichen. An diesem Eingang sind Straßenverkehrsschilder angebracht. Auf einem von der Verfügungsklägerin angefertigten Schild heißt es auszugsweise: „Willkommen bei der A. P. GmbH. Bitte halten Sie die Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 km/h ein! Privatgrundstück! Unbefugten ist das Betreten und Befahren verboten!“. Diese Einfahrt ist in der Luftlinie ca. 600 m vom Haupteingang entfernt. Eine öffentliche Bushaltestelle ist weniger als 100 m vom Haupteingang entfernt. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Verfügungsklägerin kommen ca. 20 % der Beschäftigten mit dem Bus zur Arbeitsstelle.

Am 21. und 22. September 2015 streikten zeitweise bis zu 35 Personen (Beschäftigte der Verfügungsklägerin und Gewerkschaftsfunktionäre) vor den Drehkreuzen des Haupteingangs. Sie stellten stundenweise 12 große Trommeln und mehrere v.-Sonnenschirme auf und verteilten verschiedene Flugblätter, in denen sie die Beschäftigten der Verfügungsklägerin über den Arbeitskampf informierten und zum Streik aufriefen. Auch nach einer Aufforderung durch die Verfügungsklägerin, das Betriebsgelände zu verlassen, setzten die Streikenden ihre Aktion fort. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass an diesen beiden Tagen arbeitswillige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin bei ihrem Zutritt der Betriebsgebäude nicht behindert wurden.

Nach dem 22. September 2015 fanden bei der Verfügungsklägerin bis zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung keine Streikmaßnahmen mehr statt. Bei der Verfügungsklägerin ließ die Verfügungsbeklagte auch nach dem erstinstanzlichen Urteil Flugblätter verteilen, in den es auszugsweise heißt „… Und wir kämpfen weiter für den Tarifvertrag! Wir geben auch in Zukunft keine Ruhe!“.

Die Verfügungsklägerin hat beim Arbeitsgericht B. mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2015 ein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht. In diesem Verfahren ist Kammertermin auf den 7. April 2016 anberaumt worden.

In dem am 22. September 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist die Verfügungsklägerin der Ansicht, dass Streikmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände, wozu auch die Pkw-Parkplätze zu rechnen seien, rechtswidrig seien, so dass ein Unterlassungsanspruch gegeben sei.

Ein Verfügungsgrund liege vor. Auch nach Beendigung der Streikmaßnahmen am 22. September 2015 sei zu erwarten, dass es bei der Verfügungsklägerin weiterhin zu Streikmaßnahmen kommen werde. Eine bindende Erklärung bezüglich der Nichtvornahme weiterer Streiks in absehbarer Zeit habe die Verfügungsbeklagte nicht abgegeben. Es sei deshalb jederzeit möglich, dass Streikmaßnahmen auch kurzfristig wieder durchgeführt würden.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt:

1. Der Verfügungsbeklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Verfügungsklägerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen - untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin (A. Str. ..., ... P.) zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage ASt 5 bezeichneten Inhalt durchzuführen.

Hilfsweise:

1. Der Verfügungsbeklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Verfügungsklägerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen - untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin (A. Str. ..., ... P.) zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage ASt 5 bezeichneten Inhaltes durchzuführen im unmittelbaren Eingangs-/Zugangsbereich direkt vor dem Haupteingang.

2. Der Verfügungsbeklagten wird es - unbeschadet des Rechts der Verfügungsklägerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen - untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin (A. Str. ..., ... P.) zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage ASt 5 bezeichneten Inhaltes durchzuführen im unmittelbaren Eingangs-/Zugangsbereich direkt vor dem Haupteingang im Zeitraum bis zum 26.09.2015.

Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte vertritt die Auffassung, dass beim vorliegenden Sachverhalt bereits ein Verfügungsgrund nicht gegeben sei.

Sie trägt vor, dass ein konkreter Streikaufruf nur für die beiden Tage am 21. und 22. September 2015 erfolgt sei. Weitere Streikmaßnahmen seien auf absehbare Zeit nicht geplant gewesen.

Auch ein Unterlassungsanspruch bestehe nicht. Vorliegend sei weder eine Störung des Betriebsablaufs oder des Betriebes selbst durch die Streikmaßnahme eingetreten. Die Verfügungsbeklagte könne sich jedoch auf das Grundrecht aus Artikel 9 Abs. 3 GG im Rahmen der koalitionsspezifischen Betätigungsfreiheit berufen. Deshalb sei der Rechtsposition der Verfügungsbeklagten Vorrang vor dem Unterlassungsinteresse der Antragstellerin einzuräumen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 23. September 2015 den Antrag auf Erlass einer einstweilen Verfügung zurückgewiesen. Die zulässigen Anträge seien schon deshalb unbegründet, weil ein Verfügungsgrund nicht gegeben sei. Jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung habe keine besondere Eilbedürftigkeit mehr bestanden, nachdem die Streikmaßnahmen am 22. September 2015 beendet gewesen seien. Die Verfügungsklägerin habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass in nächster Zeit weitere Streikmaßnahmen der Verfügungsbeklagten zu befürchten seien. Im Übrigen gehe aus dem Vortrag der Verfügungsklägerin nicht hervor, dass ein Abwarten bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu einer erheblichen Rechtsbeeinträchtigung führen könne. In einem Hauptsacheverfahren und nicht in einem summarischen Verfahren wie dem vorliegenden seien die Rechtsgüter zwischen dem Haus- und Eigentumsrecht der Arbeitgeberin und der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit abzuwägen. Dabei stelle sich auch die Frage, ob und in welchem Umfang das Hausrecht des Arbeitgebers grundrechtsfreundlich auszuüben sei und bestimmte Streikaktionen auch auf dem Betriebsgelände hinzunehmen seien.

Gegen das der Verfügungsklägerin am 7. Oktober 2015 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 13. November 2015 eingelegte und ausgeführte Berufung.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass sie auf ihrem privaten Betriebsgelände, wozu auch die angemieteten Pkw-Parkplätze zu rechnen seien, keine Streikmaßnahmen der Gewerkschaft zu dulden habe. Die Arbeitskampfmaßnahmen der Verfügungsbeklagten hätten am 21. und 22. September 2015 vor dem einzigen Zugang zu den Betriebsgebäuden und damit auf dem zentralen Ort des Betriebsgeländes stattgefunden. Das gesamte Betriebsgelände der Verfügungsklägerin unterfalle dem Schutz der Art. 13 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG. Auf der anderen Seite sei das von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Interesse der Verfügungsbeklagten, Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin anzusprechen und von ihren Zielen zu überzeugen zu können, im Vergleich zu den grundrechtlich geschützten Interessen der Verfügungsklägerin als gering zu bewerten. Die Verfügungsbeklagte könne Arbeitskampfmaßnahmen auch außerhalb des Betriebsgeländes durchführen. So könnte die Verfügungsbeklagte beispielsweise die unmittelbare Zufahrtstraße zu den Parkplätzen der Verfügungsklägerin als Streikort wählen. Auch dort könne die Verfügungsbeklagte Arbeitnehmer ansprechen. Auch die Anmietung öffentlicher Gebäude außerhalb des Betriebsgeländes der Verfügungsklägerin käme in Betracht. Schon aus dem „Flashmob-Urteil“ des BAG vom 22. September 2009 gehe hervor, dass das auf Eigentum und Besitz beruhende Hausrecht der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit nicht weichen müsse. Im Übrigen sei die Verfügungsklägerin als rein privatwirtschaftliches Unternehmen nicht grundrechtsverpflichtet.

Auch ein Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sei vorliegend gegeben. Dazu sei keine konkrete Streikankündigung erforderlich. Vielmehr liege schon dann die erforderliche Dringlichkeit vor, wenn aufgrund der Ankündigung und des Verhaltens der streikführenden Gewerkschaft bei lebensnaher Betrachtung alsbald mit weiteren Streikmaßnahmen zu rechnen sei. Die Verfügungsbeklagte habe beim vorliegenden Sachverhalt keinen Zweifel gelassen, dass es jederzeit wieder zu neuen Arbeitskampfmaßnahmen kommen könne. Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Verfügungsklägerin wird auf deren Schriftsätze vom 13. November, 2. Dezember 2015 und 4. Februar 2016 ergänzend Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 23. September 2015 (5 Ga 4/15) wird abgeändert.

2. Der Antragsgegnerin wird es, bis zum Ergehen einer erstinstanzlichen Entscheidung in dem beim Arbeitsgericht B. anhängigen Hauptsacheverfahren (41 Ca 15029/15) unbeschadet des Rechts der Antragstellerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen, untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin (A. Str. ..., ... P.) zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage AST 5 bezeichneten Inhalt durchzuführen.

3. Hilfsweise zu 2: Der Antragsgegnerin wird es, bis zum Ergehen einer erstinstanzlichen Entscheidung in dem beim Arbeitsgericht B. anhängigen Hauptsacheverfahren (41 Ca 15029/15) unbeschadet des Rechts der Antragstellerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen, untersagt, nach Ausübung des arbeitgeberseitigen Hausrechts gegenüber dem Streikleiter Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin (A. Str. ..., ... P.) zu zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage AST 5 bezeichneten Inhalt durchzuführen.

4. Hilfsweise zu 3: Der Antragsgegnerin wird es, bis zum Ergehen einer erstinstanzlichen Entscheidung in dem beim Arbeitsgericht B. anhängigen Hauptsacheverfahren (41 Ca 15029/15), unbeschadet des Rechts der Antragstellerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen, untersagt, Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin (A. Str. ..., ... P.) zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage AST 5 bezeichneten Inhalt durchzuführen, soweit diese in einem Radius von 100 m oder weniger vor dem Haupteingang (sogenannter "Banana Tower") stattfinden.

5. Hilfsweise zu 4: Der Antragsgegnerin wird es bis zum Ergehen einer erstinstanzlichen Entscheidung in dem beim Arbeitsgericht B. anhängigen Hauptsacheverfahren (41 Ca 15029/15), unbeschadet des Rechts der Antragstellerin, die Rechtswidrigkeit einer konkreten Streikmaßnahme aus sonstigen Gründen geltend zu machen, untersagt, nach Ausübung des arbeitgeberseitigen Hausrechts gegenüber dem Streikleiter Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Antragstellerin (A. Str. ..., ... P.) zwecks Durchsetzung eines Anerkennungstarifvertrages mit dem als Anlage AST 5 bezeichneten Inhalt durchzuführen, soweit diese in einem Radius von 100 m oder weniger vor dem Haupteingang (sogenannter Banana Tower) stattfinden.

6. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,- EUR (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monate, zu vollziehen an dem Vorsitzenden ihres Bundesvorstandes, angedroht.

Die Verfügungsbeklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen und hilfsweise zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte ist weiter der Auffassung, dass vorliegend schon kein Verfügungsgrund gegeben sei. Eine besondere Eilbedürftigkeit sei offensichtlich nicht gegeben. Die Streikmaßnahmen seien am 22. September 2015 beendet gewesen. Auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung seien keine Streikmaßnahmen bei der Verfügungsklägerin geplant oder in Sicht gewesen. Die Spekulation der Verfügungsklägerin über weitere Arbeitskampfmaßnahmen begründeten noch keinen Verfügungsgrund.

Im Übrigen mangele es dem Antrag auch an einem Verfügungsanspruch. Die Verfügungsklägerin habe keinerlei Tatsachen vorgetragen, aus denen sich eine Störung des Betriebes oder des Betriebsablaufs durch Streikmaßnahmen wie derartige am 21. und 22. September 2015 ergeben könnten. Auf der anderen Seite müsse die Verfügungsbeklagte im Rahmen ihres grundrechtlich geschützten Streikrechts Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verfügungsklägerin auf die Ziele des Arbeitskampfes ansprechen können. Dies könne effektiv nur im Eingangsbereich vor dem Betriebsgebäude und nicht auf der mindestens 1000 m entfernten Einfahrt vor den Pkw-Parkplätzen erfolgen. Wegen des zweitinstanzlichen Vorbringens der Verfügungsbeklagten wird auf deren Schriftsatz vom 20. November 2015 ergänzend Bezug genommen.

Gründe

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Verfügungsklägerin ist fristgerecht eingelegten ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

Die Berufung der Verfügungsklägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den zulässigen Antrag (1.) auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen. Für die vorliegenden Anträge sind weder ein Verfügungsgrund (3.) noch ein Verfügungsanspruch (4.) gegeben.

1. Die vorliegenden Anträge sind zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Verfügungsklägerin begehrt mit ihrem Hauptantrag und den Hilfsanträgen die Untersagung von Streikmaßnahmen auf ihrem Betriebsgelände oder, gegebenenfalls nach Ausübung ihres Hausrechts, in einem Umkreis von weniger als 100 m Entfernung vor dem Haupteingang. Sie will mit diesen Anträgen jegliche Streikmaßnahmen in einem örtlich bestimmten Bereich ihres Betriebsgeländes untersagen lassen. Die zu untersagenden Streikmaßnahmen sind von der Verfügungsklägerin nicht näher bestimmt. Sie will bewusst alle Streikmaßnahmen (von der Anwesenheit streikbereiter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Betriebsgelände bis zum Aufstellen von Gegenständen) auf (bestimmten Bereichen) ihres Betriebsgeländes untersagen lassen. Ein solcher als Globalantrag zu wertender Antrag ist grundsätzlich zulässig (BAG 10. März 1992 - 1 ABR 31/91 -juris Rn. 16). Erfasst er aber auch nur einen Fall, in dem die geltend gemachte Rechtsverletzung nicht gegeben ist, ist er insgesamt als unbegründet zurückzuweisen. Wenn also auch nur eine Form von Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der Verfügungsklägerin rechtlich nicht zu beanstanden wäre, wäre der Antrag als unbegründet zurückzuweisen.

Bei den zuletzt gestellten Anträgen handelt es sich auch nicht um Klageänderungen, da die zunächst gestellten Klageanträge lediglich beschränkt worden sind (§ 264 Nr. 2 ZPO). Im Übrigen wäre eine Klageänderung auch sachdienlich gewesen (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 533 Nr. 1 ZPO).

2. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Arbeitskampf ist nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich zulässig (BAG 17. Mai 2011-1 AZR 473/09-Juris, Rn. 45; in der Literatur z. B. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 65 Rdnr. 9 mwN.; Däubler-Bertzbach Arbeitskampfrecht 3. Aufl. § 24 Rn. 8 mwN.). Bei einer Unterlassungsverfügung, wie im vorliegenden Fall, ist der Verfügungsanspruch ein Unterlassungsanspruch, der sich entweder aus der tarifvertraglichen Friedenspflicht, im Recht auf Durchführung eines Arbeitskampfes aus Art. 9 Abs. 3 GG unter Berücksichtigung der durch die Rechtsprechung gezogenen Grenzen sowie die Regelungen der §§ 823 Abs. 1 BGB und 1004 BGB (Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) ergeben kann. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist, dass die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes oder der einzelnen Arbeitskampfmaßnahmen dargelegt und glaubhaft gemacht wird.

Dabei ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten, ob die Rechtswidrigkeit der (bevorstehenden) Arbeitskampfmaßnahmen eindeutig oder offenkundig sein muss (für eine offenkundige Rechtswidrigkeit der Arbeitskampfmaßnahmen: LAG Baden-Württemberg 31. März 2009 - 2 SaGa 1/09 juris Rn. 49; Sächsisches LAG 2. November 2007 - 7 SaGa 19/07 juris Rn. 93; LAG Köln 19. März 2007 - 12 Ta 41/07 juris Rn. 7; Däubler-Bertzbach aaO § 24 Rn. 21; Zeuner RdA 1971, 7; für die „einfache“ Rechtswidrigkeit der Arbeitskampfmaßnahmen: Hessisches LAG 22. Juli 2004 - 9 SaGa 593/04 - AP Nr. 168 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Kissel, aaO, § 65 Rn. 28; Otto, Arbeitskampf und Schlichtungsrecht, § 19 Rn. 31; Germelmann-Germelmann, ArbGG, 8. Auflage, § 62 Rn. 113 jeweils mwN). Die erkennende Kammer schließt sich der erstgenannten Rechtsauffassung an, wonach im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nur offenkundig rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen untersagt werden dürfen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts spricht dafür insbesondere die summarische Form und damit die verminderte Richtigkeitsgarantie des Eilverfahrens.

Neben dem Verfügungsanspruch setzt der Erlass einer einstweiligen Verfügung als Verfügungsgrund voraus, dass die Gefahr des endgültigen Rechtsverlustes besteht. Hier ist eine Interessenabwägung der beteiligten Parteien vorzunehmen, in die sämtliche in Betracht kommenden materiell-rechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen für beide Parteien einzubeziehen sind (LAG Baden-Württemberg 31. März 2009 - 2 SaGa 1/09 juris Rn. 49 ; Däubler-Bertzbach aaO § 24 Rn. 23; Germelmann, aaO, Rdnr. 114 mwN). Hierbei kann neben der Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage auch von Bedeutung sein, dass ein Schadenersatzanspruch gemäß § 945 ZPO bei einem Erfolg des Verfügungsgegners im Hauptprozess nicht in der Lage ist, die entstandenen Nachteile auszugleichen. Auch muss bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, welchen Umfang die gestellten Anträge haben. Anträge, die den Arbeitskampf insgesamt verhindern sollen, greifen in die grundgesetzlich geschützten Rechtspositionen des Verfügungsgegners so stark ein, dass der Kernbereich des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG gefährdet sein kann. Weniger stark wird eingegriffen, wenn lediglich die Rechtswidrigkeit einzelner Kampfhandlungen im Rahmen der einstweiligen Verfügung geltend gemacht wird. Wegen des zeitlich begrenzten Rahmens von Arbeitskampfmaßnahmen führt in der Regel ihre Untersagung auch zu einer endgültigen Entscheidung. Dies gebietet, das Einschränkungen der Kampfmöglichkeiten der Parteien im Arbeitskampf durch einstweilige Verfügung nur in ganz seltenen Fällen vorgenommen werden. Da es gerade Wesen des Arbeitskampfes ist, durch Ausübung wirtschaftlichen Drucks auf den jeweiligen Gegner einzuwirken, kann nun nicht jede Schädigung, die durch Kampfmaßnahmen eintritt, den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigen. Vielmehr müssen schon erhebliche und unverhältnismäßige wirtschaftliche oder sonstige Schäden durch die rechtswidrige Kampfmaßnahme eintreten, die das Eingreifen durch das Gericht notwendig erscheinen lassen (Germelmann aaO, Rn. 114).

3. Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Arbeitskampfmaßnahmen ist die erkennende Kammer wie das Arbeitsgericht der Auffassung, dass beim vorliegenden Lebenssachverhalte bereits ein Verfügungsgrund nicht gegeben ist. Eine besondere Dringlichkeit ist nicht ersichtlich, weil für die Verfügungsklägerin bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vor dem Arbeitsgericht B. (voraussichtlich am 7. April 2016) keine erheblichen Nachteile zu befürchten sind, nachdem die Verfügungsbeklagte nach ihren Angaben derzeit keine Streikmaßnahmen bei der Verfügungsklägerin plant.

Bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Interessen sind die Nachteile der Verfügungsklägerin, wenn die beantragte Verfügung nicht erlassen wird (Streikmaßnahmen vor dem Eingangstor auf dem privaten Betriebsgelände mit den vorgetragenen Auswirkungen) und die Nachteile der Verfügungsbeklagten, wenn die beantragte Verfügung erlassen wird (keine Streikmaßnahmen in unmittelbarer Nähe des Eingangstors) gegeneinander abzuwägen.

Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es der Verfügungsklägerin darum geht, der Verfügungsbeklagten im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (24. Februar 2016) nicht konkret geplante Arbeitskampfmaßnahmen für wenige Wochen (bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren) auf dem gesamten Betriebsgelände (Hauptantrag) oder, gegebenenfalls nach Ausübung des Hausrechts, in einem Umkreis von weniger als 100 m vor dem Haupteingang zu untersagen.

Angesichts der am 21./22. September 2015 durchgeführten Arbeitskampfmaßnahmen und den Erklärungen der Verfügungsbeklagten in der Berufungsverhandlung ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die (wenig wahrscheinlichen) Arbeitskampfmaßnahmen zu irgendwelchen Behinderungen der arbeitswilligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Zugang zu ihren Arbeitsplätzen oder des sonstigen Betriebsablaufs der Verfügungsklägerin führen könnten.

Da (schwerwiegende) Beeinträchtigungen der Rechtsgüter der antragstellenden Verfügungsklägerin nicht zu befürchten sind, sind schon mangels eines Verfügungsgrundes die vorliegenden Anträge zurückzuweisen.

4. Auch ein Anspruch auf die Unterlassung jeglicher Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände oder einem bestimmten Bereich vor dem Haupteingang der Verfügungsklägerin ist im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht gegeben.

Der Vortrag der Verfügungsklägerin rechtfertigt nicht die Annahme, dass eine jegliche Arbeitskampfmaßnahme der Verfügungsbeklagten (auf einem bestimmten Teil) des Betriebsgeländes vor dem Haupteingang offenkundig rechtswidrig und deshalb einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 BGB iVm. § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Verfügungsklägerin gegeben wäre.

Eine Abwägung der Rechtsgüter beider Parteien (insbesondere des Hausrechts der Verfügungsklägerin [Art. 13 GG] gegen das Streikrecht der Verfügungsbeklagten [Art. 9 Abs. 3 GG]) führt nach Ansicht der erkennenden Kammer nicht zu dem Ergebnis, dass jegliche Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände vor dem Haupteingang der Verfügungsklägerin offensichtlich rechtswidrig wären.

Das von Art. 13 GG geschützte Hausrecht der Verfügungsklägerin beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz und ermöglicht seinem Inhaber, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verwehrt. Das schließt das Recht ein, den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben und die Einhaltung dieses Zwecks mittels eines Hausverbots durchzusetzen (BGH 20. Januar 2006 - V ZR 134/05 - juris Rn. 7). Auf der anderen Seite umfasst das von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Streikrecht der Verfügungsbeklagten auch das Recht der streikbeteiligten Arbeitnehmer und Gewerkschaftsfunktionäre (Streikposten), Arbeitswillige zur Solidarität mit den Streikenden und zur Streikteilnahme überreden zu dürfen. Als zulässige Beeinflussung der Arbeitswilligen gilt (nur) gütliches Zureden und der Appell an die Solidarität (ErfK-Linsenmaier 16. Aufl. Art. 9 GG Rn. 176,177). In der arbeitsrechtlichen Literatur wird auch die Meinung vertreten, dass Streikposten sich zwar nicht in den eigentlichen Betriebsgebäuden, aber auf einem Gelände aufhalten dürfen, das im Eigentum des Betriebsinhaber steht, z.B. auf dem Parkplatz vor einem großen Supermarkt, der bestreikt wird (de Beauregard, Tarif- und Arbeitskampfrecht für die Praxis, 2014 Rn. 474; aA: Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 12 Rn. 5). Nach Auffassung von Däubler (Gewerkschaftsrechte im Betrieb 10. Aufl. § 16 Rn. 501) dürfen Gewerkschaftsbeauftragte auch während eines laufenden Arbeitskampfes einen Betrieb betreten und arbeitswillige Arbeitnehmer zum Streik auffordern.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Grundrechte zur Herstellung praktischer Konkordanz ist beim vorliegenden Sachverhalt Folgendes zu bewerten:

Das vom Streikrecht unstreitig umfasste Recht, mit Arbeitswilligen zu kommunizieren und sie zur Streikteilnahme überreden zu dürfen, wäre bei der Rechtsansicht der Verfügungsklägerin, wonach die Gewerkschaft und die streikenden Arbeitnehmer außerhalb der Zufahrt zu den Pkw-Parkplätzen und damit außerhalb des gesamten Betriebsgeländes ihre Streikmaßnahmen durchführen dürfen, praktisch entwertet. Ca. 80 % der Beschäftigten und damit die große Mehrheit kommen mit ihrem eigenen PKW zur Arbeit und fahren durch die ca. 700 m in Luftlinie vom Haupteingang entfernte Zufahrt auf die Betriebsparkplätze der Verfügungsklägerin. Wenn sie mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h und normalerweise geschlossenen Fahrzeugfenstern in das Betriebsgelände einfahren, ist es schon praktisch unmöglich, mit diesen Beschäftigten dabei zu kommunizieren. Zum einen werden die wenigsten Beschäftigten anhalten und die Fahrzeugfenster öffnen, zum andern würde ein anhaltender PKW die Einfahrt für die nachfolgenden Pkw vollständig blockieren und einen (hupenden) Stau verursachen. Nur wenn die Streikposten die Möglichkeit haben, Arbeitswillige von Angesicht zu Angesicht anzusprechen, wird dem von Art. 9 Abs. 3 GG mit umfassten Kommunikationsrecht Genüge getan.

Auf der anderen Seite ist vorliegend zu berücksichtigen, dass sich das von Art. 13 GG geschützten Hausrecht des Arbeitgebers vorliegend auf dessen Betriebsparkplätze bezieht. Zwar stehen die Betriebsparkplätze im Besitz der Verfügungsklägerin und unterfallen damit deren Hausrecht. Im Wege der Abwägung der beiderseitigen Grundrechte und der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darf aber nicht nur auf die Ausübung des abstrakten Hausrechts geblickt werden, das beim vorliegenden Betreten der PKW-Parkplätze nur formal verletzt wird und die Verfügungsklägerin dabei keine gewichtigen Grundrechtsverletzungen erfährt. Aus Sicht der Berufungskammer macht es einen großen Unterschied, ob das Hausrecht des Arbeitgebers durch ein Betreten der Parkplätze, der Produktionshallen oder gar dessen Privaträume verletzt wird. Das Betreten der Betriebsparkplätze, die für die Ausübung des eigentlichen Betriebszweckes nur eine untergeordnete Funktion spielen, ist der geringste Eingriff in das Hausrecht des Arbeitgebers. Dabei ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass die vergangenen und eventuell zu erwartenden Streikmaßnahmen weder eine Demonstrationsbesetzung oder Betriebsbesetzung oder gar Betriebsblockade dargestellt haben bzw. darstellen.

Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass das grundrechtsfreundlich auszuübende Hausrecht der Verfügungsklägerin (vgl. BAG 25. Januar 2005-1 AZR 607 50/03-juris Rn. 26, BAG 20. September 2009 - 1 AZR 972/08 - juris Rn. 57) dazu führt, dass diese jedenfalls Streikmaßnahmen auf den Betriebsparkplätzen zu dulden hat, die sich lediglich in einem Zureden zur Streikteilnahme erschöpfen. Da diese Form der Streikmaßnahmen auf den Betriebsparkplätzen nicht offensichtlich rechtswidrig ist, ist der Globalantrag der Verfügungsklägerin schon aus diesem Grund abzuweisen.

III.

Da somit die Berufung der Verfügungsklägerin keinen Erfolg haben konnte, hat sie die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.